Romano Guardini und John Henry Kardinal Newmans „Theologie des Einzelnen in der Kirche”

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Romano Guardini und John Henry Kardinal Newmans „Theologie des Einzelnen in der Kirche” (Helmut Zenz)

Newman in Guardinis Leben und Werk

Spätestens durch den Einfluss Wilhelm Kochs wurde John Henry Kardinal Newman (1801-1890) für Guardini zur Leitfigur. [Ein Einfluss über den Schleußner-Kreis oder durch den in München bekannten Newman-Kenner P. Odilo Rottmanner ist denkbar, kann aber wohl kaum mehr verifiziert werden.]

Seither kann - wie Werner Becker konstatierte - „ohne den Blick auf einen der bedeutendsten Theologen unserer Gegenwart, auf Romano Guardini, die Frage nach dem Einfluss Newmans in Deutschland” wohl nicht beantworten werden und dies obwohl Guardini selbst „niemals eine eigene wissenschaftliche Studie über Newman geschrieben” hat. Guardini „ist wie Newman so sehr und ursprünglich Lehrer des geistlichen Lebens, Deuter der Existenz des konkreten gläubigen Menschen, dass seine wissenschaftliche Bedeutung sich manchem Beurteiler verbirgt, der vom Systemdenken herkommt. Auch hier ist Platon Ahnherr, mehr als Aristoteles, und Wege zur Synthese beider werden gezeigt” (Werner Becker: Newman in Deutschland, in: Newman-Studien, hrsg. Von Heinrich Fries und Werner Becker, Zweite Folge, 1954, S. 281-306 und 384-386. Der Text wurde zuerst am 4. Dezember 1953 an der National University in Dublin als Gastvorlesung gehalten. Die Rede von der „Synthese” von Platon und Aristoteles ist hier leider falsch gewählt, besser wäre „Einklang” oder „Spannungseinheit“.).

Dass Guardini nicht nur die Attribute Newmans - vor allem als „Augustinus redivivus”, als „gelöster und erlöster Augustinus” (vgl. Przywara, in: Newman-Studien III, a.a.O., S. 30 und 32) - übertragen bekommen sollte, sondern auch inhaltlich - bei aller Zurückhaltung und notwendigen innereuropäischen und interkonfessionellen „Inkulturation” - nachhaltig geprägt worden ist, wird sich im Laufe der Studie herausstellen. Dass Guardini dabei wie Newman oft auf einen Pol reduziert wird und sein lebenslanger Versuch, die Spannungseinheit zu halten, vernachlässigt wird, und zwar vor allem in Bezug auf das Verhältnis von Augustinismus und Thomismus (Rudolf Eislers Wörterbuch der Philosophie von 1904 zählt unter dem Stichwort „Thomismus“ für England „J. H. NEWMAN, TH. HARPER (The Metaphysics of the Schools, 1879/84), Jos. RICKAB“ zu den Neuscholastikern bzw. Neothomisten. http://www.textlog.de/5235.html), gehört zu den Ungereimtheiten der theologiegeschichtlichen Forschung.

Laut seinem Testament vom 21. September 1914 war er im Besitz von „Schriften von Newman“, die er im Todesfalle Karl Neundörfer vermacht hätte (Dieses frühe Testament war zuletzt im Besitz von + Klara Neundörfer, Offenbach; zu Lebzeiten eingesehen und daraus zitiert von Gerl, a.a.O., 1985, S. 70). Ein Teil von diesen Schriften könnte ab 1927 in die Leihgaben Guardinis an die Burgbibliothek auf Burg Rothenfels eingegangen sein und später in Würzburg verbrannt sein. Willmes berichtete jedenfalls in ihren Erinnerungen: Vor den philosophischen Tagungen trafen die aktuellen Texte, etwa von Newman oder Kierkegaard, die kaum jemand kannte, zur Benutzung ein (Elisabeth Willmes: Jahre auf Burg Rothenfels 1926-1937. Erinnerungen – II A, o.J. (1983), S. 19 f.).

Im März 1914 erfahren wir über eine intensivere Beschäftigung Guardinis mit Newman. Er schickte „Newmans Apologia englisch” an Maria Knöpfler [Vgl. Briefe an Josef Weiger, S. 140, FN 362: „Das Ex. von John Henry Newmans Apologia pro vita sua (1864) befindet sich in der Bibliothek Mooshausen und wurde von Maria Knoepfler (teilweise unter Mithilfe von Guardini, s. die folgenden Briefe) übersetzt; erschienen in: Newman, Ausgewählte Werke (vgl. die folgende Anm.), Bd. I, Mainz (Grünewald) 1922.“]. Außerdem berichtete von der kürzlichen Lektüre von „Laros’ Aufsatz über Newman, und ein paar Sätze lösten schließlich wieder eine jener kurzen, aber starken Revolutionen in mir aus, die dann meist zu einer neuen Einsicht führen.“ Guardini schrieb über diese neue Einsicht: „Ich fühlte beim Lesen Newmans Kraft, seine Bedeutung, und die Frage kam, willst Du nicht sein wie er, ihm folgen, ihn zum Lehrer nehmen?“ [45. Brief vom 17. März 1914, Freiburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 140 in Bezug auf Matthias Laros: John Henry Kardinal Newman nach neuesten Dokumenten, in: Hochland, 11, 1913, in fünf Fortsetzungen].

Guardini konnte und wollte sich keinem Führer als Schüler verschreiben, denn: „Mir ist, als müsse der eine mir wert sein, und der andere auch, Thomas und Augustin, Newman und Dionysius. Jeder kann mir ein Stück der Wahrheit erschließen; mit jedem kann ich ein Stück des Weges gehen, aber nicht immer. Bald werde ich die Grenzen sehen, die Zweck, Zeit, Natur seinen Gedanken gezogen haben, und weitergehen müssen.“ [45. Brief vom 17. März 1914, Freiburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 141; mit Dionysius ist Pseudo-Dionysius Areopagita (5. Jhdt.) gemeint, bei dem es sich vermutlich um einen syrischen Theologen und christlichen Neuplatoniker handelt, der als „Vater der abendländischen Mystik“ und wichtigste Autorität der Scholastik gilt. Dieser gab nämlich unter dem Namen des in Apg 17,34 genannten Dionysius und späteren Bischofs von Athen vier mystische Schriften und Briefe heraus: De ecclesiastica hierarchia; De caelesti hierarchia; De mystica theologia; De divinis nominibus]. Diese Aussage legt aber nahe, dass Guardini auch in Newman noch eine Einseitigkeit sieht, die ihn als polares Gegenüber zu Pseudo-Dionysius Areopagita auffassen lässt.

Bereits 1919 wird Guardini sein eigenes Bild von Newman formulieren, das in gewissem Sinne zugleich ein Selbstbild zeichnet: „Es tut mir leid, wenn ich denke, dass Newman hier wahrscheinlich als Programm eingeführt werden wird; vermute wenigstens, dass Laros es tun wird. Newman ist kein Denker für Programme, ist überhaupt kein Theologe für weitere Kreise. Er ist einer, dem man sich persönlich gegenüberstellen muss, mit viel Ehrfurcht, aber auch mit wacher Kritik; ein Name, der in keine Diskussion hineingehört” (Brief an Knies vom 29. April 1919, zitiert nach Gerl, a.a.O., 1985, S. 106).

Werner Becker überträgt schließlich in seinem Vorwort zu der von ihm herausgegebenen Sammlung von Predigten Guardinis "Predigten zum Kirchenjahr" eine Äußerung Haeckers über Newman auf Guardini:

„Die Ehrfurcht vor dem Worte Gottes und die Ehrfurcht vor dem Menschen und vor seiner Situation, die sich seit 1917 so grundlegend gewandelt hat, das ist das Gleichbleibende in diesen Predigten, und zu jeder Zeit galt für Guardini das Wort, das Th. Haecker über John Henry Newman gesagt hat: dass hier "neu und frisch und doch strenge nach der Weise der Väter das ewig Überlieferte dargelegt wird von einem Prediger, dessen fürbittendes Herz man klopfen hört und fühlt"" (Predigten zum Kirchenjahr, a.a.O., S. 33, in Bezug auf Haeckers Nachwort zu J.H. Kardinal Newman, Das Mysterium der Dreieinigkeit und der Menschwerdung Gottes. Predigten, Leipzig 1940, S. 185).

Zur frühen Newman-Arbeitsgemeinschaft mit Maria Knöpfler und Josef Weiger

Josef Weiger als Newman-Rezensent

Vorerst nur Listung der Bibliographie, wird aber noch ausgeführt:

  • Rezension zu: Der Maimonat. Gebete und Betrachtungen des Kardinal Newmans … Einführung von Dr. M. Laros, in: Augsburger Postzeitung. Literarische Beilage Nr. 11, S. 42 [Buch ist erschienen 1919] [Newman] [nicht bei Knoll]
  • Rezension zu: Laros, Kardinal Newman, in: Augsburger Postzeitung. Literarische Beilage Nr. 30, S. 120 [Newman] [Buch ist erschienen 1920] [nicht bei Knoll]
  • Rezension zu: Gott und die Seele. Gebete und Betrachtungen von Kardinal Newman. Mit einer Einführung v. Dr. M. Laros, in: Augsburger Postzeitung. Literarische Beilage Nr. 16, 1921, S. 63 [Newman] [nicht bei Knoll]
  • Rezension zu: Newman, Karfreitagsbetrachtungen, übersetzt von Maria Knöpfler, in: Augsburger Postzeitung. Literarische Beilage Nr. 15, S. 5??? [Newman] [nicht bei Knoll]
  • Rezension zu: Newman, Die Mission des hl. Philipp Neri, übersetzt von Maria Knöpfler, in: Augsburger Postzeitung. Literarische Beilage Nr. 24, S. 95f. [Buch ist erschienen 1922] [Newman] [nicht bei Knoll]
  • Rezension zu: Newman, Ausgewählte Werke I. Apologia pro vita sua, übersetzt von Maria Knöpfler, in: Augsburger Postzeitung. Literarische Beilage Nr. 25, S. ??? [Newman] [nicht bei Knoll]
  • Um das Erbe Joh. Heinrich Newmans, in: Augsburger Postzeitung, Augsburg, 1922, Nr. 27 (4. Juli 1922), Literarische Beilage, S. 105f. [Newman] [nicht bei Knoll]
  • (Übersetzer): Die deutsche Newmanbewegung in englischer Beleuchtung, in: Augsburger Postzeitung, Augsburg, 1922, Nr. 35 (29. August 1922), Literarische Beilage, S.137f. [Weiger übersetzt den Beitrag von W. J. C., The Newman Movement in Germany, in: The Month, 1922, Juli] [Newman] [nicht bei Knoll]
  • Rezension zu: Newman, Apologia pro vita sua, in: Die Tat, 14, 1922/23, 1 (April 1922), S. 76-78 [mit einer Anmerkung durch Ernst Michel] [Newman] [Knoll III.6]
  • Kirche und Konfessionen, in: Literarischer Handweiser, 1923, 7, Sp. 399-403 [Newman] [nicht bei Knoll]: „Der edle Newman hat in den Tagebuchaufzeichnungen vom 21. Januar 1865 die Notiz, „er sei bange, ausgebildeten Menschen übereilte Konvertiten zu machen, weil sie die Kosten nicht berechnet und nach ihrem Eintritt in die Kirche Schwierigkeiten haben könnten“, und er fügt bei: „Die Kirche müsse ebenso für Konvertiten bereitet werden als Konvertiten für die Kirche.“ Newman hat damit ein Gesetz der Religionspsychologie angedeutet, dem wir in anderer Form als einem Gesetz der politischen Psychologie beim römischen Geschichtschreiber Florus begegnen: es sei leichter, Provinzen zu gewinnen, als sie zu bewahren. Die Frage nach der Wiedervereinigung der christlichen Kirchen ist gewiß eine solche der Glaubenseinsicht und des guten Willens, aber sie ist das nicht allein; was durch Jahrhunderte gewachsen ist, hat seine feste seelische Formung. Daß es für den einzelnen nicht leicht ist, über geschichtlich Geformtes hinauszuschreiten, das hat Newman in seinen Briefen mehr als einmal gesagt, und wie er über die Wiedervereinigung im großen dachte, darüber gibt ein Wort an Ambroise de Lisle gelegentlich Aufschluß: „Um zu schließen, wie ich begann, ich kann von meinem Gesichtspunkt aus ebensowenig verstehen, daß die Staatskirche im Katholizismus ausmündet, als daß sich die Chemie in den Waitz ergießt.“ Der Anglikaner Newman hat ein wunderbar feines Auge für geschichtlich Gewordenes und Geformtes. Völker, deren Seelenleben noch nicht formiert ist, haben auf dem Wege zur Kirche nicht so viele Hindernisse zu überwinden. Das Seelenleben des Protestanten aber ist bewußt bis in die letzte Faser seines Wesens. Die Erfahrung lehrt, daß sich konfessionslos erzogene Konvertiten mit der Kirche leichter zurechtfinden. Das Problem kann nicht ernst genug genommen werden: so sehr wir die Wiedervereinigung der christlichen Kirchen ersehnen, wir dürfen die tatsächlichen Schwierigkeiten nicht unterschätzen. Wenn die „Mailänder Katholischen Missionen“ vom 16. April 1920 von einer ungeheuren Bewegung der deutschen Protestanten zur katholischen Kirche sprechen, so ist das stark übertrieben. Der Vorgang hat in den übergroßen Erwartungen, die sich um die Mitte des letzten Jahrhunderts an die Austrittsbewegungen in der anglikanischen Kirche knüpften, eine lehrreiche Parallele. Der vorwärtsdrängenden Begeisterung des Gemüts will es nicht eingehen, daß Gott und die Natur kleine Schritte machen Das Weltgesetz der lückenlosen Zusammenhänge legt dem gebildeten Konvertiten manches Opfer auf. Newman hat sie, wie wir sahen, angedeutet. Er kommt an anderem Orte noch einmal darauf zu sprechen. Die Tagebuchaufzeichnungen vom 8. Januar 1860 endigen mit dem schmerzlichen Eingeständnis: „Was ich als Protestant schrieb, hatte viel größere Kraft, Gewalt, Bedeutung und Erfolg als meine katholischen Werke, und das beunruhigt mich sehr.“ Döllinger hat die gleiche Beobachtung gemacht. Unter dem 5. November 1857 schreibt er Newman aus München: „Ihr Werk über die `Rechtfertigung´, das ich zweimal gelesen habe, ist meiner Schätzung nach eines der besten theologischen Bücher, die in diesem Jahrhundert erschienen sind, und Ihr Werk über die „Arianer“ wird noch in künftigen Zeiten als ein Muster seiner Art gelesen und studiert werden.“ „Verzeihen Sie mir, wenn ich sage, seit Sie ein Glied und Schmuck der wahren Kirche sind, haben Sie uns noch kein Werk von gleicher theologischer Wichtigkeit und Bedeutung geschenkt.“ Die naheliegende Vermutung, der Konvertit habe seinen Übertritt bereut, ist ganz unhaltbar; die Zeugnisse für das Gegenteil sind erdrückend. Newman war Engländer von konservativer Richtung mit ausgesprochen nationalem Instinkt. …???“
  • Der hl. Paulus bei Newman, in: Ähren aus der Garbe. Kleines Jahrbuch des Matthias-Grünewald-Verlages zu Mainz für 1925, Mainz 1925, S. 46-53 [Newman] [Knoll III.10]
  • Vorwort, in: John Henry Newman: Briefe aus der katholischen Zeit seines Lebens. Übertragen aus dem Englischen von Maria Knoepfler, Mainz 1929, Band I, und Mainz 1930, Band II
    • In Band I: Zum Charakterbild Newmans, S. I-VIII [Newman] [Knoll III.18]
    • Vorabdruck aus Band II unter dem Titel „Briefe John Henry Newmans“, in: Die Schildgenossen, 10, 1930, S. 499-510 [Knoll IV.1]
    • In Band II: Begleitwort, S. XI [Newman] [nicht bei Knoll]
    • Neuausgabe: Briefe und Tagebuchaufzeichnungen aus der katholischen Zeit seines Lebens. Übersetzt von Maria Knoepfler, II. und III. Band der Ausgewählten Werke von John Henry Kardinal Newman, hrsg. von Matthias Laros und Werner Becker, Mainz (2., ergänzte und verbesserte)1957 [nicht bei Knoll]
      • darin ders.: Zum Charakterbild Newmans, S. XI-XVII
      • [Das kurze Vorwort zu Band 2 ist entfallen]
  • Mutter des neuen und ewigen Bundes. Über die heilgeschichtliche und persönliche Größe der Mutter Jesu, Würzburg 1936 [1. Auflage: 1. bis 3. Tausend] [Knoll I.5]
    • Kardinal J. H. Newman über die Aufnahme Mariens in den Himmel [Newman]
  • Nachwort, in: John Henry Newman: Betrachtungen und Gebete, (3)1952, S. 363-364 [Newman] [Knoll III.28] sicher???

Newman im Nachruf Guardinis auf Maria Knöpfler

Nach seinem Freund Karl Neundörfer im Jahr 1926 starb auch Maria Knöpfler bereits früh im darauffolgenden Jahr 1927. Guardini verfasste für sie einen Nachruf (Maria Knoepfler zum Gedächtnis (1928), in: Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Band 2). Darin beschreibt er aus ihre Newman-Verbindung: Sie sei von Prof. Wilhelm Koch angeregt an die Schriften Newmans gekommen und habe bereits im Jahre 1912 begonnen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Bis zu ihrem Tod blieben die Schriften "Gegenstand einer oft sehr entsagungsreichen Arbeit" (a.a.O., S. 389). Ihre ungewöhnliche Gabe, schnell neue Sprachen bis zur Übersetzungsreife zu erlernen, konnte sie auch für die englische Sprache entwickeln, die sie eigens für Newman gelernt habe. "Mit unendlichem Fleiß jeden Satz, jedes Wort wägend, stets aufs neue Sinn und Bedeutung durchdenkend, brachte sie die Übersetzung voran. Ich weiß nicht wievielmal die "Apologia pro vita sua" durchgearbeitet und neu geschrieben wurde" (ebd., S. 390). Ihr Dienst am Geistigen im Bewußtsein der "Sprache als Gefäß des Geistes" und "als Ausdruck einer Persönlichkeit und Gestalt ihres inneren Lebens" war ein "Dienst von wunderbarer Treue und kritischer Sorgfalt", der Maria Knöpfler Übertragungen schaffen ließ, die „von zuständigen Beurteilern mustergültig genannt worden sind" (ebd. S.390 f.)

Wohl in einer Mischung der bei Knöpfler wahrgenommenen und von ihm selbst geteilten Einschätzungen und Haltungen zu Newman würdigt Guardini letztlich in seinem Nachruf Newman und Knöpfler gleichermaßen, wenn er schreibt: "Besonders bei Newman hielt sie, glaube ich, der religiöse Ernst; die intensive Nähe christlicher Wirklichkeit um seine Person und sein Wort. Diese Wirklichkeit aber erscheinend nicht in abstrakter Spekulation - die Maria Knoepfler im Übrigen wohl zu würdigen wusste; manches Gespräch hat dies gezeigt - sondern verwoben mit der konkreten Wirklichkeit des menschlichen Daseins. Es fesselte sie die Besonnenheit, welche, aller Dogmatisierlust fern, das Gewicht jeder religiösen Behauptung fühlt; die Ehrfurcht des großen Engländers vor der Würde und Zartheit des Gewissens; die Gesundheit und Keuschheit seines religiösen Sinnes; die vornehme Art, die es einem für religiöse Haltungen und Konsequenzen spürsamen Menschen möglich macht, in ihrem Bereich zu leben, ohne bedrängt oder verletzt zu werden. Seine historisch-biographischen Schriften waren ihr besonders lieb. Weniger seine Predigten, die mit ihrem schweren Ernst sie bedrückten." (ebd., S. 390)

Guardini wies dabei schon 1928 in seinem Nachruf darauf hin, dass die tragische bzw. mühselige "Geschichte der deutschen Newmanübersetzung ... eine Geschichte von viel gutem Wollen, von viel Uneinigkeit und manchem sonst" sein würde. Gerade deshalb müsste darin aber "der Name dieser wahrhaft demütigen Frau an guter Stelle genannt werden" (ebd., S. 391). Guardini zählte dann die einzelnen Übersetzungen auf:

  • "Betrachtungen und Gebete"; 1914 vollendet, 1924 im Theatinerverlag, München, gedruckt;
  • "Apologia pro vita sua", 1922 im Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz, gedruckt;
  • "Sankt Philipp Neri", 1922 im Theatinerverlag, München, gedruckt.
  • aus den "Historischen Skizzen" die Mission des heiligen Benedikt und die benedikinischen Schulen (noch nicht gedruckt);
  • Briefe der katholischen Zeit (zwei Bände, posthum gedruckt);
  • gründliche Bearbeitungen älterer Predigtübersetzungen (ebenfalls noch ungedruckt)."

Zur Diskussion um den Nachruf mit Matthias Laros

Unter den Briefen an Josef Weiger (126. Brief vom 07.03.1929, a.a.O., S. 295f.) findet sich der maschinenschriftliche Durchschlag eines Briefes an Matthias Laros, den er dabei mit "mein Freund" anspricht. Demnach hat Josef Weiger Guardini informiert, dass Laros "Bedenken gegen den Abdruck des von mir verfassten Nachrufs auf Fräulein Maria Knoepfler im ersten Bande ihrer Übersetzung der Newman-Briefe" habe, weil dieser den Nachruf zu lang und zu persönlich emfpinde. Darauf stellt Guardini noch einmal klar:

"Die Verstorbene war eine der höchststehenden und ungewöhnlichsten Persönlichkeiten, die ich kennen lernen durfte; anderseits so bescheiden, dass sie ausser dem engsten Kreis ihrer Freunde nicht gekannt worden ist. Dieses Gedächtnis ist also sehr am Platze. Ich darf hinzufügen, dass ich auf die Arbeit in gedanklicher wie formaler Beziehung eine ganz besondere Sorgfalt verwendet habe. So werden Sie verstehen, dass mich Ihr Einspruch einigermaßen getroffen hat und mir eine kleine Apologie nachsehen. Was die Länge angeht, so möchte ich meinen, dass nach den sehr zahlreichen Umarbeitungen und stets erneuten Streichungen ein wirklich überflüssiger Satz kaum stehen geblieben ist. Was aber den Vorwurf der Subjektivität angeht, so kann ich dem nur entgegenhalten, dass ich den Nachruf sehr objektiv urteilenden Persönlichkeiten vorgelegt habe, gerade um sicher zu sein, dass er die feine Grenze zwischen persönlicher Beteiligung und unberechtigtem Vordrängen des Subjektiven nicht überschreite. Im Ganzen hat er volle Billigung gefunden; im Einzelnen habe ich sorgsam jeden Wink berücksichtigt, der mir gegeben wurde. Endlich glaube ich, in diesem Leben mit seiner Stille und Absichtslosigkeit liegt nicht nur wirkliche menschliche Größe, sondern etwas, was unsere Zeit sehr nahe angeht, und was geistig wie menschlich Newman tief verwandt ist. Und dass in dieser Weise das Leben eines Menschen mit dem Werke verknüpft wird, dem er gedient; dass ferner in die Würdigung zugleich die Note persönlicher Verbundenheit der Freunde hineinkommt, habe ich wiederum als dem Geiste Newmans tief entsprechend angesehen."

Abschließend bittet Guardini Laros um eine Stellungnahme. Faktisch scheint Laros daraufhin seine Einwände zurückgestellt zu haben, denn der Nachruf wurde im besagten Band abgedruckt.

Guardini über Newman in den Jahren 1929/30: "der Heilige des 19. Jahrhunderts"

Im Brief vom 11. Januar 1929 schreibt Guarini an seinen Freund Josef Weiger über seine Lektüre des ersten Bandes von Thureau Dangin (Paul Thureau-Dangin, La Renaissance Catholique en Angleterre aux XIX siècle. I: Newman et le mouvement d'Oxford, Paris 2. Aufl. 1899), der über Newmans Leben bis zur Bekehrung geht. Guardinis Urteil zu diesem Band lautet: "Das ist etwas Großes." Unmittelbar danach folgt einer der wohl schärfsten Kritiken Guardinis an den "führenden Männern in der Kirche":

"Aber weißt Du, was einem dabei das Herz beengt? Wenn man denkt, in welche Welt diese Männer eintraten! Was ich immer weniger verstehe, ist, dass das allgemeine Bewusstsein der Kirche die zunehmende menschliche und geistige - ich rede nicht vom geistlichen - Verarmung der Katholiken nicht zu fühlen scheint. Die schreiende Diskrepanz zwischen dem Anspruch, dass der Katholizismus die Wahrheit, auch im Sinne des Kulturellen sei, und dem realen Bestand. Die führenden Männer in der Kirche wissen offenbar nicht, was draußen ist; oder aber sie wenden den Blick ab“ (121. Brief vom 11.01.1929, Berlin-Charlottenburg, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 288 f.).

Nach dem Erscheinen des ersten Bandes der Newman-Briefe schreibt Guardini am 6. Januar 1930 an Weiger:

„Ich bereite mich innerlich auf Newman vor. Es wird schon stimmen, dass er der Heilige des 19. Jahrh.s ist, aber so wie es in die kommende Zeit schaut. Dann soll mir, wenn ich an ihn komme, Marias Arbeit eine liebe und kostbare Hilfe sein.“

Leben und Werk Kardinal Newmans im Blick auf Guardini

Vor der Konversion (1817-1843)

Newman berichtet in der Geschichte seiner religiösen Überzeugung (Apologia pro Vita sua) über die sein ganzes Leben bestimmende Glaubensentscheidung seines 16. Lebensjahres: "Sie ließ mich in dem Gedanken Ruhe finden, daß es zwei, und nur zwei Wesen gebe, die absolut und von einleuchtender Selbstverständlichkeit sind: Ich selber und mein Schöpfer." (vgl. John Henry Kardinal Newman, Apologia pro Vita sua, Geschichte meiner religiösen Überzeugung, übersetzt von Maria Knoepfler (bearbeitet von Werner Becker) in: John Henry Newman, Ausgewählte Werke, neue Ausgabe, hrsg. v. Mathias Laros und Werner Becker, Bd. I, 1951, S. 22).

Newman war daraufhin Mitte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts anglikanischer Theologe und Pfarrer geworden. Zu diesem Zeitpunkt war er, wie unter anderem an seinen frühen Predigten ersichtlich, noch stark antidemokratisch eingestellt. [John Henry Newman: Fifteen Sermons preached before: The University of Oxford between A.D. 1826 and 1843, hrsg. Von James David Earnest und Gerard Tracey, Oxford 2006, Editors Introduction, S. LXXIV unter Verweis auf James David Earnest: Newman´s Culture-Criticism, in: Papers of the Nineteenth-Century Theology Group. Amercan Academy of Religion, vol. VI, ed. Paul Misner and Robert F. Streetman, Berkeley 1980, S. 17-26. Earnest verweist darauf, dass Newman in seiner katholischen Zeit dann mit der Demokratie arrangierte, wenn nicht sogar „unkritisch“ gegenüberstand.]

In seiner „Sermon IX, `Wilfulness, the Sin of Saul´“ (1832), die er selbst als Meilenstein seines Lebens betrachtete, identifizierte er eine auf Stolz gegründete Widerspenstigkeit, die ihm das Ergebnis eines angeborenen rebellierenden Prinzips in der menschlichen Natur zu sein schien, als schlimme Gewohnheitssünde des modernen Christentums, als Ausprägung der Erbsünde für die heutige Zeit. Dies gilt auch für den Umgang mit den politischen und moralischen Pflichten und Geboten wie der Gehorsam gegenüber rechtmäßigen Autoritäten und Respekt gegenüber der etablierten Kirche. Unter dem Einfluss von Hurrell Froude missbilligte er daher auch den gegenwärtigen offenen Widerstand gegenüber der rechtmäßigen Macht und die nachgiebige Toleranz ihr gegenüber [„… present open resistance to constituted power, and (what is more to the purpose) the indulgent toleration of it” (Newman, Fifteen Sermons preached before, a.a.O., S. 125)]. Er sieht die armen Klassen als leicht verführbar an. Er gibt daher auch den Führern und Verführern der Massen die Schuld und macht dies am Vergleich der Führerschaft von Saul mit der von David fest. Er hofft auf starke Führer wie einst David, die heldenhaft die Menschen wieder in die katholische und etablierte, religiöse und politische Autorität der Anglikanischen Kirche zurückführen würden [Ebd., S. 120 und 125].

Am Tag nach dieser Predigt brach er zu seiner Mittelmeerreise von 1832/33 auf. Diese führte ihn unter anderem auch nach Rom. Wichtigstes theologisches Ergebnis dieser Reise war eine nunmehr primär negative Beurteilung der „Konstantinischen Wende” und der hierin angebahnten Verquickung von Kirche und Staat. Dabei war Newmans Bewertung des historischen Ereignisses massiv von der aktuellen Problematik der „Church of England“ geprägt.

Bei seiner Rückkehr nach Oxford hatte das englische Parlament im Juli 1833 soeben einige anglikanische Bischofssitze in Irland aufgehoben. Der Oxforder Professor John Keble (1792-1866) formulierte in seiner berühmt gewordenen Predigt [Assize Sermon on National Apostasy”: „Über den nationalen Abfall” vom 14. Juli 1833] scharfen Protest gegen diesen Eingriff in die Eigenständigkeit der Kirche und löste damit faktisch die sogenannten „Oxford-Bewegung” (1833 bis 1845) aus, der sich John Henry Newman sofort anschloss und zu einem ihrer führenden Mitglieder wurde. Wesentliches Organ der Auseinandersetzung waren von 1833 bis 1841 die „Tracts for the Time”, eine Serie von insgesamt 90 Flugschriften, Traktaten und wissenschaftlichen Abhandlungen, von denen 24 aus der Feder Newmans stammten.

Im ersten „Tract” stellte Newman dem anglikanischen Klerus die unvermeidliche Frage: Worauf sollen wir unsere Autorität stützen, wenn der Staat uns im Stich lässt. Die Antwort lautete: In der Rückbesinnung auf die Wurzeln.

Seine „Tracts” erneuern dazu die entschlossene Absage an den theologischen Liberalismus und das Bekenntnis zum „dogmatischen Prinzip” [“1. Das dogmatische Prinzip. Mein Kampf galt dem Liberalismus. Unter Liberalismus verstehe ich das antidogmatische Prinzip und seine Konsequenzen.” (Apol. 48-56, AW I, 70-78, 1833ff.)], betonen die apostolische Herkunft und Vollmacht des bischöflichen Amtes, plädieren für eine Reform der Glaubenspraxis, kämpfen für die Eigenständigkeit der anglikanischen Kirche und gegen ihre Degeneration zu einer „reinen Kreatur des Staates” und protestieren gegen staatlicherseits verordneten Eingriffe in Gottesdienst und Liturgie.

Theologisch bemühen sich die „Tracts” um eine Neuentdeckung der katholischen, im Sinne der altkirchlichen Wurzeln des Anglikanismus, und versuchen dabei den Anglikanismus als echte „via media”, als Alternative „zum Romanismus oder zum populären Protestantismus” (durchaus im Sinne eines Germanismus) darzustellen, die die berechtigten Argumente beider Seiten zu integrieren habe [„Von allen Seiten war der Ruf zu hören, dass die Traktate und die Schriften der Väter uns zum Katholizismus führen werden, bevor wir dessen gewahr würden... Diese Umstände veranlassten mich zur Herausgabe des Werkes `Das Prophetenamt der Kirche in seiner Beziehung zum Romanismus und zum populären Protestantismus betrachtet´“ (Apol. 63-6, AW I, 86-90, 1834-1836); „Eine Via media war nur ein Meiden von Extremen; daher musste ich diesem Ausdruck erst Gestalt und Charakter geben;... Ich schrieb: `Protestantismus und Papismus sind wirkliche Religionen..., die Via media aber, als abgeschlossenes System betrachtet, hat außer auf dem Papier noch kaum existiert.´“ (Apol 68, AW I, 92f., 1836)].

Im Januar 1841 schrieb Newman in Auseinandersetzung mit Milmans Blick auf das Christentum über diese aus der „via media“ resultierenden „katholischen Fülle“: „Man kann in den heidnischen Philosophien und Religionen einen großen Teil dessen finden, was gemeinhin für christliche Wahrheit gehalten wird, sei es in ihren Rudimenten oder in einem bestimmten einzelnen Aspekt. So findet sich etwa eine Lehre von der Trinität sowohl im Orient wie im Abendland: und ähnlich die Zeremonie der Waschung und der Opferritus. Die Lehre vom Logos ist platonisch, die Lehre von der Menschwerdung ist indisch; die von einem Himmelreich ist jüdisch, die von den Engeln und Dämonen stammt aus der Magie; die Verbindung zwischen Sünde und Körperlichkeit ist gnostisch ... Der Glaube an die Macht der Sakramente ist pythagoräisch; die Totenehrungen stammen aus dem Polytheismus“ [Deutsch zitiert nach Henri de Lubac, Katholizismus als Gemeinschaft, Einsiedeln 1943, 407; englisch in: John Henry Newman: XII. Milmans View on Christianity, in: ders.: Essays critical and hstorical Essays, London 1871, Bd. 2, 231 ff., hier S. 231: “that at great portion of what is generally received as Christian truth, is in its rudiments or in its separate parts to be found in heathen philosophies and religions. For instance, the doctrine of a Trinity is found both in the East and in the West; so is the ceremony of washing; so is the rite of sacrifice. The doctrine of the Divine Word is Platonic; the doctrine of the Incarnation is Indian; of a divine kingdom is Judaic; of Angels and demons is Magian; the connexion of sin with the body is Gnostic; … belief in sacramental virtue is Pythagorean; and honours to the dead are a polytheism”].

Dies könne nur so erklärt werden, dass Gott schon „vom Urbeginn an“ über die ganze Oberfläche der „moralischen Weltordnung“ die „Samen der Wahrheit“ ausgesät habe. Diese hätten dann „auf mannigfache Weise Wurzel“ gefasst. So wie „die niederen Tiere zwar keine Seele besitzen, aber dennoch Spuren eines immateriellen Prinzips tragen“, würden „auch die Philosophien und Religionen der Menschheit ihr Leben aus gewissen wahren Ideen“ schöpfen, „obschon sie nicht unmittelbar göttlichen Ursprungs sind“:

„Was der Mensch ist unter den Tieren, das ist die Kirche unter den Schulen dieser Welt; und wie Adam einst den Tieren, die ihn umgaben, ihren Namen verlieh, so hat die Kirche von Anfang an sich rings auf der Erde umgeblickt und die Lehren, die sie dort vorfand, sich gemerkt und geprüft. Begonnen hat sie mit den Chaldäern, dann nahm sie Wohnung unter den Kananäern, sie ist nach Ägypten hinabgestiegen, von da nach Arabien hinübergegangen, bis sie sich in ihrem eigenen Land festsetzte. In der Folge begegnete sie den Handelsleuten von Tyrus, der Weisheit des Orients, dem Reichtum von Saba. Dann wurde sie in die Gefangenschaft nach Babylon geschleppt, und schließlich durchlief sie die Schulen Griechenlands. Und überall, wo sie weilte, verfolgt oder triumphierend, überall war sie lebendiger Geist, Geist und Wort des Allerhöchsten; ‚sitzend inmitten der Gelehrten, ihnen zuhörend und sie befragend‘. Was sie Richtiges sagten, nahm sie auf, ihre Irrtümer verbesserte sie, ihre Lücken füllte sie aus, ihre Ansätze ergänzte sie, ihre Vermutungen entwickelte sie und erweiterte so allmählich den Umfang und verfeinerte den Sinn ihrer Unterweisungen. Weit entfernt, ihr Credo darum in Zweifel ziehen zu müssen, weil es Ähnlichkeit hat mit fremden Theologien, gehen wir sogar so weit zu behaupten, dass ein besonderes Mittel der Vorsehung, uns göttliches Wissen zu vermitteln, dieses war, dass sie der Kirche erlaubte, es aus der gesamten Welt zu ziehen und in diesem Sinne ‚die Milch der Heiden zu saugen‘“ [deutsch zitiert nach Henri de Lubac, a.a.O., S. 407; englisch in: John Henry Newman: XII. Milman´s View on Christianity, a.a.O., S. 231f.: “That is, we prefer to say, and we think that Scripture bears us out in saying, that from the beginning the Moral Governor of the world has scattered the seeds of truth far and wide over its extent; that these have variously taken root, and grown up as in the wilderness, wild plants indeed but living; and hence that, as the inferior animals have {232} tokens of an immaterial principle in them, yet have not souls, so the philosophies and religions of men have their life in certain true ideas, though they are not directly divine. What man is amid the brute creation, such is the Church among the schools of the world; and as Adam gave names to the animals about him, so has the Church from the first looked round upon the earth, noting and visiting the doctrines she found there. She began in Chaldea, and then sojourned among the Canaanites, and went down into Egypt, and thence passed into Arabia, till she rested in her own land. Next she encountered the merchants of Tyre, and the wisdom of the East country, and the luxury of Sheba. Then she was carried away to Babylon, and wandered to the schools of Greece. And wherever she went, in trouble or in triumph, still she was a living spirit, the mind and voice of the Most High; "sitting in the midst of the doctors, both hearing them and asking them questions;" claiming to herself what they said rightly, correcting their errors, supplying their defects, completing their beginnings, expanding their surmises, and thus gradually by means of them enlarging the range and refining the sense of her own teaching. So far then from her creed being of doubtful credit because it resembles foreign theologies, we even hold that one special way in which Providence has imparted divine knowledge to us has been by enabling her to draw and collect it together out of the world, and, in this sense, as in others, to suck the milk of the Gentiles.“]

Schließlich würden Christen glauben, „dass die göttliche Unterweisung faktisch, wie die Analogien aus der Natur es erwarten ließen, `zu verschiedenen Zeiten und auf mannigfache Weise´ erging, dass sie vielfältig, komplex, progressiv ist und sich allmählich vervollständigt.” Er schloss diese Überlegungen im Stil eines Glaubensbekenntnisses formulierte Stellungnahme mit dem Satz ab: „Wir ruhen in der katholischen Fülle.“ [deutsch zitiert nach Lubac, a.a.O., englisch in: John Henry Newman: XII. Milmans View on Christianity, a.a.O., S. 233: “We … consider that Divine teaching has been in fact, what the analogy of nature would lead us to expect, `at sundry times and in divers manners´, various, complex, progressive, and supplemental of itself. ... We repose in Catholic fullness.”]

Ganz in dieser Vorstellung von "via media" und "katholischer Fülle" predigt Newman zum Karfreitag, den 9. April 1841, über die Bedeutung des Kreuzes als Maßstab der politischen Welt und der Welt der Wissenschaft:

„Schaut auf das Kreuz Christi. Geht in die politische Welt: seht die Eifersucht von Nation zu Nation, die Konkurrenz im Handel, Armeen und Flotten, wie sie sich gegenseitig messen. Blickt hin auf die verschiedenen Gesellschaftsklassen, die Parteien und ihre Streitfragen, das Ringen der Ehrgeizigen, die Intrigen der Schlauen. Was ist das Ende des ganzen Tumults? Das Grab. Was ist das Maß? Das Kreuz. Wendet euch sodann zur Welt des Geistes und der Wissenschaft: betrachtet die wundervollen Erfindungen des Menschengeistes, die Mannigfaltigkeit des Gewerbes, dem seine Erfindungen Aufschwung geben, die an Wunder grenzenden Werke, in denen er seine Macht erweist; dazu beachtet, was die Folge davon ist, den Hochmut und das Selbstvertrauen des Verstandes und völlige Inanspruchnahme des Denkens durch vergängliche Dinge. Möchtet ihr euch ein richtiges Urteil über all das bilden? Schaut auf das Kreuz Christi. Ferner: Blickt an das Elend, die Armut und Verlassenheit, die Unterdrückung und Sklaverei; geht dahin, wo die Nahrung kärglich und die Wohnung ungesund ist. Betrachtet Schmerz und Leid, langwierige oder heftige Krankheit, alles, was schrecklich und empörend ist. Wollt ihr wissen, wie alles dies zu bewerten ist? Schaut auf das Kreuz. So begegnen sich im Kreuz und in Dem, der daran gehangen, alle Dinge; alle Dinge dienen ihm, alle Dinge bedürfen seiner. Er ist ihr Mittelpunkt und ihre Deutung. Denn Er wurde an ihm erhöht, damit Er alle Menschen und alle Dinge an Sich ziehe“ [John Henry Newman: Das Kreuz Christi, das Maß der Welt, in: Pfarr- und Volkspredigten (John Henry Newman: Parochial and Plain Sermons), Bd. VI. Hrsg. Newman-Arbeitsgemeinschaft der Benediktiner von Weingarten, Stuttgart 1954, S. 94-105, hier S. 95 ff.].

Nach der Konversion (1843-1890)

Aufgrund heftiger Anfeindungen aus den eigenen Reihen wegen seiner „katholisierenden” Tendenzen legte Newman im September 1843 sein Pfarramt nieder, im Oktober 1845 zudem seinen Lehrstuhl. Wenige Tage später ließ er sich durch den italienischen Passionistenpater Domenico Barberi in die römisch-katholische Kirche aufnehmen [Vgl. Robert Grosche: Newmans Weg nach Rom, in: Newman-Studien II, Nürnberg 1954, S. 49-66, hier S. 66]. Parallel zu dieser Konversion entstand der „Essay on the Development of Christian Doctrine”, deutsch unter dem Titel: "Über die Entwicklung der Glaubenslehre", deutsche Übersetzung von Theodor Haecker, hrsg. von J. Artz, Mainz 1969). Dieser Text fasste die Entwicklung der letzten drei Jahre zusammen und schloss sie ab. Zugleich stellte er eine Rechtfertigung seiner Schrittes dar.

Nach theologischen Studien und seiner Priesterweihe in Rom sowie dem Noviziat bei den Oratorianern, gründete er Anfang 1848 mit fünf Priestern, drei Brüdern und einem Novizen in der Tradition Philipp Neris das erste Oratorium Englands in Maryvale, 1849 ein zweites in London und verlegt noch im selben Jahr das Mutterhaus nach Birmingham.

In dieser „oratorianischen“ Zeit bestimmte Newman auch seinen politischen Standpunkt näher. In seiner Schrift “Who´s to Blame?” von 1855 schien Newman die Hoffnung zu haben, der Annäherung an die Demokratie widerstehen zu können, ist sich aber bewusst, dass die bestehende politischen Ordnung alles andere als „sakrosant“ sei und man auch keine Angst vor dem Kommen einer demokratischen Regierung zu haben brauche. Schon das Bekenntnis zur philosophischen Demokratie bei Perikles sei eine „schöne Vorstellung“. Aber auch der Demokratie von Athen, die alles andere war als das, was sie beanspruchte zu sein, kann Newman ihr Positives abgewinnen [Terence Kenny: The Political Thought of Johan Henry Newman, 1957, S. 181]. Newman bekannte in jedem Falle deutlich, keinerlei Sympathien für die Tyrannei zu haben, gleich ob durch Autokraten oder durch den Mob. Er habe keine Lust dazu, von Gegnern seiner Religion verbannt oder verfolgt zu werden. Er wünschte sich, unter der milden Herrschaft einer Politik zu leben und sterben, die den blinden Fanatismus eines gewissen Teils meiner Landsleute unterdrücke und schwäche, der alle Andersdenkenden vertreiben und ums Leben bringen würde [„I have no liking for the tyranny whether of autocrat or mob; no taste for being whirled off to Siberia, of tarred and feathered in the far West, by the enemies of my religion. May I live and die under the mild sway of a polity which certainly represses and dilutes the blind fanaticism of a certain portion of my countrymen, - a fanaticism which, except for it, would sweep us off these broad lands, and lodge us, with little delay of compunction, in the German Sea!” (Discussions and Arguments on Various Subjects (DA), 1873, S. 307)].

Aus einem Exkurs entwickelte Newman eine allgemeine politische Theorie, deren Hauptpunkt darin besteht, dass eine Verfassung spezielle Ideen als erste Prinzipien verkörpere, nämlich die kreativen und konservativen Einflüsse der Gesellschaft (DA, S. 315-316). Der Staat wiederum bestehe aus zwei Hauptelementen, der Gewalt (Macht) und der Freiheit, denn ohne Staatsgewalt gibt es keinen Schutz und ohne Freiheit gäbe es nichts Schützenswertes. Der Sitz der Staatsgewalt ist die Regierung, der Sitz der Freiheit ist die Verfassung [The state “has two main elements, power and liberty, - for without power there is no protection, and without liberty there is nothing to protect. The seat of power is the Government; the seat of liberty is the Constitution” (DA, S. 317-318)]. Die Verfassung wiederum besteht aus einer Reihe von Traditionen, die mehr oder weniger wissenschaftlich entwickelt oder ausdrücklich anerkannt wurden oder geschickt und völlig geeignet für ihr Ziel sind [DA, S. 320]. Dabei unterschied Newman vier hauptsächliche Verfassungsprinzipien: “co-ordination”, “sub-ordination”, “delegation” und “participation”. Insbesondere das letztere impliziert für Newman eine Selbstregierung durch das Volk. In jedem politischen System bleibe die Frage, was der ratsamste Kompromiss zwischen Gewalt (Macht) und Freiheit sei und welcher Punkt das Maximum gleichzeitiger Protektion und Unabhängigkeit darstelle. Newmans allgemeine Antwort darauf war, dass diejenigen politischen Institutionen die besten seien, die von der natürlichen Unabhängigkeit des Volkes am wenigsten als Preis für ihren Schutz wegnehmen würden ["… political institutions are the best which subtract as little as possible from a people´s natural independence as the price of their protection” (DA, S. 325)]. Newman sah es aber auch als „Tatsache“ an, dass für den Kriegszustand eine „despotische Regierung“, für den Friedenszustand dagegen die „Volksregierung“ das Beste sei ["a despotic government is the best for war, and a popular government the best for peace" (DA, S. 326)].

Newman vollzog darüber hinaus eine klare Trennung zwischen den Begriffen „Nation“ und „Staat“. So seien die Briten, betrachtet als Staat, „frei“, betrachtet als Nation, „stark“ [“are free, considered as a State; they are strong, considered as a Nation” (DA, S. 326)]. So könne ein Volk tun, was Demokratie nicht selbst tun könne, nämlich die Selbstständigkeit, den Geist und den unermüdlichen Fleiß des individuellen Engländers haben ["… the self-reliance, the spirit, and the unflagging industry of the individual Englishman" (DA, S. 327-328)]. Sowohl die antiken Athener als auch der Engländer zeichnen sich nach Newman durch diesen inneren „Frühling“ von restloser Unabhängigkeit aus, der einen Staat schwach, eine Nation aber groß mache [“… that inward spring of restless independence, which makes a State weak, and a Nation great” (DA, S. 330)]. Was ein starker Staat durch die Regierung tue, mache eine starke Nation durch „private Energie“ [DA, S. 331]. Sehr oft sei es ein leistungsfähiges Volk, dass eine handlungsunfähige Exekutive kreiert, da es das große Ziel der Nation sei, dass die Regierung so wenig wie möglich tut und sie selbst einen realen Anteil an der Regierung hat ["… the Government should not do too much, and next, that itself should have a real share in the government” (DA, S. 345-346)]. Bezogen auf die Unterschiede der Staaten bedeutet das auch, dass manche Staaten durch Loyalität, andere durch Religion und der britische Staat durch Eigeninteresse zusammengehalten werden [“The balance of power, which has been the mainspring of our foreign politics, is the problem of our home affairs also. The great State Commission must be distributed in shares, in correspondence with the respective pretensions of its various expectants. Some States are cemented by loyalty, others by religion; but ours by self-interest” (DA, S. 347)]. Gerade deshalb aber sei es der Wille der britischen Nation, dass jedes Element der politischen Struktur seinen Teil und Anteil an der Verwaltung haben müsse. Denn der Wille der Nation habe es lieber, dass die Institutionen fest und stabil sein sollen, aber auch dass sie effektiv sein sollen [“Each element of the political structure demands its special retainer; and power is committed, not to the highest capacity, but to the largest possible constituency. The general public, the constituency, the press, the aristocracy, the capital of the country, the mercantile interest, the Crown, the Court, the great Constitutional parties, Whig and Tory, the great religious parties, Church and Dissent, the country gentlemen, the professions – all must have their part and their proportion in the administration. Such is the will of the Nation, which had rather that its institutions should be firm and stable, than that they should be effective” (DA, S. 348)].

Newman, der nicht in die Vorbereitungen des Konzils 1870/1871 involviert war, hatte sich in einem Schreiben an Bischof Ullathorne zwar einerseits als Befürworter der Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes, andererseits aber als Gegner ihrer Dogmatisierung zu erkennen gegeben. Als dieser persönliche Brief der Presse zugespielt wurde, geriet Newman in eine schwierige Situation und unter erheblichen Druck der Ultramontanen. Er hat aber das am 18. Juli 1870 in Rom verabschiedete Unfehlbarkeitsdogma ohne Zögern akzeptiert, weil es ihm mit der Einschränkung auf Lehrentscheidungen des Papstes ex cathedra moderat genug ausgefallen war. Er sah in der Anwendung der Lehre der Unfehlbarkeit auf den Papst als dem eindeutigen Nachfolger Petri den bestmöglichen Schutz der Kirche vor Irrtum. Mit seiner eigenen moderaten Interpretation des Unfehlbarkeitsdogmas gelang es Newman, die nach 1870 sich in England auftürmenden antikatholischen Wogen etwas zu glätten, zumal er das ganz auf seiner eigenen Interpretationslinie liegende, 1871 in Wien entstandene Buch des Bischofs Josef Fessler über „Die wahre und falsche Unfehlbarkeit der Päpste” durch Ambrose St. John übersetzen und in England herausgeben ließ.

1879 wurde Newman, den der Kammerherr und Englandberater von Papst Pius IX., Monsignore George Talbot (1816–1886), noch 1867 als den „gefährlichsten Mann in England“ eingeschätzte, schließlich von Papst Leo XIII. ins Kardinalskollegium aufgenommen. In demütiger Haltung bat er den Papst um Dispens von der erforderlichen Bischofsweihe angesichts seines hohen Alters von 78 Jahren. Für sein Kardinalswappen wählte er ein Zitat des Hl. Franz von Sales: Cor ad cor loquitur. (Das Herz spricht zum Herzen). Die außerordentliche Anerkennung seiner gesamten Lebensleistung durch den Papst führte zu einer beträchtlichen Festigung des Ansehens des römischen Katholizismus innerhalb der englischen Gesellschaft. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nämlich darunter gelitten, angeblich „nur ein halber Katholik, ein liberaler Katholik, unsicher, nicht vertrauenswürdig“ zu sein [So in einem Brief am 11. März 1879 an Dean Church].

In seiner „Biglietto-Rede" am 12. Mai 1879 in Rom erklärte Newman unmittelbar nach der Mitteilung der Erhebung vor einem größeren Kreis vor englischen und amerikanischen Katholiken, dass das zentrale Anliegen seines pastoralen und theologischen Lebenswerkes im Kampf gegen die liberalistische Auffassung, es gäbe in der Religion keine Wahrheit, bestanden habe. [Stefan Hofmann: Religiöse Erfahrung - Glaubenserfahrung – Theologie, 2011, S. 73, darin auch ausschnittsweise der englische Originaltext: „And, I rejoice to say, to one great mischief I have from the first opposed myself. For thirty, forty, fifty years I have resisted to the best of my powers the spirit of liberalism in religion” (W. P. Neville (Hrsg.): Addresses to Cardinal Newman with His Replies etc. 1879-1881, London/New York/Bombay 1905, S. 61-70, hier S. 64)].

Demnach ist der Liberalismus in der Religion jene „Lehre, daß es in der Religion keine positive Wahrheit gibt, sondern daß ein Bekenntnis so gut ist wie das andere. Und dies ist die Lehre, die Tag für Tag an Einfluß und Macht gewinnt. Sie ist mit der Anerkennung irgendeiner Religion als wahr unvereinbar. Sie lehrt, alles müsse toleriert werden, denn schließlich sei alles eine Sache der persönlichen Ansicht. Geoffenbarte Religion ist nicht eine Wahrheit, sondern ein Gefühl und ein Geschmack, nicht eine objektive Tatsache, nicht wunderbar. Und es ist das Recht jedes einzelnen, sie das sagen zu lassen, was seiner Phantasie gerade einfällt“ [Newman, Liberalism in Religion, a.a.O., S. 64: „Liberalism in religion ist he doctrine that there ist no positive truth in religion, but that one creed is as good as another, and this ist he teaching which ist gaining substance and force daily. It is inconsistent with any recognition of any religion, as TRUE. It teaches that all are to be tolerated, for all are matters of opinion. Revealed religion is not a truth, but a sentiment and a taste; not an objective fact, not miraculous; and it is the right of each individual to make it say just what strikes his fancy.”]

Diese Kritik der Privatisierung der Religion im Rahmen eines falsch verstandenen religiösen Liberalismus wird sich alsbald Guardini ebenso zu eigen machen wie dessen Vorstellung von der "via media" und der "katholischen Fülle". Welche Gedanken Newmans genau er wie aufgreift, bedarf im nächsten Kapitel noch der weiteren Betrachtung.

Die konkreten Einflüsse Newmans auf Guardini

Eine katholische Weltansicht unter vielen

In seiner Berliner Antrittsvorlesung "Vom Wesen katholischer Weltanschauung" von 1923 nennt Guardini Newman in einer Reihe mit namhaften Ethikern und Theologen, deren Weltansicht und Weltbild sich unterscheiden und doch katholisch sind.

„Fassen wir die Wirklichkeit ins Auge, so sehen wir sofort, dass diese Typik tatsächlich besteht. Die Weltansicht Tertullians zum Beispiel ist eine andere als etwa die J.M. Sailers - um zwei recht weit voneinander abliegende Ethiker zu nennen. Das Weltbild Augustins tief verschieden von dem des heiligen Ignatius von Loyola. Thomas von Aquin sieht anders als Kardinal Newman. Alle zweifellos katholisch, aber ebenso zweifellos verschieden in der Weise, wie ihnen die Welt erscheint. Und wir fühlen sofort: Es hieße diesen Persönlichkeiten und ihrem Werk einen schlimmen Dienst erweisen, wollte man sie auf eine Linie bringen. Es wäre nicht nur unwahr, sondern man hätte Unersetzliches zerstört; hätte die reiche, katholische Welt arm gemacht. Worin besteht nun diese Typik des Blickes? Darin, welche Gegenstände besonders tief verstanden, welche oberflächlich genommen werden; wie die Einzelheiten verbunden und worauf die Betonungen gelegt werden; ob der Grundcharakter rationaler, ästhetischer oder praktischer Art ist usf. Die Persönlichkeit schafft sich hier gleichsam eine geistige Umwelt; eine Auswahl, durch die sie mit ihrer besonderen Verfassung in der allgemeinen Welt heimisch wird. Diese Verwurzelung im Typischen muss sein, denn Kraft und Rang jeder Lebenserscheinung hängen davon ab, wie klar und stark diese in ihrem Sein ein besonderes Wesensbild verkörpert. Mit dem Blick der Weltanschauung ist es nicht anders. Auch er muss typisch begründet sein, und je stärker ein deutlich umrissenes eigenes Wesensbild in ihm zum Ausdruck kommt, desto größer seine Schau- und Formkraft. Rein sind jene Typen natürlich nur im Begriff. In Wirklichkeit gehen sie ineinander über. Es lässt sich zeigen, dass das Phänomen des Konkreten überhaupt nur durch ein bestimmtes Gefüge typischer Gegensätzlichkeiten erfasst werden kann." (in: ders.: Unterscheidung des Christlichen, Band 1: Aus dem Bereich der Philosophie, 1935, S. 37; 1963, S. 28 unter Verweis auf Der Gegensatz, insbes. S. 225ff und 247ff.)“

Dass Guardini dabei in seiner eigenen Weltansicht Newman tendenziell näher steht als Thomas von Aquin wird aus nachfolgenden Bezugnahmen Guardinis auf Newmans Werk deutlich.

Explizit einem von Newman repräsentierten Typus ordnet sich Guardini im Bereich des Predigens zu. Guardini unterscheidet zunächst drei Predigttypen: „1) die rhetorische, - kann ich nicht brauchen; 2) die ruhige, klare Gedankendarlegung. (Leo I / Thomas; Du handhabst sie vortrefflich); 3) die induktive psychologisch-analytische, die zum Empfinden des Problems und zum Mitarbeiten zwingt, aber nicht beunruhigend, sondern klar, sparsam, besonnen (Newman) liegt mir sehr;“ (Briefe an Josef Weiger 1908-1962, a.a.O., S. 186).

Newman, das Gebet und die Mystik (ab 1918)

In seiner Schrift „Vom Geist der Liturgie“ von 1918 verweist Guardini auf die Gebete eines Anselm von Canterbury oder Newman, die er mit den Orationen der Sonntagsmessen vergleichen möchte (Guardini, Vom Geist der Liturgie, S. 41). Im Sommer 1920 ergänzte er, dass er an Newman seine „herbe, besonnene, ganz auf Kern und Sache gehenden Art” schätze, die ihn zu einer „großen Seele” machten (Vorwort zu Guardinis Übersetzung von Lucie Christines „Geistlichem Tagebuch”). Außerdem verweist er auf Newman, wo es im um das richtige Verhältnis von in sich ruhender Persönlichkeit und Gemeinschaftsauffassung geht:

„Gemeinschaftsauffassung so, dass sie die in sich selbst ruhende Persönlichkeit voraussetzt, und unterscheidet sich dadurch von jeglichem Totalitarismus. Das gleiche zeigt sich im Religiösen. Die katholische Frömmigkeit des Einzelnen ist wesentlich auf die Kirche bezogen; aber kirchliches Gemeinschaftsleben ist von solcher Art, dass es überall das Leben der Einzelseele weckt. Das gilt selbst da, wo es sich um das Innerste handelt, um die mystischen Beziehungen des »Seelengrundes« zu Gott. Gewiß sind diese die eigenste Angelegenheit zwischen dem Einzelnen und seinem Schöpfer. Das Wort des Abtes Sabbas: »Gott und meine Seele, sonst nichts«, haben alle wahrhaft innerlichen Menschen bis zu Kardinal Newman wiederholt. Lucie spricht es ebenfalls aus. Aber jeder echte christliche Mystiker ist sich auch bewusst, dass sein inneres Leben mit dem der Kirche verknüpft und von ihm getragen ist - ebenso wie kirchliches Gemeinschaftsleben in Liturgie und Lebensführung immer wieder mystisches Eigenleben weckt. Kirche und Einzel-Innerlichkeit gehören zusammen, wie die beiden Brennpunkte der Ellipse, so viele und starke Spannungen sich im Einzelnen auch zeigen mögen. Wer sie trennen will, hat das Wesen des Phänomens nicht verstanden“ [Lucie Christine. Geistliches Tagebuch (1920), in: Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Bd. 1, 280ff., hier S. 286].

In seiner Antwort auf Max Bondy zum Verhältnis von „Katholischer Religion und Jugendbewegung“ verweist Guardini in diesem Zusammenhang abermals explizit auf Newman und Lucie Christine:

„Cardinal Newman, in dem das Ichbewusstsein einen äußersten Grad der Klarheit, Verfeinerung und Einsamkeit erreicht hat, der aber zugleich ein Bewusstsein von der Wirklichkeit des Übersinnlichen hatte, wie es nicht stärker gedacht werden kann. Und 1908 starb eine Frau, deren geistliches Tagebuch nach ihrem Tode aufgefunden wurde. Sie ist ganz Mensch unserer Zeit; aber auch Mystikerin und lebt mit vollkommener Sicherheit in der gegenständlichen, religiösen Ordnung“ [Romano Guardini: Katholische Religion und Jugendbewegung. Eine Antwort an Max Bondy (1921), in: ders.: Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Bd. 2, S. 47f.]

1943 schreibt Guardini in zwei leicht abweichenden Fassungen über das persönliche Gebet in seinem Text „Der Gesamtzusammenhang des christlichen Gebetslebens", das einmal im Sammelband "Volksliturgie und Seelsorge" steht (jetzt in: Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Band 3, S. 204), einmal in seine "Vorschule des Betens" aufgenommen wird (Vorschule des Betens, S. 162). In der ersten Fassung lautet die Newman betreffende Passage:

"Jenes Wort, das unter den ersten Einsiedlern der ägyptischen Wüste entstand, dann von Augustinus neu geprägt und jüngst erst wieder durch Kardinal Newman ausgesprochen wurde: „Gott und meine Seele, sonst nichts“, gilt auch hierfür. Das persönliche Beten steht in der heiligen und innigen Einsamkeit, die Gott und den Menschen – jedesmal aufs neue Ihn und diesen Einzelnen – umschließt. Die Menschen sind nicht im Dutzend vor Gott, sondern jeder ist für Ihn so da, als ob er der Einzige wäre.“

In der "Vorschule des Betens" heißt es:

"Jenes Wort, das unter den ersten Einsiedlern der ägyptischen Wüste entstand, dann von Augustinus neu geprägt und in neuerer Zeit durch Kardinal Newman wieder ausgesprochen wurde: »Gott und meine Seele, sonst nichts«, gilt auch hierfür. Das persönliche Beten vollzieht sich in der heiligen und innigen Einsamkeit, die Gott und den Menschen - jedesmal aufs neue Ihn und diesen Einzelnen - umschließt. Die Menschen stehen vor Gott nicht im Dutzend, sondern jeder ist für Ihn so da, als ob er der einzige wäre.“

Noch mindestens zweimal bezieht sich Guardini auf dieses "Gott und meine Seele, sonst nichts": Einmal in der Geistliche Schriftauslegung "Im Anfang war das Wort, Johannes-Evangelium 1,1-18" (Drei Schriftauslegungen, (Taschenbuchauflage)1993, S. 7-38), in der Guardini die Brücke vom Johannes-Evangelium zum Matthäus-Evangelium schlägt:

"»Gott [an sich] hat keiner je gesehen.« Er ist unsichtbar. »Unsichtbar« aber bedeutet nicht nur, daß Er Geist ist - in dieser Weise wäre auch unsere Seele unsichtbar - sondern, daß Er heilig ist. Diese Unsichtbarkeit drückt Paulus so aus, daß er sagt, Gott »wohne in einem Licht, dem sich niemand nähern kann«; das »Licht« aber ist seine verbrennende Heiligkeit (1 Tim 6,16). In jenen Bereich ist nie ein Geschöpf gekommen. Nur der Sohn weiß davon. Dort wird Gottes heilige Wesensfülle zur offenen Wahrheit. Indem das geschieht, wird Gott zum Vater und zum Sohn. Dieser aber kehrt sich als Jener, der allein um den Vater weiß, Ihm liebend zu. Von diesem Wissen spricht Jesus selbst, wenn Er im Matthäus-Evangelium sagt: „Niemand kennt den Vater, es sei denn der Sohn, und wem der Sohn es will offenbaren.“ (Mt 11,27) In das Bild dieses Wissens strömt das ein, was dem Apostel das Kostbarste seines Lebens geblieben ist: dass sein Haupt an der Brust seines Meisters lag und er dessen Herz klopfen fühlte: „Der Einzig-Erzeugte, Gott [von Wesen], der an der Brust des Vaters ruht - Er hat [von Ihm] Kunde gebracht.“ Darüber ist nun wohl nichts mehr zu sagen. Dieses Heiligste bleibt jenem Raum vorbehalten, den Kardinal Newmans Worte meinen: „Gott und meine Seele, sonst nichts auf der Welt“" (ebd., S. 32 f).

Und in seinen Vorlesungen über die „Existenz des Christen“ schreibt er abermals Kardinal Newman in Nachfolge von Abt Sabbas (4. Jahrhundert) das Wort „Gott und meine Seele, sonst nichts“ zu [Guardini, Existenz des Christen, S. 388]. Auch die Frage, was der moderne Mensch tun würde, wenn er erführe, es gebe das Göttliche überhaupt nicht, führt Guardini auf Kardinal Newman zurück und beantwortet sie selbst, dass sich im Verhalten des modernen Menschen nichts ändern würde. Guardini war wohl wie auch schon Newman davon überzeugt, dass auch wenn der Mensch weiterhin an einer Göttlichkeit festhalten würde, diese dann „in die Welt hereingezogen und als der Geheimnisgrund, der verborgene Sinn, die irgendwie geahnte letzte Einheit dieser Welt angesehen“ würde, aber ohne eben als bloße Vorstellung eine echte Wirkung auf das menschliche Verhalten zu haben [Guardini, Existenz des Christen, S. 435].

Newman und das Verhältnis von Glaube und Zweifel/Probleme (ab 1921)

Wohl erstmals in seiner Antrittsvorlesung über "Anselm von Canterbury und das Wesen der Theologie" von 1921 verweist Guardini auf ein Newman zugeschriebe Diktum, dass Glaube bedeute, "Probleme ertragen zu können".

Im damaligen Kontext schreibt Guardini: „Wer aber solcherweise von der Kirche her denkt, läuft Gefahr, die Fülle der konkreten Einzelheiten in Geschichte und Gegenwart zu übersehen oder ihnen Gewalt anzutun. Von der Theologie wird aber auch gefordert, dass sie die konkreten Gegebenheiten voll im Auge behalte. Sie muss die Tatsachen von Geschichte und Erfahrung genau so nehmen, wie sie sich darbieten. Daraus entspringt eine Spannung zwischen der deduktiven Richtung vom Ewigen, vom Dogma, von der Kirche, und der induktiven von der konkreten Eigenart der Tatsachen und Erscheinungen her. Hier liegt das über alltägliches Maß Hinausgehende der katholischen Theologie. Aus der Spannung zwischen dem Ewigen und dem Zeitlichen, aus dem Zwang, beides zugleich in etwa wenigstens am Bewusstsein zu halten, kommt ihre Fruchtbarkeit. Die gleiche Spannung macht aber auch das theologische Denken so verzehrend, dass nur unbegrenztes Vertrauen in die Wahrheit es ertragen kann; denn die Wahrheit ist nur eine, mag sie nun vom Ewigen oder vom Zeitlichen her gesehen sein. Diese Haltung gibt erst die große, ihres Gegenstandes allein würdige Gelassenheit. Ich glaube, Newman war es, der gesagt hat, Glauben heiße »Probleme ertragen zu können«. Glauben heißt, so verankert sein in der Überzeugung der ewigen Wahrheit, und diese Wahrheit so göttlich groß sehen, dass man der Spannung ruhig standhalten kann, wie sie aus dem Zusammenprall deduktiv-dogmatischer Sätze und induktiv gesehener Erscheinungen entsteht. Dass man sie nie durch gewaltsame Operationen beseitigt, die immer auf Kosten einer der beiden Seiten gehen, sondern warten kann, bis die Probleme sich lösen, wenn nicht heute, dann in Jahren; wenn nicht in Jahren, dann in Jahrhunderten. Denn wer im vollen anselmischen Sinne Theologe sein will, muss wissen, dass er nicht aus Ich und Gegenwart heraus, sondern aus der Kirche und ihrer, das ganze Aevum umspannenden Tradition her denken muss. Dass er nicht autonomer Gesetzgeber und persönlicher Schöpfer, sondern selbstloses Organ sein soll“ (in: Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Bd. 1, S. 417).

1926 nimmt er die Newman zugeschriebene Auffassung dann in der Fassung, Glaube müsse "tragfähig für Zweifel" sein, in seinen Text über "Christentum und Kultur" auf. Guardini befasst sich mit dem Unterschied von "offebarer", "verborgener" und "unbekannter" Wirklichkeit Gottes. Nach Darlegung seines Konzeptes kommt Guardini zu einem Urteil über die Vorstellungen Kierkegaards und stellt ihm Newmans Auffassung gegenüber:

"Von hier aus gesehen bestand der große Irrtum Kierkegaards darin, dass er einmal den offenbaren Gott und den verborgenen, aber geoffenbarten gleichgesetzt; dazu dann noch beide mit der Kategorie des Unbekannten bezeichnet hat. Im Grunde tun alle christlichen Radikalisten so, und darin liegt ihre Maßlosigkeit und das Zerstörende ihres Denkens. Im letzten bedeutet es ein Niederrennen der Glaubensangst durch Glaubensgewalttätigkeit. Wirklicher Glaube ist nicht gewalttätig, sondern, um mit Newman zu reden, "tragfähig für Zweifel", für die Antinomien und Aporien der religiösen Gesamtposition“ (in: ders. Unterscheidung des Christlichen, Band 1: Aus dem Bereich der Philosophie, S. 190 f.).

Ähnlich greift er das Diktum in seinem Aufsatz "Heilige Schrift und Glaubenswissenschaft" von 1928 auf:

„Wäre durch das Natürlich-Vorausgehende der Glaube als solcher, qualitativ begründet, dann müsste er in der Schwebe bleiben, bis jene Schwierigkeiten klar lägen. So ist es aber nicht. Die logische, psychologische, historische Problemlage ist nur das Feld, auf dem er hervortritt. Sie hat für ihn Bedeutung, denn er soll sich - in etwa wenigstens - von den intellektuellen, ethischen und sonstigen Wertmaßstäben her rechtfertigen können. (Siehe die paulinische Forderung.) Aber er wird sich nicht von ihnen her begründen. Daher er denn auch, wenn er lebendig geworden ist, die schwersten theoretischen und praktischen Belastungen überwinden kann. Newman: "Glaube heißt tragfähig sein für Zweifel"" (in: ders., Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Band 2, S. 360 f.).

Und im gleichen Jahr schreibt Guardini in seinem Text "Der Glaube in der Reflexion":

"Wir haben uns also darüber klarzuwerden, wie "reflektierter Glaube" im Unterschied zum "unmittelbaren" aussieht - dieses Wort mit jener Einschränkung genommen, unter welcher christlicher Glaube, der ja aus Gnade kommt und daher zur Natur immer im Unterschiede steht, überhaupt "unmittelbar" sein kann. Es ist jene Glaubenssituation, die das Newmansche Wort ausdrückt: "Glaube heißt, tragfähig sein für Zweifel" (in: ders. Unterscheidung des Christlichen, Band 2: Aus dem Bereich der Theologie, S. 24)

In der Vorbemerkung seiner 1935 in einem Buch zusammengefassten Aufsätze "Vom Leben des Glaubens" heißt es:

"Bei den eigentlichen Fragen des Daseins ist ja doch das Erblicken des Problems viel wichtiger als eine oft nur allzu verdächtige "Lösung". Eine solche wird meistens mit Vereinfachungen bezahlt, und das lebendige Bewußtsein fühlt das und wird mißtrauisch. Entfaltet sich aber das Problem in seiner wahren Größe, dann weiß unser Geist sich vor der Wirklichkeit, und ihm wird wohl, auch wenn er zu keiner eigentlichen Lösung gelangt. Und schließlich gibt es Fragen - es sind gerade die tiefsten -, zu denen das rechte Verhältnis hier, "im Stande der Wanderschaft", gar nicht darin besteht, sie "lösen" zu wollen, sondern bereit zu sein, in ihnen zu existieren. Das ist es wohl, was Newmans Wort meint, Glauben heiße, "tragfähig zu sein für Zweifel" (Vom Leben des Glaubens, 1983, S. 7).

Aber auch 1961 noch - im Vortrag "Der Glaube in unserer Zeit" - greift er auf diese Diktum zurück und verknüpft es mit seiner Rede vom "angefochtenen Glauben":

„Ein »angefochtener Glaube«, der sich immerfort seines Grundes vergewissern und oft die schöne Mannigfaltigkeit wegschmelzen muss, um des Wesentlichen teilhaft zu bleiben. Ein Glaube, der sich immer wieder gegen die Bezweiflung aufrichtet.“ Echte Gläubigkeit, setzt sich nicht über Fragen hinweg. Glauben, so charakterisierte Newman, sei eine Struktur, heiße, „Zweifel tragen zu können“ (Sorge um den Menschen, Bd. 1, S. 113).

Interessant ist, dass weder Guardini selbst noch seine Interpretatoren bisher für eine der drei Zitatformen einen Nachweis für den Originalbezug angeführt haben. Daher muss weiterhin von einer sinngemäßen "Zuschreibung" Guardinis ausgegangen werden. Vor Guardini scheint ein solches Zitat nicht verwendet zu werden, alle späteren beziehen sich auf Guardinis Form.

Newman, das Ernstmachen und die Realisation (ab 1921)

In einer Predigt zum Vierten Sonntag im Advent: "Ein Mann der Sehnsucht bist du" (Dan 9, 23) greift Guardini die "bittere Frage eines großen Mannes auf:

"Was tust du eigentlich, was du nicht auch tun würdest, wenn du kein Christ bist?" (Predigten zum Kirchenjahr, (2)1998, S. 11).

Die Frage stammt von Kardinal Newman. Auch er stellt sie in einer seiner Predigten, nämlich über »Die Wagnisse des Glaubens« von 1837. Und er beantwortet sie sehr skeptisch:

„Ich hege die tatsächliche Befürchtung, bei einer etwaigen Überprüfung stellt sich heraus, dass es nichts gibt, wozu wir uns entschließen, nichts, das wir tun, nichts, das wir unterlassen, nichts, das wir meiden, nichts, das wir wählen, nichts, das wir aufgeben, nichts, das wir unternehmen, wozu wir uns entschließen würden, das wir nicht täten, nicht unterließen, vermieden, wählten, aufgäben und unternähmen, wenn Christus nicht gestorben und der Himmel uns nicht verheißen wäre. Ich fürchte wirklich, dass die meisten der sogenannten Christen, wie immer ihr Bekenntnis sein mag, was immer sie an Gefühlen zu haben glauben, was immer an Wärme und Erleuchtung und Liebe sie für sich in Anspruch nehmen mögen, dennoch wandeln, fast wie sie wandeln würden, weder viel besser noch viel schlechter, wenn sie das Christentum für eine Fabel hielten“ (zitiert nach Anmerkungen des Herausgebers [der 1. Auflage, 1962, Werner Becker], in: Predigten zum Kirchenjahr, (2)1998, S. 336).

Gerade hier setzt nun aber Newmans Rede vom "Ernst-Machen" und der "christlichen Verwirklichung" an, die auch für Guardini einen so hohen Stellenwert bekommen sollte.

Im ersten seiner Bonner Vorträge „Vom Sinn der Kirche” betonte Guardini Newmans Wirklichkeitszugang: Der Begriff „realize” meine bei ihm „das Übergehen eines Gegenstandes aus dem Zustand des bloßen Wort-Seins, Begriff-Seins ins Erlebt-Sein, darin er als Wirklichkeit empfunden wird. Das führt dann zum Ernst-Machen im Leben” (Romano Guardini: Vom Sinn der Kirche, 1922, S. 11 Anm. bzw. Im Hochland, 1921/22, S. 263) Guardini stellt dabei besonders heraus, dass Newman „die individualistische Krisis so tief erlebt“ habe.

“In allen Bereichen will Newman mit der lebendigen Wirklichkeit in Kontakt kommen, den Gegenstand realisieren und sich selbst zugleich. Und Glauben ist ja immer mehr als Fürwahrhalten. Glauben heißt: In den Bereich der echten Wirklichkeit und des wahren Lebens eintreten” (Romano Guardini: Vom Sinn der Kirche, (2)1933, S. 23).

Dieses „Ernstmachen” hat Guardini dann auch in einem seiner „Briefe zur Selbstbildung” zum Thema gemacht. Werner Becker sollte diese Aufrufe Guardinis zum „Ernstmachen” seit 1921 auch auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus beziehen:

“Wenn der Greifswalder Studentenpfarrer Alfons Wachsmann 1944 in der Todeszelle an seine Schwester schrieb: `Die Passion ist die Weise, wie der Mensch von der geistigen Einsicht zur Realisierung Christi gnadenvoll geführt wird´ (vgl. H. Kühn, Blutzeugen des Bistums Berlin, Berlin 1952, S. 130), so war dieses Wort für ihn jedenfalls kein `Fremdwort´ mehr. Es bedeutet ja auch ganz schlicht das `Ernstmachen´ mit dem Christentum, zu dem Romano Guardini seit dem ersten Erscheinen seiner „Briefe über Selbstbildung” (1921) die junge katholische Generation aufgerufen hat” (Werner Becker, a.a.O., S. 270).

Es gibt eine kleine Arbeit aus den zwanziger Jahren, in der er sich auf eine Anektote zu Newman bezieht. Guardini gibt dem Text den Titel „Wunsches Gewalt“. Er ist zuerst 1922 in Quickborn und dann abermals 1928 in den Schildgenossen erschienen und fand schließlich 1932 in der Sammlung „Spiegel und Gleichnis“ seinen endgültigen Platz.

„Es wird erzählt, als John Henry Newman, der spätere Kardinal, schon der katholischen Kirche zugeneigt war, habe sein anglikanischer Freund Pusey noch lange keine Sorge gehabt, er möchte übertreten. Eines Tages aber habe er erfahren, irgendwo in Frankreich bete eine Klostergemeinschaft für Newmans Konversion, und da sei ihm angst geworden. Dieser Mann wusste um geistige Wirklichkeiten. So wusste er auch, das lautere und gesammelte Wollen ernster Menschen - ganz abgesehen vom Geistlichen des Gebetes, von der Gnade - werde die schwebende Sache der Entscheidung näherbringen“ (Romano Guardini: Wunsches Gewalt (1922), in: Spiegel und Gleichnis, 1932; (7)1990, S. 91 f.)

Hier erscheint also Realisierung als „das lautere und gesammelte Wollen ernster Menschen“ aufgrund des Wissens „um geistige Wirklichkeiten“.

Mit einer vielbeachteten Vortragsserie, wohl über „Liturgische Bildung”, die nach dem Zeugnis von Teilnehmern ebenfalls den Geist Newmans atmete, beteiligte sich Guardini an der Tagung katholischer Akademiker 1923 in Ulm.

In Bezug auf Guardinis Kierkegaard-Vorlesungen von 1923 wird Becker festhalten, dass Newman „uns Heutige auf der Flucht vor der Wirklichkeit der Religion in ein `christianistisches Christentum´“ ereile und zwar „in einen radikalen Glauben, der trotz und wegen seiner Unbedingtheit die Offenbarung des lebendigen Gottes verfehlt” (Becker, ebd., S. 269. Becker verweist ergänzend auf Guardinis Aufsatz: Der Ausgangspunkt der Denkbewegung Sören Kierkegaards, in: Hochland, 24, 1926/27, Bd. 2, S. 12; dann in: Unterscheidung des Christlichen, 1935, S. ???, hier S. ???; Band 3: Gestalten, Mainz/Paderborn 1995, S. 27-58, hier S. ???). Gerade Theodor Haecker habe aber mit seiner Lebensentscheidung gezeigt, dass ein „Überschritt von Kierkegaard zu Newman”, eine Umkehrung der Entwicklung durchaus möglich sei (Werner Becker: Der Überschritt von Kierkegaard zu Newman in der Lebensentscheidung Theodor Haeckers, in: Newman-Studien I, S. 251 ff.). Denn in Wahrheit habe „Haecker nichts von dem aufgegeben und aufgeben brauchen, was er durch die Begegnung mit Kierkegaard für sich gewonnen hatte.“ Gerade Romano Guardini habe „die Grundrichtung Kierkegaards folgendermaßen bezeichnet: `Für Kierkegaard war Denken Tun, und nur jenes Denken ernst, in dem sich Existenz realisiert´. Es ist der gleiche Begriff der Realisierung, den wir bei Newman finden” (Becker, Der Überschritt..., a.a.O., S. 253 in Bezug auf Guardini, Romano: Der Ausgangspunkt der Denkbewegung Sören Kierkegaards, in: Hochland 24, 1926/27, S. ???; dann in: Unterscheidung des Christlichen, ???, 1935, S. 467; Band 3: Gestalten, Mainz/Paderborn 1995, S. 45: „Da ihm aber Denken Tun ist, und nur jenes Denken ernst, in dem sich Existenz realisiert, so wird ihm seine Philosophie zu einer Philosophie des Selbstwerdens.“) Abzulehnen sei jedoch Kierkegaards Abgleiten „ins Extreme, ins `Maßlose´ und `Zerstörende´, in der Absicht, durch sokratische Ironie, ja durch das, was mehr ist, das christliche Paradox, von Gott her `die Dinge in ihrer Zweideutigkeit spüren zu lassen´. `Er löst `das Christliche´ ab von der Schöpfung und vom schaffenden Gott, vom Schöpfer. Er nimmt das Christentum als Grenzwert mit all seiner Unmöglichkeit, als christianistisches Christentum.´ Und es führt dann kein Weg mehr zu den `welthaltigen´ Formen des Christentums, insbesondere zur Kirche” (Becker, Der Überschritt..., a.a.O., S. 254, erneut unter Hinweis auf Guardinis ersten Vorlesungen an der Berliner Universität über Kierkegaard und unter Zitierung von Guardini, ebd., S. 196, 207 und 210. ???)

Newman stand nach seiner Bekehrung grundsätzlich in derselben Gefahr, aber er „`entkam aus dem Gefängnis´ einer sektenhaften Denkweise und fand sich durch zu dem Prinzip der Kirche. Gerade weil sein Geist so sehr darauf angelegt war, der Welt ernsthaft zu begegnen, musste er den Versuch, die Welt in reine Subjektivität hinein zu verwandeln, als Irrweg erkennen. In der christlichen Kirche fand er eine Religion, die seine ganze Innerlichkeit in sich aufnahm, wie sie den ganzen Komplex der Wirklichkeit, ja auch den ganzen Lauf der Geschichte in sich hineingestaltet hatte” (Becker, Der Überschritt..., a.a.O., S. 264 in Bezug auf Guardini, ebd., S. 192f. ???) Das Gewissen bleibt bei Newman aber wie bei Kierkegaard „der erste Lehrmeister der Religion im natürlichen Menschen” und steht in einer lebendig-konkreten Spannungseinheit zur „rechtmäßigen Lehrgewalt der autoritativen Kirche´“ (Becker, Der Überschritt..., a.a.O., S. 269f. in Bezug auf Newmans, Traum des Gerontius, S. 437).

In Guardinis Text „Die Entfernung des Andromeda-Nebels“ von 1926 beschreibt er „Realisierung“ als lebendigen Vollzug der Wahrheiten des Glaubens als Inhalt und Wirklichkeit:

„Lebendiger Glaube aber will mehr sein: gefülltes Bewusstsein von heiliger Wirklichkeit. Kardinal Newman braucht immer wieder das Wort »realisieren«. Wir sollen die Wahrheiten des Glaubens nicht nur mit Worten bezeichnen; nicht nur mit Begriffen meinen; wir sollen nicht nur mit unserer personalen Treue zu ihnen stehen, sondern sie als Inhalt und Wirklichkeit lebendig vollziehen - soweit das bei Gottes-Dingen eben sein kann. Dazu bedürfen wir aber der Kraft, das Gemeinte aufzurufen, seinen Inhalt lebendig in uns hinzustellen, ihm Wirklichkeitsgewicht zu geben. Das heißt natürlich nicht, der Glaubende hätte den Gegenstand zu `schaffen´; es handelt sich vielmehr um das, was beim lebendigen Vollzug der Glaubenserkenntnis in der Seele vorgeht. Und da bedeutet lebendiger Glaube nicht nur das Aussprechen eines Urteils; die Feststellung eines Tatbestandes; die Einsicht in die Richtigkeit eines Begriffsgefüges, sondern geistige `Realisation´, lebendigen Vollzug und kräftiges Vorsichhaben von Wesensinhalt, Wertgültigkeit, Wirklichkeitsgewicht“ (Romano Guardini: Die Entfernung des Andromeda-Nebels (1926), in: Spiegel und Gleichnis, 1932; (7)1990, S. 175 f.).

In seinem Aufsatz „Reflektierter Glaube“ von 1928 nennt er das dann „lebendige Glaubensadhäsion, die lebendige Aneignung des Glaubensinhaltes“:

„Allein dieser mir entgegentretende Gehalt überwältigt mich nicht. Streng genommen geschieht solche `Überwältigung´ ja nie. Aber es gehört zum Wesen dieser Situation, dass deutlich und schmerzlich bewusst wird: Die Wahrheit überwältigt nicht. Die Intensität, mit der ich jener Wirklichkeit und ihres Inhaltes innewerde, steht nicht nur in dem immer vorhandenen Missverhältnis von menschlicher Aufnahmekraft und göttlichem Gegenstand, sondern darüber hinaus in dem oben geschilderten, zeitbedingten Missverhältnis der geschwächten Vollzugskraft zum Vollzug fordernden ewigen Gehalt. Es klafft zwischen Aktkraft und Aktinhalt; und dieses Klaffen bleibt, und bleibt schwer empfunden.“

Hier verweist Guardini auf einen Ausspruch Newmans:

„Wir wissen, wie es wäre, wenn wir mit ungeschwächter Vollzugskraft glaubten. Wir wünschten, es wäre so. Aber es ist nicht.“

Demnach ist „der konkrete Glaubensakt … arm an Erfahrungsfülle; dünn an Erlebnisintensität. Es ist zum Verzagen, wenn wir die Weise, wie wir das Christsein erfahren, mit jener vergleichen, die im Neuen Testament beschrieben wird! Welche Armut!“ (Romano Guardini: Reflektierter Glaube, in: Schildgenossen, 8, 1928, S. 216-237; u.d.T. "Der Glaube in der Reflexion" eingegangen in: Unterscheidung des Christlichen, 1935; Unterscheidung des Christlichen, Bd. 2: Aus dem Bereich der Theologie, 1994, S. 11-41, hier S. 35).

„Es ist so bezeichnend, dass jener Mann, der das Problem des angestrengten Glaubens erfahren hat wie kaum ein theologischer Schriftsteller sonst; der den Glauben definiert hat als die Fähigkeit, jene Unzulänglichkeit in beständiger Gehorsamsanstrengung zu tragen, Newman - dass er immer wieder vom `Realisieren´ der Glaubensinhalte spricht; von der Kraft also, das als wahr Festgehaltene auch lebendig zu vollziehen“ (ebd., S. 39).

Alles kreiste also auch bei Guardini um den Begriff der „Verwirklichung” (Vgl. Quickborn 18, 1930/31, S. 14-22; Werner Becker: Realisierung und »Realizing« bei John Henry Newman, in: Theologisches Jahrbuch (L) 1961, 177-190; Rudolf Padberg: Kierkegaard und Newman als Wegbereiter christlicher Ernsthaftigkeit, in: Theologie und Glaube, 61, 1971, 44-47).

„Wir wollen es uns mit unseren Betrachtungen über den Glauben nicht leicht machen. Es geht uns nicht darum, die Spannungen und Schwierigkeiten des Glaubens zu beseitigen und ein handliches Ergebnis zu erzielen. Das Geheimnis, das in allem Lebendigen ist, wird hier besonders dicht, weil es sich um ein Leben handelt, das innerhalb des irdischen Daseins von anderswoher auftaucht. So sind wir darauf gefasst, ein vielverwobenes Ineinander verschiedener Kräfte und Motive anzutreffen. Wir fühlen es als Zeichen der Wahrheit, wenn wir sehen, wie die Fäden sich verschlingen, die Schichten sich hintereinanderbauen, Voraussetzungen und Wirkungen sich ineinsflechten und so der Zirkel echten Lebens entsteht. Bei den eigentlichen Fragen des Daseins ist ja doch das Erblicken des Problems viel wichtiger als eine oft nur allzu verdächtige "Lösung". Eine solche wird meistens mit Vereinfachungen bezahlt, und das lebendige Bewusstsein fühlt das und wird misstrauisch. Entfaltet sich aber das Problem in seiner wahren Größe, dann weiß unser Geist sich vor der Wirklichkeit, und ihm wird wohl, auch wenn er zu keiner eigentlichen Lösung gelangt. Und schließlich gibt es Fragen - es sind gerade die tiefsten -, zu denen das rechte Verhältnis hier, "im Stande der Wanderschaft", gar nicht darin besteht, sie "lösen" zu wollen, sondern bereit zu sein, in ihnen zu existieren. Das ist es wohl, was Newmans Wort meint, Glauben heiße, `tragfähig zu sein für Zweifel´“ (Guardini, Vom Leben des Glaubens (1932/35), dann 1983, S. 7: Vorbemerkung).

Und weiter:

„Glauben heißt da in den Bereich der eigentlichen Wirklichkeit und des wahren Lebens eintreten, von der Hoffnung getragen, sie werde allmählich innewerden. `Realisation´ war für Newman ein und alles. Glauben heißt, überzeugt sein, da zu stehen, wo `Realisation´ verheißen ist“ (Guardini, Vom Leben des Glaubens (1932/35), dann 1983, S. 58).

Allertiefste Erfahrung des Glaubens bedeutet nach Guardini, „dass die heiligen Wirklichkeiten eben Wirklichkeiten werden. Jenes, was Newman meinte, wenn er von der `Realisation´ sprach: Dass sie aus dem Zustand des Gedachtseins, Gemeintseins, Gewolltseins, Festgehaltenseins in den Zustand lebendiger Präsenz und Wirklichkeitsdichte übergehen.”

„Damit kann es lange dauern; sehr lange. Es kann einem Menschen auferlegt werden, Jahr um Jahr im Dienst des bloßen Glaubens zu stehen, mühselig und fern. Einmal aber kommt der Augenblick, da der Mensch nicht mehr den Glauben tragen muss, sondern der Glaube selbst es ist, der den Menschen trägt“ (Guardini, Vom Leben des Glaubens (1932/35), dann 1983, S. 70).

Guardini hat also laut Läpple von Newman folgende Grundeinsicht übernommen:

„Die konkrete Erfahrung der Personalität Gottes, die durch die Kraft der imagination als Bildwirklichkeit im Gedächtnis festgehalten wird, ist ein wertvoller Garant für die Erfahrung der dialogischen Struktur der menschlichen Existenz” (Läpple, Der Einzelne in der Kirche, a.a.O., S. 357, der sich zuvor ausdrücklich auf Guardini beruft, siehe S. 355f.).

Läpple betonte in diesem Sinne auch schon den „dialogischen Personalismus Newmans” (Läpple, a.a.O., S. 338-374).

Rombold sprach zwar meines Erachtens missverständlich vom „dialektischen Personalismus“, kommt aber im Wesentlichen zum selben Ergebnis:

“Das Wesen der menschlichen Person lässt sich nach Newman nur DIALEKTISCH begreifen: sie steht in sich selbst und ist doch von einem Höheren abhängig.... Zur Erkenntnis seiner Abhängigkeit gelangt der Mensch durch den SENSE OF DUTY..... `Wir sind so wenig fähig, unsere geistige Verfassung (mental constitution) anzunehmen oder zu verwerfen, wie unsere Existenz´. Die Verfassung des Menschen stammt also von Gott; wesentlich für sie sind die konstitutiven Vermögen. Es sind...: Erkenntnisvermögen, Gedächtnis, Wille, Gewissen. Dabei kommt dem Gewissen, dem Gewissen als sense of duty, eine besondere Bedeutung zu.... Ein Vergleich zu Kierkegaard drängt sich auf. Dieser schrieb 1846 in sein Tagebuch: `Eigentlich ist es das Gewissen, das eine Person konstituiert; Person ist eine individuelle Bestimmtheit, festgestellt dadurch, dass sie von Gott weiß in der Möglichkeit des Gewissens. Denn das Gewissen kann schlummern, aber seine Möglichkeit ist das Konstituierende´” (Günter Rombold: Das Wesen der Person nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, Nürnberg 1960, S. 125-127. Zitate aus Newman, GA 61 (47) und Kierkegaard, Die Tagebücher, ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker, München 1953, S. 201).

Wiedmann wiederum konstatierte den „personalen Realismus” Newmans, der in der interpersonalen Begegnung grundgelegt sei und sich in ihr ausdrücke. Dabei werde das „to realize” als personale Entscheidung gedacht (Franz Wiedmann: Theorie des realen Denkens nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, Nürnberg 1960, S. 144-258, hier S.212 ff.).

Und schon Theodor Steinbüchel hatte in Bezug auf Newman geschrieben:

“So lebt der Mensch nur in der Situation der personalen Entscheidung für Gott oder gegen ihn und also für seine Existenz oder gegen sie. Ein tiefer Ernst breitet sich über sein Leben. Niemand kann ihm die ihm allein überantwortete Entscheidung abnehmen, der Mensch ist vor Gott und vor sich selbst unvertretbar. Der Garant seiner Freiheit ist Gott, weil er ihn schuf als das zum Du hin transzendierende Sein, und weil diese Transzendenz seines Wesens nur im Leben der persönlichen Freiheit sich erfüllt” (Theodor Steinbüchel: Umbruch des Denkens. Die Frage nach der christlichen Existenz erläutert an Ferdinand Ebners Menschdeutung, Regensburg 1936, S. 130).

Wie sehr Guardini dann selbst mit Newmans „realize” in Zusammenhang gebracht wurde, zeigt allein schon der Titel der Festschrift von 1935, „Christliche Verwirklichung”, und viele der darin enthaltenen Aufsätze. Keineswegs zufällig schrieb Werner Becker darin einen Aufsatz über Newmans Stellung zur Welt (Werner Becker: Zu Newmans Stellung zur Welt am Ende seiner evangelikalen Phase, in: Interpretation der Welt. Festschrift für Romano Guardini zum achtzigsten Geburtstag, Würzburg 1965, 544-570; vgl. auch Bogdan Dolenc: „World” and the Christian Attitude to it according to the Sermons of John Henry Cardinal Newman, Rom 1994).

Später kann Werner Becker unter Berufung auf ein Diktum von Hermann Platz aus dem Jahr 1932 über die Weise, wie das Wort „realize” bei Newman gebraucht wird, schreiben: „Die ganze von Romano Guardini systematisierte Philosophie des Konkreten steckt darin” (Werner Becker: Realisierung und „Realizing” bei John Henry Newman, in: Newman-Studien V, S. 269 ff. in Bezug auf Hermann Platz, in: Göcking, Wilhelm/Schümmer, Karl (Hrsg.): Rheinische Beiträge zur Durchführung der Schulreform in den neueren Sprachen, 6, 1932, S. 35-58).

Unter Berufung auf Romano Guardini kann Becker schließlich auch Newman mit Platon vergleichen und macht keinen hehl daraus, dass er auch Guardini selbst zu „der ganz kleinen Zahl jener Philosophen“ zählt, „die in der Philosophie sowohl den Inhalt von Aussagen, wie auch den von Existenz gesehen und gefragt haben, wie der Mensch sein müsse, damit er zum Philosophen werden könne, und was aus dem Menschen werde, wenn er zu Philosophie entschlossen sei” (Werner Becker: Realisierung und „Realizing” bei John Henry Newman, in: Newman-Studien, Bd. V, S. 269 unter Zitierung aus Guardini, Romano: Der Tod des Sokrates, Berlin 1943, S. 15).

Auf dem Wege (1923)

Es ist nicht auszuschließen, dass Guardini seinen ersten Sammelband „Auf dem Wege“ (1923) nach einer kleinen religiösen Erzählung „Auf dem Wege“ von Josephine Hope-Scott - Tochter von Kardinal Newmans Freund Hope-Scott und Frau des Newman-Schülers und Hügel-Freundes Wilfrid Philip Ward - benannt hat, in dem zwei Wege zweier evangelischen Frauen in die Kirche beschrieben werden. Diese hat Maria Knoepfler ins Deutsche übertragen (John Henry Kardinal Newman: Briefe aus der katholischen Zeit seines Lebens. Deutsche Übertragung aus dem Englischen von Maria Knoepfler. Mit einem Begleitwort von Joseph Weiger und einem Nachwort von Romano Guardini, Mainz 1931, S. 364). Da Maria Knoepfler die Übersetzung schon viel früher anfertigte und Guardini sowohl englische Ausgabe oder diese Übersetzungen ebenfalls schon früher gelesen haben könnte, liegt dies nahe.

Newman und das Verhältnis von Technik und Mensch (1925)

Guardini sieht in Newman ein Vorbild im Umgang mit Wissenschaft und Technik. Es gehe darum in wissenschaftlichen und technischen Fragestellungen mit „skeptischer“ und „illusionsloser“ Klarheit zu stehen, nicht aber mit einer „liberalen“ und „rationalistischen“ Verflachung. Dann könne der Wissenschaftler wie der Techniker im wirklichen und verwirklichenden Sinne Glaubender sein:

"Ich weiß von Menschen, die mit skeptischer Klarheit in den wissenschaftlichen Fragestellungen stehen, aber in ihrer Seele zugleich mit dieser Illusionslosigkeit des Blickes einen Glauben tragen, der durch keine liberale und rationalistische Verflachung angetastet ist, sondern echt aus dem Übernatürlichen kommt. - Newman's Größe war nicht, dass er dies oder jenes gesagt, sondern dass er in seiner Seele diese Haltung verwirklicht hat! - Und dieser Glaube wird groß und gehärtet sein, und unter seiner klaren Kühle eine innere Glut bergen, die ihn dem des Urchristentums und des Mittelalters ebenbürtig macht ..." (Guardini, 9. Brief [vom Comer See], in: Die Technik und der Mensch, a.a.O., S. 83).

Newman und die Pfarrpredigten (9. April 1945)

Am 9. April 1945 beschäftigte Guardini sich mit zwei Predigten von Kardinal Newman.

Die erste fand er in "Newmans Pfarrpredigten, Band I" (»Parochial and plain sermons«, vol. I) mit dem Titel »Heiligkeit ist nötig für die künftige Seligkeit«. Nach Guardini "entwickelt Newman S.4f. den schönen Gedanken, dass der Mensch heilig sein müsse, um des Himmels teilhaftig zu werden, da dieser selbst heilig ist. Der Gott Widerstrebende würde sich im Himmel überhaupt nicht wohlfühlen. Diesen Gedanken entwickelt er aber an einem Bilde, welches Widerspruch hervorruft. Er sagt: »Der Himmel gleicht nämlich nicht dieser Welt, sondern ich will Euch sagen, welchem (Ort oder Zustand) er mehr gleicht: einer Kirche.« Dem kann ich nicht zustimmen. Der Himmel steht zum Gesamtdasein nicht so, wie der Kirchenraum zum allgemeinen Leben. In der Kirche wird das Religiöse im besonderen und direkten Sinne geübt: die unmittelbare Gottesverehrung, welche sonst nicht geschieht und auch in einem wirklich christlichen Leben nicht geschehen kann, weil die anderen Dinge ihr gottgegebenes Recht auf unsere Aufmerksamkeit und unsere Kräfte haben. Es ist ein Fehler, das Religiöse, die Frömmigkeit überhaupt mit der besonderen und direkten Gottesverehrung gleichzusetzen. Es gibt auch die allgemeine und indirekte, und sie besteht darin, alles das, was der Auftrag, die Welt als Ebenbild Gottes zu beherrschen, in sich schloß, im richtigen Geiste zu tun. Das ewige Leben wird nicht einfachhin eine große Kirche und eine beständige Liturgie sein – sosehr natürlich, in einem besonderen Sinne, dieses Bild sein Recht hat, siehe die Apokalypse –, sondern das ewige Leben wird das ganze Dasein zu Gott ziehen. Der Grundbegriff, auf welchem Paulus und auch Johannes den Begriff des ewigen Lebens aufbauen, ist der der Welt. Das ewige Leben ist die neue, in Gott wiedergeborene Schöpfung. Dahinein wird das ganze Dasein des Menschen, mit allen seinen Bereichen, Kräften und Werten, wenn und soweit es, direkt oder indirekt, auf Gott gerichtet war, hineingezogen werden" (Stationen und Rückblicke, S. 136 f.).

In "Newmans Pfarrpredigten, Band II" (»Parochial and plain sermons«, vol. II) steht dagegen die Predigt "Glauben, ohne zu sehen, S.22". Darin sagt Newman: "... Nach der Bestimmung des heiligen Paulus ist Glaube die Substanz oder das Verwirklichen (the realizing) der Dinge, auf die man hofft; die Überzeugung von, oder ... das Handeln auf die Dinge hin, die man nicht sieht.« Die christliche Haltung »ist überzeugt, dass sie Licht genug hat – viel mehr, als ein sündiger Mensch zu erhoffen berechtigt ist –, wenn sie jeweils einen Schritt (auf dem Wege) voraussieht; und sie überlässt alle Kenntnis des Landes, durch das sie wandert, demjenigen, der sie gerufen hat.« In der gleichen Predigt macht Newman darauf aufmerksam, dass der Herr zu Thomas sagt: selig, die nicht sehen und doch glauben ... Darauf hätte Thomas erwidern können, dass alle Apostel erst glaubten, als sie gesehen hatten. Im Anschluß daran kam mir der Gedanke, dass die Rufe zum christlichen Glauben und Handeln verschiedener Art sind. Die anderen Apostel sollten glauben, nachdem sie den Auferstandenen leiblich gesehen hatten; Paulus, nachdem Er ihm visionär begegnet war; Thomas sollte glauben, ohne zu sehen, nur auf das Zeugnis der anderen Apostel hin – das heißt aber, in derselben Weise, wie auch wir glauben müssen. Für ihn sollten die anderen Apostel die Boten des Glaubens und er der Erste derer sein, die auf die Botschaft hin glauben würden. Ein wichtiger Gedanke, scheint mir. Das Moment der Verkündung, des Glaubens auf die Tradition, auf das Wort der Kirche hin, fängt schon im Kreise der Apostel selbst an. Dass aber Thomas das nicht erkannt und gewollt hat, hat gemacht, dass er jenes Selig-Sein verlor, welches ihm daraus gekommen wäre“ (ebd., S. 137f.).

Newman und die Gotteserkenntnis (30. April 1945)

Aufgrund einer fortlaufenden Datierung seiner Aufzeichnungen sind einige systematische Überlegungen zur Gotteserkenntnis im Jahr 1945 wohl nachträglich in seine Tagebuchaufzeichnungen geraten. Dort sieht er für den 30. April 1945 in den Gedanken Newmans ein Beispiel für die unmittelbare Perzeption des Numinosen. Guardini schreibt im Blick auf die Gotteserkenntnis:

"Dazu käme viertens die unmittelbare Perzeption des Numinosen: der lebendigen Gegenwart Gottes in der von ihm geschaffenen Welt; vor allem im eigenen Innern, im religiösen Bewusstsein, im Gewissen. Hier vor allem die Gedanken Newmans. Wichtig scheint mir dabei Folgendes: Ist eine wirkliche Überzeugung von Gott möglich, wenn wir nicht ein Berührtsein von Gott annehmen? Ruht nicht letztlich jedes echte Gottesverhältnis auf einer originären Gotteserfahrung? Nur müsste man wahrscheinlich den Begriff der »Erfahrung« dahin ausweiten, dass es nicht nur die bewusste, sondern auch die unbewusste Gottesberührung gibt, die aber beständig in die bewusste Haltung einwirkt. Damit würde man wichtige Einsichten der neueren Psychologie für die religiöse Erkenntnis nutzbar machen."

Auch bei der "Tatsache, dass es für die Erkenntnis Gottes nicht so sehr auf einzelne isolierbare Gedankengänge, als vielmehr auf eine große Zahl nach derselben Richtung hindeutender Hinweise, eine Häufung von Wahrscheinlichkeiten, eine Konvergenz von Sinnlinien ankommt, welche, wenn die persönliche Erfahrung hinzutritt, die Überzeugung zustande bringt", verweist Guardini darauf, dass diese Einsicht "bei Newman eine große Rolle spielt" (Stationen und Rückblicke, S. 147 f.).

Dieser Hinweis findet sich auch in den "Theologische Briefe an einen Freund" im zweiten Brief, der "Von der christlichen Verantwortung für die Welt" handelt (13.8.1963). Guardini hält auch hier Newmans Gedanken für „wichtig, wonach das wirklich Tragende der Gotteserkenntnis nicht ein einfacher Syllogismus, sondern ein Bündel von Sinnlinien ist, die in einem Punkte konvergieren, welcher `Punkt´ eben Gott ist“ (Theologische Briefe an einen Freund, S. 28).

Newman und der Gentlemen (1956)

Guardini beantwortet 1956 in Form eines veröffentlichten Briefes, die ihm gestellte Frage "Wer ist ein Gentleman?". In der Antwort verweist er auf die Antwort, die John Henry Newman auf dieselbe Frage gegeben hat.

„Als John Henry Newman sagen sollte, wer ein Gentleman sei, meinte er: Einer, „who never inflicts pain“, der nie Schmerz zufügt. Zuerst wundert man sich. Man hätte größere Dinge erwartet; Eigenschaften, die mit Vornehmheit und Großmut und dergleichen zusammenhängen. Es ist aber gute englische Art, im Gespräch die großen Dinge nach Möglichkeit zu vermeiden und mit Alltäglichem auszukommen. Natürlich hat der Kardinal von Noblesse und Tapferkeit und alledem gewusst und es auch in seiner Bestimmung des richtigen Mannes gehabt; es wäre ihm aber wohl peinlich gewesen, ausdrücklich davon zu reden. So hat er auf etwas hingewiesen, an das man nicht so leicht denkt; nämlich auf das Zarte, das zur Unerbittlichkeit des Ehrgefühls und zur Festigkeit des Mutes hinzukommen muss, wenn diese Eigenschaften nicht grob werden sollen. Das aber hat er in seiner ruhigen Weise ausgedrückt: Jener Mann sei recht, der die Verletzlichkeit des Anderen fühle und sich bemühe, ihm keinen Schmerz zuzufügen. Gewiß, das lässt sich nicht immer vermeiden. Newman selbst ist in bitterste Konflikte gekommen und hat darin sehr geliebte Freunde verloren, um der Ehre und der Wahrheit willen. So hat er wohl gewusst, dass es Augenblicke gibt, in denen es heißt: quer durch alles hindurch! Es macht aber einen großen Unterschied, wie einer dieses „quer hindurch“ vollzieht: ob es ihm gleichgültig ist, was der Andere empfindet, oder ob er ihn im Gefühl hat und bemüht ist, es ihm leichter zu machen. So müsste man auch heute den Begriff des Gentleman von einer Stelle her bestimmen, an die man im allgemeinen nicht denkt; von etwas scheinbar Nebensächlichem her, an dem sich aber entscheidet, ob Einer die Beziehung zum Zarten in sich habe oder nicht; ob seine Kraft grob oder edel sei. Und da fiel mir ein, man könne sagen: Ein Gentleman ist Jener, der keinen Lärm macht.“ (in: Wurzeln des Lebenswerkes, Bd. 4, S. 310-316, hier 312 f.)

Guardini sieht also in der lärmenden Welt des 20. Jahrhunderts - in Ergänzung zu Newmans Antwort für eine leidvollen Welt des 19. Jahrhundert - für den Gentleman die Herausforderung, im Unterschied zu vielen anderen keinen Lärm zu machen, niemanden niederzuschreien, in Konflikten zur Ruhe zu mahnen.

Guardinis Arbeiten zu Newman

Newman und die polyphone Wahrheit (Rezension 1924)

1924 rezensiert Guardini mehrere Bücher unter dem Titel "Heilige Gestalt. Von Büchern und mehr als von Büchern, darunter "zwei Schriften eines Meisters, Kardinal Newmans", nämlich seine Arbeit über den heiligen Sankt Chrysostomus und die Schicksale des Theodoret (übersetzt von Josef Karl, Mainz 1923) und Sankt Philippus Neri (zwei Vorträge übersetzt von Maria Knöpfler, München 1922)

Im Blick auf die erste Arbeit hält Guardini zu den Gestalten des Chrysostomus und Theodoret fest. "Tief religiös beide; zugleich von wundervoller Menschlichkeit und feiner Kultur. Jeder zu heldenmütigem Opfer fähig - Chrysostomus besonders ein Mann, der ganz in der Gnade lebte - und zugleich feinfühlig für das literarische Gewicht eines Wortes; für die historische Färbung eines Satzes der Schrift. Besonnen, kritisch, jeder Übereilung des Gedankens, jeder Gewalttätigkeit des Handelns abgeneigt, aber alles an ihnen leuchtend und warm von verborgenem zarten Glühen. Diese Menschen liebte Newman, in denen christliche Inbrunst und antike Geistigkeit so köstlichen Klang gab. Er war ja selbst ihres Geblüts. Und wisst: Heute hängt viel davon ab, dass diese Haltung wieder erstehe! Überall öffnen sich Grenzen, und fluten fremde Kulturbereiche ein. Überall öffnen sich Quellen, brausen neue Kräfte. Unruhe überall. Schranken fallen; Elementares steht auf. Alles wird möglich, von Zauberei bis zur Skepsis, von schamlosem Stoffwillen bis zu inbrünstigster Frömmigkeit. Eine tiefe Welle mystischen Lebens geht durch Europa. Religiöse Mächte stärkster Potenz erwachen. Was wird aus alledem? Gewalttätigkeit aller Art rührt sich: des Gedankens, des Herzens, der Politik, der Faust. Stellt Forderungen auf, mit denen das vielverschlungene Spiel inneren Lebens auf ein paar grobe Formen gebracht werden soll. Will das vielfältige Gewebe der Probleme in Systeme zwingen und die Bewegung des Suchens und Fragens in feste Richtungen. Politik ist besonnenes Arbeiten mit stets neu sich formenden Kräften der Wirklichkeit, das aber zugleich durch die Stetigkeit lebendigen Seins Linie hält - wie wenig hat, was sich heute so nennt, damit gemein! Gewalt überall, des Schlagwortes, der Partei, der Gerissenheit. Darum geht's, dass der "Geist der Feinheit" wieder erstehe! Der fest ist und geschmeidig, zart und stählern. Der weiß: Die Wahrheit ist polyphon, erst aus dem verschlungenen Gesträhn vieler Stimmen klingt sie heraus. Für ihn ist das Leben einer Seele mitten in ihrer Umgebung eine Sache beständig neu zu schaffenden Ausgleichs. Er weiß um die "Oikonomia" des Lebens; hat den Blick und die leichte Hand, das feine Gespinst zu führen. Um Geistigkeit geht's überall. Ihr versteht doch? Nicht um Begriffe; Begriff ist nicht Geist, sondern Werkzeug des Geistes. Nein, um lebendigen Geist, der Leben spürt, Maß hält, Grenzen und Unterschiede sieht, das Gewicht von Wert und Wirklichkeit und Wort fühlt. Der Ehrfurcht hat vor dem Geschehen. Ehrfurcht vor jeder Seele; vor dem Einmaligen, was sich in ihr und nur in ihr zuträgt. Überall: Im Religiösen, im Denken, in der Kunst, im Politischen, Sozialen ... Solche Menschen zeigt uns Newman - seine eigene Seele zeigt er uns in ihnen - und den Kampf, den sie geführt: Den Kampf wider die Gewalt. Wider jene Gesinnung, die jede Frage mit einer Formel löst, einer Suggestion und dem Knüppel. Dagegen hat Chrysostomus gestanden und Theodoret. Ihre Waffe waren der Geist, welcher ist Kraft, Zartheit, Ehrfurcht, Liebe, Freiheit und Licht. Davon spricht die Schrift: Vom Kampf des Geistes gegen die Gewalt. Eine verhaltene Leidenschaft schwingt in jedem Satz; jeder Satz kämpft ja den gleichen Kampf!" (in: ders., Wurzeln eines großen Lebenswerkes, Bd. 2, S. 184 ff., hier S. 185 ff.)

Newman und der Commonsense (Rezension 1958)

Guardini selbst äußerte sich nur noch einmal 1958 ausführlicher zu einer von Walter Lipgens erarbeiteten Textauswahl aus Newmans Werken (Sein Wesen prägte der "Commonsense". Zu einer neuen Auswahl von Newmans Werken, in: Allgemeine Sonntagszeitung 31, 1958, 3. August, S. 5. (Rezension zu: John Henry Newman. Auswahl und Einleitung von Walter Lipgens, Frankfurt/Hamburg 1958); auch unter dem Titel "Newman. Aus Anlass eines Buches" in: Der christliche Sonntag, 17, 1965, Nr. 28 vom 11. Juli 1965, S. 222)

Newman in der Guardini-relevanten Sekundärliteratur

Newman als personifizierte Spannungseinheit

Dieser hier kurz als vielseitig charakterisierte Newman erscheint nun in der Sekundärliteratur - wie Alfred Läpple 1952 in seiner Dissertation „Der Einzelne in der Kirche. Wesenszüge einer Theologie des Einzelnen nach John Henry Kardinal Newman” überzeugend darstellte (Alfred Läpple; Der Einzelne in der Kirche. Wesenszüge einer Theologie des Einzelnen nach John Henry Kardinal Newman, München 1952, S. 188-205) - äußerst widersprüchlich: den einen gilt er als „antiintellektualistischer Agnostiker”, „heimlicher Skeptiker” und „Nominalist”, den anderen als „verborgener Rationalist”, „scharfsinniger Logiker” und „Sophist”. In den unterschiedlichen Deutungen wird Newman vorgestellt als „sensibler Künstler”, als „poetischer Romantiker und Klassiker der englischen Sprache”, als „religiöser Individualist”, als „der große Einsame vor Gott” (vgl. dazu Guardinis Rede von der „Einsamkeit im Glauben“ vor Gott als „Signatur“ des Glaubens am „Ende der Neuzeit, vgl. Guardini, Romano: Das Ende der Neuzeit/Die Macht 10./7. Auflage 1986, S. 94), als „abendländischer Humanist”, als ein „führender Psychologe” und „Erzieher”, als „größter Apologet des modernen Katholizismus”, als „liberaler Katholik”, als „gefährlichster Christ in England”, als „Oppositionsmann gegen den kirchlichen Zentralismus”, als „ultramontanen Vorkämpfer gegen die Freiheit des Christenmenschen”, als „Wegbereiter des Modernismus”, als „katholischer Schleiermacher”, als „theologischen Darwin”, als „christlicher Platoniker” und als „Augustinus der Neuzeit”, als „gegebener Interpret des Thomismus”, als „moderner Mystiker”, als „Heiliger” und als „Kirchenvater der Neuzeit”.

Wenn nun viele glauben, „diese Aussagen über ein und dieselbe Persönlichkeit” seien unvereinbare Antinomien, weil jemand niemals „zugleich der `antiintellektualistische Agnostiker´ und `der gegebene Interpret des Thomismus´, niemals zugleich der `scharfsinnige Logiker und Sophist´ und der `moderne Mystiker´“ sein könne, verstehen diese – so Franz Michel Willam (Die philosophischen Grundpositionen Newmans, in: Heinrich Fries/Werner Becker (Hrsg.): Newman-Studien III, Nürnberg 1957, S. 111-156, hier S. 112) - offensichtlich nicht, dass dies gerade lebensnotwendige Gegensätze sind, die nur dann als unvereinbar erscheinen, wenn man nicht das Verständnis einer polaren Spannungseinheit zugrunde legt, sondern ein hegelianisierendes Synthese-Verständnis. Günter Biemer sieht Newman geradezu als Führer und Vorbild, scheinbare Gegensätze in sich zu vereinen:

„Wir brauchen neben Newman auch andere Führer und Vorbilder, die in anderer Weise als Newman scheinbare Gegensätze, ja auch andere scheinbare Gegensätze in sich vereinen und uns so mit einer anderen Fülle als der von Newman bereichern“ (Günter Biemer: Christliche Heiligkeit als Lehre und Praxis nach John Henry Newman, 1988, S. 218).

Und Przywara hielt etwas zweideutig fest, dass der Katholik Newman Gegensätze zu „harmonisieren“ versuche, während der Protestant Kant alles ins Extreme treibe. Dadurch entgehe Newman der Gefahr des Voluntarismus ebenso sehr, wie er im Rationalismus seinen Gegner erkenne: "Das Ethos, das er vertritt, ist das Ethos der gegensätzlichen Tugenden“ (Przywara, zitiert nach Werner Becker: Newman in Deutschland, in: Internationale Cardinal-Newman-Studien, Bd. 2, 1954, S. 281-306, hier 298). Weder Newman noch in seiner Nachfolge Guardini versuchten Gegensätze zu harmonisieren, sondern immer sie in lebendig-konkreter Spannungseinheit zu halten.

Newman zwischen Platon und Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin

Franz Michel Willam sieht auch in Newmans Verhältnis zu Platon, Aristoteles, Augustinus und Thomas jene grundsätzliche Haltung am Werk, dass Newman versuche zwischen den beiden extremen Platonismen des Essentialismus und des Existentialismus einen „dritten Weg“ des Platonismus zu gehen. Nur wer gleichermaßen voll Aristoteliker und voll Platoniker zu sein versucht, kann wechselseitig auch beides verwirklichen.

„Ein Voll-Aristoteliker ist immer auch ein Platoniker und ein Voll-Platoniker trägt keimhaft einen Aristoteliker in sich” (Franz Michel Willam: Die philosophischen Grundpositionen Newmans, in: Heinrich Fries/Werner Becker (Hrsg.): Newman-Studien III, Nürnberg 1957, S. 111-156, hier S. 154)

So gibt es auch jeweils zwei extreme Augustinismen und zwei extreme Thomismen, während sich echter Augustinismus und echter Thomismus gegenseitig bedingen und nur gemeinsam zu verwirklichen sind. Das in der konkreten historischen Spannungssituation, diese Spannungseinheit nicht völlig verwirklichbar ist, sondern immer auf der Suche nach der „via media” das Pendel etwas stärker auf die eine oder die andere Seite ausschlagen kann, vielleicht sogar muss, zeigt lediglich, dass es sich um einen dynamischen Prozess und nicht um eine künstlich erzeugbaren Status handelt.

Przywara schreibt in Bezug auf Newman und die beiden „Augustinismen”:

“Der geschichtliche Augustinus ist sowohl der Augustinus der `Civitas Dei´, in der die Kirche fast wie eine Staats-Organisation erscheint, wie aber auch der Augustinus der Ennarrationes in Psalmos, in denen sich die Kirche als organisch lebendiger Organismus im Zusammenspiel lebendiger Glieder gibt. Die Konzeption der `Civitas Dei´ führte geschichtlich in das Extrem eines päpstlichen All-Staates, wie Bonifaz VIII. ihn prätendierte. Die Konzeption der `Ennarrationes in Psalmos´, d.h. die Konzeption eines rein organischen „Corpus Christi mysticum” extremisierte sich im Jansenismus zu einem reinen Gemeinschafts-Christentum ohne autoritäre Form. - Diesem Riss zwischen den zwei Augustinismen steht allein der Newman innerlich gegenüber, der im `Development of christian doctrine´ eine wahre Theologie organischer Geschichtlichkeit der Kirche schuf, wie sie in ihrer heutigen Gestalt echte Frucht aus dem Samenkorn ihrer Ur-Geschichte ist, - und entsprechend der Newman dann im `Grammar of assent´ die entsprechende Theologie organischer Entwicklung des einzelnen Christenlebens baute, wie es als echt real-konkretes Leben doch Erscheinung einer überwirklichen `reinen Wahrheit´ ist” (Przywara, in: Newman-Studien III, 1958, S. 32).

Und er fasst dies in der bekannten Zuschreibung zusammen, dass Newman ein „gelöster und erlöster Augustinus“ sei:

"Darum beschließt sich diese Synthese Newmans zwischen idealer Organisation und realem Organismus in die dritte, letzte Synthese, die er als `gelöster und erlöster Augustinus´ der Neuen Zeit vollzieht: zwischen geistig „unsichtbarer Welt” und fleischlich „sichtbarer Welt”: zwischen Geist und Fleisch" (Przywara, in: Newman-Studien III, 1958, S. 33).

Przywara hingegen erkennt inhaltlich, dass Augustinus es war, „der sowohl gegen einen persischen und künftig albigensischen Manichäismus des letzten Widerspruchs im Sein, wie gegen einen glatten Ausgleich der Gegensätze (wie ihn eine alexandrinisch `einlinige´ Theologie gern vollzieht), grad `im Gegenstehen der Gegensätze” die eigentliche „Schönheit der Welt” erkennt und anerkennt, um durch diese Gegensätze hindurch anzubeten das Geheimnis Gottes „durch den das All auch mit der linken Seite vollkommen ist" (ebd. mit Verweis auf Augustinus: Civ. Dei, XI 18; Solil I 1; 2).

„Für die in Augustinus grundgelegte und in Nikolaus von Kues und Newman durchgeführte Philosophie und Theologie der `Spannung der Gegensätze´ ist wohl der `christliche Manichäismus´ das vorausgesetzte Gegenüber“

Laktanz, der „eloquente“, „christliche Cicero“ habe zwar „unter seiner glänzenden Rhetorik diesen manichäischen Abgrund“ verborgen, aber „an einer kaum gekannten Stelle seiner `Divinae Institutiones´ (II 8)“ deutlich ausgesprochen:

„Da Gott daran war, diese Welt zu fertigen, die in einander-gegensätzlichen Dingen bestünde, machte Er vor allem die zwei Quellen der unter sich widersachenden Dinge, jene zwei Geister nämlich, den rechten und den verkehrten, von denen der eine gleichsam Gott zur Rechten ist, der andere zur Linken, dass in ihrer Macht seien jene Gegensätze“

Augustinus habe gerade deshalb betont, „dass gerade die `Schönheit der Rede´ im Spiel ihrer Gegensätze stünde, — zum Symbol dessen, dass die Gegensätze der Schöpfung nicht moralisch im Kampf zwischen einem `rechten´ und einem `verkehrten´ Geist gründeten (und darin zuletzt eben doch in einem Gott als Urgrund des `Kosmos´ offenbart, d. h. als `Schmuck der Ordnung´ (was das griechische Wort Kosmos besagt)“ (Przywara, in: Newman-Studien III, 1958, S. 35).

Newman, Kant und das Gewissen

Dies ist insoweit richtig, wenn man „Harmonie“ nicht als Spannungseinheit und nicht als Auflösung der Gegensätze sieht, und wenn man die Kritik an Kant so verstanden wird, wie Newman selbst es in einer Tagebuchaufzeichnung vom 4. Februar 1860 in der Gestalt eines fingierten Gesprächs mit Kant tut (vgl. dazu Johannes Artz: Newman im Gespräch mit Kant. Unveröffentlichtes Materi-al, in: Philosophisches Jahrbuch, 76 (1968), S. 197—202; ders.: Newman und Kant. Verbindendes und Trennendes, in: Heinrich Fries und Werner Becker (Hrsg.), Newman-Studien VIII (Achte Folge), Nürnberg/Bamberg/Passau 1970, S. 123-217, hier S. 125 und Anmerkung 15, S. 193).

1927 veröffentlichte Erich Przywara SJ in den "Stimmen der Zeit" erstmalig diese einzige ausführliche Stellungnahme Newmans zu Kant (Erich Przywara: J. H. Newmans Problemstellung, in: Stimmen der Zeit, 112, 1927, Februar, S. 432ff., hier S. 444; wieder in ders: Ringen der Gegenwart, Band II, 1929, S. 841, Anm. 32 englischer Text, S. 840f. (deutscher Text); englisch: P. Zeno: J.H. Newman, Our Way to Certitude, 1957, S. 63).

Im Unterschied zu Guardini, der nur auf ein Gespräch mit einem Kantianer und die Lektüre eines Buches von Chamberlain verweist, wissen wir bei Newman um die Hauptquelle seiner Auseinandersetzung mit Kant. Es ist das Werk von H. M. Chalybäus „Historische Entwicklung der spekulativen Philosophie von Kant bis Hegel” (Dresden 1837, (5)1860).

Aus seinen Randbemerkungen und der besagten Tagebuchnotiz geht hervor, dass „sehr deutlich das Systemdenken Kants mit seiner Ausrichtung auf das Allgemeingültig-Apriorische der personal-konkret-individuellen Denkweise Newmans” gegenübersteht (Artz, a.a.O., S. 141).

Während es Kant „um die Freiheit des `intelligiblen Charakters´, des `homo noumenon´ in uns, der `Menschheit´ in uns” gegangen sei, „die im Gegensatz zur Unfreiheit des `empirischen Charakters´, des `homo phaenomenon´ besteht, als ein im praktischen Vernunftglauben erreichbares Ansichseiendes, das allem Wissen und aller Erfahrung unzugänglich ist”, denke Newman dagegen „an die konkrete Erfahrung des Einzelmenschen, der im Gewissen persönlich der Forderung seines persönlichen Gottes begegnet. Bei Kant begegnet uns das gewaltige System, Newman geht es um die Führung des Einzelnen zu Gott.”

Für Newman zeichnete sich die Gefahr und die Grenzen des kantischen religiös-ethischen Denkens ab, „dass die echte Begegnung zwischen Gott und Mensch in einem System verflüchtigt wird, bei dem die Individualität der menschlichen Person zweitrangig erscheint und Gott gegenüber dem Sittengesetz an Bedeutung zurücktritt” (Artz, a.a.O., S. 142).

Während Kant die unpersönliche Natur der Moralität mit Nachdruck verliehen habe, gehöre für Newman „Moralität - und mit ihr Religion - in jene Sphäre individuell-persönlicher Erfahrung, in die man sein ganzes Selbst hineingibt” (zitiert nach Artz, a.a.O., S. 147 nach Webb, Univ. Pred. XI, Dt. Ausgabe. VI, S. 128 f.).

Nun hat dieses Gewissensprinzip Newmans nichts mit einer positiven Offenbarung Gottes oder einer unmittelbaren mystischen Begegnung mit Gott zu tun (Artz, a.a.O., S. 151 gegen den Scheler-Schüler Hendrik Stoker, vgl. Stoker, Hendrik: Das Gewissen. Erscheinungsformen und Theorien, Bonn 1925 (Diss.), S. 32-35 und Bremond, H.: Newman, essai de biographie psychologique, (8)1932, S. 33f.).

Während Kant im Gewissen allein das Postulat der praktischen Vernunft sehe und alles Religiöse nur bildliche Einkleidung sei, verstehe Newman das Gewissen „wesentlich religiös”:

„Das Gewissen ist die Bestätigung (der Religion) im Menschengeist” (zitiert nach Artz, a.a.O., S. 150 ff.).

Artz stellt diesen Unterschied auch bezüglich Kants Lehre vom Urbösen bzw. „Wurzelhaft-Bösen” und Newmans Aufweis der Erbsünde fest:

„Bei Kant wird Religiöses rein ethisch erklärt, bei Newman werden ethische Phänomene auf religiöse Wurzeln zurückgeführt” (Artz, a.a.O., S. 153).

Gott ist bei Kant „der Gott, der durch unsere eigene moralisch-praktische Vernunft spricht.” So ist es nur konsequent, dass Kant letztlich den „Offenbarungsglauben” durch einen „Vernunftglauben” ersetzt wissen will (Artz, a.a.O., S. 157 ff. in Bezug auf Kant, Immanuel: „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft”).

Dabei trennt Kant einerseits die theoretische und praktische Vernunft, andererseits die praktische Vernunft und das Gewissen scharf voneinander. Dadurch erlangt die praktische Vernunft mit ihrem Postulat vom Dasein Gottes den Primat über die theoretische Vernunft, aber auch über das Gewissen. Bei Kant führt dies dazu, dass das Gewissen als innerer Gerichtshof nur noch darüber zu entscheiden hat, ob die Handlung, „die ICH unternehmen will, nicht unrecht sei” (Kant, Brief vom 15. III. 1862, Ward I, 638; Laros IX, 305). Es geht nur noch um die Achtung vor dem Gesetze, die mit Furcht verbunden ist (vgl. dazu Rombold, in: Newman-Studien IV, S. 124 f.).

Nach Rombold liegt jedoch der Hauptunterschied zwischen Kant und Newman darin, dass „für Newman die so vorgestellte Person wirklich Gott IST”, während „sie für Kant - möglicherweise - nur eine idealische Person” ist, „die die Vernunft sich selbst schafft, und die - wie Kant in einer Anmerkung sagt - nichts anderes ist als der homo noumenon. Diese letzte Divergenz ist damit keine andere als die von Heteronomie und Autonomie des Menschen" (Rombold, in: Newman-Studien IV, S. 125).

Die praktisch-ethische Verpflichtung durch Gott vernimmt also Newman „als Echo der Stimme des persönlichen Gottes im Gewissen, Kant aber als Gesetzgebung der praktischen Vernunft” (Artz, a.a.O., S. 168).

Ohne die redliche Absicht Kants, den Gottesglauben neu begründen zu wollen, in Frage zu stellen, durch den Verzicht auf das Gegenüber zum persönlichen Gott gelingt ihm diese Begründung nicht. Ein Glaubensgehorsam als „Bereitschaft zum Hinhorchen auf das, was die Vernunft übersteigt”, ohne dass damit der Glaube unvernünftig würde, hat in Kants Religionsphilosophie wenig Platz, wohl aber in der von Newman (Artz, a.a.O., S. 190).

Guardini wird - bei aller Zurückhaltung bezüglich der Vergleichbarkeit der Situationen in England und Deutschland - von Newman vor allem dessen Gewissenslehre und dessen Kirchenlehre übernehmen, so wie sie Alfred Läpple richtungsweisend herausgearbeitet hat und dabei gerade auch den Einfluss auf Guardini und seine Schüler immer wieder aufgezeigt hat. Ausdrücklich verweist Läpple auf „das Hauptanliegen eines Theodor Steinbüchel und auch eines Romano Guardini” in der „Unterscheidung des Christlichen” und „Christlichen Verwirklichung” eine christliche Anthropologie abzugrenzen, grundzulegen und zu skizzieren (Läpple, Der Einzelne in der Kirche, a.a.O., S. 4).

Wenn Newman von der „Ellenbogenfreiheit” des Einzelnen spreche, die ihm „im außerkirchlich-wissenschaftlichen wie auch im innerkirchlich-religiösen Bereich” zustehe, sei diese „Ellenbogenfreiheit“ im Gewissen gegeben (John Henry Newman: Die Kirche. Übertragung und Einleitung von Otto Karrer, Einsiedeln/Köln 1945, I, S. 304 ff.). Insofern kann Newman sicherlich als „DER Philosoph des Gewissens” (Matthias Laros: Das christliche Gewissen in der Entscheidung, Köln 1940, S. 60) gelten, auch als „ein großer Vertreter des Individualismus” (Gottlieb Söhngen: Kardinal Newman. Sein Gottesgedanke und seine Denkergestalt, Bonn 1946, S. 68), aber eben nur insofern diese Freiheit des Gewissens nicht dazu missbraucht wird, die Kirche zu sprengen und die Gemeinschaft zu verneinen. Es findet sich bei Newman kein Autozentrismus oder persönlicher Atomismus (Läpple, a.a.O., S. 7 gegen Henri Bremond, der von einem „autocentrisme de Newman” spreche (Henri Bremond: Newman. Essai de biographie psychologique, Paris 1913, S. 43). Schon 1908 hatte Ch. Sarolea zwar vom Egoismus Newmans gesprochen. Es handle sich dabei aber um „die In-sich-gekehrtheit aller Mystiker”, um den „Egoismus Jesu selbst, der uns befiehlt , alles zu verlassen” (Ch. Sarolea: Cardinal Newman and his Influence on Religious Life and Thought, Edinbourgh 1908, S. 74).

Theologie des Gewissens

Wie Werner Becker hervorhebt, ist Newman eben „jener Theologe, der in der einmaligen Weise des Genies die Theologie der objektiven Vermittlung (die Theologie der Kirche) mit der Theologie der Existenz verbunden hat. Und es ist der Begriff der Realisierung, in dem beide Linien sich vereinigen” (Werner Becker: Der Überschritt von Kierkegaard zu Newman in der Lebensentscheidung Theodor Haeckers, in: Newman-Studien, I, 1948, S. 260).

Theologie des Einzelnen und Theologie der Kirche, Theologie der Existenz und Theologie der Essenz verbinden sich bei Newman in einer lebendig-konkreten „Theologie des Gewissens”.

Newman sprach von den „zwei großen Prinzipien”, die „den Lauf der Religionsgeschichte” bestimmen:

"Autorität und Privaturteil.... Gerade in der großen katholischen Gemeinschaft und in ihr allein finden beide Kämpfer Raum in diesem furchtbaren, nie endenden Zweikampf. Es ist für das Leben der Religion, mit Rücksicht auf ihre umfassende Tätigkeit und ihre Geschichte, gerade notwendig, dass der Krieg nie aufhöre... Die katholische Christenheit ist nicht eine einfache Verkörperung des religiösen Absolutismus, sondern sie zeigt ein immer neues Bild von Autorität und persönlichem Urteil, die beide abwechslungsweise hervor- und zurücktreten, wie an der Küste Ebbe und Flut." (Apol. 252. ???)

Gerade an seinem Verhältnis von „Autorität und Freiheit” lassen sich Newmans politische Einstellungen und seine Auffassungen zum Kirche Staat-Verhältnis am besten darstellen (Heinrich Fries: Autorität und Freiheit im Leben und Denken von John Henry Newman, in: Catholica 25, 1971, 249-259; T. Kenny: The Political Thought of John Henry Newman, London 1957; Westport (Reprint) 1974; J. R. Griffin: Tractarian Politics, Diss. Dublin 1972; J. H. Rowlands: Church, State and Society. The Attitudes of John Keble, Richard Hurrell Froude and John Henry Newman 1827-1845, Worthing 1989).

Denn Newman vergleicht die Situation des Einzelnen in der Kirche mit den politischen Verhältnissen im Staat: Auch „in den politischen Verhältnissen” werden „die Missgriffe und Fehler der einzelnen Teile des Staates gerade zu Mitteln seiner Existenz und seines Fortbestandes.” So wie der Staat sei auch die Kirche „eine große Gemeinschaft menschlicher Wesen mit eigensinnigem Intellekt und wilden Leidenschaft, die durch die Schönheit und Majestät einer übermenschlichen Macht zu einer Einheit zusammengehalten werden” (Apol. 290f. ???)

Newman selbst hat dieses polare Verhältnis persönlich gelebt: Neben dem „Mut zur Freiheit der Entscheidung und zur Freiheit in ihr, steht bei Newman unverkennbar eine erstaunliche Bejahung und Anerkennung der AUTORITÄT, der Autorität, wie sie sich im Dogma der Kirche, aber auch in den Amtsträgern der Kirche als Repräsentanten von Autorität darstellt” (Heinrich Fries: Autorität und Freiheit, S. 250 f.)

Denn auch die päpstliche Autorität in der Theorie und ihre Macht im praktischen Leben sei auf dem Gesetz des Gewissens und dessen Heiligkeit begründet.

“Spräche der Papst gegen das Gewissen in dem eigentlichen Sinn des Wortes, so würde er einen Akt des Selbstmords begehen” (Diff. II, 252).

Und so laufen Freiheit und Autorität nicht nebeneinander her, sondern sind im Gewissen miteinander verbunden. So sei das Gewissen „weder Selbstsucht, noch der Wunsch, mit sich selbst in Einklang zu sein, sondern es ist ein Botschaft von DEM, der zu uns wie von einem Schleier her redet. Das Gewissen ist ein Prophet in seinen Mahnungen, ein Priester in seinem Segnen und Fluchen, ein Monarch in seiner Bestimmtheit. Selbst wenn das ewige Priestertum in der Kirche aufhören könnte zu existieren, würde im Gewissen das priesterliche Prinzip fortbestehen und seine Herrschaft ausüben” (Brief an den Herzog von Norfolk, in: Polemische Schriften, Mainz 1959, S. 162).

Die Konsequenz lautet daher umgekehrt für den Einzelnen: „Ich erweise keinem Menschen absoluten Gehorsam”, so wenig wie dem Papst oder den Bischöfen in der Kirche, genauso wenig den politischen Herrschern im Staat.

Das Verhältnis von Kirche und Staat bei Newman

Newman sprach sich gegen eine zu starke Nähe von Kirche und Staat aus:

"Schon in der Zeit des Kaisers Konstantin zeigt sich die Gefahr der christlichen Staatsgewalt. Der Staat kann nicht anders `als seine Natur und seine Neigungen zeigen oder erweisen, wo er mit der Kirche in so nahe Berührung kommt.´ Newman erklärt sogar: `Könige und Staatsmänner mögen Heilige gewesen sein, und sie waren es; aber als solche haben sie gegen die Interessen und Traditionen des Königtums und der politischen Haltung gehandelt" (Becker, Newman und die Kirche, S. 246 in Bezug auf Lehramt der Kirche, S. 387).

Becker fasst Newmans „Essays über das Lehramt der Kirche“ zusammen:

"Hier ist nicht so sehr eine (im romantischen Sinne) `organische´, sondern eine wahrhaft geschichtliche und geschichtstreue Lehre von der konkreten, sichtbaren Kirche mitten in der Mannigfaltigkeit ihrer Aufgaben an der notleidenden Welt" (Becker, Newman in Deutschland, S. 290).

Gerade wenn Kirche und Staat ihre unterschiedlichen Interessen und Traditionen in Bezug auf das Heil der Menschen nicht wahren, neigen sie nämlich zu absolutistischen Gehorsamsforderungen und bringen so die Menschen in Gewissensnöte.

Newman unterschied daher auch klar zwischen der unsichtbaren und der sichtbaren Kirche, ohne diese zu trennen oder zu vermischen:

"Es gibt Bedeutungen, in denen wir mit Fug von der sichtbaren und unsichtbaren Kirche sprechen können..., sofern man darunter zwei Seiten einer und derselben Sache versteht, die nur in unserem Geist, nicht in Wirklichkeit getrennt sind."

Die Wirklichkeit ist „nicht in zwei zerlegbar, so wenig es eine Kreislinie teilen hieße, wollte man konkav und konvex `auseinandernehmen´: was von außen als konvex erscheint, erscheint von innen als konkav.”

Demnach ist die sichtbare Kirche, die der Heilige Geist in uns will, Vorhut der unsichtbaren Kirche, mit all den Ärgernissen, die es in der sichtbaren Kirche gibt (Newman, Summe christlichen Denkens, S. 140).

Josef Emonds wies schon 1938 darauf hin, dass im Mittelpunkt der Kirchenlehre Newmans eben „nicht der Mythos des Organischen, sondern die Konstruktion der Vermittlung” steht. Die Kirche bringt dem Glaubenden Heil.

"Die konstruktive Macht der Ämter einer einzigartigen Gesellschaft ist in ihren Grenzen und Übergriffen in der Botmäßigkeit des Geistes: die Ökonomie einer Kirche, die Gesellschaft und Amt ist, beruht in der Treue Gottes gegenüber den Glaubenden" (Josef Emonds: Vorwort, in: John Henry Newman: Die Einheit der Kirche, übersetzt von Karlheinz Schmidthüs, Freiburg i.Br. 1938, S. 12).

Newman sprach bereits vom „Königs- oder politischen Amt der Kirche”, das mit dem prophetischen und dem priesterlichen Amt zusammenstoßen könne, sich aber wechselseitig in Kompromissen ausgleiche (Newman, Die Einheit der Kirche, S. 60, 72).

Nur in dieser Spannungseinheit könne sich die Kirche erfolgreich in der Welt bewähren:

"Es ist die Eigenart des Kampfes zwischen Kirche und Welt, dass die Welt allzeit über die Kirche zu obsiegen scheint, die Kirche aber in Wirklichkeit immer die Welt überwindet" (ebd. S. 162).

Gewissensethik

Diese vermittelnde und mittlere Position Newmans bezüglich Autorität, Freiheit und Gewissen zieht sich durch alle Bereiche hindurch, in ethischen, erkenntnistheoretischen und philosophischen Fragen, nicht zuletzt aber auch bei theologischen und politologischen Problemen

Bezüglich des ethischen Standorts zwischen Situationsethik, Wesensethik und Normethik von Newman hat Läpple geurteilt, dass er sie nicht gegeneinander, sondern miteinander vertrat:

“Wenngleich Newmans unleugbare Vorliebe den konkreten Entscheidungen des moral instinct gehört, so ist sein Ja zur Situationsethik nicht verbunden mit einem Nein zur Wesensethik und materialen Normethik” (Läpple, Der Einzelne in der Kirche, a.a.O., S. 306).

Wie Newman ist nun auch Guardini kein ausschließlicher Situationsethiker. Kierkegaard als antihegelianischer Situationsethiker konnte eine Wesensethik nicht bejahen. Unhegelianische Ansätze dagegen sehen zwischen Situationsethik und Wesensethik keinen Widerspruch, sondern eine notwendige Polarität, die sich in einer konkret-lebendigen Gewissensethik im aristotelischen Sinne mittelt und vermitteln lässt.

Eine ähnliche Mittlung und Vermittlung findet Läpple auch in der erkenntnistheoretischen Frage des Verhältnisses von Ontologismus und Intuitionismus (Läpple, Der Einzelne in der Kirche, a.a.O., S. 357). Der „Gewissensweg zur religiösen Gotteserkenntnis” kann „in keiner Weise als Ontologismus bzw. Intuitionismus bezeichnet werden”. Er bildet die lebendig-konkrete Spannungseinheit zwischen den beiden Polen der Ontologie und der Intuition (Ebd., S. 362).

Ausdrücklich verweist auch Läpple im Zusammenhang mit Newman auf Guardinis Abwägen zwischen Wir-Gemeinschaft und Einzelnen, zwischen Gehorsam und Eigenständigkeit.

“Der ursprünglich christliche Individualismus, der den Menschen als ontisch wie auch in seinem innersten Selbstbewusstsein durch Gott Bedingten und Gebundenen und auch zu Gott Bezogenen sieht, wurde in der modernen Philosophie säkularisiert.”

Der Mensch wisse heute nicht mehr wie er sich vor Gott richtig zu sich selbst verhalten solle (Läpple, Der Einzelne in der Kirche, a.a.O., S. 11 unter Verweis auf Guardini, Unterscheidung des Christlichen, 1935, S. 475).

Die Religion der Welt

So kann Kardinal Newman bereits 1832 von einer „Religion der Welt” bzw. einer „Religion des Bürgers” sprechen, „welche die eine, wahre Religion so weit nachahmt, dass sie die Unbeständigen und Voreiligen täuscht. Die Welt `hat nichts gegen Religion´ als solche”. Was hat es aber mit dieser „Religion der Welt” tatsächlich auf sich?

"Im Maße, wie die Vernunft kultiviert, der Geschmack gepflegt, die Affekte und Gefühle verfeinert werden, wird von selbst ein allgemeiner Anstand über das Gesicht der Gesellschaft sich legen, ganz unabhängig von dem Einfluss der Offenbarung..."

Die Probleme sah Newman klar und deutlich:

"Das Gewissen wird nicht länger als ein unabhängiger Schiedsrichter der Handlungen anerkannt, seine Autorität wird wegerklärt; zum Teil wird es im Geiste der Menschen ersetzt durch den sogenannten moralischen Sinn, welcher lediglich als die Liebe des Schönen angesehen wird, teilweise durch die Herrschaft des Zweckmäßigen... Wohlwollen ist die Haupttugend: Unduldsamkeit, Frömmelei, Übereifer sind die Hauptsünden... Kein Sinn für die Autorität der Religion als ein dem Geiste Äußeres..." (Ausgewählte Werke, S. 164 f.).

Und wenige Jahre später erhob Newman offen den Missbrauchsvorwurf gegen jenen einseitigen Rationalismus und Liberalismus:

"Rationalismus ist ein gewisser Missbrauch der Vernunft, d.h. ihr Gebrauch für Zwecke, für die sie nie bestimmt war und nicht geeignet ist.... Der Geist der Gesetzlosigkeit kam mit der Reformation, und der Liberalismus ist dessen Spross... Unter Liberalismus verstehe ich... den Missbrauch, jene geoffenbarten Lehren, die ihrer Natur nach über dem menschlichen Urteil stehen und von ihm unabhängig sind, diesem zu unterwerfen" (Ausgewählte Werke, S. 165).

Dieses funktionalistische Denken gelte für Privatreligion und Zivilreligion gleichermaßen und wirke sich jeweils fatal auf den Begriff des Gewissens aus. Menschen, die Religion zu ihrer Privatsache erklären, verstehen auch „unter Gewissen das Recht, zu denken, zu sprechen, zu schreiben, wie es ihrer Laune passt. Bei einem Großteil besteht das eigentliche Recht und DIE FREIHEIT DES GEWISSENS darin, KEIN GEWISSEN ZU HABEN, vom Gewissen zu dispensieren, einen Gesetzgeber und Richter zu ignorieren" (Brief an den Herzog von Norfolk, in: Polemische Schriften, Mainz 1959, S. 162).

Newmans Gegensatzdenken

1946 sah Gottlieb Söhngen in seiner Studie „Kardinal Newman. Sein Gottesgedanke und seine Denkergestalt“ ausdrücklich Parallelen in Bezug auf das Gegensatzdenken zwischen Newman und Guardini. Unter der Überschrift „Begriffseinheit und Gegensatzfülle“ schrieb Söhngen:

„Die lebendige Wirklichkeit, auch die religiöse, bietet einen durchaus gegensätzlichen Anblick dar. Es gilt, die gegensätzlichen Sachverhalte zunächst in ihrer gegensätzlichen Wirklichkeit stehen zu lassen und nicht voreilig in eine höhere Begriffseinheit einordnen zu wollen. In unseren Tagen hat ein religiöser und theologischer Denker wie Romano Guardini die Erfassung konkreter Wirklichkeiten als ein denken in Gegensätzen beschrieben und eine Methode des Gegensatzdenkens zu entwerfen versucht. Wirkliche Gegensätze sind keine begrifflichen Widersprüche. Wirkliche Gegensätze haben die Tatsächlichkeit auf ihrer Seite, begriffliche Widersprüche dagegen die Logik unseres Denkens. Aber was ist das für ein ungleicher Kampf, Logik der Begriffe gegen Unlogik der Tatsachen! Am tatsächlichen Gegensatz hebt sich ein begrifflicher Widerspruch als scheinbar auf, auch wenn unser Denken den Gegensatz der Tatsachen begrifflich nicht zu bewältigen vermag. Wenn unsere Begriffe nicht zu den Tatsachen stimmen wollen, so ist das schlimm für unsere Begriffe, nicht für die Tatsachen. Und der Tatsachen können wir gewiss sein und sind wir gewiss vor unserem begrifflichen Denken. Denn nicht ergeben sich aus Begriffen Tatsachen, sondern aus Tatsachen Begriffe. Was kümmern eine Tatsache unsere Begriffe; aber unsere Begriffe haben sich um die Tatsachen zu kümmern!“ (Gottlieb Söhngen: Kardinal Newman. Sein Gottesgedanke und seine Denkergestalt, Bonn 1946, S. 55 f.).

Ohne die Begriffe abschaffen zu wollen, spricht also Söhngen im Namen Newmans und Guardinis den Ordnungsprimat der Tatsachen vor den Begriffen, der tatsächlichen, lebendigen Wirklichkeit vor ihrer begrifflichen Abbildung aus und unterscheidet wie sie klar zwischen wirklichen, polaren Gegensätzen und begrifflichen Widersprüchen.

Auch Franz Wiedmann sieht einen Grundzug des Denkens Newmans in der Erfassung der „Wirklichkeit als GANZES und EINHEIT” und verweist dabei ebenfalls ausdrücklich auf Guardini:

"Diese Einheit zeigte sich in der Konzeption Newmans dadurch charakterisiert, dass nicht gegensätzliche Sachverhalte kurzerhand in eine höhere Begriffseinheit eingeordnet wurden, sondern dass die Spannung zwischen den Gegensätzen erhalten geblieben ist. Tatsächlich bietet die lebendige konkrete Wirklichkeit einschließlich des in ihr stehenden Menschen einen durchaus gegensätzlichen Anblick dar. Die Erfassung dieser Wirklichkeit geschieht, um einen Ausdruck Romano Guardinis zu gebrauchen, durch ein `Denken in Gegensätzen´" (Franz Wiedmann: Theorie des realen Denkens nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, a.a.O., S.212 ff., hier S. 238 f.).

So finde sich bei Newman eben „nicht illusionistischer Fortschrittsoptimismus, nicht völliges Aufgehen in der Arbeit für das Diesseits - denn es wäre nach Kierkegaard `Wahnsinn, dass ein Wesen, das auf Ewigkeit angelegt ist, seine ganze Macht dazu verwendet, das Vergängliche zu ergreifen und das Unbeständige festzuhalten´ - aber genau so wenig müde Weltflucht, die eigene Seelenhaltung über den liebenden Dienst am Nächsten stellt. Die wahre Antwort liegt nach Newman in einer individuell-persönlichen Synthese und in der Einsicht, dass wir in unserem praktischen Leben entgegengesetzte Tugenden (“opposite virtues”) zu vereinigen haben” (Wiedmann, Theorie des realen Denkens nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, a.a.O., S. 240. Przywara verweist also zu Recht darauf, dass für Newmans Position der aristotelische Mittebegriff entscheidend gewesen sei, vgl. Religionsbegründung, 138 und Ringen der Gegenwart, Bd. II, 868 ff.).

So lasse sich „Newmans Lehre von der Einheit der Gegensätzlichkeit” „zu einem Teil dadurch charakterisieren, dass die Einheit nur in der Approximation gesucht werden kann“:

"Die Synthese der Gegenstrebungen kann nur aufgezeigt werden, während die gegensätzlichen Pole selbst wohl zu erfassen sind (sowohl real als auch notional). Es werden also weniger die Einheit sichtbar als die Gegensätze, und doch ist auch hierbei das Nicht-Sichtbare die eigentliche Lösung. Die Echtheit unseres inneren Lebens erweist sich nur in der Spannung zwischen Gegensätzen, nicht in deren Aufhebung. Jede Verabsolutierung eines gegensätzlichen Poles führt notwendig und folgerichtig nicht nur zur Verkürzung und Vernachlässigung des anderen, sondern schlechthin zu Fehlgang und Irrtum" (Wiedmann, Theorie des realen Denkens nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, a.a.O., S. 240).

Nur sich durchdringende, bedingende und lebendig-wirkliche Liebe UND Furcht gegenüber Gott sichert den Menschen davor, nicht ständig den Zwiespalt des Menschen zu Gott und der Welt in beständigem Umschlagen von einem zum anderen Extrem zu vergrößern. Umgekehrt ist dadurch aber auch Gott ZUGLEICH „in me” als auch „supra me” wie Augustinus (Augustinus, Conf. X, 26, 37) und Newman versichern und Guardini in seiner Polarität von Oben und Innen festhält. Erst die Scholastik hatte diesen Gottesbegriff getrennt: „Gott in sich“ war ein eigener Teil der Summen, „Gott für uns" (Gott in seinem Verhältnis zur Welt) war ein anderer Teil (Wiedmann, Theorie des realen Denkens nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, a.a.O., S. 241).

In den Worten Newmans heißt das: "Du bist im Innersten meines Herzens. Du bist das Leben meines Lebens" (Newman, Med. and Dev. 495 f.).

Daneben aber steht gleich würdig: „Er ist über uns … wir fühlen, dass Er ist, aber Wie können wir Ihn begreifen? Nicht einmal in unsere Freunde können wir eindringen: wir nennen sie fremd, unbegreiflich – aber was ist das, verglichen mit der All-Unbegreiflichkeit des Ewigen?" (Newman, Parochial and plain sermons, III, 95).

Die daraus sich ergebende innere Haltung lässt die Synthese, besser: die Spannungseinheit der sich durchdringenden Gegensätze erkennen: Furcht und Liebe. Beide bleiben bestehen in der inneren Spannung als Gegensätze, aber Gegensätze in Zuordnung:

"Furcht ist gemildert durch die Liebe zu Ihm, und unsere Liebe ist zu keuscher Nüchternheit gekühlt durch Furcht vor Ihm" (Newman, Parochial and plain sermons, zitiert nach Wiedmann, Newman-Studien, IV, a.a.O, S. 241).

Wiedmann schlussfolgert aus diesen Aussagen:

„Als echte, sich bedingende und lebendig-wirkliche Gegensätze sieht Newman sie nicht als Widersprüche (wie die Reformatoren), die den Zwiespalt des Menschen zu Gott und der Welt in beständigem Umschlagen von einem zum andern Extrem vergrößern. Die Antwort liegt in der Vereinbarkeit der Gegensätze und der Synthese: `dass wir ihn fürchten, indes wir Ihn lieben´" (Wiedmann, Theorie des realen Denkens nach John Henry Newman, in: Newman-Studien IV, a.a.O., S. 241).

Selbst Gott stellt sich dem Menschen in Gegensätzen dar, nicht jedoch in Widersprüchen:

„Zu beachten ist, dass wirkliche Gegensätze keine begrifflichen Widersprüche darstellen. Alles Wirkliche, auch Gott, stellt sich uns in Gegensätzen dar, als solche erfassen wir es und bilden unsere Begriffe nach diesen Tatsachen. Das logisch Widersprüchliche dagegen ist nicht möglich, nicht wirklich, und nicht im eigentlichen Sinne denkbar“ (Wiedmann, ebd., S. 248, FN 47 mit Hinweis auf Söhngen, G.: Kardinal Newman. Sein Gottesgedanke und seine Denkergestalt, S. 55-60).

Es ging Newman um das Realisieren der Gegensätze, der „opposite virtues”, hin zu einer möglichst hohen Vollkommenheit. So trägt das Wort „real” diese Polarität geradezu in sich:

"In dieser Polarität real = konkrete, empirisch-erfahrbare Wirklichkeit - und real = höchste, unsichtbare, geistige (nach Platon ideenhafte) Realität, zeigt sich die ganze Spannung innerhalb des Begriffs bei Newman. Mit dem real eng verflochtenen und von ihm nicht zu trennen war das to realize in seinem doppelten Aspekt als realizing (Einbildlichung) und als An-Erkennen dessen, was erkannt ist durch das Realisieren der Wahrheit, durch das Eintreten der ganzen Person in den Vollzug des Erkennens" (Wiedmann, ebd., S. 242 f.).

Was für das Erkennen gilt, gelte auch für die Selbstvergewisserung im Gewissen:

"Die Gegensätzlichkeit besteht in einer Reihe von Nuancen weiter für den kaum zu erschöpfenden Bereich des Gewissens bei Newman. Das Gewissen als Organ der Selbstvergewisserung und Gewissheitsbegründung ist als Punkt der äußersten Selbstständigkeit zugleich Ort der innigsten mitmenschlichen Berührung. Die Einsamkeit des intimen Abschlusses nach außen fällt zusammen mit dem Sichöffnen zum Andern hin" (Wiedmann, ebd., S. 244).

Schließlich bestehe die Gegensätzlichkeit – so Dawson - in der Vision einer übernatürlichen „Ordnung, realisiert auf zweifache Weise: in dem geistlichen Leben des einzelnen Christen und in der körperschaftlichen Realität einer göttlichen Gemeinschaft” (Chr. Dawson: The Spirit of the Oxford Movement, London 1933, S. 125).

Nach John F. Crosby bestimmte Newman nun sogar die „christliche Heiligkeit” als „Einheit von scheinbaren Gegensätzen” (John F. Crosby: Christliche Heiligkeit als Einheit von scheinbaren Gegensätzen. Die Lehre und das Zeugnis John Henry Newmans, in: Internationale Cardinal-Newman-Studien, hrsg. Von Heinrich Fries und Werner Becker, Sigmaringendorf 1988; vormals: Newman-Studien, Bd. 12).

Crosby sah in dieser Einheit „ein Zeichen der inneren Wahrheit und des göttlichen Ursprunges der christlichen Offenbarung, genau so wie er in der Einheit von Gegensätzen bei einem Heiligen ein Zeichen der unerfindbaren Wahrheit und des göttlichen Ursprungs von dessen Heiligkeit sah" (a.a.O., S. 209); weiter sah er in Newmans eigener religiöser Haltung diese „eine Einheit von Gottesfurcht einerseits, und Freude an Gott und Frieden in Gott andererseits” sowie die Verbindung von „glühendem Eifer um die Ehre Gottes und die Sache der Kirche mit einer heiligen Geduld und Milde" (a.a.O., S. 210). Und in Newmans intellektuellem Leben findet Crosby „eine Einheit von einzigartiger Weite des Geistes einerseits, und einschneidender, herausfordernder Bestimmtheit der Aussage und der Stellungnahme andererseits” (a.a.O., S. 212).

Und so kommt Crosby zu seinem abschließenden Urteil:

“Viele Menschen postulieren Widersprüche, wo es sich bloß um einander ergänzende Aspekte handelt, und erklären zu sich ergänzenden Aspekten, was sich unversöhnlich ausschließt. Nur die wenigsten haben die Fähigkeit, in Bezug auf das Vorhandensein und Nichtvorhandensein der Widersprüche richtig zu urteilen. Denn dazu gehört eine Einheit von Tugenden, die wegen deren Gegensätzlichkeit sehr schwer von ein und demselben Menschen zu verwirklichen ist” (a.a.O., S. 216).

Wenn Newman sich selbst - wie später auch Guardini - öfters als „Gelegenheits-Philosoph” und „Gelegenheits-Theologe” sah, zeigt dass es auch ihm letztlich nicht um Philosophie und Theologie als solche, sondern immer nur im Blick auf eine „christliche” Weltanschauung ging. Er schrieb von sich selbst:

“Die Grundansichten, auf die ich mich gestützt habe, bilden ein lebendiges Ganzes mit meinen gesamten Gedankenansätzen und sind so gleichsam ein Teil meiner selbst. Durch viele Wandlungen ist mein Geist hindurchgegangen: In diesem Punkte hat er weder eine Änderung noch eine Schwankung der Anschauungen gekannt. Das stellt zwar durchaus keinen Beweis für die Wahrheit meiner Grundsätze vor. Es setzt jedoch ein Siegel auf meine Überzeugung und ist ein Beweis für den Ernst und den Eifer, mit dem ich sie vertrete. Zu den Grundsätzen, die ich unter der Sanktion der katholischen Kirche vorzulegen jetzt fortfahre, zu diesen bekannte ich mich schon in der Frühzeit meines Lebens, da die Religion für mich noch mehr eine Sache des Gefühls und der Erfahrung als des Glaubens war. Der Einfluss dieser Grundsätze auf mich wuchs später dann im selben Maße, als ich mit der Geschichte des christlichen Altertums vertraut wurde und in Fühlen und Sehnen dem Katholizismus näher kam. Mein Gefühl für deren Richtigkeit verstärkte sich, seit ich mich innerhalb seines Bereiches befinde, mit den Ereignissen, die Jahr für Jahr brachten” (Newman, U.E. 2-4).

So kann auch Klaus Dick zu dem Ergebnis kommen:

“Newman ist kein systematischer Denker gewesen; er hatte nicht die Absicht, ein theologisches Gedankengebäude zu errichten. Seine Werke sind Predigten in die Zeit hinein und Abhandlungen zu Themen, die ihm und seinen Zeitgenossen wichtig schienen” (Dick, in: Newman-Studien V, S. 70).

Nicht wenige Interpreten haben dies auch über Guardini ausgesagt.

Guardini und die Newman-Rezeption in Deutschland

Werner Beckers Geschichte der Newman-Rezeption

1954 in der zweiten Folge der Newman-Studien zeichnete Werner Becker dann die Newman-Rezeption in Deutschland ausführlicher nach (Becker, Newman in Deutschland, in: Newman-Studien II, S. 281 ff.).

Frühe Übersetzungen (bis 1866)

Becker ging dafür weit zurück bis in die Jahre 1864, in dem der Syllabus erschien, und 1866, in dem Franz Heinrich Reusch (1823–1900) die Predigt Newmans über „den Papst und die Revolution” als letztes Werk Newmans für vierzig Jahre ins Deutsche übersetzte [Ausgenommen der Gladstone-Newman-Kontroverse. Die erste Übersetzung im 20. Jahrhundert war 1907 die 1878 veröffentlichte Predigtsammlung „Ausgewählte Predigten auf alle Sonntag des Kirchenjahres” durch Guido Maria Dreves (Kempten/München 1907)].

[Vgl. zum Verhältnis von Newman zu Franz Xaver Kraus, Döllinger und Reusch Günter Biemer: Die Wahrheit wird stärker sein. Das Leben und Werk Kardinal Newmans, 2009, S. 464. Dieser zitiert aus den Tagebüchern von Franz Xaver Kraus, hrsg. von Hubert Schiel, Köln 1957, S. 386f. „Mit innigster Teilnahme erkundigte sich Newman nach Döllinger und Reusch. Ich konnte ihm nur sagen, daß selbst gegenwärtig nur geringe Hoffnung sei, diese trefflichen Männer mit Rom sich wieder vereinigen zu sehen. Newmans Persönlichkeit machte einen sehr nachhaltigen Eindruck auf mich. Wie ist da alles fertig, alles aufgegangen in Denken und Erfüllung der Pflicht! Diese ehrwürdigen Züge wie aus Bronze gegossen, so unendlich ernst und doch so mild, dieses herrliche Auge schnitt mir in die Seele und frug mich: Warum gibst du, mein Sohn, dein Herz nicht ganz deinem Gott? Noch heute bin ich erschüttert durch diesen Anblick.“]

Friedrich Pilgram (1870-1895)

1870 habe dann der feinsinnige Konvertit Friedrich Pilgram die Redaktion der neugegründeten Berliner Zeitung „Germania” übertragen bekommen, jener Pilgram, „der zehn Jahre früher ganz im Geiste Newmans sein theologisches Hauptwerk `Physiologie der Kirche´ geschrieben hatte” und fünfundzwanzig Jahre die Zeitschrift auch ganz in diesem Geiste geleitet hatte. Mitte der neunziger Jahre sei Pilgram dann allerdings durch den streitbaren schlesischen Priester Majunke ersetzt worden.

Unzureichende Rezeption und Nachrufe (1871-1906)

Im deutschen Kulturkampf seien dann aber zum Beispiel Newmans Essays über das Lehramt der Kirche dagegen untergegangen und nicht sofort rezipiert worden (Becker, Newman in Deutschland, S. 290). Auch die Nachrufe im Todesjahr 1890 Newman konnten daher nicht ganz gerecht werden, mit Ausnahme eines im Jahr darauf anonym vom reformkatholischen „Außenseiter“ Franz Xaver Kraus veröffentlichten Gedenkaufsatzes (Franz Xaver Kraus: J. H. Newman in memoriam, in: Deutsche Rundschau, Bd. 17, 1891, S. 40ff., S. 190 ff.). Dieser habe ihn dann allerdings stark vereinnahmt und „allzusehr zu einem der Väter des von ihm verfochtenen `religiösen Katholizismus´” und „Antiultramontanismus” gemacht (vg. dazu Robert Grosche: Der Wandel des deutschen Newman-Bildes, in: Newman-Studien IV, Nürnberg 1960, S. 331-344, hier S. 338).

Hochland (ab 1906)

Erst fünfzehn Jahre später, nämlich 1906, wurde durch Karl Muth und seine Zeitschrift „Hochland” die geradezu als Bann erscheinende Nichtbeachtung gebrochen, in dem er die Zeitschrift für Artikel über Newman öffnete. Vor allem Autoren wie Matthias Laros, Theodor Haecker und Erich Przywara machen nun Newman in Deutschland bekannt. Doch Becker zeigt sich schließlich überzeugt: “Die Frage nach dem Einfluss Newmans in Deutschland lässt sich nicht ohne Blick auf einen der bedeutendsten Theologen unserer Gegenwart, auf Romano Guardini, beantworten. Vielleicht ist es nicht zu viel behauptet, wenn wir meinen, dass Guardini unter allen anderen Theologen dem Bilde eines Newman unserer Tage am nächsten kommt - so misslich auch solche Vergleiche sein mögen. Er ist wie Newman so sehr und ursprünglich Lehrer des geistlichen Lebens, Deuter der Existenz des konkreten gläubigen Menschen, dass seine wissenschaftliche Bedeutung sich manchem Beurteiler verbirgt, der vom Systemdenken herkommt. Auch hier ist Platon Ahnherr, mehr als Aristoteles, und Wege zur Synthese beider werden gezeigt” (Becker, Newman in Deutschland, S. 301).

Das Hochland hat schließlich 1934 aus den „Predigten der anglikanischen Zeit“ den Text „Die christliche Kirche eine Reichsmacht“ übernommen. Diese Predigten waren von M. Ignatia Breme O.S.U. übersetzt worden und 1925 erstmals in Deutsch erschienen (John Henry Kardinal Newman: Die christliche Kirche eine Reichsmacht, in: Hochland, 31/II, 1934, 9, S. 222ff. Zuvor in: Ausgewählte Werke. Predigten aus anglikanischer Zeit, Mainz 1925).

Erich Przywara, Matthias Laros und Philipp Funk (1921 ff.)

Henri Bremond und in Abhängigkeit von ihm in Deutschland Matthias Laros stellen in ihrer Deutung Newmans den kirchlichen Konflikt, die innerkirchliche Opposition, die liberale Katholizität, den Gegensatz zur hierarchischen Kirche heraus.

1921 veröffentlicht Przywara mehrere Aufsätze zu Newman in der Kölnischen Volkzeitung und in den "Stimmen der Zeit" (Kölnische Volkszeitung, 1921, Nr. 352, 505; Zur Geschichte des `modernistischen´ Newman, in: Stimmen der Zeit, 1922, 6. Heft; siehe auch Erich Przywara: J.H. Kard. Newman, Christentum, Freiburg 1922), in dem er den Vorwurf des Liberalismus oder Modernismus gegenüber Newman entschieden zurückweist.

Andererseits hat auch Laros nicht zu Unrecht Erich Przywara eine „scholastische Umdeutung Newmans” vorgeworfen (Matthias Laros: Aus der neuen Newman-Forschung, in: Theologische Revue 21, 1922, S. 294). Denn dieser hatte versucht, die Polaritäten in der Person Newmans zwar nicht wie andere einseitig zu polarisieren, stattdessen aber im Thomismus synthetisch auszugleichen, obwohl Newman für den vorherrschenden, aus seiner Sicht einseitigen Thomismus seiner Zeit offensichtlich keinerlei Sympathie hegte (so Wilfried Ward, a.a.O., I, S. 169).

Während also einerseits Przywara seine Analogietheorie auf Newman überträgt, nach der „das `Gewissen´ geradezu... durch die kirchliche Autorität” ersetzt wird (Erich Przywara: Religionsbegründung. Max Scheler - J.H. Newman, Freiburg 1923, S. 281), vertritt Laros - in der Folge von Henri Bremond, der einen „absoluten Primat des `Gewissens´ oder gar... `des Erlebens´” aufstellt, eine „Spannungszweiheit von Autorität und Freiheit und damit einen Antagonismus auch im innerkirchlichen Bereich" (Matthias Laros: Pfingstgeist über uns, Regensburg 1935, S. 26).

Philipp Funk gibt Przywara zwar einerseits Recht: „Einen `liberalen´ oder gar `modernistischen´ Newman gibt es nicht. Er würdigt also einerseits, dass Przywara dieser unzulässigen Auffassung von Bremond, Laros u.a. zu leibe rücke. Doch sieht er bei Przywara „eine neue Gefahr des Missverstehens“, da er seinerseits „das Tragische, das tatsächlich im Leben Newmans liegt und an dem einzelne kirchliche Parteien und Gruppen Schuld tragen“ und damit das Anderssein Newmans wegzuwischen oder zu bedecken drohe. „Bei allzu starker Verneinung des `Liberalen´ in Newman, ohne dass vorher der Begriff des wirklichen Liberalismus von dem des nur missverständlich so genannten geschieden worden wäre“, wäre dies der Fall. Newman sei also „kein Liberaler im richtigen Sinn”, „aber er ist anders als diejenigen, die ihn beargwöhnt haben, und er ist mit Recht und zum Nutzen der Kirche und seiner Zeit anders. Dieses Anderssein darf unter keinen Umständen verwischt und verborgen werden” (Philipp Funk: Zur Deutung Newmans, in: Hochland 19/II, 1922, S. 230 ff., hier S. 230 f.).

Funk und ihm folgend der späte Grosche vertreten den Standpunkt, dass weder das religiös-psychologisierende Newman-Bild bei Kraus und Laros noch das systematisierende Newman-Bild bei Przywara zutreffen: “Man kann bei Newman nicht, was Funk insbesondere gegen Przywara eingewandt hat, sich bloß an die Lehre halten und `das Tragische, an dem einzelne kirchliche Parteien und Gruppen Schuld tragen, wegdenken oder überbrücken.... Darin, dass er lange unter der Wolke stand, liegt seine besondere Bestimmung, nicht bloß für ihn zur Prüfung und Belehrung, sondern auch für andere zum Trost und zur Führung” (Robert Grosche: Der Wandel des deutschen Newman-Bildes, in: Newman-Studien IV, Nürnberg 1960, S. 342. Dabei verweist nun Grosche auf Theodor Haeckers Übersetzung der „Entwicklung der christlichen Lehre” und der „Grammar of Assent” von 1921 und 1922 sowie Maria Knöpflers Übersetzung der Briefe, 1929 und 1931 erschienen, die allerdings leider ein zu geringes Echo gefunden hätten).

Es wird Guardini sein, der die Newmansche polare Spannungseinheit aufrecht zu erhalten versteht (vgl. dazu in leichter Abweichung Läpple, Der Einzelne in der Kirche, a.a.O., S. 370, FN 91).

Dagegen zieht Przywara aus seinen Einsichten über Newman als "gelöster und erlöster Augustinus" dann aber doch nicht die letzten nötigen Konsequenzen. Wenn Newman sagt, dass „Religiosität … sozusagen ihr Leben gerade in dem“ habe, „was der Vernunft als Widersprüche und Gegensätze erscheint” (Newman: Christentum, VIII, 29) und Przywara in diesem Sinn auf der Akademiker-Tagung 1923 in Ulm dazu aufrief, von der „Objektivität” des Thomas von Aquin zu der „Polarität des konkreten Werdens” bei Newman fortzuschreiten, weil erst beide zusammen als Spannungsfelder, die einander ergänzen, „ein wahrhaft katholisches, d.h. alles in Gott umspannendes Geistesleben“ ergeben würden (vgl. dazu Becker, Kardinal Newman als ökumenische Gestalt, in: Heinrich Fries/Werner Becker (Hrsg.): Newman-Studien. Dritte Folge, Nürnberg 1957, S. 250. Przywara macht dabei sogar selber noch die Einschränkung, dass sich auch bei Thomas „die Polarität des konkreten Werdens” findet), steht dies im Widerspruch dazu, dass Przywara selbst dies im Unterschied zu Newman und infolgedessen auch zu Guardini - nur in einer letztlich weiterhin hegelianisch-dialektischen Weise versucht hat und ausschließlich in Thomas von Aquin den Kirchenvater aller Zeiten sieht. Werner Becker hielt infolgedessen Pzrywara zugute, dass, wer nicht nur „die Polarität der Objekte an sich“, sondern auch „die Polarität des konkreten Werdens“ sehe, auch die Eigenart Newmans in den Blick bekomme, der halt seinen Standort, schon manches Spätere vorwegnehmend, an der Schwelle zwischen Neuzeit und neuester Zeit habe (Becker, Kardinal Newman als ökumenische Gestalt, in: Heinrich Fries/Werner Becker (Hrsg.): Newman-Studien. Dritte Folge, Nürnberg 1957, S. 250).

In dieser gleichen Ambivalenz knüpfte Przywara später einerseits ausdrücklich an Romano Guardinis „Ende der Neuzeit” an, wenn er den „konkreten Menschen der reformatorischen Innerlichkeit” und den „totalen Menschen der Romantik” als Ursache und Wirkung gegeneinander stellt und von einander abhängig sieht. Beide würden letztlich nämlich eine unendlich in sich schwingende „kosmische Polarität” voraussetzen, die das „Ineins der Gegensätze” in Gott und den „Widerstreit der Gegensätze” in die Welt verlegt und den Menschen als jenen „Ort” sieht, in dem „die je neue Einheit der Gegensätze der Welt sich vollzieht” und gleichermaßen „der je neue Widerstreit der Gegensätze der Welt aufbricht”. Aber allein schon diese Formulierungen offenbaren einen grundlegenden Unterschied zwischen Przywara und Guardini, der letztlich in der einseitigen Newman-Rezeption Przywaras seinen Ursprung hat. Denn Przywara verglich in seinem Aufsatz Newman mit Kierkegaard (und Nietzsche). Dabei stellte er ihn auf die „katholische” Seite und zwar ausdrücklich zwischen den Restauratoren Donoso Cortés einerseits und die heiliggesprochene Mystikerin Therese vom Kind Jesu andererseits. Er brachte Newman gegen die Schwermut Kierkegaards und die Verzweiflung und die Aufruhr Nietzsches in Stellung und plädierte gegen ein vorschnelles Verständnis von Newman als „Patron einer `katholischen Reformation´” oder „eines `katholischen Idealismus´” und „im Widerspruch zwischen der neuen „Kierkegaard-Theologie” (Karl Barth) und der neuen „Kierkegaard-Philosophie” (Heidegger und Jaspers), gegen „den `Symbolismus´ alles Sichtbar-Realen ins rein Geistige hinein...; den `Organizismus´, der alle Autorität und Wahrheit aus dem organischen Wachstum des Lebens ableitet...; den `Säkularismus´, für den Wissen und Geschichte `methodisch atheistisch´ sind, d.h. von Gott absehen.” Er sah in Newman und dessen Renaissance die Möglichkeit zur „Überwindung von Idealismus und Romantik im Katholizismus selber: zu einem wahren katholischen `Existentialismus´: aus dem `absoluten Geist´ sich zu ernüchtern zur Existenz des realen Menschen; aus dem `absoluten Organismus´ sich zu ernüchtern zur Existenz der autoritären Ordnung; aus der `absoluten Welt´ sich zu ernüchtern zu Existenz der einfachen Kreatur” (Przywara, Newman-Studien I, S. 97-100).

Nun ist Przywara zweifellos Recht zu geben, dass Newman sowohl gegen den „idealen Menschen des Idealismus” als auch gegen den „organischen Menschen” der Romantik stehe, indem er aber den einen zum „Mittelpunkt und Einheit einer Welt des Geistes” stilisierte, den anderen hingegen zur „rhythmischen Einheit der Gegensätze der Welt der Gemeinschaft und Geschichte”, traf er eben nicht die Newmansche Spannungseinheit von Realismus und Idealismus, von Organismus und Mechanismus, sondern entschied sich ausdrücklich für die Carl Schmittsche Variante einer realistischen Anthropologie, die den Menschen eingespannt in eine „autoritären Ordnung” und eine „einfache Kreatur”. Sogar noch nach dem Zweiten Weltkrieg wird Przywaras eigene Entwicklung ihn weit näher zu Carl Schmitt als zu Romano Guardini führen und somit weit näher zu einer hegelianisierenden dialektischen und synthetischen Dezisionismus als zu einem ahegelianischen dialogischen und synoptischen Vermittlung.

Matthias Laros

wird noch erstellt

Anfang der dreißiger Jahre hat Matthias Laros im Matthias-Grünewald-Verlag in Mainz die Newman-Ausgabe besorgt.

Theodor Haecker (1920-1923)

Theodor Haecker übersetzte für die Zeitschrift „Der Brenner“ von 1920 bis 1923 mehrere Texte von Newman, nämlich:

  • „Der Glaube an Einen Gott“ (John Henry Newman Kardinal: Der Glaube an Einen Gott, übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Theodor Haecker, in: Der Brenner 6 (1920), S. 404-423),
  • „Der Glaube an die heilige Trinität“ (ders.: Der Glaube an die heilige Trinität, übersetzt von Theodor Haecker, in: Der Brenner, 6, 1920, S. 504-520),
  • „Über Gewissheit. Der Folgerungssinn“ (ders.: Über Gewissheit. Der Folgerungssinn, übersetzt von Theodor Haecker, in: Der Brenner, 6, 1921, S. 746-771) und
  • „Eine neue Form des Unglaubens“ (ders.: Eine neue Form des Unglaubens, übersetzt von Theodor Haecker, in: Der Brenner, 8, 1923, S. 20-42).

Des Weiteren übersetzte er Newmans „Philosophie des Glaubens“ und dessen Werk „Die Entwicklung der christlichen Lehre und der Begriff der Entwicklung“, beides jeweils mit einem Nachwort versehen (John Henry Kardinal Newman, Philosophie des Glaubens (An essay in aid of a grammar of assent). Mit einem Nachwort übersetzt von THEODOR HAECKER, München 1921; John Henry Kardinal Newman, Die Entwicklung der christlichen Lehre und der Begriff der Entwicklung. Mit einem Nach-wort übersetzt von Theodor Haecker, München 1922).

Hinzu kam der Aufsatz „Über Kardinal Newmans Glaubensphilosophie“ (Theodor Haecker: Über Kardinal Newmans Glaubensphilosophie, in: Der Brenner, 6, 1921, S. 772-790).

1938 und 1939 kamen die von ihm übersetzen Predigten „Die Kirche und die Welt“ und Texte „Der Glaube und die Welt“ von 1842 und „Die Religion des Tages“ von 1838 und schließlich – auch mit einer Einleitung versehen – „Der Traum des Gerontius“ heraus (John Henry Newman: Die Kirche und die Welt. Predigten. Deutsch von Theodor Haecker. Leipzig: Verlag Jakob Hegner 1938; ders.: Der Glaube und die Welt. Zum erstenmal ins Deutsche übersetzt von Theodor Haecker, in: Hochland 35/II (1937/38), 9 (Juni 1938), S. 173-182; ders.: Die Religion des Tages. Zum erstenmal ins Deutsche übertragen Theodor Haecker, in: Hochland, 36/I, 1938/39, 1 (Oktober 1938), S. 20-28; ders.: Der Traum des Gerontius. Übertragen und eingeleitet von Theodor Haecker. Freiburg im Breisgau 1939).

Posthum erschien Haeckers Übersetzung von Newmans „Historischen Skizzen“ (John Henry Kardinal Newman: Historische Skizzen, deutsch von Theodor Haecker, München 1948), mit einem Nachwort von Werner Becker.

Dietrich von Hildebrand (1922)

1922 gab Dietrich von Hildebrand Kardinal Newmans Vorträge über Philipp Neri heraus.

Gesammelte Werke im Theatiner-Verlag (1924/28)

1924 und 1928 erschienen der zweite und der erste Band der „Gesammelten Werke“, die im Auftrag des katholischen Akademiker-Verbandes von Daniel Feuling, Erich Przywara und Paul Simon im Theatiner Verlag herausgegeben wurden. Die „Briefe und Tagebücher bis zum Übertritt zur Kirche 1801-1845“ wurden von Edith Stein ins Deutsche, die „Betrachtungen und Gebete“ von Maria Knoepfler. Kurz nach dem verspäteten Erscheinen des ersten Bandes 1928 wurde der Theatiner-Verlag aufgelöst.

Heinrich Fries und Werner Becker: Newman-Studien (ab 1948)

Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass ausgerechnet zwei Guardini-Freunde Heinrich Fries und Werner Becker 1948 im Auftrag des Cardinal Newman-Kuratoriums für die erste Folge der Newman-Studien verantwortlich zeichnen.

Dem Cardinal Newman-Kuratorium gehörten außer Becker und Fries an:

  • Wilhelm Gulde, Matthias Laros, Ernst Musial, Erich Przywara und Gottlieb Söhngen. Werner Becker wirkte zu dieser Zeit gerade als Studentenseelsorger in Leipzig, Heinrich Fries als Dozent an der Universität Tübingen.
  • 1954 waren Bischof Julius Döpfner, Robert Grosche, Otto Karrer, die Newman-Arbeitsgemeinschaft der Abtei Weingarten (u.a. Paul Schneider) und Reinhold Schneider hinzugekommen.
  • 1957 folgten Valentin Pabst und Nicolas Theis, 1960 Franz Michel Willam.
  • 1962 präsentiert sich das „Internationale Cardinal-Newman-Kuratorium”, bei dem P.J.H. Walgrave, H. Fr. Davis, C.S. Dessain, B.D. Dupuy OP, Maurice Nédoncelle, Adrian J. Bookraed, Zeno OMCap., James Bastable, Hugo de Achával SJ, A.D. Culler und Alvan S. Ryan beteiligt sind.

Der ersten Folge wurde dabei das Manning-Zitat bei der Gedächtnisrede auf Newman im Jahr 1890 vorangestellt: „Cardinal Newman war ungezählten ein Bringer des geistigen Lebens, ein geistlicher Führer, Vater und Freund. Er hat die ewigen Wahrheiten im Transparent der Schönheit dargestellt” (Widmung, in: Newman-Studien. Erste Folge, hrsg. Von Heinrich Fries und Werner Becker, Nürnberg/Bamberg/Passau 1948, S. 5).

Gerl-Falkovitz zu Newman

  • Wahrheit, Gewissen, Geschichtlichkeit. J. H. Newman über Erkennen und Realisieren, in: Horst Seidl (Hrsg.): Erkennen und Leben, Philosophische Beiträge zum Lebensbezug menschlicher Erkenntnis, Hildesheim u. a. 2002, S. 209-230.
  • (Hrsg.), »Herz spricht zum Herzen.« John Henry Newman (1801-1890) in seiner Bedeutung für das deutsche Christentum, Annweiler 2002
    • Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Die Newman-Rezeption in den 20er Jahren in Deutschland: Edith Stein im Umkreis von Maria Knoepfler, Romano Guardini und Erich Przywara
    • Martin Brüske: Ist Newmans „Essay on the Development of Christian Doctrine“, eine Theorie der Dogmenentwicklung? Vorschläge zu einer alternativen Lesart des Klassikers
    • Günter Biemer, John Henry Newmans Aktualität
    • Alfons Knoll: „In Officio Caritatis“. Leben und Werk der Newman-Übersetzerin. Maria Knöpfler (1881-1927). 75 Jahre nach ihrem Tod
    • Bodo Windolf: „Apologia pro vita sua“. Newmans Ringen um die wahre Kirche Christi.
  • John Henry Newman - Der Geopferte: Ein anderer Blick auf ein großes Leben, 2015 (Zusammenfassung: Erst kürzlich wurde ein unbekannter Entwurf von Ida Friederike Görres (1901-1971) über den genialen John Henry Newman (1801-1890) entdeckt. Görres liest darin zwischen den Zeilen der Geschichtstdaten das Menschliche, Gefährdete, von Gott Angeforderte, das Kühne und Bittere, kurz, das Gesicht eines Heiligen)