Wilhelm Hagen

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Wilhelm Hagen (1893-1982) ist ein deutscher Sozialhygieniker, der als ihr "Altmeister" gilt. Während des Dritten Reiches war er von Januar 1941 bis Februar 1943 Warschauer Amtsarzt im deutsch besetzten Polen, Hochschullehrer und Präsident des Bundesgesundheitsamtes; außerdem Mitglied der freideutschen Jugendbewegung.

Biographie

  • Sohn eines Arztes
  • 1912 Studium der Medizin in Erlangen, München und Freiburg; dabei aktiv in der freideutschen Jugendbewegung
  • Studienunterbrechung zur Teilnahme am Ersten Weltkrieg; Einsatz im Reservelazarett
  • Vorsitzender des Bundes der Landsgemeinden, die Zusammenschlüsse älterer Wandervögel waren. Darin war er einer der wenigen Anhänger von Gustav Wyneken, während die meisten Mitglieder Anhänger des Jungdeutschen Bundes waren (Ahlborn und Link)
  • Redakteur der Bundes-Flugschriften „Landsgemeinde“ (1, 1916-); vgl. Wilhelm Hagen: Unser Ziel, in: Bund der Landsgemeinden, Juli 1916 (Flugschrift), S. 1f.
  • auch Veröffentlichungen in der Wandervogel-Führerzeitung, vgl. Wilhelm Hagen: Entwicklung und Bücher,in: Wandervogel-Führerzeitung, 5, 1917, S. 84-86
  • 1918/19 Veröffentlichungen in der Zeitschrift "Freideutsche Jugend"
    • /Gerhard Günther: Jugendgesetz und Jugendbewegung. Ein Aufruf und Arbeitsplan für die freideutsche Jugend zur Gestaltung deutschen Lebens, Hamburg 1918
    • „Der Typus inversus“. Zum ersten Band von Blühers „Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft“, in: Freideutsche Jugend 4/11, 1918, S. 401-410
    • Revolution, in: Freideutsche Jugend 5/1, 1919, S. 3-10
  • 1919 Mitglied der Vereinigung Sozialistischer Akademiker in München
  • Beteiligung an der Räterevolution sowie an der gemeinsamen Veranstaltung der „Freien Sozialistischen Jugend“ und der sozialistischen Studenten Münchens (Ulrich Linse: Die entschiedene Jugend 1919-1921. Deutschlands erste revolutionäre Schüler- und Studentenbewegung, 1981, S. 26)
  • 1921 Auseinandersetzung mit Guardini im Artikel "Müssen wir katholisch werden?" (in: Die Tat, 13, 1921, 6, S. 472-474)
  • 1921 Heirat mit Grete Pukowski
  • 1921 Staatsexamen und Promotion zum Dr. med.; anschließend Kreiskommunalarzt im Kreis Lennep
  • 1923 Stadtarzt nach Höchst am Main
  • 1925-1933 Stadtmedizinalrat Leiter der Kinder- und Jugendfürsorge in Frankfurt am Main
  • 1927 SPD-Mitgliedschaft
  • 1927-1929 zahlreiche Publikationen zu Jugendfürsorge, der Säuglingssterblichkeit und zu gesundheitlichen sowie „sozialen Aspekten problematischer Wohnverhältnisse“
  • 1929-1931 Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Akademie für Schulgesundheitspflege
  • 1930 Veröffentlichung der Schrift "Aufstieg und Abstieg des Menschenlebens"
  • 1931-1951: "Die Aufgaben der ärztlichen Berufsberatung"
  • 1932/33 Mitherausgeber der Fachzeitschrift Gesundheit und Erziehung
  • 1933: trotz Austritt aus der SPD Entbindung aus seinen Funktionen "wegen politischer Unzuverlässigkeit" und "kommunistischer Betätigung"; ebenso Entlassung aus seiner Stellung als Stadtmedizinalrat in Frankfurt; daher von 1933 an als praktischer Arzt in Augsburg
  • 1934 Ablehnung einer von ihm betriebenen Habilitation aus "politischen Gründen"; anschließend erfolgloser Versuch der Emigration
  • bis 1940 Übernahme der Arztpraxis seines verstorbenen Vaters in Augsburg
  • 1938 NSDAP-Mitgliedschaft
  • während des Zweiten Weltkriegs Dienstverpflichtung als Amtsarzt; ab Januar 1941: Stadtarzt von Warschau und Leiter des dortigen Gesundheitsamtes (Aly/Heim, Vordenker der Vernichtung, S. 216f.) als Nachfolger von Dr. Kurt Schrempf, der von Oktober 1939 bis Ende 1940 das Amt berüchtigt führte (siehe Pross/Aly: Der Wert des Menschen. Medizin in Deutschland 1918-1945, 1989, S. 307)
  • ab Anfang 1942 zudem Beauftragter für die Tbc-Bekämpfung im Generalgouvernement; dabei hielt er an der getrennten Versorgung von tuberkulosekranken Polen und Deutschen fest, setzt sich, wenn auch erfolglos für eine deutlich bessere Behandlung der Polen und gegen faktische oder geplante Grausamkeiten gegen Polen ein (vgl. Briefe an Reichsgesundheitsführer Leonardi Conti)
  • aufgrund der Erfolglosigkeit Bitte um Entbindung von seinem Posten; dazu wandte er sich am 7. Dezember 1942 sogar schriftlich an Adolf Hitler; daraus geht hervor, dass er sowohl von der gezielten Tötung der Juden wusste, sowie von einer geplanten Ermordung von 70000 alten Leuten und Kindern; dabei argumentierte er gegenüber Hitler mit dessen Aussagen in "Mein Kampf", dass ein Gegner, der nicht völlig vernichtet wird, durch Unterdrückung und Märtyrertums nur stärke würde, was angesichts von 15 Millionen Polen bei der Tötung ihrer alten Leute und Kinder der Fall wäre
  • Februar 1943: Nach der Denunziation seiner eigenmächtigen Gleichstellung von Polen und Deutschen in der medizinischen Behandlung Entlassung vom Posten des Amtsarztes in Warschau durch den Leiter der Abteilung Gesundheitswesen im Generalgouvernement Heinrich Teitge; außerdem sollte Hagen wegen staatsgefährlicher Ansichten für die Dauer des Krieges selbst in ein Konzentrationslager eingewiesen werden
  • Mit Unterstützung von Conti und anderen Einberufung zur Wehrmacht, um eine Verhandlung zu verhindern; bis zum Kriegsende Tätigkeit als Truppenarzt und Hygieniker bei der 6. Armee
  • nach Kriegsende zunächst wieder Praxis als Allgemeinmediziner in Augsburg
  • 1946/47 Entnazifizierung als "entlastet" in einem Spruchkammerverfahren
  • Bemühen um Wiedereinstellung in den öffentlichen Gesundheitsdienst der Stadt Frankfurt am Main
  • beratende Tätigkeit für die Bayerische Staatsregierung
  • 1948/49 Habilitation in München; anschließend Privatdozent für Sozialhygiene
  • ab 1949 Schriftleiter der Zeitschrift "Der öffentliche Gesundheitsdienst"
  • ab 1950 Ministerialrat in der Gesundheitsabteilung des Bundesinnenministeriums
  • 1951 Dozent an der Universität in München
  • 1952 Dozent für Gesundheitsfürsorge an der Universität in Bonn
  • 1956 bis 31. Oktober 1958 Präsident des Bundesgesundheitsamtes in Bonn
  • 1958 Ruhestand
  • 1961 Im Anschluss an die Buchpublikation durch Joseph Wulf "Das Dritte Reich und seine Vollstrecker. Die Liquidation von 500.000 Juden im Ghetto Warschau" (Berlin 1961) kam es zu einer, auch gerichtlichen Auseinandersetzung über die Rolle Hagens gegenüber den Juden im Warschauer Ghetto, der erst 1968 mit einem Vergleich beendet wurde. Die bisher ausgelieferten Exemplare durften unverändert belassen bleiben, während in Zukunft das Kapitel über Hagen nicht mehr erscheinen sollte.
  • 1978 Erscheinen seiner Autobiographie unter dem Titel "Auftrag und Wirklichkeit. Sozialarzt im 20. Jahrhundert"

Bibliographie zu Guardini

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