Guardini weiterdenken: Das Konzept der “Katholischen Demokratie” in der Rezeption, Antizipation und Explikation: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Romano-Guardini-Handbuch
 
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== Politische Geschichtsphilosophie und Sozialtheologie ==
== Politische Geschichtsphilosophie und Sozialtheologie ==
=== Humanisierung des Christentums und/oder Christianisierung des Humanen? ===
==== Die Position Guardinis: Das Christentum ist kein Typus unter anderen ====
Der biographisch-bibliographische Teil hat gezeigt, dass entgegen mancher Vorurteile, Guardini keineswegs ein Essentialist war, der “fast ahistorisch” gedacht habe und dem es “nicht um das Werden” gegangen sei [So beispielhaft die Kritik von Weiß, Otto: Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theolo-giegeschichte, Regensburg 1995, a.a.O., S. 535f.]. Es kommt nicht von ungefähr, dass in aller Regel dieselben, die ihm einerseits statisch-unhistorisches Denken vorhalten, ihm gleichzeitig ein “überkritisches Verhältnis zu Geschichte und Geschichtlichkeit” attestieren, einen “Argwohn gegen die Neuzeit”, der ihn “zum Gegner der `Moderne´ und der `Modernisten´“ gemacht habe [Ebd., S. 536]. Guardini sei – gemäß dieser Interpretationen - überzeugt gewesen, “dass die anthropologische Wende vorbei sei, und dass es gelte, der MODERNE den Kampf anzusagen”[Ebd., S. 538].
All das entspricht jedoch nicht dem hier vorgelegten Befund. Richtig ist vielmehr, dass Guardini von Anfang an dem “Logos” einen Vorrang vor dem “Ethos”, der “Wahrheit” vor der “Geschichte”, dem “Wesen” vor dem “Werden”, der “Essenz” vor der “Existenz” eingeräumt hat, aber immer nur einen Vorrang der Ordnung und ausdrücklich nicht einen Vorrang der Würde. So kann er gleichermaßen den religiösen Kurzschluss, also Integralismus des Mittelalters [Guardini, Welt und Person, S. 16], den Dualismus der Renaissance und den Autonomismus der Neuzeit kritisieren, und alles dies gerade mit dem Ziel, eine die lebendig-konkreten Gegensätze in Spannung haltende “anthropologischen Wende” das Wort zu reden, wenn man so will einer “zweiten”, vertieften und vertiefenden Wende, weg von einem einseitig polarisierenden Individualismus und Liberalismus einerseits bzw. Sozialismus und Kollektivismus andererseits, hin zu einer gleichermaßen Individualität und Sozialität, Liberalität und Kollektivität umfassenden Spannungseinheit.
Anders als zum Beispiel Herbert Werner Rüssel [Gestalt eines christlichen Humanismus. Amsterdam 1940; Zürich 1948; vgl. dazu König, René: Christlicher Humanismus: Herbert Werner Rüssel, in: Die Weltwoche, Jg. 16, vom 20. Februar 1948, S. 5; vgl. uu Rüssel auch: Antike Welt und Christentum, Amsterdam 1941; 1944], haben allem Anschein nach für Guardini die Begriffe “Christlicher Humanismus” bzw. “Humanistisches Christentum” selbst schon ein Problem dargestellt. Zumindest enthält er sich ihrer ebenso, wie er sparsam ist im Umgang mit Formeln wie „Christliches Abendland“, „Heiliges Reich“ oder auch schon "Christliche Kultur". Grund dafür ist, dass es ihm nie darum ging, den Humanismus zu verchristlichen oder das Christentum zu humanisieren. Guardini wollte vielmehr die Humanität und die Divinität als dem Menschen wesensgemäße, polare Beziehung darstellen und als aufgegebene Spannung aushalten. Guardini entwarf also einen Bogen zwischen Humanität und Divinität, ohne das eine nur neben dem anderen stehen zu lassen oder das eine in das andere hinein auflösen zu wollen. In anderen Worten: Der “neue Christ” wird ernst, demütig, asketisch und couragiert sein, oder er wird gemäß Guardinis Vision „nicht sein“. Entweder er löst die epochale Aufgabe, nämlich “Macht über Macht zu gewinnen” oder aber er geht in der Flut der Es-Mächte und Totalismen unter. Voraussetzung für den „neuen Christen“ ist eindeutig: “Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen.”
Guardini verband damit zwei weitere Einsichten. Er kennt die bereits von anderen vertretene Formel “Humanität ohne Divinität ergibt Bestialität”.
[1849 prägte Franz Grillparzer als Kritik an der „neuern Bildung“ das Epigramm: „Der Weg der neuern Bildung geht Von Humanität Durch Nationalität Zur Bestialität.“ (Franz Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. I, S. 500??? In Bezug auf Großschreibung!). Der ihm oft zugeschriebene Satz „Humanität ohne Divinität ergibt Bestialität“ ließ sich dagegen nicht nachweisen. 1852 schrieb Johann Wilhelm Hanne gegen jene Humanität, die in ihrer Opposition gegen alle Divinität den Staat zuletzt nothwendig in das Element der Bestialität zurücktreiben muss.“ Es gebe keine „Humanität, die sich im Indifferenzpunct zwischen Gott und Teufel, zwischen Geist und Fleisch, zwischen Divinität und Bestialität halten kann.“ (Johann Wilhelm Hanne: Zeitspiegelungen, 1852, S. 16). Auch Carl August Auberlen schrieb 1854: „Ohne Divinität ist auch keine Humanität möglich, sondern sie sinkt zur Bestialität herab.“ (Carl August Auberlen: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis …, 1854, S. 37. Wohl auch in ders.: Die biblische Lehre vom Reiche Gottes in ihrer Bedeutung für die Gegenwart, Basel/Biel 1859; siehe dazu die Rezension von 1861, in: Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche, 1861, Bd. 22, S. 332: „Ohne Divinität sinkt die Humanität zur Bestialität herab.“) Der Gedanke der Entartung zur Bestialität wird dagegen von Hermann F. Müller bereits Johann Gottfried Herder (+ 1803) zugeschrieben: „Humanität ohne Divinität entartet zu Bestialität“ (vgl. Hermann Müller: Gotthold Ephraim Lessing und seine Stellung zum Christenthum, 1996, S. 72). Friedrich Schleiermacher (+ 1834) soll diesen Satz weiterverwendet haben mit der Formulierung: „Humanität ohne Divinität führt zur Bestialität“ (diese „führt“-Form findet sich auch: Mittheilungen und Nachrichten für die evangelische Geistlichkeit …, 1878, S. 7.). Andererseits wird Schleiermacher (in: Zeitenwende, Bd. 11, S. 336) die Form: „Humanität ohne Divinität ist Bestialität“ zugeschrieben. Diese „ist“-Form soll laut Sören Holm (Holm, Sören: Gott und die Werte, in: Cornel J. Bock (Hrsg.): Die Rolle der Werte im Leben. Festschrift für Johannes Hessen zu seinem 80. Geburtstag, Köln 1969, S. 40-52, hier S. 50) auch Bischof H. L. Martensen (+ 1884) verwendet haben. So scheint es bereits im Theologischen Literaturblatt, 1880, Bd. 1-3, S. 147 zu stehen. Wilhelm Baur fasst 1883 zusammen: „Verständige Männer sollten doch die Erfahrung schon gemacht haben, dass Humanität ohne Divinität Bestialität wird, dass die Menschlichkeit, ohne in dem Gottmenschen zu wurzeln, in thierische Rohheit entartet.“ (Baur, Wilhelm: Von der Liebe. Ein Zeugniß für lebendiges Christenthum, Frankfurt am Main 1883, S. 279). Franz Werfel hielt schließlich am 14. Januar 1939 in Paris seinen Vortrag “Ohne Divinität keine Humanität”, abgedruckt in Englisch mit dem Titel: The Idea of God and the Human Ideal, in: Poet Lore, v. 34, Nr. 3/4, S. 334-338; dann in: Zwischen Oben und Unten. Prosa. Tagebücher. Aphorismen. Literarische Nachträge, München/Wien 1975, S. 546-553, hier S. 548: „Ohne Divinität gibt es keine Humanität, so wie es ohne transzendental gebundene Menschenliebe keinen echten Sozialismus geben kann.“]
Doch Guardini ergänzt diese Formel sinngemäß durch seine These, dass „Divinität ohne Humanität“ Despotie ergibt. Ohne Humanität gebe es keine Freiheit und ohne Freiheit keine Humanität. Er steht auch hier wieder den evangelischen Theologen Tillich und Bonhoeffer nahe, deren Denken stimmig zusammengefaßt wurde mit dem Epigramm:
''„Wer klein vom Menschen redet, um groß von Gott reden zu können, ist auf dem Holzweg. Divinität auf Kosten von Humanität führt zur Bestialität“''[Merkur, 29, 1975, S. 464; muss noch überprüft werden???]
Dennoch gilt für Guardini weiterhin, dass bei aller gegenseitigen Verwiesenheit und gleicher Würde der ordnende Primatsgedanke unabdingbar bleibt: „Divinität“ vor „Humanität“ bei gleicher Würde.
Guardini vertrat seine eigene Position jenseits eines integralistisch-extremen “christlich-theistischen Humanismus”, jenseits eines nicht minder integralistisch-extremen “marxistisch-atheistischen Humanismus”, aber auch jenseits eines “agnostisch-anthropozentrischen” bzw. “humanen Humanismus” und dessen ganz in der kantisch-hegelianischen Tradition stehendes abstraktes Gottesbild. Demgegenüber ist ein “katholischer” Humanismus – „katholisch“ nicht im konfessionellen oder religiösen, sondern im systemischen Sinne – ein Humanismus, der die Existenz objektiver Werte und die Polarität des Daseins im Blick behält und somit den Blick auf das Ganze sucht.
Max Müller konstatierte daher völlig zu Recht, dass Guardini seinen eigenen Weg gegangen sei, weil aus seiner Sicht sowohl Modernismus als auch Anti-Modernismus das Phänomen des Christlichen verfehlten:
''“Einmal sollte die EIGENTÜMLICHKEIT RELIGIÖSER ERFAHRUNG in ihrer Unableitbarkeit aller Metaphysik und Psychologie gegenüber phänomenal herausgestellt, dann aber in einem zweiten Schritt die EIGENART CHRISTLICHEN GLAUBENS in seiner Unvergleichbarkeit gegenüber jeder allgemeinen religiösen Erfahrung des Numinosen aufgezeigt werden"''[Max Müller: Erfahrung und Geschichte, S. 533].
Gerade Guardini habe ihm als Student in Berlin - also ab 1925 - dabei die Entdeckung der Geschichtlichkeit des Christentums in diesem Sinne nahegebracht, “dass katholisches Christsein NICHT SYSTEM einer Weltanschauung sei, SONDERN eben GESCHICHTE”, genauer “Mitgang in einer Geschichte”[Max Müller: Auseinandersetzung als Versöhnung, S. 80. Müller grenzt sich hier ausdrücklich gegen Heidegger ab, der eben gerade das nicht verstanden, sondern das Christsein der Kirche als System angesehen habe]. Guardinis Ausruf “Mit Jedem fängt die Geschichte neu an” stellt also die personale Verantwortung in den Mittelpunkt der Geschichte, sowohl der Heils- als auch der Weltgeschichte. Entscheidend werde sein, dass “das Personale ein Zukunftswort” darstellt, “eine Chance, die wir noch nicht ergriffen haben, eine Chance in einer immer mehr institutionalisierenden Welt, durch deren Realisierung diese Welt allein ihre Lebendigkeit bewahren kann und nicht zum leeren mechanischen Ablauf wird und nicht nur noch Spielraum oder gar nur Gehäuse notwendigen Ablaufs ist”[Max Müller: Die Person und die Institutionen, in: H. H. Kaiser/J.-E. Pleines (Hrsg.): Gedanken aus der Zeit, Würzburg 1986, S. 109].
Auch Guardinis Freund Victor Emil Freiherr von Gebsattel hielt in seiner - ausdrücklich an Guardini anschließenden [Dass Guardini gleich in der ersten Fußnote erscheint, ist dabei nur ein formales Indiz (mit Verweis auf Guardini: Der Heiland, Schildgenossen 1934), der ganze Text stellt eine sichtliche Referenz an Guardini dar] - Studie “Christentum und Humanismus” [Stuttgart 1947] als Ergebnis fest:
''“Die alte Feindschaft der Gegensätze, die des Christlichen gegen das Humane (vergleiche Reformation) und die des Humanen gegen das Christliche (vergleiche den historischen Humanismus), hat den Menschen zerrissen, ohne dass er erkennen konnte, was mit ihm geschah. Durch diese Feindschaft wurde das Christliche depotenziert und entmächtigt, das Humane aber in eine Aufstandsbewegung gegen Gott, die Kirche, die Wahrheit, das Gute, die Gerechtigkeit, die Liebe gedrängt. Es sagt sich so leicht dieses Wort von der Synthesis des Humanen und des Christlichen! Aber man muss die Zerrissenheit der einzelnen Seelen als Priester oder Arzt kennen, um zu wissen, was für gewaltige Aufgaben die Forderung in sich schließt, den Streit der feindlichen Gegensätze in die lebendige Spannung eines Bundes zu überführen. ... Dass im Menschen zwei unvereinbare Wesensbilder, zwei idealtypische Grundmöglichkeiten des Menschseins miteinander streiten, macht ihn zum Schauplatz eines Kampfes, der Psychotherapeuten als `Konfliktneurose´ entgegentritt. ... Es ist der alte Kampf zwischen Humanismus und Christentum, dem wir in den einzelnen Seelen begegnen. ... Die Synthesis von Humanität und Christentum ist darum nichts Selbstverständliches, sondern eine Leistung des menschlichen Geistes. Humanisierung des Christentums und Christianisierung des Humanen, das ist die Aufgabe, die aber nur zu lösen ist, wenn der Mensch, ohne seine Natur zu vergewaltigen, seine Souveränität und seine Autonomie der Gottes unterstellt”''[Ebd. S 173 ff.].
Vermutlich hätte Guardini wohl die “lebendige Spannung eines Bundes” im Blick auf die Hegelschen Konnotationen des Begriffs nicht mit “Synthesis” wiedergegeben, inhaltlich steht Gebsattel aber mit dieser Deutung gänzlich in Guardinis Gegensatzlehre. Tatsächlich verbieten sich im Anschluss an Guardini aus christlicher Sicht jegliche Experimente und Versprechungen einer “Gesellschaft ohne Gott” bzw. eines “Humanismus ohne Gott”[Siehe zum Beispiel Joachim Kahl: Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott, Reinbek 1968; dagegen schon 1950: Henri de Lubac: Die Tragödie des Humanismus ohne Gott: Feuerbach, Nietzsche, Comte, und Dosotjewsky als Prophet, Salzburg 1950; ders., Über Gott hinaus. Tragödie des atheistischen Humanismus, übertragen von Eberhard Steinacker, durchgesehen und ergänzt von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1984]. Denn ein in absolut-autonomistischen Sinne selbststolzer bzw. selbstherrlicher Humanismus gebiert sich als Pseudoreligion in der Form einer eigenständigen, nicht selten politischen und politisierten “Religion ohne Gott”, also in jenem “politischen Atheismus”, wie ihn Marcel Reding – dabei wie gesehen selbst unter dem Einfluß Guardinis stehend - eindringlich beschrieben und kritisiert hat [Marcel Reding: Der politische Atheismus, Graz/Wien/Köln 1957].
Wenige haben wie Müller, von Gebsattel und Reding diese eigene Position Guardinis treffend beschrieben. Der eigene Weg Guardinis liegt folglich vor allem in seinem Versuch, Christentum und Humanismus durch einen „trinitarischen Humanismus“  zu versöhnen. [Dieser Begriff wurde von Lothar Roos geprägt; vgl. dazu unter anderem: Lothar Roos: Trinitarischer Humanismus als theologische Mitte einer christlichen Gesellschaftslehre, in: Michael Böhnke/Hanspeter Heinz (Hrsg.): Im Gespräch mit dem dreieinen Gott. Elemente einer trinitarischen Theologie. Festschrift zum 65. Geburtstag von Wilhelm Breuning, Düsseldorf 1985, S. 457-480.
Diesen Versuch haben viele seiner Wegbegleiter und Freunde erkannt und vertieft, andere hingegen verkürzt, wesentlich verändert, aufgrund der fehlenden Verankerung in Guardinis Gegensatzlehre polarisiert oder aufgrund der fehlenden Kenntnis der Werkgenese schlicht und einfach übersehen.
==== Abgrenzungen und Auseinandersetzungen ====
===== Jacques Maritain: "Christlicher Humanismus" als „Integraler Humanismus“ =====
Auch Jacques Maritain entwarf seinen “christlichen Humanismus”  als einen dritten Weg zwischen Individuum und Kollektiv, Glauben und Verstehen, Denken und Handeln [Jacques Maritain: Humanisme integral, 1936. Dieses Werk beruht auf einer Vortragsreihe im Jahr 1934 und bereits 1935 erschien es auf spanisch unter dem Titel „Problemas espirituales y temporales de una Nueva Cristianda“; Jacques Maritain: Sozialistischer Humanismus und Integraler Humanismus, 1948 (Nachlass); ders., Christlicher Humanismus. Politische und geistige Fragen einer neu-en Christenheit, Heidelberg 1949; (2)1950. Vgl. dazu Oscar De Castro Sarria: Die politische Lehre von Jacques Maritain und die Problematik einer christlichen Politik, München Diss. 1971].
Der aus der Reformation, der Renaissance und der Aufklärung hervorgegangene anthropozentrische „unhumane“ Humanismus vernachlässige das Heilsverlangen des Menschen und verkürze ihn um seine geistige Dimension.
''„Die erste Art von Humanismus erkennt an, dass Gott der Mittelpunkt des Menschen ist. Er schließt die christliche Auffassung vom sündigen und erlösten Menschen ebenso ein wie die christliche Auffassung von Gnade und Freiheit, an deren Ursprünge wir erinnert haben. Die zweite Art von Humanismus glaubt, dass der Mensch selber die Mitte des Menschen und also aller Dinge ist. Sie schließt eine naturalistische Auffassung des Menschen und der Freiheit ein“''[Jacques Maritain: Christlicher Humanismus, Heidelberg 1950, S. 22f.].
Der zweite Humanismus habe im 20. Jahrhundert einen „revolutionären Höhepunkt“ erlebt in Form jenes materialistischen Umsturzes, „wo der Mensch, der seine letzte Bestimmung mit Entschiedenheit in sich selbst verlegt und die Maschine dieser Welt nicht mehr ertragen kann, einen verzweifelten Krieg entfacht, um aus einem radikalen Atheismus eine völlig neue Menschheit erstehen zu lassen“[Ebd., S. 26]. Und so finde man am Ende dieser „säkularen Geschichtsentwicklung“ an der Grenze „zwei reine Einstellungen“: die „rein atheistische“ und die „rein christliche Einstellung“[Ebd., S. 28]. Dabei erkennt er als rein christliche Position nur die thomistische an, den er in seinem theozentrischen „Humanisme intégral“ fortführen möchte, um damit den unhumanen Humanismus zu überwinden und zu einem „gesunden“ Humanismus zurückzukehren [Ebd., S. 55].
Grundsätzlich stimmte Maritain mit Guardini darin überein, dass es zur Bewältigung dessen, was ein neues Zeitalter der Christenheit fordert, einen Entwurf einer politischen Theologie bedürfe, in der dem Christen eine besondere Aufgabe und Verantwortung als Christ und Bürger zuteil werde [Ebd., S. 74-78]. Auch kann man mit Maritain durchaus die Unterscheidung zwischen einer - im Kreis um Carl Schmitt - politischen Theologie und der von ihm und anderen in Frankreich entwickelten "théologie politique" nachvollziehen, wobei fraglich bleibt, ob tatsächlich der Unterschied darin besteht, dass letztere im Anschluss an Thomas von Aquin die Politik trotz Unterordnung unter die Theologie auch als etwas Profanes auffasst, während "der deutsche Sinn des Ausdrucks politische Theologie [...] im Gegensatz dazu der" sei, "daß das Objekt selbst, um das es geht, in Wirklichkeit nicht profan und zeitlich ist. Das Objekt selbst ist heilig"[Maritain, Christlicher Humanismus, 1950, S. 78].
Doch gerade in der Ausgestaltung dieser politischen Theologie zeigen sich eben die Unterschiede zwischen Guardini und Maritain. Maritain war laut Peter Nickl davon überzeugt:
''„Nur das Christliche kann das Politische in die Schranken weisen – indem es nämlich alle weltlichen Handlungsziele der Welt subordiniert, die in diesen niemals aufgeht, weil die Person ihren letzten Bezugspunkt in der Person Gottes, in einer überzeitlichen Lebensgemeinschaft und nicht in einer bestimmten politischen Organisationsform findet“''[Peter Nickl: Jacques Maritain. Eine Einführung in Leben und Werk, Paderborn u.a. 1992, S. 105]
Im Unterschied zu Maritain, der also nahezu ausschließlich “theozentrisch” und “integral” orientiert dachte, richtete Guardini die Humanität klar “trinitarisch” und insbesondere “christozentrisch” aus. Daher konnte er entschiedener als Maritain im Umkehrverfahren auch gegen Klerikalismus und Integralismus innerhalb der Kirche und im Bereich des “politischen Katholizismus” eintreten. Mit seiner Gegensatzlehre entging Guardini außerdem der dialektischen Gefahr, die Freiheit des Menschen einseitig von Gott her zu determinieren, ebenso wie der Gefahr einer existentialistischen Variante, den Menschen - nicht weniger “integralistisch” - als den von wem bzw. von woher auch immer in die Welt “Geworfenen” zu betrachten [Vgl. Sartre, 1946 und in “deutscher Version”: Martin Heidegger: Über den Humanismus Frankfurt am Main 1947]. Nicht zuletzt entging Guardini auch einem “sozialistischen Humanismus" oder gar einem “marxistischen Humanismus", der keineswegs zufällig – so zum Beispiel explizit bei Gramsci – ebenfalls wie bei Maritain unter dem Begriff des “integralen Humanismus” auftrat und bei Lenin und Stalin "gewalttätig" wurde. [Vgl. zum Themenfeld bereits Lion Feuchtwanger: "Lenin und der sozialistische Humanismus" (Zu Lenins Todestag), Januar 1939 (Typoskript, 4 Seiten); Johannes Messner: Marxistischer Humanismus, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, Wien, Bd. 17, 1967, 330-342; Iring Fetscher: Verdirbt Religion den Menschen?: marxistischer und christlicher Humanismus. Iring Fetscher antwortet Werner Post, Düsseldorf 1969; Jörg Splett: Zum Humanum im Christentum und im Marxismus: Kirche in Not XXII. Humanismus - Marxismus - Christentum. Königstein 1974, 11-32; Erich Fromm: Humanismus als reale Utopie - Der Glaube an den Menschen, München 1992 (Schriften aus dem Nachlass, Bd. 8); ders.: Sozialistischer Humanismus und Humanistische Ethik, 1981 (Gesamtausgabe, Bd. 9)]. Guardini analysierte treffsicher, dass es im Existentialismus und Kommunismus aufgrund der nahezu “reinen” Anthropozentrik zu einem integralistischen Absolutismus bzw. Totalismus kommen müsse [[Vgl. dazu Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie II, Paris 1972; Frankfurt 1999, S. 45-56: In einem Gedenkvortrag über Rousseau spricht Lévi-Strauss vom “Teufelskreis des anthropozentrischen Humanismus”, wobei er nicht die Abgrenzung vom Göttlichen im Blick hat, sondern die Abgrenzung vom Animalischen].
Unabhängig davon bekannte sich Maritain gleichermaßen wie Guardini bereits ab Mitte der dreißiger Jahre zur Demokratie und zu den Menschenrechten [Vgl. dazu Maritain, Christianité et democratie, 1943; engl. Christianity and Democracy, 1945; deutsch: Christentum und Demokratie, 1949; ders.: Les Droits de l'homme et la loi naturelle, 1942; ders.: Die Menschenrechte und das natürliche Gesetz, Bonn 1951]. Wie gesehen wirkte Maritain wesentlich an der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ mit.
Der Unterschied wirkte sich daher weniger auf das Verständnis von Staaten und internationaler Staatenordnung aus, als vor allem in der "politischen Ekklesiologie" aus und zeigte sich an der unterschiedlichen Einschätzung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen Ergebnisse Maritain ähnlich wie Dietrich von Hildebrand wesentlich kritischer sah als Guardini.
===== Eduard Sprangers „neuer" und "dritter Humanismus“ =====
Auch Guardinis Kollege Eduard Spranger war Zeit seines Lebens der Idee eines „echten“ “christlichen Humanismus” verpflichtet, auch wenn er seine Humanitätsauffassung erst in seinen späteren Arbeiten stärker religiös begründet hat [Eduard Spranger: Christentum und Humanität, 1949; Vgl. dazu: Hein Retter: "Kulturprotestantismus - Mystik - Gewissensethik - Sprangers christlicher Humanismus und der Protestantismus heute", in: Gerhard Meyer-Willner (Hrsg.): Eduard Spranger. Aspekte seines Werks aus heutiger Sicht. Klinkhardt-Verlag, Bad Heilbrunn 2001; vgl. dazu auch schon: Werner Wilhelm Jaeger: Im Zeichen eines neuen Humanismus, in: Eduard Spranger. Bildnis eines geistigen Menschen unserer Zeit. Festschrift zum 75. Geburtstag, Heidelberg 1957, S. 24-30]. Er prägt dafür - mit seinem Freund Werner Jaeger [vgl. Werner Jaeger: Antike und Humanismus [1925], in: Hans Oppermann (Hrsg.): Humanismus. Darmstadt 1977, S. 18–32] - die Formel vom "dritten Humanismus", im Unterschied zum erste, dem Althumanismus, und zum zweiten, dem Humanismus im Umfeld von Wilhelm von Humboldt. Sie stammt aus Sprangers 1921 gehaltenen Rede: "Aber ein Unterschied unseres Humanismus, den man den dritten nennen könnte gegenüber jenem zweiten, liegt in der Weite des Suchens und des Verstehens, das wir Modernen aufzubringen vermögen"[Eduard Spranger: Der gegenwärtige Stand der Geisteswissenschaften und die Schule, 1922; hier (2)1925, S. 7].
Von der liberalen Theologie des Kulturprotestantismus herkommend stellte für Spranger das Christentum bei aller Toleranz weiterhin “die universale und die höchste aller Religionen” dar [Ebd., S. 149]. Wie Guardini distanzierte er sich aber von der kulturverneinenden “dialektischen Theologie” ebenso wie von der sogenannten “Luther-Renaissance”[Ebd., S. 149-152]. 
''„Der christliche Humanismus aber glaube, im Gegensatz zur dialektischen Theologie, `weder an das absolut Böse im Menschen, noch an seine wesensmäßige Güte. Der Mensch schwebt immer gefährdet zwischen Gut und Böse. Deshalb soll man ihm das Gewissen schärfen und ihm sagen, dass im echten Gewissen Gottes Stimme ist´“''[Eduard Spranger: Gesammelte Schriften: Philosophie und Psychologie der Religion, 1969, S. 407 f.]
Spranger mahnte, die Parole von der „Rückkehr zur Humanität“ nicht zu einem leeren Schlagwort verkommen zu lassen. Es gelte sich daran zu erinnern, „dass dieses Ideal eine entschiedene Anknüpfung ans Metaphysische einschließt, wenn es nicht gar als Säkularisierung des alten christlichen Menschenbildes aufzufassen ist. Humanität nämlich deutet gerade auf das Mehr-als-Menschliche, auf eine Bindung, die im innersten der Seele zu höheren geistigen Mächten besteht, wie es am deutlichsten in der Gewissensbildung zum Ausdruck kommt“[Eduard Spranger: Volksmoral und Gewissen, 1948; Pädagogische Rundschau, 1983, S. 421; Gesammelte Schriften: Staat, Recht und Politik, 1970, S. 313].
''„Nunmehr rückt in den Mittelpunkt der von innen heraus selbständig stellungnehmende Mensch. Für ihn kommt es darauf an, dass er auf die Stimmen in seinem Inneren hinhört und die Bindungen heilig hält, die ihn dort umfangen. Bindung aber heißt auf lateinisch religio. Damit ist nicht nur die wesentliche Struktur des abendländischen Menschen ausgesprochen, sondern auch das zentrale Ordnungsproblem, mit dem Europa zu ringen hat.“''
Ganz der Gegensatzlehre Guardinis entsprechend formuliert, bezieht Spranger diese Bindungen und ihre politisch-theologischen Implikationen nun auf den „westlichen Menschen“:
''„Der westliche Mensch unterliegt ZWEI Bindungen – einer äußerlich-politischen und einer innerlich-religiösen. Diese Spannung muss ausgehalten werden, oder das Eigentümliche des Abendlandes geht zugrunde. Die beiden Extreme wären: die absolut weltflüchtige Kirche und der völlig verweltlichte Staat. Die Wirklichkeit zeigt nur Mittelformen: in jedem Staat etwas von Schutz der religiösen Sphäre der Person, in jeder Kirche etwas von weltlichem Regiment. Es gibt da keine absolute Lösung; das Wichtigste ist, dass die Spannung selbst immer lebendig bleibt“''[Eduard Spranger: Gesammelte Schriften: Geist der Erziehung, 1980, S. 199; Pädagogische Perspektiven: Beiträge zu Erziehungsfragen der Gegenwart, 1951, S. 14].
Der “mystische Grundzug seines religiösen Empfindens” und die “metaphysische bzw. religiöse Dimension” in seinem Denken führten Spranger zu einer deutlichen Distanzierung vom Nationalsozialismus [Ebd., S. 157, 159 f.]. Nach 1945 grenzte er seinen “christlichen Humanismus” ausdrücklich von “falschem Kulturstolz”[Ebd., S. 162] ab und konzentrierte sich auf die “Gewissensbildung”[Ebd., S. 163 ff.]. So wurde Spranger im “Rückgriff auf den Neuhumanismus und die deutsche Klassik” zu einem bedeutenden konservativen Kapitalismus- und Kulturkritiker [Ebd., S. 166 f.].
Aber auch ihm gegenüber ging Guardini noch einen Schritt weiter. Bei aller Wertschätzung der antiken und der deutschen Klassik, bei aller Betonung der “Gewissensbildung” als Selbstbildung und bei aller Kapitalismus- und Kulturkritik versuchte Guardini auch in diesen Fragen erneut polar anzusetzen, und daher auch die antike und deutsche Romanik, die Wertschätzung der Tradition, eine bei aller Kritik bejahende Haltung zur Wirtschaft und zur Kultur mit einzubeziehen und in eine Spannungseinheit zu bringen. Romantisch waren dagegen für Guardini all jene Versuche, die im einseitigen Rückgriff auf eine der beiden Traditionen einen Widerspruch konstruierten. “Zu romanische” oder “zu klassische”, “zu antike” oder “zu germanische” Systeme verfolgten absolute Widersprüche, wo nach Guardini aber nur relative Gegensätze vorhanden sind. Sie diagnostizierten “romantischen” Ungeist zwar beim Feind, aber in einer Art und Weise, die selbst romantisch ist, erneut gemäß dem Nietzsche zugeschriebenen Motto: Wer verfolgt, folgt.
Dies gilt insbesondere auch im Blick auf Carl Schmitt, den Guardini wie gesehen ausdrücklich als “allzu romanisch” ansah. Schmitt habe zwar die “politische Romantik” der Gegner zutreffend diagnostiziert; da er sie aber gänzlich polemisch als “Feinde” stigmatisierte und dafür überall nach “Freunden” suchte, sei er in seinem Kampf gegen den „anti-römischen Affekt“ selbst dem romantischen Ungeist verfallen und erlegen. Diese Kritik an der Vereinseitigung trifft im Rahmen seiner Gegensatzlehre aber eben nicht nur Carl Schmitt, sondern auch die jeweiligen Antipoden.
So wundert es dann auch nicht, dass Eduard Spranger in der Weimarer Republik noch Carl Schmitts Parlamentarismus- und Liberalismuskritik zustimmend rezipierte. Erst nach 1945 gestand er Schmitt zwar noch zu, "überaus geistvoll zu sein", sein Wesen und seine Persönlichkeit seien jedoch "undurchsichtig" [Vgl. dazu Carl Schmitt, Gespräch mit Eduard Spranger, in ders.: Ex Captivitate Salus, 1950, S. 13]. Wie gesehen, kritisierte auch Guardini den Parlamentarismus, aber nicht grundsätzlich, sondern allein als Frage des "politischen Stils" in der Auseinandersetzung. Einen Satz, wie den von Eduard Spranger aus dem Jahr 1924 ("Die echte Jugendbewegung lehnt bekanntlich die Parteien ab. Diesen Standpunkt begründet sie durch ihren Gegensatz zu dem unorganischen, rechenhaften Stil des heutigen deutschen Parlamentarismus."), hätte Guardini für sich und für die katholische Jugendbewegung nie ausgesprochen.
===== Heinz Robert Schlettes „Humanismus der Zukunft“ =====
Wenn der Bonner Philosoph [[Heinz Robert Schlette]] (* 1931) in seiner Heinrich Lutz freundschaftlich gewidmeten Schrift "Christen als Humanisten" sich im Vorwort gegen die Erklärung wendet, "der Humanismus der Zukunft werde (oder müsse) der marxistische" - oder auch der buddhistische – sein, und diesen Anspruch als "uniformistisch und wahrscheinlich auch als totalitär" zurückweist, schließt er in diese Ablehnung auch die Rede vom "christlichen Humanismus" mit ein. Schlette will aufzeigen, "dass auch dieser Anspruch das Wirkliche und das Mögliche verkennt." Das Christliche müsse stattdessen “eine andere geschichtliche Gestalt" annehmen, durch die es dann "befähigt wird, für einen humanen Humanismus einzutreten, dessen wir in Wahrheit bedürfen." [Heinz Robert Schlette: Christen als Humanisten, München 1967 (Theologische Fragen heute; 11), S. 7]
Schlette erneuerte dabei ausdrücklich die verschiedentlich und auch von ihm selbst an Romano Guardini geäußerte Kritik. So schreibt Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: ''"Die Ablehnung der Neuzeit in ihrem Denken, das eine Mischung von Hybris und Autonomie sei, wurde Guardini verschiedentlich vorgeworfen, zuerst in der Kritik Clemens Münsters, später auch durch Heinz Robert Schlette, Heinrich Lutz und Michael Theunissen. Die Kritik läuft darauf hinaus, dass Guardini das Mittelalter zu sehr idealisiert und dagegen die Neuzeit in ihrer Komplexität, worin das Christentum ebenfalls eine hervorragende Rolle spielte, zu vereinfacht gezeichnet habe. Dieser Kritik wird man zustimmen müssen, ebenso dem Vorwurf, Guardini sei in seiner Analyse weithin von geisteswissenschaftlichen und kulturphilosophischen, nicht aber von gesellschaftlichen und politischen Gesichtspunkten ausgegangen.“'' Andererseits verteidigte er ihn im Blick auf sein Festhalten an der „Möglichkeit der Rettung“: ''„Hält man aber im Blick, dass Guardini sein Buch mit dem Gedanken schrieb, 'in jeder Zeit die Möglichkeit der Rettung zu sehen' (Unsere geschichtliche Zukunft, 28), so ist Zuversicht das ausschlaggebende theologische, nicht politische Motiv. 'Die Zuversicht ist mir sehr langsam erwachsen; vielleicht ist sie deshalb so lebendig.' (ebd.)"'' [Gerl-Falkovitz, Romano Guardini, 1885-1968: Leben und Werk, 1985, S. 342 f.]
Schlette kritisierte daher natürlich konsequent auch Jacques Maritains Schrift “Humanisme intégral” [Maritain, Paris 1936; deutsch: Heidelberg 1950], aber auch Hugo Rahners “Abendland”-Schrift [Rahner, Freiburg/Basel/Wien 1966, S. 11-68], Helmut Kuhns Aufsatz “Humanitas christiana” aus der Guardini-Festschrift [Kuhn, in: Guardini-Festschrift, 1965, S. 151-171] und - in theologischer Opposition, aber gleicher ethischer Ausrichtung - Karl Rahners Text “Christlicher Humanismus” [Rahner, in: Orientierung, 30, 1966, S. 116-121]. 
Dabei würdigte Schlette Guardinis “Ende der Neuzeit” als durchaus zutreffende kulturphilosophische Diagnose der Neuzeit: ''"Die Bedenken, die Guardini hier und an anderer Stelle vorbringt, sind nicht aus der Luft gegriffen, und die Beschreibung der konkreten Entwicklungen und Probleme, die er bietet, scheint mir durchaus zutreffend."'' Auch anerkennt er ''"den Versuch, das Positive der Neuzeit zu retten" [Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 39].
Indem Schlette aber im weiteren Verlauf ausgerechnet für Metz und dessen "Christliche Anthropozentrik" [München 1962] das Wort ergreift [Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 48], während er Guardini zusammen mit Alfons Auer sowie mit Gilson, de Lubac, Maritain, Wust, Steinbüchel und Balthasar [ebd., S. 40] ausdrücklich als überholt „ad acta“ legt, begeht er einen Kurzschluss. Dieser hat seine Ursache darin, dass Schlette eben den politisch-theologischen Kontext von Guardini völlig außer Acht lässt, während er gleichzeitig den Kontext der politischen Theologie von Metz völlig unkritisch übernimmt. Zwar erkennt er mit Metz an, dass “die Hominisierung der Welt” - anders als der Marxismus und andere moderne Utopien und Weltanschauungen dies irrigerweise annehmen - noch nicht “die Humanisierung der Welt” bedeute [ebd., S. 48 in Bezug auf Metz, Die Zukunft des Glaubens in einer hominisierten Welt, in: Hochland, 56, 1963/64, S. 377-391; dann in: ders. (Hrsg.): Weltverständnis im Glauben, Mainz 1965, S. 60f.; vgl. auch: Weltverständnis im Glauben. Christliche Orientierung in der Weltlichkeit der Welt heute, in: Glaube und Leben, 35, 1962, S. 165-184; vgl. Schlette, Wird die Welt christlicher? Anzeichen einer strukturalen Homogenität, in: Veränderungen im Christentum, Olten-Freiburg 1969, S. 117-130]. Doch hält er mit ihm auch daran fest, “dass wir auf eine mondiale Einheitsstruktur der Welterfahrung zugehen, die die Möglichkeit besseren gegenseitigen Verstehens in sich schließt, die die Chance des weltweiten Friedens enthält, die endlich auch die Voraussetzungen für ein ehrliches Gespräch, für einen freien Wettstreit und die Wahrheit und damit für ein glaubhaftes christliches Zeugnis bedeutet”[ebd., S. 49]. Diese Möglichkeit besteht aber nur, wenn man gleichzeitig die christliche Religion stärker funktionalisiert, und somit wieder ganz hegelianisch den “Ethos” vor den “Logos” setzt. Das sich so unterschiedlich positionierte politisch-theologische Denker wie Metz, Gogarten und Lübbe [ebd., S. 50] gerade darin einig sind, sollte zu denken geben, gerade weil sie sich im Blick auf die konkrete Gestalt – auf der einen Seite Zivilreligion, die Religion des Bürgers bzw. die Bürgerreligion, auf der anderen Seite die Religion der Neuen Sozialen Bewegungen - einen erbitterten Kampf liefern [Vgl. Eicher, Peter: Bürgerliche Religion, München 1983]. 
In seinem Ansatz muss Schlette sich am Ende seiner Studie konsequenterweise mit Karl Poppers These auseinandersetzen, nachdem Geschichte keinen Sinn habe, außer wenn Menschen ihr einen verleihen. In der säkularen Welt, in der Weltlichkeit der Welt heute, muss er, um sich gegen den angeblichen Positivismus Poppers abzugrenzen, die “deutende Entgegennahme eines vorentworfenen, jedoch von uns nur retrospektiv erfahrenen Geschichtszusammenhangs, als dessen anfänglicher, bleibender und künftiger `Grund´ immer deutlicher der eine Gott Israels erkannt und bezeugt worden ist”, als notwendig postulieren [Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 143]: ''"Der humane Humanismus, dem wir heute als Christen solidarisch werden, lässt die Differenzen der Religionen und Ideologien sehr wohl zu, ja er beruht auf der Voraussetzung und Unaufhebbarkeit dieser Differenzen. Das heißt aber, dass dieser Humanismus ... die (philosophisch fundierte) Antwort auf ein politisches und gesellschaftliches Desiderat darstellt, nicht aber eine Antwort auf ausnahmslos ALLE Fragen der menschlichen Existenz. Es handelt sich eben um einen zugleich säkularen und aporetischen Humanismus, der in der hier skizzierten Form seiner methodischen Selbstbegrenzung vertrauenswürdiger ist als jener “christliche Humanismus”, dessen Verhältnis zur Wirklichkeit ebenso anachronistisch wie illusionistisch geworden sein dürfte. Erst die Distanzierung von diesem christlichen Humanismus befreit uns dazu, in der Gegenwart auf glaubwürdige Weise gleichzeitig Christ und Humanist sein zu können"'' [ebd., S. 152 f.].
So verwundert es auch nicht, dass Schlette gerade Guardinis Schrifttitel “Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen” als “programmatische, uns heute tief fragwürdige Formulierung” ausmacht, die ''"der Theologie der nachkonziliaren Zeit (nicht nur historisch bedenklich - das war sie auch früher schon -, sondern auch) als die Diskriminierung jenes neuen menschheitlichen `humanen´ Humanismus, dessen Umrisse sich abzeichnen”''[Schlette, in: Aporie und Glaube. Schriften zur Philosophie und Theologie, München 1970, S. 268 inkl. Anm. 59]. Wenn er sich auf der Seite des von der Pastoralkonstitution hervorgehobenen “neuen Humanismus” wähnt und Guardini als “dem Ansatz nach in der besten Tradition des `christlichen Humanismus´ (ähnlich wie J. Maritain, H. Rahner, H. Kuhn)” sieht, verkennt er nicht nur die Grundlagen der Pastoralkonstitution, sondern auch ganz und gar die Eigenständigkeit des Ansatzes von Guardini. Da ist es auch zu wenig, wenn er manche “Reflexionen” anerkennt, wie zum Beispiel diejenigen, “die über das Grundkonzept des `christlichen´ Humanismus hinausweisen, so wie sie sich zum Beispiel im Aufsatz `Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur´” von 1926 finden ließen [Schlette, ebd., S. 268, Anm. 59]. Nach Schlette kann Guardinis These in dieser pointierten Form weder historisch und politisch noch auch ideologisch gesehen überzeugen und sieht in Guardinis Kritik gegen das neuzeitliche Autonomie-Bewusstsein eine durchgängige Polemik, die “aus dem `christlichen Platonismus´ und damit aus einer Denkweise” folge, “die das Problem der `Vermittlung´ außer Betracht lässt” [Schlette, Romano Guardini. Versuch einer Würdigung, in: ders: Aporie und Glaube. Schriften zur Philosophie und Theologie, München 1970, S. 273] 
Wechsler [Wechsler, Guardini als Kerygmatiker, S. 97, FN 132] weist dagegen zu Recht darauf hin, dass Guardini, unter neuzeitlichem Autonomismus gewöhnlich auch das versteht, was Schlette  oder Lübbe mit Säkularisierung kennzeichnen [Vgl. Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 21: Säkularisierung als "die Emanzipation der Kultur, der Mentalität, des Denkhorizontes überhaupt aus dem Gehäuse der mittelalterlichen Christenheit” sowie . Guardini versteht unter “Säkularisation” bzw. “Säkularisierung” die “Einweltlichung” der christlichen Botschaft,  versteht sie also nicht von vornherein negativ, wie ihm unterstellt wurde [Vgl. Guardini, Hölderlin, S. 350, 546, 566]. Nur insofern dies in einer Zweideutigkeit geschieht, die sich selbst über den Ursprung täuscht, wird Säkularisierung illegitim. Vor allem Worte „erborgen“ sich „eine Atmosphäre, ... einen seelischen Tiefgang, ... ein Leben“, das ihnen nicht zusteht: „sie sind `säkularisiert´, ins `saeculum´, in die Weltlichkeit geglitten“ [Guardini, religiöse Dichtung der Neuzeit, S. 30].
So zeigt gerade Schlettes Vorwurf die geringe Präsenz des “ganzen Werks Guardinis”, die Schlette zwar vorgibt, die sich aber schon allein dadurch als obsolet erweist, weil er Guardinis “Gegensatz”-Buch nicht einmal erwähnt. Auch folgende Passage zeigt, wie wenig er Guardinis Denken erfasst hat: ''"Nun wird man nicht leugnen wollen, dass in den modernen Diktaturen tatsächlich in vieler Hinsicht jene von Guardini bloßgestellte verderbliche Autonomie zum Zuge kam. Aber in der pointierten Form, in der Guardini seine These vorbringt, kann sie historisch und politisch, ja auch ideologisch gesehen nicht überzeugen. Man könnte bereits das Einteilungsschema Autonomie - Heteronomie kritisieren, doch ich möchte nur auf etwas anderes verweisen: Guardini bleibt mit seiner Autonomiekritik seinem platonisch-wertphilosophischen Ansatz treu, dem gemäß die Logik des Lebendigen und die intuitiver Erkenntnis zugänglichen Ideen und Werte der Philosophie reiner Rationalität entgegenzustellen sind; diese Haltung verbindet, wie wir schon andeuteten, Guardini in etwa mit deutschen `Existenzphilosophen´ und dem Personalismus, während er den `französischen Existentialismus´ - und wenn er davon spricht, meint er faktisch den frühen Sartre - stets scharf kritisiert"''[Schlette, Aporie des Glaubens, S. 274 in Bezug auf: Das Ende der Neuzeit, S. 96 f.].
Abgesehen davon, dass es das besagte „Einteilungsschema“ bei Guardini wie gesehen nicht gibt, sondern nur eine ausdrückliche Spannungseinheit von Autonomie und Allonomie, kommt seine Kritik am Autonomismus - und eben nicht an der Autonomie als menschliches Grundprinzip - keineswegs nur aus seinem „intuitiv-irrationalen“ platonisch-augustinischen Ansatz, sondern vor allem aus seinem überwiegend aristotelisch-thomistischen geprägten Gegensatzdenken. Dies gilt auch für Schlettes Auffassung Guardinis Denken in dieser Zeit habe eine "platonisch-aristokratische Färbung" gehabt [ebd., S. 262 f.], oder er sei ein "christlicher Platoniker oder platonischer Christ", der "formal von einem Grundgestus der Wirklichkeitsdeutung bestimmt" sei, ''"den er ... von Platon übernimmt, freilich ohne deshalb ein nichtchristlicher, griechischer Platoniker zu werden. Guardini war sich seiner Nähe zu Platon klar bewusst und hat sich oft zu Platon geäußert, dort, wo es ihm nötig schien, auch kritisch"'' [Schlette, „Die Religiösität der kommenden Zeit“. Zu Guardinis Vorblick, in: Gerl, (Red.): Zur geistigen Gestalt Romano Guardinis. Materialien zum Bereich der Sprache und zur Frage des Endes der Neuzeit, Burg Rothenfels 1981, S. 62-83; dann in: ders., Glaube und Distanz. Theologische Bemühungen um die Frage, wie man im Christentum bleiben könne, Düsseldorf 1981, S. 174-193, hier S. 186]. Die alleinige Berufung auf die Tagebucheintragung vom 13. Januar 1954, in der Guardini sich zu Platon als das Entscheidende bekannt und gegen die verantwortungslose Auflehnung gegen das Wesen ausgesprochen hatte, reicht gerade aufgrund Guardinis Gegensatzdenken nicht aus, ihn zum Platoniker zu erklären. Insofern geht auch Schlettes Kritik an Eugen Biser und Helmut Kuhn, die für Guardinis „primäre Orientierung an Augustinus“ plädieren, ins Leere [ebd., S. 186 unter Berufung auf Biser, Interpretation und Veränderung. Werk und Wirkung Romano Guardinis, Paderborn u.a. 1979, S. 31].
Weiterhin kritisierte Schlette "Guardinis These, dass die Hauptursache" der totalitären Katastrophen "der neuzeitliche `Autonomismus´ sei", als nur "beim ersten Blick einleuchtend", aber letztlich doch falsch. Er selbst behauptet dagegen, "nicht Autonomismus" habe "zur Naziherrschaft" geführt, "sondern gerade die Heteronomie des Irrationalen" [Schlette, in: Aporie und Glaube, a.a.O., S. 274. Der Verweis auf die Studie von R. Düren: Die Vokabel `Gott´ in Hitlers `Mein Kampf´, 1967 belegt tatsächlich die Existenz einer “Heteronomie des Irrationalen”, gerade aber die “Vorgeschichte” dieses Phänomens zeigt dass es sich dabei um ein Umschlagen von einem Extrem in das andere handelt, ohne die Struktur zu verändern. Ein rationalistischer Autonomismus und ein irrationalistischer Heteronomismus sind gerade für Guardini die zwei Seiten ein und derselben Medaille].
Schlette verkennt, dass für Guardini sowohl der „Autonomismus des Rationalismus“ als auch der „Heteronomismus des Irrationalismus“ zwei doppelt-widersprüchliche Extreme waren, während er selbst eine die Pole Autonomie und Heteronomie und davon unabhängig Rationalität und Intuition in Spannung haltende lebendig-konkrete Einheit forderte. Indem Schlette „intuitiv“ und „irrational“ gleichsetzt, und zwischen Rationalität und Rationalismus nicht unterscheidet, zeigt er erneut seine eigene unkritische, weil der Aufklärung gegenüber einseitige Position.
Ähnlich geschieht dies bei seiner Gleichsetzung des von Guardini verwendeten Begriffs “Organik der Werte” [Guardini, Die Verantwortung des Studenten für die Kultur, in: Romano Guardini, Romano/Walter Dirks/Max Horkheimer: Die Verantwortung der Universität, Würzburg 1954, S. 5-35, hier S. 18] und einem metaphysisch-idealistischen Ordnungsdenken. "Guardinis politische Logik", die es zweifelsohne gibt, lautet eben gerade nicht, wie von Schlette unterstellt: ''"Von der Autonomie führt der Weg in den Totalitarismus, in die Diktatur, weil es nichts Haltendes, Grenzen Setzendes, als Autorität Geltendes mehr gibt"'' [Schlette, in: Aporie und Glaube, S. 273]. Auch hat Guardinis Losung “Macht über die Macht erlangen” eben gerade nichts mit christlich-humanistischem Moralismus zu tun, wie Schlette mutmaßt. Guardini kritisierte am neuzeitlichen Autonomismus eben nicht die Betonung der Autonomie als solcher, sondern dass mit dieser Betonung gleichzeitig und nicht notwendig eine begrifflich-mythisierende Abstraktion des Gottesbegriffes verbunden worden ist, weil man einerseits “Gott” als Postulat eben aus moralisierenden Gründen beibehalten, ihn aber aus lebendig-konkreten, sprich personalen Zusammenhängen verdrängen wollte. Diese “Halbwelt” führte konsequenterweise zu den radikaleren, aber in sich aufrichtigeren, mythischen, atheistischen und nihilistischen Lösungen im Nationalismus, Kommunismus und Nihilismus, deren Radikalismus dann aber nach Guardini in aller Regel und geradezu zwangsläufig in jenen Totalitarismus der „zwölf Jahre“ bzw. des Stalinismus umgeschlägt. Wenn Guardini den “Weg zu Hitler” schon bei der durch Kant und Pascal repräsentierten Auseinandersetzung zwischen Rationalismus und Irrationalismus ansetzte, dann nur weil die eigentlichen Vorbereiter sich als Kantianer bzw. Pascalianer verstanden. Guardini kritisierte ja nicht nur den neuzeitlichen Rationalismus im Autonomismus Kants, sondern auch dessen irrationalistisch-heteronomistischen Pendant bei Pascal, das sich interessanterweise in der Praxis nicht minder autonomistisch zeigte. Indem Pascal die Gotteserfahrung in die “reine” Intuition verlagerte, kam es ja gerade zu derjenigen von Guardini schon sehr früh problematisierten irrationalen Überbetonung der Mystik.
Außerdem bleiben Schlettes Einschätzungen widersprüchlich, wenn er gleichzeitig Guardinis Autoritäts- und Gehorsamsverständnis gegen den Vorwurf, er vertrete einen hieratischen Immobilismus, verteidigte. Denn Guardini setze ''„die Ansprüche an einen qualifizierten Gehorsam und eine qualifizierte Autorität im politischen ebenso wie im kirchlichen Bereich so hoch an..., dass auch die Worte Autorität und Gehorsam für Guardini gerade nicht die Lesungen einer hieratisch-immobilistischen Haltung bedeuten, sondern im Gegenteil auf etwas Zukünftig-Neues, etwas noch nicht Erreichtes und noch nicht Errichtetes vorgreifen. Ja, in dem Vortrag `Der unvollständige Mensch und die Macht´ hat Guardini sogar erklärt, `Reformen´ genügten in der gegenwärtigen Weltsituation nicht, es gehe vielmehr um `eine neue Basis und eine neue Freiheit´, ja eine `echte Re-Volution´, eine Wende der Erkenntnis und der Bewertung“ müsse `sich vollziehen´.“'' [Schlette, Heinz Robert: Romano Guardini. Werk und Wirkung, 1973, S. 37]. Gerade hier zeigt sich aber, dass Schlette das differenzierte Verständnis Guardinis von Autonomie und Freiheit als notwendige Gegenpole von Autorität und Gehorsam nicht nachvollziehen konnte.
Wenn Schlette daher auf Felix Messerschmids Erklärung, wir müssten „heute“ in den Weg Guardinis „Korrekturen einzeichnen“, verweist [Schlette, „Die Religiösität der kommenden Zeit“, in: ders., Glaube und Distanz, a.a.O., S. 174 unter Bezug auf Messerschmid, Romano Guardini, in: Romano Guardini. Der Mensch – die Wirkung – Begegnung, hrsg. durch die Stadt Mainz, Mainz 1979, S. 31], dann bleibt dies trotz korrekter Wiedergabe des Anliegens Guardinis ambivalent: ''"Das bedeutet nichts anderes, als dass Guardini einen notwendigen Übergang von einer sich selbst nicht verstehenden, hybriden Autonomie-Mentalität zu den totalitären politischen Herrschaftsformen unseres Jahrhunderts, also zu Nationalsozialismus und Stalinismus, annimmt. Vor dieser katastrophischen Entwicklung warnt er durch Erinnerung an die Offenbarung und die durch sie legitimierten Werte. Wer Guardini gelesen und gehört, wer ihn persönlich gekannt hat, wird diese seine Urteile in ihrer Integrität und in ihrer politischen Situiertheit fünf Jahre nach dem Ende des Krieges zu würdigen wissen"'' [Schlette, „Die Religiösität der kommenden Zeit“, in: ders., Glaube und Distanz, a.a.O., S. 178 f.]. Schlette führt Guardinis These, dass die Anerkennung von Menschenrechten an die Annahme der Offenbarung gebunden sei, auf die Spitze. Wenn dem so wäre, dann hätten ''"diese Werte in unserer geschichtlichen Zukunft praktisch keine Chance mehr, denn es ist eine Illusion, die Offenbarung – was immer man darunter verstehen mag – unter den gegenwärtigen Bedingungen und in einer sinnvollerweise überschaubaren Zukunft für universalisierbar bzw. für kommunikationsfähig zu halten"'' [ebd., S. 179]. In diesem Kontext kritisierte Schlette es schließlich auch als unredlich und nutznießerisch, ''"wenn von christlicher Seite aus so getan wird, als verfalle die Menschheit ohne die Offenbarung in eine geradezu anarchische Amoralität, und wenn man sich in einer Weise zum Verteidiger der Menschenrechte aufwirft, die in hybrider Selbstkritiklosigkeit all jene theoretischen Ablehnungen und praktischen Missachtungen von menschlichen Rechten, Werten und Pflichten ignoriert, die die Geschichte des Christentums bis auf den heutigen Tag leider aufzuweisen hat."'' Er führt dies bei Guardini darauf zurück, dass seine Perspektive ''"sehr bedingt war durch den Status der damaligen katholisch-theologischen Erkenntnismöglichkeiten mit ihrer Fixierung auf die europäische Geschichte und mit ihrer de facto noch nicht geschehenen hinreichenden Anerkennung außerchristlicher Religionen und Philosophien"'' [ebd., S. 180].
Unabhängig von der Korrektheit dieser Unterstellung, versteigt sich Schlette dann sogar zur Schlussfolgerung, dass diese Entwicklung vielfach verbunden sei „mit theoretischen Entwürfen wie der Politischen Theologie, der Theologie der Hoffnung, der Befreiungstheologie – Konzeptionen, die Guardini nicht mehr kannte“. Gerade damit verkennt er aber Guardinis Rolle „zwischen“ den Politischen Theologen der zwanziger bis sechziger Jahre und verlegt den Beginn der politisch-theologischen Diskussion in die nachkonziliare Zeit, obwohl er selbst die politisch-theologischen Diskussionen der Weimarer Republik im Umfeld des Quickborns und der Schildgenossen kennen müsste.
Zuzustimmen ist Schlette allerdings, wenn er Guardini in der Kritik einer „Mobilisierung christlicher Massen ohne den Glauben des Einzelnen“ folgt, die ihm „theologisch und politisch in höchstem Maße verdächtig und zuwider“ sei, womit er wohl auch Guardinis Einstellung trifft [ebd., S. 190]. Schwierig dagegen wird es wieder, wenn er Guardini in die Nähe der "Dialektischen Theologie", indem er urteilt: ''"Guardinis starke Betonung des Gehorsams und des Vertrauens im Verhältnis zu Gott kann, zusammengesehen mit seiner harten Antithese von Autonomie und Offenbarung, eine Position bestärken, wie sie aus der `Dialektischen Theologie´ bekannt ist und offenbar auch im Katholizismus mehr und mehr um sich greift. Für diese Interpretation des Christentums besteht eine deutliche Zäsur zwischen Vernunft und Glauben, zwischen Zeitlichkeit und ewiger Wahrheit, zwischen geschichtlicher Entwicklung und dem Wort Gotte, das gewissermaßen vertikal zu allem Hiesigen auf den Menschen trifft und Gehorsam verlangt“'' [ebd., S. 191]. Guardini vertrete ein „diastatisches Konzept“, dem evangelischerseits Paul Tillich mit dem Begriff der Korrelation und Wolfhart Pannenberg mit seiner Theologie der einen Universalgeschichte entgegengetreten seien: ''"In der katholischen Theologie ist es bekanntlich die aristotelisch-thomanische Traditionslinie, die anti-dialektisch war und wirkte; Guardini steht indes mehr in der platonisch-augustinisch-bonaventuranisch-pascalschen Linie, innerhalb deren die Entscheidung zum Glauben mehr als ein existentieller Akt der Liebe und des Gehorsams oder, wie Pascal sagt, der soumission, der Unterwerfung gedeutet wird"'' [ebd., S. 191].
Schlette verweist dazu auf Peter Eicher, der von einem „harten Extrinsezismus“ in Guardinis Offenbarungsdenken spricht, ''"was bedeutet, dass daran das Vonaußen-Kommende oder aber das Supranaturalistische allzu stark betont werde"''[Eicher, Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie, München 1977, S. 282 sowie 283 und 287]. Gerade darin zeigt sich aber ein weiteres Mal, dass sowohl Schlette als auch Eicher weder die unhegelianische, dialogische Gegensatzlehre nachvollzogen haben noch die damit verbundene, bei Guardini ja expressis verbis zu findende und auch ausgeführte Polarität von „oben“ und „innen“ beachten. Ausgerechnet Guardini in die Nähe des Extrinsezismus und des Supranaturalismus zu stellen, ist zwar aus der Perspektive der Vertreter der neuen politischen Theologie schlüssig, greift aber im politisch-theologischen Gesamt-Befund und im Vergleich der selbst dialektisch entgegenstehenden Typen katholischer politischer Theologien deutlich zu kurz.
===== Exkurs: Guardini und Albert Camus im Blick auf den Humanismus =====
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===== Peter Eichers „humanes Christentum“ =====
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===== Heinrich Lutz´ Kritik der Kulturphänomenologie Guardinis =====
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===== Friedrich Heers „Offener Humanismus“ und „poetischer Panhumanismus“ =====
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===== Alfons Rosenbergs „Experiment Christentum“ =====
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===== Rosenstock-Huessys „Überholung der Moderne“  =====
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== Zum Verhältnis von Politik und Mystik als Reflexion politischer und mystischer Erfahrung(en)
===== Christlicher Humanismus bei Karl Rahner und Johann Baptist Metz =====
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===== Christentum, Humanismus und Politik bei Joseph Kardinal Ratzinger =====
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====== Steinbüchel und Guardini: zwei geistige Linien? ======
====== Das Zitat vom „Erwachen der Kirche in den Seelen“ ======
====== Menschheit und Staatenbau in der frühen Kirche ======
====== Die Kirche nach dem Konzil und das „Zeitalter der Demokratie“ ======
====== Die ersten Gewährsleute: Maier, Kuhn, Maritain, Hildebrand ======
====== Auseinandersetzung mit Guardini anlässlich seines 100. Geburtstages ======
====== Missverständnisse um die Gegensatzlehre und den Primat des Logos ======
====== Ratzinger und die Restauration ======
 
===== Der "Trinitarischer Humanismus" von Lothar Roos =====
====== Grundprinzip christlicher Sozialethik ======
Bereits 1984 hat Lothar Roos unter Bezugnahme auf das „Ende der Neuzeit“ seine Gedanken zu „Humanität und Fortschritt“ zusammengestellt.
 
[Lothar Roos: Humanität und Fortschritt am Ende der Neuzeit, Köln 1984, darin im ersten Teil eingegangen: Roos, Lothar: Fortschritt und Humanität – zwischen Pessimismus und Optimismus, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, Münster 25. Bd., 1984, S. 67-87, hier besonders S. 68-71, siehe auch das Kapitel „Das Ende der Neuzeit“ (S. 77f.) unter Verweis auf Wolfgang Seibel: Ende des Fortschritts, in: Stimmen der Zeit, 199, 99, 1974, S. 361. Die Texte unterscheiden sich im Aufbau ab S. 22-32 bzw. S. 77-81. In der Langfassung des Buches kommt außerdem ein Kapitel „Hilfen aus dem Glauben der Christen“ (S. 43-58) hinzu.]
 
Roos sieht als Bedingung eines „Fortschrittes in Humanität“ zunächst „Die Einsicht vom Ende der Neuzeit“ an. Neuzeit wird dabei beschrieben „als großartige und vordem ungeahnte Entfaltung der Möglichkeiten menschlicher Ratio in den positiven Wissenschaften und deren Anwendung in Technik, Ökonomie und Politik“ unter Ausblendung der Sinnfrage und „ohne Rückbindung an philosophisch-ethische oder theologische Vorentscheidungen“. Das Ende dieses neuzeitlichen Wissenschaftsglaubens, der glaubte, „seine Rationalität in sich selbst zu tragen“, markiere „das Ende der Neuzeit“ [Lothar Roos: Humanität und Fortschritt am Ende der Neuzeit, a.a.O., S. 24 f.]: „Die Einsicht vom Ende der Neuzeit führt als nächster Schritt zur Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen `Fortschritten´ und dem `Fortschritt´“[ebd., S. 26]. Aus „Fortschritten“ werde aber nur „Fortschritt in Humanität“, „wenn es gelingt, moralisch anspruchsvolleres Verhalten zu institutionalisieren“[ebd., S. 28]. Diese Unterscheidung setze aber eine „Treue gegenüber den anthropologisch verbindlichen Erfahrungen der Geschichte“ voraus [ebd., S. 26] und eine „Zusammenschau des Ganzen“ der Humanität[ebd., S. 40]. Aus christlicher Sich plädiert zwar Roos nun ebenfalls für „das Leitbild eines integralen Humanismus“[ebd., S. 50 ff.], aber betont unverzüglich dessen Gefahren: „Freilich wird alles davon abhängen, bei der Suche nach einem `integralen Humanismus´ nicht bei einem theokratischen Integralismus zu landen“[ebd., S. 55].
 
Lothar Roos trifft die Intentionen Guardinis grundsätzlich am Besten, wenn er vom „trinitarischen Humanismus als theologische Mitte einer christlichen Gesellschaftslehre“ spricht [Lothar Roos: Trinitarischer Humanismus als theologische Mitte einer christlichen Gesellschaftslehre, in: Böhnke, Michael/Heinz, Hanspeter (Hrsg.): Im Gespräch mit dem dreieinen Gott. Festschrift für Wilhelm Breuning, Düsseldorf 1985, S. 457-480; für die Rede vom "trinitarischen Humanismus" siehe auch schon zwei Jahre zuvor: Lothar Roos: Eine neue Dimension der katholischen Soziallehre, in: Stimmen der Zeit 201, 1983, S. 340-349].
 
Roos zeigt mit seinen Überlegungen auf, dass Guardini mit seiner Position einer „Theologie der irdischen Wirklichkeiten“ in der französischen Theologie[Lothar Roos: Theologie und Ethik der Arbeit, in: Internationale Katholische Zeitschrift, 13, 1984, S. 98, Anm. 3] sowie dem Denken von Papst Johannes XXIII und den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils geradezu vorgearbeitet hat.
 
Wesentlich sind dieser „neuen Dimension“ das richtige Verhältnis von Gottebenbildlichkeit und Christusebenbildlichkeit, Weltzugewandtheit und Weltüberwindung, Sünde und Entfremdung, Erlösung und Beheimatung. Die zentralen Gaben des Geistes sind dann jene „Grundwerte“, „in denen die Gaben des Geistes ausgesprochen sind und aus denen der `neue Mensch´ in Christus lebt, von denen her er die ihn umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse beurteilt und zu gestalten versucht“[Roos, Trinitarischer Humanismus, a.a.O., S. 468] : Die theologischen Tugenden des Glaubens („Empfangen und Danken“), der Liebe („Trost und Beistand“) und der Hoffnung („Erwarten und Bitten“). Die Kirche erscheint in diesem Denken zunächst als „Tugend-Gemeinschaft“ in einem dreifachen Sinne: „als Erfahrungsgemeinschaft von `Glaube in Welt´“, als „Gemeinschaft von Hoffenden“ und als Handlungsgemeinschaft von „Liebe in Welt“. Liebe wird hier verstanden als „Sehbedingung der Gerechtigkeit“ [ebd., S. 474].
 
Lothar Roos resümiert: „Es ist sehr wichtig festzuhalten, dass die Kirche nicht den Anspruch erheben kann, eine Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu `Bewirken´, sondern dass sie glaubt, dabei `MITwirken´ zu können und zu müssen. Sie tut dies, indem sie die Menschen nicht auf sich, sondern auf Christus hin verweist, der allein `Weg, Wahrheit und Leben´ sein kann. Sie weist hin auf jenen Humanismus, der erst im Licht der Selbstoffenbarung des dreifaltigen Gottes begriffen werden kann“[ebd., S. 479 f.]
 
Wir erinnern uns, dass Guardini diese sozialtheologische Überzeugung bereits in einem seiner ersten Aufsätze 1916 während des Ersten Weltkriegs geäußert hat.
 
====== Wendung zum Konservativismus ======
In späteren Arbeiten vollzieht Lothar Roos eine "Wendung zum Konservativismus" und ordnet Guardinis "Ende der Neuzeit" anders ein [Lothar Roos: „Ein Licht für das Leben in der Gesellschaft“ (Lumen fidei), in: Der Fels, 3/2014, S. 74f.] Noch mit Guardini geht Roos in der Beschreibung der Neuzeit davon aus, dass deren "großartige Entfaltung der Möglichkeiten der menschlichen Vernunft in den positiven Wissenschaften und deren Anwendung in Technik, Ökonomie und Politik" aufgrund des Fortschritts die Sinnfrage ausblenden und auf die Rückbindung an philosophisch-ethische oder gar theologische Vorentscheidungen verzichten konnte. Roos spricht dabei vom Entstehen einer "säkularen Gesellschaft, die Gott nicht mehr braucht" und nach der Maxime handelt: "Was technisch und ökonomisch möglich ist, das wird auch verwirklicht, ohne weitere Rückfragen nach dem humanen Sinn des jeweiligen Fortschritts." Er durch das Möglich- und zum Teil auch schon Wirklichwerden nicht nur des Nützlichen und Guten, sondern mehr und mehr auch des Bedrohlichen, ja Tödlichen, kehren Wert- und Sinnfragen zurück. Roos glaubt: "Genau darauf wollte Romano Guardini aufmerksam machen, als er unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein Buch schrieb mit dem Titel „Das Ende der Neuzeit“. Denn heute steht die Menschheit wieder vor jener Frage, die sie seit der Entfaltung des neuzeitlichen Denkens immer mehr aus dem Blick verlor, nämlich vor der Gottes-Frage." In dieser Sichtweise wird sogar - wie von Papst Benedikt XVI. in der Enzyklika Spe salvi ausgeführt - Immanuel Kant zum Unheilspropheten. Dieser habe schon 1795 in der Schrift „Das Ende aller Dinge“ befürchtet, es könne ein „verkehrtes Ende aller Dinge“ eintreten, und zwar dann, wenn „das Christentum aufhöre, das sittliche menschliche Handeln zu beeinflussen“ (Spe salvi 19). Diesem „verkehrten Ende“ sind wir seit 1789 beträchtlich näher gekommen. Roos fragt nun: "Wie haben wir darauf reagiert? Zumindest eine Reaktion hat es nach der Katastrophe des „Dritten Reiches“ gegeben: Das Deutsche Volk gab sich „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“, wie es in der Präambel des Grundgesetzes steht, die zweite demokratische Verfassung seiner Geschichte. Vermutlich hatten einige der Väter und Mütter des Parlamentarischen Rates dabei den in dem genannten Buch ausgesprochenen Satz Guardinis im Kopf: „Wenn Gott seinen Ort in der Welt verliert, verliert ihn auch der Mensch“.(4 Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg, 1950.) Wie lange aber haben wir an dieser Einsicht, der wir die „Invocatio Dei“ in der Präambel des Grundgesetzes verdanken, festgehalten? Warum war es nicht mehr möglich, den Gottesbezug in der Verfassung des vereinten Europa zu verankern?"
 
Die Antworten von Roos auf diese rhetorischen Fragen verlassen nun Guardinis "Ende der Neuzeit", das unter Bejahung der Technik und des Neuen nach dem "Menschlich-Unerlässlichen im Neuen" sucht. Er setzt sich, wie auch Benedikt XVI. nicht mehr mit Guardinis Ansatz für ein "Ethos der Macht" und eine nicht-restaurative Antwort auf den tragischen Finitismus und Titanismus des nach-neuzeitlichen Nihilismus auseinander, sondern versucht den "Verlust der Mitte" (Sedlmayr) mit konservativen und restaurativen Konzepten zu überwinden. Dies liegt wesentlich auch daran, dass der "trinitarische Humanismus" von Lothar Roos schon von Anfang an dem "integralen Humanismus" von Jacques Maritain und Dietrich von Hildebrand näher steht, als Guardinis grundsätzlicher Ablehnung eines dialektischen, dezisionistischen, erst recht eines rückwärtsgewandten, restaurativen Integralismus im Rahmen seiner Weltanschauungs- und Gegensatzlehre dies zulässt. Indem Roos sozialethisch zunehmend die Spannung zwischen Gundlach/Utz und Nell-Breuning aufhebt und sich für die Richtung Gundlach/Utz entscheidet, verlässt er Guardinis Konzept der Spannungseinheit komplementär-dialogischer Gegensätze und damit auch Guardinis Vorstellung der Spur- und Ebenbildlichkeit, der Fußspuren des dreifaltigen Gottes in allen Dingen, Werken und Gestalten, auch in denen der Neuzeit und der Nach-Neuzeit.
 
theokratischen Integralismus
 
=== Christlicher Personalismus und Realismus zwischen Idealismus und Naturalismus (Materialismus), Platonismus und Aristotelismus, Augustinismus und Thomismus, Pascalismus und Cartesianismus, Nietzscheanismus und Kierkegaardianismus ===
==== Guardinis Zurückweisung von Etikettisierungen ====
==== Christlicher Personalismus und Realismus als Weltanschauung zwischen politischem Idealismus und politischen Naturalismus (Materialismus) ====
==== Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Platonismus, Aristotelismus und Sokratismus ====
==== Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Augustinismus, Thomismus und Bonaventurismus ====
==== Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Pascalismus und Cartesianismus ====
==== Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Nietzscheanismus und Kierkegaardianismus ====
==== Zur Transformation von antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Tugenden in die Nach-Neuzeit ====
==== Politische Nachwirkungen am Beispiel von Hanns Seidels „Christlicher Weltanschauung“ ====
 
== Zum Verhältnis von Politik und Mystik als Reflexion politischer und mystischer Erfahrung(en) ==


== Politische Ontologie, Metaphysik und Theologie ==
== Politische Ontologie, Metaphysik und Theologie ==
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== Politische Logik und politische Ethik: Von der politischen Erkenntnis zur politischen Gestalt(ung) ==
== Politische Logik und politische Ethik: Von der politischen Erkenntnis zur politischen Gestalt(ung) ==


== Politische Bildung in Analogie zu politischer Bildung ==
== Politische Bildung in Analogie zu liturgischer Bildung ==


== Politische Theorie und Erfahrungsreflexion: Politisches Denken und Handeln in Gegensätzen und Spannungseinheiten ==
== Politische Theorie und Erfahrungsreflexion: Politisches Denken und Handeln in Gegensätzen und Spannungseinheiten ==


== Zum Verhältnis von politische und christlicher Anthropologie
== Zum Verhältnis von politischer und christlicher Anthropologie ==


== Die Frage nach der Möglichkeit nur politischer, nicht- bzw. anti-politischer, un- bzw. post-politischer Politik ==
== [[Die Frage nach der Möglichkeit nur politischer, nicht- bzw. anti-politischer, un- bzw. post-politischer Politik]] ==


== Politische und Christliche Überzeugungen, Gesinnungen und Haltungen ==
== Politische und Christliche Überzeugungen, Gesinnungen und Haltungen ==


== Politische und christliche Grundvollzüge  
== Politische und christliche Grundvollzüge ==


== [[Kirchliche Ökumene nach Guardinis Gegensatzlehre als Modellfall politischer Einheit in Vielfalt]] ==
== [[Kirchliche Ökumene nach Guardinis Gegensatzlehre als Modellfall politischer Einheit in Vielfalt]] ==

Aktuelle Version vom 25. Mai 2025, 00:01 Uhr

Guardini weiterdenken: Das Konzept der “Katholischen Demokratie” in der Rezeption, Antizipation und Explikation (Autor: Helmut Zenz)

Guardinis Ansatz einer "verstehenden" "Wirklichkeitswissenschaft"

Tatsächlich besteht seit Guardinis Tod die von Heinz Robert Schlette beschriebene Gefahr, “dass das Gedächtnis Guardinis verfälscht, dass sein Werk und seine Person in ungeschichtlicher Weise und aus Interesse harmonisiert und stilisiert werden, dass man die schöpferische Initiative und den Willen zur Veränderung beschwichtigt, die Guardini von Anfang an erfüllt haben” (Heinz Robert Schlette: Romano Guardini – Versuch einer Würdigung, in: ders.: Aporie und Glaube. Schriften zur Philosophie und Theologie, München 1970, S. 247-287, hier S. 285. Der Text war zuerst auszugsweise erschienen in: Publik, 2, 1969, 32 (8. August 1969) und 33 (15. August 1969)). Dies geschehe zum einen durch “naive Guardini-Verehrer”, die Guardinis Position unkritisch und ungeschichtlich wiederholen; zum anderen durch Autoren, die heute über Guardini schreiben, ”die es zu seinen Lebzeiten für unter ihrer Würde gehalten haben, seine Vorlesungen zu besuchen und seine Bücher Ernst zu nehmen" (ebd., S. 264, Anmerkung 48). Zum dritten aber, so sei ergänzt, durch Autoren wie Schlette selbst, die Guardini letztlich zum historischen “Steinbruch” umfunktionieren, in dem sie aus ihrer eigenen Position heraus - im Fall Schlettes aus dem Umfeld der “neuen” Politischen Theologie - Guardinis Ansatz nicht als Ganzes weiterdenken, sondern verschiedene “prophetische” Versatzstücke herauslösen und den Rest als “zeitgebunden” ad acta legen. Insofern trifft seine Kritik an Hans Urs von Balthasars Buch über Guardini auch seine eigene Würdigung Guardinis, nur eben dass er den systematischen Kontext “nicht oder nur unzureichend analysiert”, während Balthasar “die Schriften Guardinis ... ohne die notwendige Berücksichtigung ihres historischen Ortes zitiert ...; das kritische Verhältnis Guardinis zur institutionellen Kirche ... nur gelegentlich andeutet” und ihn “in einer ... historisch, hermeneutisch und sachlich nicht vertretbaren Weise für seine eigene theologische Position und Polemik” beansprucht hatte.

Guardini hat zwar keine systematische Theologie entwickelt, wohl aber einen systematischen “katholischen” Ansatz, den er dann in einem zweiten Schritt ziemlich unsystematisch, weil situations- und gelegenheitsbedingt auf alle Gebiete der „Welt-Anschauung“ angewandt hat. Gerade dadurch ist aber sein Werk “vom Geschehen des Nationalsozialismus” eben nicht zerbrochen worden, wie Schlette im Anschluss an Fuhrmans mutmaßt. Wie bereits gesehen, hat solch ein Bruch oder gar eine “Zerstörung” des Willens, “der zu einem neuen Menschentum drängte” oder eine “Verstörung” durch “ein erschreckendes Bild tatsächlichen Menschseins” nicht stattgefunden (Horst Fuhrmans: Romano Guardini zum Gedenken, in: Burgbrief, Burg Rothenfels, 31, 1968, Dezember, S. 30-35, hier S. 31.). Insofern ist auch in den nachfolgenden systematischen Überlegungen zur Aktualität von Guardinis Position und Ansatz und zu dessen Fortentwicklung jede nicht-kontextuelle Inanspruchnahme abzulehnen, gleich ob sie von Vertretern der “neuen” Politischen Theologie (Dirks, Lutz, Schlette), von Vertretern der “alten” Politischen Theologie (Schmitt, Barion, Przywara, Riedweg und die Liga Europa) oder von Vertretern anderer Positionen (Balthasar, Biser, Maier, Kuhn, Ratzinger) aus vorgetragen wurde und wird.

Felix Messerschmid hat eindrücklich und zu Recht die Auffassung zurückgewiesen, „Guardini sei auf dem Pass stehen geblieben, der aus alteuropäischer Geistigkeit und Gläubigkeit in die moderne Welt der technischen und wissenschaftlichen Zivilisation führt; er habe zwar deren Gefährdungen gesehen und beschrieben, sei aber davor zurückgeschreckt, sie mit neuen rationalen Methoden und Kategorien der Erkenntnisgewinnung anzugehen und die alten Denkmuster und Glaubensformen hinter sich zu lassen.“ Denn allein „mit dem bloßen Passrückblick“ hätte Guardini „die Wirkung, die er auf unzählige Menschen, darunter bis zu seiner Emeritierung auf Studenten aller Fakultäten ausgeübt hat“, nicht gewinnen können (Felix Messerschmid: Zum Geleit, in: Schmidt, Paul: Die pädagogische Relevanz einer anthropologischen Ethik. Eine Untersuchung zum Werk Romano Guardinis, Düsseldorf 1973, S. 9).

Nun ist im Verlauf der Untersuchungen deutlich geworden, dass Guardini erkenntnis- und verstehenstheoretisch an die neukantianische Soziologie Simmels und Rickerts angeknüpft hat; sogar an Max Weber, der selbst in dieser neukantianischen Tradition stand (vgl. für diesen Rückgriff auf Rickert und Simmel: Peter-Ulrich Merz: Max Weber und Heinrich Rickert. Die erkenntniskritischen Grundlagen der verstehenden Soziologie, Würzburg 1990 (Diss. Zürich 1985). In Bezug auf Simmel verweist Merz auf dessen Arbeiten “Über soziale Differenzierung. Soziologische und psychologische Untersuchungen” (Leipzig 1890) und “Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Eine erkenntnistheoretische Studie” (Leipzig 1892). Zum wechselseitigen Einfluss siehe Rickert, Heinrich: Max Weber und die Stellung zur Wissenschaft, in: Logos, Bd. 15, 1926, S. 222-237).

Dadurch bekommt aber Max Webers Satz, dass “die Sozialwissenschaft, die WIR treiben wollen ... eine WIRKLICHKEITSWISSENSCHAFT” ist, die “die uns umgebende Wirklichkeit des Lebens, in welches wir hineingestellt sind, IN IHRER EIGENART” zum Gegenstand hat (Max Weber: Die “Objektivität” sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen (4., erneut durchgesehene)1973, S. 146-214, hier S. 170), im Blick auf Guardini eine ganz neue Dimension. Während die „verstehende Soziologie“ der Neukantianer lediglich eine spiritualistische Grundlegung kannte und anerkannte (Wilhelm Hennis: Die spiritualistische Grundlegung der "verstehenden Soziologie" Max Webers. Ernst Troeltsch, Max Weber und William James' "Varieties of religious experience", in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, I. Philologisch-historische Klasse, 1996, Nr. 1, S. 3-25) , ging Guardini – wenn auch in ihrer Tradition stehend – noch einen Schritt weiter. Er will diese Wirklichkeitswissenschaft gerade wegen ihres eigenen Anspruchs, Wirklichkeit darzustellen, immer wieder an den Wirklichkeitsgrund, also an die „letzte Wirklichkeit“ erinnern und heranführen. Guardini ging es wie Max Weber um ein “nacherlebendes `Verstehen´” geistiger Vorgänge (Max Weber: a.a.O., S. 173), vermisste bei den Neukantianern allerdings den konkret-lebendigen Nachvollzug religiöser Vorgänge. Gerade in diesem für das menschliche Zusammenleben so zentralen Lebensbereich blieben sie mit Kant und Hegel beim Abstrakt-Begrifflichen und somit beim abstrakt-begrifflichen Postulat stehen.

Guardini wandte sich wie Max Weber dagegen, im Namen der Wissenschaft Logik zu „betreiben“ anstatt “bekannte Ergebnisse der modernen Logik” anzuwenden, d.h. Probleme zu lösen, anstatt sie in ihrer Bedeutung zu veranschaulichen (ebd., S. 146). Beide wollten die Menschen in ihrer Befähigung, “zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen” (ebd., S. 180), unterstützen. Im Unterschied zu Weber vertrat Guardini allerdings nicht zwei separate Verstehens-Bereiche, den einen, für den die „Verstehende Soziologie“ allein, und den anderen, für den die „Verstehende Theologie“ allein zuständig wäre. Denn im wirklichen Leben lassen sich - so die Überzeugung Guardinis - diese Bereiche zwar als Typen denkend unterscheiden, aber eben nicht „rein“ voneinander trennen. Der katholischen Dogmatikers Johann Auer (1910-1989) zeigt das Modell einer "Verstehenden Theologie" auf, indem er deren Ansätze bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgt. Diese "Theologie, die Freude macht" (Johann Auer: Theologie, die Freude macht, Abensberg 1989 in Reaktion auf Karl Rahner: Eine Theologie, mit der wir leben können, in: Schriften zur Theologie, XV, 1983, S. 104-116), wird zum Dreh- und Angelpunkt seiner Lehre. Sie ist jene Theologie, "die auf dem Verstehen aufbaut, das aus lebendigem Glauben, nicht aus bloßem Denken oder Wissen wächst ... In dieser verstehenden Theologie aus dem Glauben verstehen wir auch uns selbst und unsere Welt immer neu, indem wir ... uns Gott ... zur Verfügung stellen. Verstehende Theologie ist kein System von immer fertigen Wahrheiten.“ Vielmehr ist sie „jene starke, innere Ordnungskraft im gläubigen Denken, die in den existentiellen Fragen und Konfliktsituationen unseres Lebens den Weg zu menschlich richtigen und sachlich wahren Antworten eröffnet" (Auer, Theologie, die Freude macht, a.a.O., 33f).

Guardinis Ansatz lebte also von zwei nicht hinterfragbaren, weil eben gesetzten Voraussetzungen: Es handelt sich um die Notwendigkeit des Glaubens an den personalen, drei-einen Gott und um die Notwendigkeit der Einsicht in die gegensätzliche Struktur des Daseins, deren Pole in einer lebendig-konkreten Spannungseinheit zu halten sind („Waage des Daseins“). Diese Setzungen sind qualitativ keine anderen, als sie atheistische, deistische, pantheistische, monotheistische oder polytheistische, ja sogar agnostische Denker vornehmen. Die Annahme der Möglichkeit einer “voraussetzungslosen Wissenschaft” ist selbst ein Glaube, der unhinterfragbare Voraussetzungen setzt. Selbst Max Weber, dem dies oft nachgesagt wurde, hat diesen pseudo-religiösen Mythos einer voraussetzungslosen Wissenschaft gerade nicht vertreten, sondern sich lediglich gegen jene “Katheder“-Sozialisten und wohl auch entsprechende Liberalisten, Nationalisten und Universalisten gewandt, die ihre Erkenntnisse mit ideologischen Wahrheitsansprüchen versehen hatten, die sie erkenntnis-theoretisch und wissensoziologisch nicht im Geringsten einlösen konnten, da sie eben nichts mit Erkennen und Wissen, sondern allein mit Glauben einzulösen gewesen wären. Und deren Maßstäbe sind nicht Wahrheit und Gesetz, sondern Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit.

Wie alle anderen Voraussetzungen haben sich daher letztlich auch Guardinis Voraussetzungen in der politischen Theorie und Praxis zu bewähren: als tatsächliche Haltung von Christen in der Politik und in der Politologie, die aus diesem Glauben heraus nach den Gesetzen der Logik entwickelt werden. Dies ist dann eben keine “christliche” Politik oder “christliche” Politologie im ideologisch-integralistischen Sinn, sondern eine Politik und eine Wissenschaft von der Politik, die nicht nur ihre anthropologischen, sondern auch ihre theologischen Voraussetzungen ernst nimmt. In diesem Sinne kann dann aber “Politische Theologie” auch nie “erledigt” sein, wie Erik Peterson oder Hans Maier mutmassten, sondern ist im Rahmen ihrer Grenzen als Reflexion auf diese theologischen Voraussetzungen geradezu notwendig.

Politische Geschichtsphilosophie und Sozialtheologie

Humanisierung des Christentums und/oder Christianisierung des Humanen?

Die Position Guardinis: Das Christentum ist kein Typus unter anderen

Der biographisch-bibliographische Teil hat gezeigt, dass entgegen mancher Vorurteile, Guardini keineswegs ein Essentialist war, der “fast ahistorisch” gedacht habe und dem es “nicht um das Werden” gegangen sei [So beispielhaft die Kritik von Weiß, Otto: Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theolo-giegeschichte, Regensburg 1995, a.a.O., S. 535f.]. Es kommt nicht von ungefähr, dass in aller Regel dieselben, die ihm einerseits statisch-unhistorisches Denken vorhalten, ihm gleichzeitig ein “überkritisches Verhältnis zu Geschichte und Geschichtlichkeit” attestieren, einen “Argwohn gegen die Neuzeit”, der ihn “zum Gegner der `Moderne´ und der `Modernisten´“ gemacht habe [Ebd., S. 536]. Guardini sei – gemäß dieser Interpretationen - überzeugt gewesen, “dass die anthropologische Wende vorbei sei, und dass es gelte, der MODERNE den Kampf anzusagen”[Ebd., S. 538].

All das entspricht jedoch nicht dem hier vorgelegten Befund. Richtig ist vielmehr, dass Guardini von Anfang an dem “Logos” einen Vorrang vor dem “Ethos”, der “Wahrheit” vor der “Geschichte”, dem “Wesen” vor dem “Werden”, der “Essenz” vor der “Existenz” eingeräumt hat, aber immer nur einen Vorrang der Ordnung und ausdrücklich nicht einen Vorrang der Würde. So kann er gleichermaßen den religiösen Kurzschluss, also Integralismus des Mittelalters [Guardini, Welt und Person, S. 16], den Dualismus der Renaissance und den Autonomismus der Neuzeit kritisieren, und alles dies gerade mit dem Ziel, eine die lebendig-konkreten Gegensätze in Spannung haltende “anthropologischen Wende” das Wort zu reden, wenn man so will einer “zweiten”, vertieften und vertiefenden Wende, weg von einem einseitig polarisierenden Individualismus und Liberalismus einerseits bzw. Sozialismus und Kollektivismus andererseits, hin zu einer gleichermaßen Individualität und Sozialität, Liberalität und Kollektivität umfassenden Spannungseinheit.

Anders als zum Beispiel Herbert Werner Rüssel [Gestalt eines christlichen Humanismus. Amsterdam 1940; Zürich 1948; vgl. dazu König, René: Christlicher Humanismus: Herbert Werner Rüssel, in: Die Weltwoche, Jg. 16, vom 20. Februar 1948, S. 5; vgl. uu Rüssel auch: Antike Welt und Christentum, Amsterdam 1941; 1944], haben allem Anschein nach für Guardini die Begriffe “Christlicher Humanismus” bzw. “Humanistisches Christentum” selbst schon ein Problem dargestellt. Zumindest enthält er sich ihrer ebenso, wie er sparsam ist im Umgang mit Formeln wie „Christliches Abendland“, „Heiliges Reich“ oder auch schon "Christliche Kultur". Grund dafür ist, dass es ihm nie darum ging, den Humanismus zu verchristlichen oder das Christentum zu humanisieren. Guardini wollte vielmehr die Humanität und die Divinität als dem Menschen wesensgemäße, polare Beziehung darstellen und als aufgegebene Spannung aushalten. Guardini entwarf also einen Bogen zwischen Humanität und Divinität, ohne das eine nur neben dem anderen stehen zu lassen oder das eine in das andere hinein auflösen zu wollen. In anderen Worten: Der “neue Christ” wird ernst, demütig, asketisch und couragiert sein, oder er wird gemäß Guardinis Vision „nicht sein“. Entweder er löst die epochale Aufgabe, nämlich “Macht über Macht zu gewinnen” oder aber er geht in der Flut der Es-Mächte und Totalismen unter. Voraussetzung für den „neuen Christen“ ist eindeutig: “Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen.”

Guardini verband damit zwei weitere Einsichten. Er kennt die bereits von anderen vertretene Formel “Humanität ohne Divinität ergibt Bestialität”.

[1849 prägte Franz Grillparzer als Kritik an der „neuern Bildung“ das Epigramm: „Der Weg der neuern Bildung geht Von Humanität Durch Nationalität Zur Bestialität.“ (Franz Grillparzer: Sämtliche Werke, Bd. I, S. 500??? In Bezug auf Großschreibung!). Der ihm oft zugeschriebene Satz „Humanität ohne Divinität ergibt Bestialität“ ließ sich dagegen nicht nachweisen. 1852 schrieb Johann Wilhelm Hanne gegen jene Humanität, die in ihrer Opposition gegen alle Divinität den Staat zuletzt nothwendig in das Element der Bestialität zurücktreiben muss.“ Es gebe keine „Humanität, die sich im Indifferenzpunct zwischen Gott und Teufel, zwischen Geist und Fleisch, zwischen Divinität und Bestialität halten kann.“ (Johann Wilhelm Hanne: Zeitspiegelungen, 1852, S. 16). Auch Carl August Auberlen schrieb 1854: „Ohne Divinität ist auch keine Humanität möglich, sondern sie sinkt zur Bestialität herab.“ (Carl August Auberlen: Der Prophet Daniel und die Offenbarung Johannis …, 1854, S. 37. Wohl auch in ders.: Die biblische Lehre vom Reiche Gottes in ihrer Bedeutung für die Gegenwart, Basel/Biel 1859; siehe dazu die Rezension von 1861, in: Zeitschrift für die gesamte lutherische Theologie und Kirche, 1861, Bd. 22, S. 332: „Ohne Divinität sinkt die Humanität zur Bestialität herab.“) Der Gedanke der Entartung zur Bestialität wird dagegen von Hermann F. Müller bereits Johann Gottfried Herder (+ 1803) zugeschrieben: „Humanität ohne Divinität entartet zu Bestialität“ (vgl. Hermann Müller: Gotthold Ephraim Lessing und seine Stellung zum Christenthum, 1996, S. 72). Friedrich Schleiermacher (+ 1834) soll diesen Satz weiterverwendet haben mit der Formulierung: „Humanität ohne Divinität führt zur Bestialität“ (diese „führt“-Form findet sich auch: Mittheilungen und Nachrichten für die evangelische Geistlichkeit …, 1878, S. 7.). Andererseits wird Schleiermacher (in: Zeitenwende, Bd. 11, S. 336) die Form: „Humanität ohne Divinität ist Bestialität“ zugeschrieben. Diese „ist“-Form soll laut Sören Holm (Holm, Sören: Gott und die Werte, in: Cornel J. Bock (Hrsg.): Die Rolle der Werte im Leben. Festschrift für Johannes Hessen zu seinem 80. Geburtstag, Köln 1969, S. 40-52, hier S. 50) auch Bischof H. L. Martensen (+ 1884) verwendet haben. So scheint es bereits im Theologischen Literaturblatt, 1880, Bd. 1-3, S. 147 zu stehen. Wilhelm Baur fasst 1883 zusammen: „Verständige Männer sollten doch die Erfahrung schon gemacht haben, dass Humanität ohne Divinität Bestialität wird, dass die Menschlichkeit, ohne in dem Gottmenschen zu wurzeln, in thierische Rohheit entartet.“ (Baur, Wilhelm: Von der Liebe. Ein Zeugniß für lebendiges Christenthum, Frankfurt am Main 1883, S. 279). Franz Werfel hielt schließlich am 14. Januar 1939 in Paris seinen Vortrag “Ohne Divinität keine Humanität”, abgedruckt in Englisch mit dem Titel: The Idea of God and the Human Ideal, in: Poet Lore, v. 34, Nr. 3/4, S. 334-338; dann in: Zwischen Oben und Unten. Prosa. Tagebücher. Aphorismen. Literarische Nachträge, München/Wien 1975, S. 546-553, hier S. 548: „Ohne Divinität gibt es keine Humanität, so wie es ohne transzendental gebundene Menschenliebe keinen echten Sozialismus geben kann.“]

Doch Guardini ergänzt diese Formel sinngemäß durch seine These, dass „Divinität ohne Humanität“ Despotie ergibt. Ohne Humanität gebe es keine Freiheit und ohne Freiheit keine Humanität. Er steht auch hier wieder den evangelischen Theologen Tillich und Bonhoeffer nahe, deren Denken stimmig zusammengefaßt wurde mit dem Epigramm:

„Wer klein vom Menschen redet, um groß von Gott reden zu können, ist auf dem Holzweg. Divinität auf Kosten von Humanität führt zur Bestialität“[Merkur, 29, 1975, S. 464; muss noch überprüft werden???]

Dennoch gilt für Guardini weiterhin, dass bei aller gegenseitigen Verwiesenheit und gleicher Würde der ordnende Primatsgedanke unabdingbar bleibt: „Divinität“ vor „Humanität“ bei gleicher Würde.

Guardini vertrat seine eigene Position jenseits eines integralistisch-extremen “christlich-theistischen Humanismus”, jenseits eines nicht minder integralistisch-extremen “marxistisch-atheistischen Humanismus”, aber auch jenseits eines “agnostisch-anthropozentrischen” bzw. “humanen Humanismus” und dessen ganz in der kantisch-hegelianischen Tradition stehendes abstraktes Gottesbild. Demgegenüber ist ein “katholischer” Humanismus – „katholisch“ nicht im konfessionellen oder religiösen, sondern im systemischen Sinne – ein Humanismus, der die Existenz objektiver Werte und die Polarität des Daseins im Blick behält und somit den Blick auf das Ganze sucht.

Max Müller konstatierte daher völlig zu Recht, dass Guardini seinen eigenen Weg gegangen sei, weil aus seiner Sicht sowohl Modernismus als auch Anti-Modernismus das Phänomen des Christlichen verfehlten:

“Einmal sollte die EIGENTÜMLICHKEIT RELIGIÖSER ERFAHRUNG in ihrer Unableitbarkeit aller Metaphysik und Psychologie gegenüber phänomenal herausgestellt, dann aber in einem zweiten Schritt die EIGENART CHRISTLICHEN GLAUBENS in seiner Unvergleichbarkeit gegenüber jeder allgemeinen religiösen Erfahrung des Numinosen aufgezeigt werden"[Max Müller: Erfahrung und Geschichte, S. 533].

Gerade Guardini habe ihm als Student in Berlin - also ab 1925 - dabei die Entdeckung der Geschichtlichkeit des Christentums in diesem Sinne nahegebracht, “dass katholisches Christsein NICHT SYSTEM einer Weltanschauung sei, SONDERN eben GESCHICHTE”, genauer “Mitgang in einer Geschichte”[Max Müller: Auseinandersetzung als Versöhnung, S. 80. Müller grenzt sich hier ausdrücklich gegen Heidegger ab, der eben gerade das nicht verstanden, sondern das Christsein der Kirche als System angesehen habe]. Guardinis Ausruf “Mit Jedem fängt die Geschichte neu an” stellt also die personale Verantwortung in den Mittelpunkt der Geschichte, sowohl der Heils- als auch der Weltgeschichte. Entscheidend werde sein, dass “das Personale ein Zukunftswort” darstellt, “eine Chance, die wir noch nicht ergriffen haben, eine Chance in einer immer mehr institutionalisierenden Welt, durch deren Realisierung diese Welt allein ihre Lebendigkeit bewahren kann und nicht zum leeren mechanischen Ablauf wird und nicht nur noch Spielraum oder gar nur Gehäuse notwendigen Ablaufs ist”[Max Müller: Die Person und die Institutionen, in: H. H. Kaiser/J.-E. Pleines (Hrsg.): Gedanken aus der Zeit, Würzburg 1986, S. 109].

Auch Guardinis Freund Victor Emil Freiherr von Gebsattel hielt in seiner - ausdrücklich an Guardini anschließenden [Dass Guardini gleich in der ersten Fußnote erscheint, ist dabei nur ein formales Indiz (mit Verweis auf Guardini: Der Heiland, Schildgenossen 1934), der ganze Text stellt eine sichtliche Referenz an Guardini dar] - Studie “Christentum und Humanismus” [Stuttgart 1947] als Ergebnis fest:

“Die alte Feindschaft der Gegensätze, die des Christlichen gegen das Humane (vergleiche Reformation) und die des Humanen gegen das Christliche (vergleiche den historischen Humanismus), hat den Menschen zerrissen, ohne dass er erkennen konnte, was mit ihm geschah. Durch diese Feindschaft wurde das Christliche depotenziert und entmächtigt, das Humane aber in eine Aufstandsbewegung gegen Gott, die Kirche, die Wahrheit, das Gute, die Gerechtigkeit, die Liebe gedrängt. Es sagt sich so leicht dieses Wort von der Synthesis des Humanen und des Christlichen! Aber man muss die Zerrissenheit der einzelnen Seelen als Priester oder Arzt kennen, um zu wissen, was für gewaltige Aufgaben die Forderung in sich schließt, den Streit der feindlichen Gegensätze in die lebendige Spannung eines Bundes zu überführen. ... Dass im Menschen zwei unvereinbare Wesensbilder, zwei idealtypische Grundmöglichkeiten des Menschseins miteinander streiten, macht ihn zum Schauplatz eines Kampfes, der Psychotherapeuten als `Konfliktneurose´ entgegentritt. ... Es ist der alte Kampf zwischen Humanismus und Christentum, dem wir in den einzelnen Seelen begegnen. ... Die Synthesis von Humanität und Christentum ist darum nichts Selbstverständliches, sondern eine Leistung des menschlichen Geistes. Humanisierung des Christentums und Christianisierung des Humanen, das ist die Aufgabe, die aber nur zu lösen ist, wenn der Mensch, ohne seine Natur zu vergewaltigen, seine Souveränität und seine Autonomie der Gottes unterstellt”[Ebd. S 173 ff.].

Vermutlich hätte Guardini wohl die “lebendige Spannung eines Bundes” im Blick auf die Hegelschen Konnotationen des Begriffs nicht mit “Synthesis” wiedergegeben, inhaltlich steht Gebsattel aber mit dieser Deutung gänzlich in Guardinis Gegensatzlehre. Tatsächlich verbieten sich im Anschluss an Guardini aus christlicher Sicht jegliche Experimente und Versprechungen einer “Gesellschaft ohne Gott” bzw. eines “Humanismus ohne Gott”[Siehe zum Beispiel Joachim Kahl: Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott, Reinbek 1968; dagegen schon 1950: Henri de Lubac: Die Tragödie des Humanismus ohne Gott: Feuerbach, Nietzsche, Comte, und Dosotjewsky als Prophet, Salzburg 1950; ders., Über Gott hinaus. Tragödie des atheistischen Humanismus, übertragen von Eberhard Steinacker, durchgesehen und ergänzt von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1984]. Denn ein in absolut-autonomistischen Sinne selbststolzer bzw. selbstherrlicher Humanismus gebiert sich als Pseudoreligion in der Form einer eigenständigen, nicht selten politischen und politisierten “Religion ohne Gott”, also in jenem “politischen Atheismus”, wie ihn Marcel Reding – dabei wie gesehen selbst unter dem Einfluß Guardinis stehend - eindringlich beschrieben und kritisiert hat [Marcel Reding: Der politische Atheismus, Graz/Wien/Köln 1957].

Wenige haben wie Müller, von Gebsattel und Reding diese eigene Position Guardinis treffend beschrieben. Der eigene Weg Guardinis liegt folglich vor allem in seinem Versuch, Christentum und Humanismus durch einen „trinitarischen Humanismus“ zu versöhnen. [Dieser Begriff wurde von Lothar Roos geprägt; vgl. dazu unter anderem: Lothar Roos: Trinitarischer Humanismus als theologische Mitte einer christlichen Gesellschaftslehre, in: Michael Böhnke/Hanspeter Heinz (Hrsg.): Im Gespräch mit dem dreieinen Gott. Elemente einer trinitarischen Theologie. Festschrift zum 65. Geburtstag von Wilhelm Breuning, Düsseldorf 1985, S. 457-480.

Diesen Versuch haben viele seiner Wegbegleiter und Freunde erkannt und vertieft, andere hingegen verkürzt, wesentlich verändert, aufgrund der fehlenden Verankerung in Guardinis Gegensatzlehre polarisiert oder aufgrund der fehlenden Kenntnis der Werkgenese schlicht und einfach übersehen.

Abgrenzungen und Auseinandersetzungen

Jacques Maritain: "Christlicher Humanismus" als „Integraler Humanismus“

Auch Jacques Maritain entwarf seinen “christlichen Humanismus” als einen dritten Weg zwischen Individuum und Kollektiv, Glauben und Verstehen, Denken und Handeln [Jacques Maritain: Humanisme integral, 1936. Dieses Werk beruht auf einer Vortragsreihe im Jahr 1934 und bereits 1935 erschien es auf spanisch unter dem Titel „Problemas espirituales y temporales de una Nueva Cristianda“; Jacques Maritain: Sozialistischer Humanismus und Integraler Humanismus, 1948 (Nachlass); ders., Christlicher Humanismus. Politische und geistige Fragen einer neu-en Christenheit, Heidelberg 1949; (2)1950. Vgl. dazu Oscar De Castro Sarria: Die politische Lehre von Jacques Maritain und die Problematik einer christlichen Politik, München Diss. 1971].

Der aus der Reformation, der Renaissance und der Aufklärung hervorgegangene anthropozentrische „unhumane“ Humanismus vernachlässige das Heilsverlangen des Menschen und verkürze ihn um seine geistige Dimension.

„Die erste Art von Humanismus erkennt an, dass Gott der Mittelpunkt des Menschen ist. Er schließt die christliche Auffassung vom sündigen und erlösten Menschen ebenso ein wie die christliche Auffassung von Gnade und Freiheit, an deren Ursprünge wir erinnert haben. Die zweite Art von Humanismus glaubt, dass der Mensch selber die Mitte des Menschen und also aller Dinge ist. Sie schließt eine naturalistische Auffassung des Menschen und der Freiheit ein“[Jacques Maritain: Christlicher Humanismus, Heidelberg 1950, S. 22f.].

Der zweite Humanismus habe im 20. Jahrhundert einen „revolutionären Höhepunkt“ erlebt in Form jenes materialistischen Umsturzes, „wo der Mensch, der seine letzte Bestimmung mit Entschiedenheit in sich selbst verlegt und die Maschine dieser Welt nicht mehr ertragen kann, einen verzweifelten Krieg entfacht, um aus einem radikalen Atheismus eine völlig neue Menschheit erstehen zu lassen“[Ebd., S. 26]. Und so finde man am Ende dieser „säkularen Geschichtsentwicklung“ an der Grenze „zwei reine Einstellungen“: die „rein atheistische“ und die „rein christliche Einstellung“[Ebd., S. 28]. Dabei erkennt er als rein christliche Position nur die thomistische an, den er in seinem theozentrischen „Humanisme intégral“ fortführen möchte, um damit den unhumanen Humanismus zu überwinden und zu einem „gesunden“ Humanismus zurückzukehren [Ebd., S. 55].

Grundsätzlich stimmte Maritain mit Guardini darin überein, dass es zur Bewältigung dessen, was ein neues Zeitalter der Christenheit fordert, einen Entwurf einer politischen Theologie bedürfe, in der dem Christen eine besondere Aufgabe und Verantwortung als Christ und Bürger zuteil werde [Ebd., S. 74-78]. Auch kann man mit Maritain durchaus die Unterscheidung zwischen einer - im Kreis um Carl Schmitt - politischen Theologie und der von ihm und anderen in Frankreich entwickelten "théologie politique" nachvollziehen, wobei fraglich bleibt, ob tatsächlich der Unterschied darin besteht, dass letztere im Anschluss an Thomas von Aquin die Politik trotz Unterordnung unter die Theologie auch als etwas Profanes auffasst, während "der deutsche Sinn des Ausdrucks politische Theologie [...] im Gegensatz dazu der" sei, "daß das Objekt selbst, um das es geht, in Wirklichkeit nicht profan und zeitlich ist. Das Objekt selbst ist heilig"[Maritain, Christlicher Humanismus, 1950, S. 78].

Doch gerade in der Ausgestaltung dieser politischen Theologie zeigen sich eben die Unterschiede zwischen Guardini und Maritain. Maritain war laut Peter Nickl davon überzeugt:

„Nur das Christliche kann das Politische in die Schranken weisen – indem es nämlich alle weltlichen Handlungsziele der Welt subordiniert, die in diesen niemals aufgeht, weil die Person ihren letzten Bezugspunkt in der Person Gottes, in einer überzeitlichen Lebensgemeinschaft und nicht in einer bestimmten politischen Organisationsform findet“[Peter Nickl: Jacques Maritain. Eine Einführung in Leben und Werk, Paderborn u.a. 1992, S. 105]

Im Unterschied zu Maritain, der also nahezu ausschließlich “theozentrisch” und “integral” orientiert dachte, richtete Guardini die Humanität klar “trinitarisch” und insbesondere “christozentrisch” aus. Daher konnte er entschiedener als Maritain im Umkehrverfahren auch gegen Klerikalismus und Integralismus innerhalb der Kirche und im Bereich des “politischen Katholizismus” eintreten. Mit seiner Gegensatzlehre entging Guardini außerdem der dialektischen Gefahr, die Freiheit des Menschen einseitig von Gott her zu determinieren, ebenso wie der Gefahr einer existentialistischen Variante, den Menschen - nicht weniger “integralistisch” - als den von wem bzw. von woher auch immer in die Welt “Geworfenen” zu betrachten [Vgl. Sartre, 1946 und in “deutscher Version”: Martin Heidegger: Über den Humanismus Frankfurt am Main 1947]. Nicht zuletzt entging Guardini auch einem “sozialistischen Humanismus" oder gar einem “marxistischen Humanismus", der keineswegs zufällig – so zum Beispiel explizit bei Gramsci – ebenfalls wie bei Maritain unter dem Begriff des “integralen Humanismus” auftrat und bei Lenin und Stalin "gewalttätig" wurde. [Vgl. zum Themenfeld bereits Lion Feuchtwanger: "Lenin und der sozialistische Humanismus" (Zu Lenins Todestag), Januar 1939 (Typoskript, 4 Seiten); Johannes Messner: Marxistischer Humanismus, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht, Wien, Bd. 17, 1967, 330-342; Iring Fetscher: Verdirbt Religion den Menschen?: marxistischer und christlicher Humanismus. Iring Fetscher antwortet Werner Post, Düsseldorf 1969; Jörg Splett: Zum Humanum im Christentum und im Marxismus: Kirche in Not XXII. Humanismus - Marxismus - Christentum. Königstein 1974, 11-32; Erich Fromm: Humanismus als reale Utopie - Der Glaube an den Menschen, München 1992 (Schriften aus dem Nachlass, Bd. 8); ders.: Sozialistischer Humanismus und Humanistische Ethik, 1981 (Gesamtausgabe, Bd. 9)]. Guardini analysierte treffsicher, dass es im Existentialismus und Kommunismus aufgrund der nahezu “reinen” Anthropozentrik zu einem integralistischen Absolutismus bzw. Totalismus kommen müsse [[Vgl. dazu Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie II, Paris 1972; Frankfurt 1999, S. 45-56: In einem Gedenkvortrag über Rousseau spricht Lévi-Strauss vom “Teufelskreis des anthropozentrischen Humanismus”, wobei er nicht die Abgrenzung vom Göttlichen im Blick hat, sondern die Abgrenzung vom Animalischen].

Unabhängig davon bekannte sich Maritain gleichermaßen wie Guardini bereits ab Mitte der dreißiger Jahre zur Demokratie und zu den Menschenrechten [Vgl. dazu Maritain, Christianité et democratie, 1943; engl. Christianity and Democracy, 1945; deutsch: Christentum und Demokratie, 1949; ders.: Les Droits de l'homme et la loi naturelle, 1942; ders.: Die Menschenrechte und das natürliche Gesetz, Bonn 1951]. Wie gesehen wirkte Maritain wesentlich an der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ mit.

Der Unterschied wirkte sich daher weniger auf das Verständnis von Staaten und internationaler Staatenordnung aus, als vor allem in der "politischen Ekklesiologie" aus und zeigte sich an der unterschiedlichen Einschätzung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dessen Ergebnisse Maritain ähnlich wie Dietrich von Hildebrand wesentlich kritischer sah als Guardini.

Eduard Sprangers „neuer" und "dritter Humanismus“

Auch Guardinis Kollege Eduard Spranger war Zeit seines Lebens der Idee eines „echten“ “christlichen Humanismus” verpflichtet, auch wenn er seine Humanitätsauffassung erst in seinen späteren Arbeiten stärker religiös begründet hat [Eduard Spranger: Christentum und Humanität, 1949; Vgl. dazu: Hein Retter: "Kulturprotestantismus - Mystik - Gewissensethik - Sprangers christlicher Humanismus und der Protestantismus heute", in: Gerhard Meyer-Willner (Hrsg.): Eduard Spranger. Aspekte seines Werks aus heutiger Sicht. Klinkhardt-Verlag, Bad Heilbrunn 2001; vgl. dazu auch schon: Werner Wilhelm Jaeger: Im Zeichen eines neuen Humanismus, in: Eduard Spranger. Bildnis eines geistigen Menschen unserer Zeit. Festschrift zum 75. Geburtstag, Heidelberg 1957, S. 24-30]. Er prägt dafür - mit seinem Freund Werner Jaeger [vgl. Werner Jaeger: Antike und Humanismus [1925], in: Hans Oppermann (Hrsg.): Humanismus. Darmstadt 1977, S. 18–32] - die Formel vom "dritten Humanismus", im Unterschied zum erste, dem Althumanismus, und zum zweiten, dem Humanismus im Umfeld von Wilhelm von Humboldt. Sie stammt aus Sprangers 1921 gehaltenen Rede: "Aber ein Unterschied unseres Humanismus, den man den dritten nennen könnte gegenüber jenem zweiten, liegt in der Weite des Suchens und des Verstehens, das wir Modernen aufzubringen vermögen"[Eduard Spranger: Der gegenwärtige Stand der Geisteswissenschaften und die Schule, 1922; hier (2)1925, S. 7].

Von der liberalen Theologie des Kulturprotestantismus herkommend stellte für Spranger das Christentum bei aller Toleranz weiterhin “die universale und die höchste aller Religionen” dar [Ebd., S. 149]. Wie Guardini distanzierte er sich aber von der kulturverneinenden “dialektischen Theologie” ebenso wie von der sogenannten “Luther-Renaissance”[Ebd., S. 149-152].

„Der christliche Humanismus aber glaube, im Gegensatz zur dialektischen Theologie, `weder an das absolut Böse im Menschen, noch an seine wesensmäßige Güte. Der Mensch schwebt immer gefährdet zwischen Gut und Böse. Deshalb soll man ihm das Gewissen schärfen und ihm sagen, dass im echten Gewissen Gottes Stimme ist´“[Eduard Spranger: Gesammelte Schriften: Philosophie und Psychologie der Religion, 1969, S. 407 f.]

Spranger mahnte, die Parole von der „Rückkehr zur Humanität“ nicht zu einem leeren Schlagwort verkommen zu lassen. Es gelte sich daran zu erinnern, „dass dieses Ideal eine entschiedene Anknüpfung ans Metaphysische einschließt, wenn es nicht gar als Säkularisierung des alten christlichen Menschenbildes aufzufassen ist. Humanität nämlich deutet gerade auf das Mehr-als-Menschliche, auf eine Bindung, die im innersten der Seele zu höheren geistigen Mächten besteht, wie es am deutlichsten in der Gewissensbildung zum Ausdruck kommt“[Eduard Spranger: Volksmoral und Gewissen, 1948; Pädagogische Rundschau, 1983, S. 421; Gesammelte Schriften: Staat, Recht und Politik, 1970, S. 313].

„Nunmehr rückt in den Mittelpunkt der von innen heraus selbständig stellungnehmende Mensch. Für ihn kommt es darauf an, dass er auf die Stimmen in seinem Inneren hinhört und die Bindungen heilig hält, die ihn dort umfangen. Bindung aber heißt auf lateinisch religio. Damit ist nicht nur die wesentliche Struktur des abendländischen Menschen ausgesprochen, sondern auch das zentrale Ordnungsproblem, mit dem Europa zu ringen hat.“

Ganz der Gegensatzlehre Guardinis entsprechend formuliert, bezieht Spranger diese Bindungen und ihre politisch-theologischen Implikationen nun auf den „westlichen Menschen“:

„Der westliche Mensch unterliegt ZWEI Bindungen – einer äußerlich-politischen und einer innerlich-religiösen. Diese Spannung muss ausgehalten werden, oder das Eigentümliche des Abendlandes geht zugrunde. Die beiden Extreme wären: die absolut weltflüchtige Kirche und der völlig verweltlichte Staat. Die Wirklichkeit zeigt nur Mittelformen: in jedem Staat etwas von Schutz der religiösen Sphäre der Person, in jeder Kirche etwas von weltlichem Regiment. Es gibt da keine absolute Lösung; das Wichtigste ist, dass die Spannung selbst immer lebendig bleibt“[Eduard Spranger: Gesammelte Schriften: Geist der Erziehung, 1980, S. 199; Pädagogische Perspektiven: Beiträge zu Erziehungsfragen der Gegenwart, 1951, S. 14].

Der “mystische Grundzug seines religiösen Empfindens” und die “metaphysische bzw. religiöse Dimension” in seinem Denken führten Spranger zu einer deutlichen Distanzierung vom Nationalsozialismus [Ebd., S. 157, 159 f.]. Nach 1945 grenzte er seinen “christlichen Humanismus” ausdrücklich von “falschem Kulturstolz”[Ebd., S. 162] ab und konzentrierte sich auf die “Gewissensbildung”[Ebd., S. 163 ff.]. So wurde Spranger im “Rückgriff auf den Neuhumanismus und die deutsche Klassik” zu einem bedeutenden konservativen Kapitalismus- und Kulturkritiker [Ebd., S. 166 f.].

Aber auch ihm gegenüber ging Guardini noch einen Schritt weiter. Bei aller Wertschätzung der antiken und der deutschen Klassik, bei aller Betonung der “Gewissensbildung” als Selbstbildung und bei aller Kapitalismus- und Kulturkritik versuchte Guardini auch in diesen Fragen erneut polar anzusetzen, und daher auch die antike und deutsche Romanik, die Wertschätzung der Tradition, eine bei aller Kritik bejahende Haltung zur Wirtschaft und zur Kultur mit einzubeziehen und in eine Spannungseinheit zu bringen. Romantisch waren dagegen für Guardini all jene Versuche, die im einseitigen Rückgriff auf eine der beiden Traditionen einen Widerspruch konstruierten. “Zu romanische” oder “zu klassische”, “zu antike” oder “zu germanische” Systeme verfolgten absolute Widersprüche, wo nach Guardini aber nur relative Gegensätze vorhanden sind. Sie diagnostizierten “romantischen” Ungeist zwar beim Feind, aber in einer Art und Weise, die selbst romantisch ist, erneut gemäß dem Nietzsche zugeschriebenen Motto: Wer verfolgt, folgt.

Dies gilt insbesondere auch im Blick auf Carl Schmitt, den Guardini wie gesehen ausdrücklich als “allzu romanisch” ansah. Schmitt habe zwar die “politische Romantik” der Gegner zutreffend diagnostiziert; da er sie aber gänzlich polemisch als “Feinde” stigmatisierte und dafür überall nach “Freunden” suchte, sei er in seinem Kampf gegen den „anti-römischen Affekt“ selbst dem romantischen Ungeist verfallen und erlegen. Diese Kritik an der Vereinseitigung trifft im Rahmen seiner Gegensatzlehre aber eben nicht nur Carl Schmitt, sondern auch die jeweiligen Antipoden.

So wundert es dann auch nicht, dass Eduard Spranger in der Weimarer Republik noch Carl Schmitts Parlamentarismus- und Liberalismuskritik zustimmend rezipierte. Erst nach 1945 gestand er Schmitt zwar noch zu, "überaus geistvoll zu sein", sein Wesen und seine Persönlichkeit seien jedoch "undurchsichtig" [Vgl. dazu Carl Schmitt, Gespräch mit Eduard Spranger, in ders.: Ex Captivitate Salus, 1950, S. 13]. Wie gesehen, kritisierte auch Guardini den Parlamentarismus, aber nicht grundsätzlich, sondern allein als Frage des "politischen Stils" in der Auseinandersetzung. Einen Satz, wie den von Eduard Spranger aus dem Jahr 1924 ("Die echte Jugendbewegung lehnt bekanntlich die Parteien ab. Diesen Standpunkt begründet sie durch ihren Gegensatz zu dem unorganischen, rechenhaften Stil des heutigen deutschen Parlamentarismus."), hätte Guardini für sich und für die katholische Jugendbewegung nie ausgesprochen.

Heinz Robert Schlettes „Humanismus der Zukunft“

Wenn der Bonner Philosoph Heinz Robert Schlette (* 1931) in seiner Heinrich Lutz freundschaftlich gewidmeten Schrift "Christen als Humanisten" sich im Vorwort gegen die Erklärung wendet, "der Humanismus der Zukunft werde (oder müsse) der marxistische" - oder auch der buddhistische – sein, und diesen Anspruch als "uniformistisch und wahrscheinlich auch als totalitär" zurückweist, schließt er in diese Ablehnung auch die Rede vom "christlichen Humanismus" mit ein. Schlette will aufzeigen, "dass auch dieser Anspruch das Wirkliche und das Mögliche verkennt." Das Christliche müsse stattdessen “eine andere geschichtliche Gestalt" annehmen, durch die es dann "befähigt wird, für einen humanen Humanismus einzutreten, dessen wir in Wahrheit bedürfen." [Heinz Robert Schlette: Christen als Humanisten, München 1967 (Theologische Fragen heute; 11), S. 7]

Schlette erneuerte dabei ausdrücklich die verschiedentlich und auch von ihm selbst an Romano Guardini geäußerte Kritik. So schreibt Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: "Die Ablehnung der Neuzeit in ihrem Denken, das eine Mischung von Hybris und Autonomie sei, wurde Guardini verschiedentlich vorgeworfen, zuerst in der Kritik Clemens Münsters, später auch durch Heinz Robert Schlette, Heinrich Lutz und Michael Theunissen. Die Kritik läuft darauf hinaus, dass Guardini das Mittelalter zu sehr idealisiert und dagegen die Neuzeit in ihrer Komplexität, worin das Christentum ebenfalls eine hervorragende Rolle spielte, zu vereinfacht gezeichnet habe. Dieser Kritik wird man zustimmen müssen, ebenso dem Vorwurf, Guardini sei in seiner Analyse weithin von geisteswissenschaftlichen und kulturphilosophischen, nicht aber von gesellschaftlichen und politischen Gesichtspunkten ausgegangen.“ Andererseits verteidigte er ihn im Blick auf sein Festhalten an der „Möglichkeit der Rettung“: „Hält man aber im Blick, dass Guardini sein Buch mit dem Gedanken schrieb, 'in jeder Zeit die Möglichkeit der Rettung zu sehen' (Unsere geschichtliche Zukunft, 28), so ist Zuversicht das ausschlaggebende theologische, nicht politische Motiv. 'Die Zuversicht ist mir sehr langsam erwachsen; vielleicht ist sie deshalb so lebendig.' (ebd.)" [Gerl-Falkovitz, Romano Guardini, 1885-1968: Leben und Werk, 1985, S. 342 f.]

Schlette kritisierte daher natürlich konsequent auch Jacques Maritains Schrift “Humanisme intégral” [Maritain, Paris 1936; deutsch: Heidelberg 1950], aber auch Hugo Rahners “Abendland”-Schrift [Rahner, Freiburg/Basel/Wien 1966, S. 11-68], Helmut Kuhns Aufsatz “Humanitas christiana” aus der Guardini-Festschrift [Kuhn, in: Guardini-Festschrift, 1965, S. 151-171] und - in theologischer Opposition, aber gleicher ethischer Ausrichtung - Karl Rahners Text “Christlicher Humanismus” [Rahner, in: Orientierung, 30, 1966, S. 116-121].

Dabei würdigte Schlette Guardinis “Ende der Neuzeit” als durchaus zutreffende kulturphilosophische Diagnose der Neuzeit: "Die Bedenken, die Guardini hier und an anderer Stelle vorbringt, sind nicht aus der Luft gegriffen, und die Beschreibung der konkreten Entwicklungen und Probleme, die er bietet, scheint mir durchaus zutreffend." Auch anerkennt er "den Versuch, das Positive der Neuzeit zu retten" [Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 39].

Indem Schlette aber im weiteren Verlauf ausgerechnet für Metz und dessen "Christliche Anthropozentrik" [München 1962] das Wort ergreift [Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 48], während er Guardini zusammen mit Alfons Auer sowie mit Gilson, de Lubac, Maritain, Wust, Steinbüchel und Balthasar [ebd., S. 40] ausdrücklich als überholt „ad acta“ legt, begeht er einen Kurzschluss. Dieser hat seine Ursache darin, dass Schlette eben den politisch-theologischen Kontext von Guardini völlig außer Acht lässt, während er gleichzeitig den Kontext der politischen Theologie von Metz völlig unkritisch übernimmt. Zwar erkennt er mit Metz an, dass “die Hominisierung der Welt” - anders als der Marxismus und andere moderne Utopien und Weltanschauungen dies irrigerweise annehmen - noch nicht “die Humanisierung der Welt” bedeute [ebd., S. 48 in Bezug auf Metz, Die Zukunft des Glaubens in einer hominisierten Welt, in: Hochland, 56, 1963/64, S. 377-391; dann in: ders. (Hrsg.): Weltverständnis im Glauben, Mainz 1965, S. 60f.; vgl. auch: Weltverständnis im Glauben. Christliche Orientierung in der Weltlichkeit der Welt heute, in: Glaube und Leben, 35, 1962, S. 165-184; vgl. Schlette, Wird die Welt christlicher? Anzeichen einer strukturalen Homogenität, in: Veränderungen im Christentum, Olten-Freiburg 1969, S. 117-130]. Doch hält er mit ihm auch daran fest, “dass wir auf eine mondiale Einheitsstruktur der Welterfahrung zugehen, die die Möglichkeit besseren gegenseitigen Verstehens in sich schließt, die die Chance des weltweiten Friedens enthält, die endlich auch die Voraussetzungen für ein ehrliches Gespräch, für einen freien Wettstreit und die Wahrheit und damit für ein glaubhaftes christliches Zeugnis bedeutet”[ebd., S. 49]. Diese Möglichkeit besteht aber nur, wenn man gleichzeitig die christliche Religion stärker funktionalisiert, und somit wieder ganz hegelianisch den “Ethos” vor den “Logos” setzt. Das sich so unterschiedlich positionierte politisch-theologische Denker wie Metz, Gogarten und Lübbe [ebd., S. 50] gerade darin einig sind, sollte zu denken geben, gerade weil sie sich im Blick auf die konkrete Gestalt – auf der einen Seite Zivilreligion, die Religion des Bürgers bzw. die Bürgerreligion, auf der anderen Seite die Religion der Neuen Sozialen Bewegungen - einen erbitterten Kampf liefern [Vgl. Eicher, Peter: Bürgerliche Religion, München 1983].

In seinem Ansatz muss Schlette sich am Ende seiner Studie konsequenterweise mit Karl Poppers These auseinandersetzen, nachdem Geschichte keinen Sinn habe, außer wenn Menschen ihr einen verleihen. In der säkularen Welt, in der Weltlichkeit der Welt heute, muss er, um sich gegen den angeblichen Positivismus Poppers abzugrenzen, die “deutende Entgegennahme eines vorentworfenen, jedoch von uns nur retrospektiv erfahrenen Geschichtszusammenhangs, als dessen anfänglicher, bleibender und künftiger `Grund´ immer deutlicher der eine Gott Israels erkannt und bezeugt worden ist”, als notwendig postulieren [Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 143]: "Der humane Humanismus, dem wir heute als Christen solidarisch werden, lässt die Differenzen der Religionen und Ideologien sehr wohl zu, ja er beruht auf der Voraussetzung und Unaufhebbarkeit dieser Differenzen. Das heißt aber, dass dieser Humanismus ... die (philosophisch fundierte) Antwort auf ein politisches und gesellschaftliches Desiderat darstellt, nicht aber eine Antwort auf ausnahmslos ALLE Fragen der menschlichen Existenz. Es handelt sich eben um einen zugleich säkularen und aporetischen Humanismus, der in der hier skizzierten Form seiner methodischen Selbstbegrenzung vertrauenswürdiger ist als jener “christliche Humanismus”, dessen Verhältnis zur Wirklichkeit ebenso anachronistisch wie illusionistisch geworden sein dürfte. Erst die Distanzierung von diesem christlichen Humanismus befreit uns dazu, in der Gegenwart auf glaubwürdige Weise gleichzeitig Christ und Humanist sein zu können" [ebd., S. 152 f.].

So verwundert es auch nicht, dass Schlette gerade Guardinis Schrifttitel “Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen” als “programmatische, uns heute tief fragwürdige Formulierung” ausmacht, die "der Theologie der nachkonziliaren Zeit (nicht nur historisch bedenklich - das war sie auch früher schon -, sondern auch) als die Diskriminierung jenes neuen menschheitlichen `humanen´ Humanismus, dessen Umrisse sich abzeichnen”[Schlette, in: Aporie und Glaube. Schriften zur Philosophie und Theologie, München 1970, S. 268 inkl. Anm. 59]. Wenn er sich auf der Seite des von der Pastoralkonstitution hervorgehobenen “neuen Humanismus” wähnt und Guardini als “dem Ansatz nach in der besten Tradition des `christlichen Humanismus´ (ähnlich wie J. Maritain, H. Rahner, H. Kuhn)” sieht, verkennt er nicht nur die Grundlagen der Pastoralkonstitution, sondern auch ganz und gar die Eigenständigkeit des Ansatzes von Guardini. Da ist es auch zu wenig, wenn er manche “Reflexionen” anerkennt, wie zum Beispiel diejenigen, “die über das Grundkonzept des `christlichen´ Humanismus hinausweisen, so wie sie sich zum Beispiel im Aufsatz `Gedanken über das Verhältnis von Christentum und Kultur´” von 1926 finden ließen [Schlette, ebd., S. 268, Anm. 59]. Nach Schlette kann Guardinis These in dieser pointierten Form weder historisch und politisch noch auch ideologisch gesehen überzeugen und sieht in Guardinis Kritik gegen das neuzeitliche Autonomie-Bewusstsein eine durchgängige Polemik, die “aus dem `christlichen Platonismus´ und damit aus einer Denkweise” folge, “die das Problem der `Vermittlung´ außer Betracht lässt” [Schlette, Romano Guardini. Versuch einer Würdigung, in: ders: Aporie und Glaube. Schriften zur Philosophie und Theologie, München 1970, S. 273]

Wechsler [Wechsler, Guardini als Kerygmatiker, S. 97, FN 132] weist dagegen zu Recht darauf hin, dass Guardini, unter neuzeitlichem Autonomismus gewöhnlich auch das versteht, was Schlette oder Lübbe mit Säkularisierung kennzeichnen [Vgl. Schlette, Christen als Humanisten, a.a.O., S. 21: Säkularisierung als "die Emanzipation der Kultur, der Mentalität, des Denkhorizontes überhaupt aus dem Gehäuse der mittelalterlichen Christenheit” sowie . Guardini versteht unter “Säkularisation” bzw. “Säkularisierung” die “Einweltlichung” der christlichen Botschaft, versteht sie also nicht von vornherein negativ, wie ihm unterstellt wurde [Vgl. Guardini, Hölderlin, S. 350, 546, 566]. Nur insofern dies in einer Zweideutigkeit geschieht, die sich selbst über den Ursprung täuscht, wird Säkularisierung illegitim. Vor allem Worte „erborgen“ sich „eine Atmosphäre, ... einen seelischen Tiefgang, ... ein Leben“, das ihnen nicht zusteht: „sie sind `säkularisiert´, ins `saeculum´, in die Weltlichkeit geglitten“ [Guardini, religiöse Dichtung der Neuzeit, S. 30].

So zeigt gerade Schlettes Vorwurf die geringe Präsenz des “ganzen Werks Guardinis”, die Schlette zwar vorgibt, die sich aber schon allein dadurch als obsolet erweist, weil er Guardinis “Gegensatz”-Buch nicht einmal erwähnt. Auch folgende Passage zeigt, wie wenig er Guardinis Denken erfasst hat: "Nun wird man nicht leugnen wollen, dass in den modernen Diktaturen tatsächlich in vieler Hinsicht jene von Guardini bloßgestellte verderbliche Autonomie zum Zuge kam. Aber in der pointierten Form, in der Guardini seine These vorbringt, kann sie historisch und politisch, ja auch ideologisch gesehen nicht überzeugen. Man könnte bereits das Einteilungsschema Autonomie - Heteronomie kritisieren, doch ich möchte nur auf etwas anderes verweisen: Guardini bleibt mit seiner Autonomiekritik seinem platonisch-wertphilosophischen Ansatz treu, dem gemäß die Logik des Lebendigen und die intuitiver Erkenntnis zugänglichen Ideen und Werte der Philosophie reiner Rationalität entgegenzustellen sind; diese Haltung verbindet, wie wir schon andeuteten, Guardini in etwa mit deutschen `Existenzphilosophen´ und dem Personalismus, während er den `französischen Existentialismus´ - und wenn er davon spricht, meint er faktisch den frühen Sartre - stets scharf kritisiert"[Schlette, Aporie des Glaubens, S. 274 in Bezug auf: Das Ende der Neuzeit, S. 96 f.].

Abgesehen davon, dass es das besagte „Einteilungsschema“ bei Guardini wie gesehen nicht gibt, sondern nur eine ausdrückliche Spannungseinheit von Autonomie und Allonomie, kommt seine Kritik am Autonomismus - und eben nicht an der Autonomie als menschliches Grundprinzip - keineswegs nur aus seinem „intuitiv-irrationalen“ platonisch-augustinischen Ansatz, sondern vor allem aus seinem überwiegend aristotelisch-thomistischen geprägten Gegensatzdenken. Dies gilt auch für Schlettes Auffassung Guardinis Denken in dieser Zeit habe eine "platonisch-aristokratische Färbung" gehabt [ebd., S. 262 f.], oder er sei ein "christlicher Platoniker oder platonischer Christ", der "formal von einem Grundgestus der Wirklichkeitsdeutung bestimmt" sei, "den er ... von Platon übernimmt, freilich ohne deshalb ein nichtchristlicher, griechischer Platoniker zu werden. Guardini war sich seiner Nähe zu Platon klar bewusst und hat sich oft zu Platon geäußert, dort, wo es ihm nötig schien, auch kritisch" [Schlette, „Die Religiösität der kommenden Zeit“. Zu Guardinis Vorblick, in: Gerl, (Red.): Zur geistigen Gestalt Romano Guardinis. Materialien zum Bereich der Sprache und zur Frage des Endes der Neuzeit, Burg Rothenfels 1981, S. 62-83; dann in: ders., Glaube und Distanz. Theologische Bemühungen um die Frage, wie man im Christentum bleiben könne, Düsseldorf 1981, S. 174-193, hier S. 186]. Die alleinige Berufung auf die Tagebucheintragung vom 13. Januar 1954, in der Guardini sich zu Platon als das Entscheidende bekannt und gegen die verantwortungslose Auflehnung gegen das Wesen ausgesprochen hatte, reicht gerade aufgrund Guardinis Gegensatzdenken nicht aus, ihn zum Platoniker zu erklären. Insofern geht auch Schlettes Kritik an Eugen Biser und Helmut Kuhn, die für Guardinis „primäre Orientierung an Augustinus“ plädieren, ins Leere [ebd., S. 186 unter Berufung auf Biser, Interpretation und Veränderung. Werk und Wirkung Romano Guardinis, Paderborn u.a. 1979, S. 31].

Weiterhin kritisierte Schlette "Guardinis These, dass die Hauptursache" der totalitären Katastrophen "der neuzeitliche `Autonomismus´ sei", als nur "beim ersten Blick einleuchtend", aber letztlich doch falsch. Er selbst behauptet dagegen, "nicht Autonomismus" habe "zur Naziherrschaft" geführt, "sondern gerade die Heteronomie des Irrationalen" [Schlette, in: Aporie und Glaube, a.a.O., S. 274. Der Verweis auf die Studie von R. Düren: Die Vokabel `Gott´ in Hitlers `Mein Kampf´, 1967 belegt tatsächlich die Existenz einer “Heteronomie des Irrationalen”, gerade aber die “Vorgeschichte” dieses Phänomens zeigt dass es sich dabei um ein Umschlagen von einem Extrem in das andere handelt, ohne die Struktur zu verändern. Ein rationalistischer Autonomismus und ein irrationalistischer Heteronomismus sind gerade für Guardini die zwei Seiten ein und derselben Medaille].

Schlette verkennt, dass für Guardini sowohl der „Autonomismus des Rationalismus“ als auch der „Heteronomismus des Irrationalismus“ zwei doppelt-widersprüchliche Extreme waren, während er selbst eine die Pole Autonomie und Heteronomie und davon unabhängig Rationalität und Intuition in Spannung haltende lebendig-konkrete Einheit forderte. Indem Schlette „intuitiv“ und „irrational“ gleichsetzt, und zwischen Rationalität und Rationalismus nicht unterscheidet, zeigt er erneut seine eigene unkritische, weil der Aufklärung gegenüber einseitige Position.

Ähnlich geschieht dies bei seiner Gleichsetzung des von Guardini verwendeten Begriffs “Organik der Werte” [Guardini, Die Verantwortung des Studenten für die Kultur, in: Romano Guardini, Romano/Walter Dirks/Max Horkheimer: Die Verantwortung der Universität, Würzburg 1954, S. 5-35, hier S. 18] und einem metaphysisch-idealistischen Ordnungsdenken. "Guardinis politische Logik", die es zweifelsohne gibt, lautet eben gerade nicht, wie von Schlette unterstellt: "Von der Autonomie führt der Weg in den Totalitarismus, in die Diktatur, weil es nichts Haltendes, Grenzen Setzendes, als Autorität Geltendes mehr gibt" [Schlette, in: Aporie und Glaube, S. 273]. Auch hat Guardinis Losung “Macht über die Macht erlangen” eben gerade nichts mit christlich-humanistischem Moralismus zu tun, wie Schlette mutmaßt. Guardini kritisierte am neuzeitlichen Autonomismus eben nicht die Betonung der Autonomie als solcher, sondern dass mit dieser Betonung gleichzeitig und nicht notwendig eine begrifflich-mythisierende Abstraktion des Gottesbegriffes verbunden worden ist, weil man einerseits “Gott” als Postulat eben aus moralisierenden Gründen beibehalten, ihn aber aus lebendig-konkreten, sprich personalen Zusammenhängen verdrängen wollte. Diese “Halbwelt” führte konsequenterweise zu den radikaleren, aber in sich aufrichtigeren, mythischen, atheistischen und nihilistischen Lösungen im Nationalismus, Kommunismus und Nihilismus, deren Radikalismus dann aber nach Guardini in aller Regel und geradezu zwangsläufig in jenen Totalitarismus der „zwölf Jahre“ bzw. des Stalinismus umgeschlägt. Wenn Guardini den “Weg zu Hitler” schon bei der durch Kant und Pascal repräsentierten Auseinandersetzung zwischen Rationalismus und Irrationalismus ansetzte, dann nur weil die eigentlichen Vorbereiter sich als Kantianer bzw. Pascalianer verstanden. Guardini kritisierte ja nicht nur den neuzeitlichen Rationalismus im Autonomismus Kants, sondern auch dessen irrationalistisch-heteronomistischen Pendant bei Pascal, das sich interessanterweise in der Praxis nicht minder autonomistisch zeigte. Indem Pascal die Gotteserfahrung in die “reine” Intuition verlagerte, kam es ja gerade zu derjenigen von Guardini schon sehr früh problematisierten irrationalen Überbetonung der Mystik.

Außerdem bleiben Schlettes Einschätzungen widersprüchlich, wenn er gleichzeitig Guardinis Autoritäts- und Gehorsamsverständnis gegen den Vorwurf, er vertrete einen hieratischen Immobilismus, verteidigte. Denn Guardini setze „die Ansprüche an einen qualifizierten Gehorsam und eine qualifizierte Autorität im politischen ebenso wie im kirchlichen Bereich so hoch an..., dass auch die Worte Autorität und Gehorsam für Guardini gerade nicht die Lesungen einer hieratisch-immobilistischen Haltung bedeuten, sondern im Gegenteil auf etwas Zukünftig-Neues, etwas noch nicht Erreichtes und noch nicht Errichtetes vorgreifen. Ja, in dem Vortrag `Der unvollständige Mensch und die Macht´ hat Guardini sogar erklärt, `Reformen´ genügten in der gegenwärtigen Weltsituation nicht, es gehe vielmehr um `eine neue Basis und eine neue Freiheit´, ja eine `echte Re-Volution´, eine Wende der Erkenntnis und der Bewertung“ müsse `sich vollziehen´.“ [Schlette, Heinz Robert: Romano Guardini. Werk und Wirkung, 1973, S. 37]. Gerade hier zeigt sich aber, dass Schlette das differenzierte Verständnis Guardinis von Autonomie und Freiheit als notwendige Gegenpole von Autorität und Gehorsam nicht nachvollziehen konnte.

Wenn Schlette daher auf Felix Messerschmids Erklärung, wir müssten „heute“ in den Weg Guardinis „Korrekturen einzeichnen“, verweist [Schlette, „Die Religiösität der kommenden Zeit“, in: ders., Glaube und Distanz, a.a.O., S. 174 unter Bezug auf Messerschmid, Romano Guardini, in: Romano Guardini. Der Mensch – die Wirkung – Begegnung, hrsg. durch die Stadt Mainz, Mainz 1979, S. 31], dann bleibt dies trotz korrekter Wiedergabe des Anliegens Guardinis ambivalent: "Das bedeutet nichts anderes, als dass Guardini einen notwendigen Übergang von einer sich selbst nicht verstehenden, hybriden Autonomie-Mentalität zu den totalitären politischen Herrschaftsformen unseres Jahrhunderts, also zu Nationalsozialismus und Stalinismus, annimmt. Vor dieser katastrophischen Entwicklung warnt er durch Erinnerung an die Offenbarung und die durch sie legitimierten Werte. Wer Guardini gelesen und gehört, wer ihn persönlich gekannt hat, wird diese seine Urteile in ihrer Integrität und in ihrer politischen Situiertheit fünf Jahre nach dem Ende des Krieges zu würdigen wissen" [Schlette, „Die Religiösität der kommenden Zeit“, in: ders., Glaube und Distanz, a.a.O., S. 178 f.]. Schlette führt Guardinis These, dass die Anerkennung von Menschenrechten an die Annahme der Offenbarung gebunden sei, auf die Spitze. Wenn dem so wäre, dann hätten "diese Werte in unserer geschichtlichen Zukunft praktisch keine Chance mehr, denn es ist eine Illusion, die Offenbarung – was immer man darunter verstehen mag – unter den gegenwärtigen Bedingungen und in einer sinnvollerweise überschaubaren Zukunft für universalisierbar bzw. für kommunikationsfähig zu halten" [ebd., S. 179]. In diesem Kontext kritisierte Schlette es schließlich auch als unredlich und nutznießerisch, "wenn von christlicher Seite aus so getan wird, als verfalle die Menschheit ohne die Offenbarung in eine geradezu anarchische Amoralität, und wenn man sich in einer Weise zum Verteidiger der Menschenrechte aufwirft, die in hybrider Selbstkritiklosigkeit all jene theoretischen Ablehnungen und praktischen Missachtungen von menschlichen Rechten, Werten und Pflichten ignoriert, die die Geschichte des Christentums bis auf den heutigen Tag leider aufzuweisen hat." Er führt dies bei Guardini darauf zurück, dass seine Perspektive "sehr bedingt war durch den Status der damaligen katholisch-theologischen Erkenntnismöglichkeiten mit ihrer Fixierung auf die europäische Geschichte und mit ihrer de facto noch nicht geschehenen hinreichenden Anerkennung außerchristlicher Religionen und Philosophien" [ebd., S. 180].

Unabhängig von der Korrektheit dieser Unterstellung, versteigt sich Schlette dann sogar zur Schlussfolgerung, dass diese Entwicklung vielfach verbunden sei „mit theoretischen Entwürfen wie der Politischen Theologie, der Theologie der Hoffnung, der Befreiungstheologie – Konzeptionen, die Guardini nicht mehr kannte“. Gerade damit verkennt er aber Guardinis Rolle „zwischen“ den Politischen Theologen der zwanziger bis sechziger Jahre und verlegt den Beginn der politisch-theologischen Diskussion in die nachkonziliare Zeit, obwohl er selbst die politisch-theologischen Diskussionen der Weimarer Republik im Umfeld des Quickborns und der Schildgenossen kennen müsste.

Zuzustimmen ist Schlette allerdings, wenn er Guardini in der Kritik einer „Mobilisierung christlicher Massen ohne den Glauben des Einzelnen“ folgt, die ihm „theologisch und politisch in höchstem Maße verdächtig und zuwider“ sei, womit er wohl auch Guardinis Einstellung trifft [ebd., S. 190]. Schwierig dagegen wird es wieder, wenn er Guardini in die Nähe der "Dialektischen Theologie", indem er urteilt: "Guardinis starke Betonung des Gehorsams und des Vertrauens im Verhältnis zu Gott kann, zusammengesehen mit seiner harten Antithese von Autonomie und Offenbarung, eine Position bestärken, wie sie aus der `Dialektischen Theologie´ bekannt ist und offenbar auch im Katholizismus mehr und mehr um sich greift. Für diese Interpretation des Christentums besteht eine deutliche Zäsur zwischen Vernunft und Glauben, zwischen Zeitlichkeit und ewiger Wahrheit, zwischen geschichtlicher Entwicklung und dem Wort Gotte, das gewissermaßen vertikal zu allem Hiesigen auf den Menschen trifft und Gehorsam verlangt“ [ebd., S. 191]. Guardini vertrete ein „diastatisches Konzept“, dem evangelischerseits Paul Tillich mit dem Begriff der Korrelation und Wolfhart Pannenberg mit seiner Theologie der einen Universalgeschichte entgegengetreten seien: "In der katholischen Theologie ist es bekanntlich die aristotelisch-thomanische Traditionslinie, die anti-dialektisch war und wirkte; Guardini steht indes mehr in der platonisch-augustinisch-bonaventuranisch-pascalschen Linie, innerhalb deren die Entscheidung zum Glauben mehr als ein existentieller Akt der Liebe und des Gehorsams oder, wie Pascal sagt, der soumission, der Unterwerfung gedeutet wird" [ebd., S. 191].

Schlette verweist dazu auf Peter Eicher, der von einem „harten Extrinsezismus“ in Guardinis Offenbarungsdenken spricht, "was bedeutet, dass daran das Vonaußen-Kommende oder aber das Supranaturalistische allzu stark betont werde"[Eicher, Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie, München 1977, S. 282 sowie 283 und 287]. Gerade darin zeigt sich aber ein weiteres Mal, dass sowohl Schlette als auch Eicher weder die unhegelianische, dialogische Gegensatzlehre nachvollzogen haben noch die damit verbundene, bei Guardini ja expressis verbis zu findende und auch ausgeführte Polarität von „oben“ und „innen“ beachten. Ausgerechnet Guardini in die Nähe des Extrinsezismus und des Supranaturalismus zu stellen, ist zwar aus der Perspektive der Vertreter der neuen politischen Theologie schlüssig, greift aber im politisch-theologischen Gesamt-Befund und im Vergleich der selbst dialektisch entgegenstehenden Typen katholischer politischer Theologien deutlich zu kurz.

Exkurs: Guardini und Albert Camus im Blick auf den Humanismus

wird fortgesetzt

Peter Eichers „humanes Christentum“

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Heinrich Lutz´ Kritik der Kulturphänomenologie Guardinis

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Friedrich Heers „Offener Humanismus“ und „poetischer Panhumanismus“

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Alfons Rosenbergs „Experiment Christentum“

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Rosenstock-Huessys „Überholung der Moderne“

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Christlicher Humanismus bei Karl Rahner und Johann Baptist Metz

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Christentum, Humanismus und Politik bei Joseph Kardinal Ratzinger

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Steinbüchel und Guardini: zwei geistige Linien?
Das Zitat vom „Erwachen der Kirche in den Seelen“
Menschheit und Staatenbau in der frühen Kirche
Die Kirche nach dem Konzil und das „Zeitalter der Demokratie“
Die ersten Gewährsleute: Maier, Kuhn, Maritain, Hildebrand
Auseinandersetzung mit Guardini anlässlich seines 100. Geburtstages
Missverständnisse um die Gegensatzlehre und den Primat des Logos
Ratzinger und die Restauration
Der "Trinitarischer Humanismus" von Lothar Roos
Grundprinzip christlicher Sozialethik

Bereits 1984 hat Lothar Roos unter Bezugnahme auf das „Ende der Neuzeit“ seine Gedanken zu „Humanität und Fortschritt“ zusammengestellt.

[Lothar Roos: Humanität und Fortschritt am Ende der Neuzeit, Köln 1984, darin im ersten Teil eingegangen: Roos, Lothar: Fortschritt und Humanität – zwischen Pessimismus und Optimismus, in: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften, Münster 25. Bd., 1984, S. 67-87, hier besonders S. 68-71, siehe auch das Kapitel „Das Ende der Neuzeit“ (S. 77f.) unter Verweis auf Wolfgang Seibel: Ende des Fortschritts, in: Stimmen der Zeit, 199, 99, 1974, S. 361. Die Texte unterscheiden sich im Aufbau ab S. 22-32 bzw. S. 77-81. In der Langfassung des Buches kommt außerdem ein Kapitel „Hilfen aus dem Glauben der Christen“ (S. 43-58) hinzu.]

Roos sieht als Bedingung eines „Fortschrittes in Humanität“ zunächst „Die Einsicht vom Ende der Neuzeit“ an. Neuzeit wird dabei beschrieben „als großartige und vordem ungeahnte Entfaltung der Möglichkeiten menschlicher Ratio in den positiven Wissenschaften und deren Anwendung in Technik, Ökonomie und Politik“ unter Ausblendung der Sinnfrage und „ohne Rückbindung an philosophisch-ethische oder theologische Vorentscheidungen“. Das Ende dieses neuzeitlichen Wissenschaftsglaubens, der glaubte, „seine Rationalität in sich selbst zu tragen“, markiere „das Ende der Neuzeit“ [Lothar Roos: Humanität und Fortschritt am Ende der Neuzeit, a.a.O., S. 24 f.]: „Die Einsicht vom Ende der Neuzeit führt als nächster Schritt zur Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen `Fortschritten´ und dem `Fortschritt´“[ebd., S. 26]. Aus „Fortschritten“ werde aber nur „Fortschritt in Humanität“, „wenn es gelingt, moralisch anspruchsvolleres Verhalten zu institutionalisieren“[ebd., S. 28]. Diese Unterscheidung setze aber eine „Treue gegenüber den anthropologisch verbindlichen Erfahrungen der Geschichte“ voraus [ebd., S. 26] und eine „Zusammenschau des Ganzen“ der Humanität[ebd., S. 40]. Aus christlicher Sich plädiert zwar Roos nun ebenfalls für „das Leitbild eines integralen Humanismus“[ebd., S. 50 ff.], aber betont unverzüglich dessen Gefahren: „Freilich wird alles davon abhängen, bei der Suche nach einem `integralen Humanismus´ nicht bei einem theokratischen Integralismus zu landen“[ebd., S. 55].

Lothar Roos trifft die Intentionen Guardinis grundsätzlich am Besten, wenn er vom „trinitarischen Humanismus als theologische Mitte einer christlichen Gesellschaftslehre“ spricht [Lothar Roos: Trinitarischer Humanismus als theologische Mitte einer christlichen Gesellschaftslehre, in: Böhnke, Michael/Heinz, Hanspeter (Hrsg.): Im Gespräch mit dem dreieinen Gott. Festschrift für Wilhelm Breuning, Düsseldorf 1985, S. 457-480; für die Rede vom "trinitarischen Humanismus" siehe auch schon zwei Jahre zuvor: Lothar Roos: Eine neue Dimension der katholischen Soziallehre, in: Stimmen der Zeit 201, 1983, S. 340-349].

Roos zeigt mit seinen Überlegungen auf, dass Guardini mit seiner Position einer „Theologie der irdischen Wirklichkeiten“ in der französischen Theologie[Lothar Roos: Theologie und Ethik der Arbeit, in: Internationale Katholische Zeitschrift, 13, 1984, S. 98, Anm. 3] sowie dem Denken von Papst Johannes XXIII und den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils geradezu vorgearbeitet hat.

Wesentlich sind dieser „neuen Dimension“ das richtige Verhältnis von Gottebenbildlichkeit und Christusebenbildlichkeit, Weltzugewandtheit und Weltüberwindung, Sünde und Entfremdung, Erlösung und Beheimatung. Die zentralen Gaben des Geistes sind dann jene „Grundwerte“, „in denen die Gaben des Geistes ausgesprochen sind und aus denen der `neue Mensch´ in Christus lebt, von denen her er die ihn umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse beurteilt und zu gestalten versucht“[Roos, Trinitarischer Humanismus, a.a.O., S. 468] : Die theologischen Tugenden des Glaubens („Empfangen und Danken“), der Liebe („Trost und Beistand“) und der Hoffnung („Erwarten und Bitten“). Die Kirche erscheint in diesem Denken zunächst als „Tugend-Gemeinschaft“ in einem dreifachen Sinne: „als Erfahrungsgemeinschaft von `Glaube in Welt´“, als „Gemeinschaft von Hoffenden“ und als Handlungsgemeinschaft von „Liebe in Welt“. Liebe wird hier verstanden als „Sehbedingung der Gerechtigkeit“ [ebd., S. 474].

Lothar Roos resümiert: „Es ist sehr wichtig festzuhalten, dass die Kirche nicht den Anspruch erheben kann, eine Lösung der gesellschaftlichen Probleme zu `Bewirken´, sondern dass sie glaubt, dabei `MITwirken´ zu können und zu müssen. Sie tut dies, indem sie die Menschen nicht auf sich, sondern auf Christus hin verweist, der allein `Weg, Wahrheit und Leben´ sein kann. Sie weist hin auf jenen Humanismus, der erst im Licht der Selbstoffenbarung des dreifaltigen Gottes begriffen werden kann“[ebd., S. 479 f.]

Wir erinnern uns, dass Guardini diese sozialtheologische Überzeugung bereits in einem seiner ersten Aufsätze 1916 während des Ersten Weltkriegs geäußert hat.

Wendung zum Konservativismus

In späteren Arbeiten vollzieht Lothar Roos eine "Wendung zum Konservativismus" und ordnet Guardinis "Ende der Neuzeit" anders ein [Lothar Roos: „Ein Licht für das Leben in der Gesellschaft“ (Lumen fidei), in: Der Fels, 3/2014, S. 74f.] Noch mit Guardini geht Roos in der Beschreibung der Neuzeit davon aus, dass deren "großartige Entfaltung der Möglichkeiten der menschlichen Vernunft in den positiven Wissenschaften und deren Anwendung in Technik, Ökonomie und Politik" aufgrund des Fortschritts die Sinnfrage ausblenden und auf die Rückbindung an philosophisch-ethische oder gar theologische Vorentscheidungen verzichten konnte. Roos spricht dabei vom Entstehen einer "säkularen Gesellschaft, die Gott nicht mehr braucht" und nach der Maxime handelt: "Was technisch und ökonomisch möglich ist, das wird auch verwirklicht, ohne weitere Rückfragen nach dem humanen Sinn des jeweiligen Fortschritts." Er durch das Möglich- und zum Teil auch schon Wirklichwerden nicht nur des Nützlichen und Guten, sondern mehr und mehr auch des Bedrohlichen, ja Tödlichen, kehren Wert- und Sinnfragen zurück. Roos glaubt: "Genau darauf wollte Romano Guardini aufmerksam machen, als er unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein Buch schrieb mit dem Titel „Das Ende der Neuzeit“. Denn heute steht die Menschheit wieder vor jener Frage, die sie seit der Entfaltung des neuzeitlichen Denkens immer mehr aus dem Blick verlor, nämlich vor der Gottes-Frage." In dieser Sichtweise wird sogar - wie von Papst Benedikt XVI. in der Enzyklika Spe salvi ausgeführt - Immanuel Kant zum Unheilspropheten. Dieser habe schon 1795 in der Schrift „Das Ende aller Dinge“ befürchtet, es könne ein „verkehrtes Ende aller Dinge“ eintreten, und zwar dann, wenn „das Christentum aufhöre, das sittliche menschliche Handeln zu beeinflussen“ (Spe salvi 19). Diesem „verkehrten Ende“ sind wir seit 1789 beträchtlich näher gekommen. Roos fragt nun: "Wie haben wir darauf reagiert? Zumindest eine Reaktion hat es nach der Katastrophe des „Dritten Reiches“ gegeben: Das Deutsche Volk gab sich „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“, wie es in der Präambel des Grundgesetzes steht, die zweite demokratische Verfassung seiner Geschichte. Vermutlich hatten einige der Väter und Mütter des Parlamentarischen Rates dabei den in dem genannten Buch ausgesprochenen Satz Guardinis im Kopf: „Wenn Gott seinen Ort in der Welt verliert, verliert ihn auch der Mensch“.(4 Romano Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg, 1950.) Wie lange aber haben wir an dieser Einsicht, der wir die „Invocatio Dei“ in der Präambel des Grundgesetzes verdanken, festgehalten? Warum war es nicht mehr möglich, den Gottesbezug in der Verfassung des vereinten Europa zu verankern?"

Die Antworten von Roos auf diese rhetorischen Fragen verlassen nun Guardinis "Ende der Neuzeit", das unter Bejahung der Technik und des Neuen nach dem "Menschlich-Unerlässlichen im Neuen" sucht. Er setzt sich, wie auch Benedikt XVI. nicht mehr mit Guardinis Ansatz für ein "Ethos der Macht" und eine nicht-restaurative Antwort auf den tragischen Finitismus und Titanismus des nach-neuzeitlichen Nihilismus auseinander, sondern versucht den "Verlust der Mitte" (Sedlmayr) mit konservativen und restaurativen Konzepten zu überwinden. Dies liegt wesentlich auch daran, dass der "trinitarische Humanismus" von Lothar Roos schon von Anfang an dem "integralen Humanismus" von Jacques Maritain und Dietrich von Hildebrand näher steht, als Guardinis grundsätzlicher Ablehnung eines dialektischen, dezisionistischen, erst recht eines rückwärtsgewandten, restaurativen Integralismus im Rahmen seiner Weltanschauungs- und Gegensatzlehre dies zulässt. Indem Roos sozialethisch zunehmend die Spannung zwischen Gundlach/Utz und Nell-Breuning aufhebt und sich für die Richtung Gundlach/Utz entscheidet, verlässt er Guardinis Konzept der Spannungseinheit komplementär-dialogischer Gegensätze und damit auch Guardinis Vorstellung der Spur- und Ebenbildlichkeit, der Fußspuren des dreifaltigen Gottes in allen Dingen, Werken und Gestalten, auch in denen der Neuzeit und der Nach-Neuzeit.

theokratischen Integralismus

Christlicher Personalismus und Realismus zwischen Idealismus und Naturalismus (Materialismus), Platonismus und Aristotelismus, Augustinismus und Thomismus, Pascalismus und Cartesianismus, Nietzscheanismus und Kierkegaardianismus

Guardinis Zurückweisung von Etikettisierungen

Christlicher Personalismus und Realismus als Weltanschauung zwischen politischem Idealismus und politischen Naturalismus (Materialismus)

Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Platonismus, Aristotelismus und Sokratismus

Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Augustinismus, Thomismus und Bonaventurismus

Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Pascalismus und Cartesianismus

Christlicher Personalismus und Realismus im Verhältnis zum politischen Nietzscheanismus und Kierkegaardianismus

Zur Transformation von antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Tugenden in die Nach-Neuzeit

Politische Nachwirkungen am Beispiel von Hanns Seidels „Christlicher Weltanschauung“

Zum Verhältnis von Politik und Mystik als Reflexion politischer und mystischer Erfahrung(en)

Politische Ontologie, Metaphysik und Theologie

Politische Logik und politische Ethik: Von der politischen Erkenntnis zur politischen Gestalt(ung)

Politische Bildung in Analogie zu liturgischer Bildung

Politische Theorie und Erfahrungsreflexion: Politisches Denken und Handeln in Gegensätzen und Spannungseinheiten

Zum Verhältnis von politischer und christlicher Anthropologie

Die Frage nach der Möglichkeit nur politischer, nicht- bzw. anti-politischer, un- bzw. post-politischer Politik

Politische und Christliche Überzeugungen, Gesinnungen und Haltungen

Politische und christliche Grundvollzüge

Kirchliche Ökumene nach Guardinis Gegensatzlehre als Modellfall politischer Einheit in Vielfalt