Guardini und „Ulm“: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Romano-Guardini-Handbuch
 
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Die Anfänge der ersten Kontakte der Scholls zu [[Albert Kley]] und [[Wilhelm Geyer]] (1900-1968) liegen wohl im Frühjahr 1938, als einige der Scholl-Geschwistern den Maler Geyer in seiner Wohnung besucht hatten. Die erste nachweisbare Verbindung zwischen Hans Scholl und Wilhelm Geyer ist aber erst für den Februar 1939 belegt, da Inge Scholl ihrem Bruder einen Termin nannte, an dem er sich mit Geyer treffen könne. Fortan haben sich die beiden öfters getroffen. Im Dezember 1939 berichtete Sophie Scholl ihren Eltern von den Neujahrswünschen der Geyerkinder.
Die Anfänge der ersten Kontakte der Scholls zu [[Albert Kley]] und [[Wilhelm Geyer]] (1900-1968) liegen wohl im Frühjahr 1938, als einige der Scholl-Geschwistern den Maler Geyer in seiner Wohnung besucht hatten. Die erste nachweisbare Verbindung zwischen Hans Scholl und Wilhelm Geyer ist aber erst für den Februar 1939 belegt, da Inge Scholl ihrem Bruder einen Termin nannte, an dem er sich mit Geyer treffen könne. Fortan haben sich die beiden öfters getroffen. Im Dezember 1939 berichtete Sophie Scholl ihren Eltern von den Neujahrswünschen der Geyerkinder.


Geyer hatte von 1916 bis 1926 studiert und dabei unter anderen Künstlerfreunde wie Hans Fähnle (1903–1968), Franz Frank (1897–1986) oder Walter Wörn (1901–1963) gewonnen, war aber auch jugendbewegter Quickborner, der sich reformorientierten katholischen Theologen angeschlossen. Er war sowohl mit Hermann Breucha (1902–1972), dem späteren Mitbegründer der „Una Sancta-Bewegung“ in Stuttgart (1941), befreundet, als auch über den Quickborn schon früh mit Romano Guardini wurde (vgl. dazu Clemens Ottnad, in: Baden-Württembergische Biographien, 6, 2016, S. 141-144). Ab wann genau Wilhelm Geyer zum Freundeskreis in Mooshausen gehörte, ist noch nicht genau ermittelt. In Mooshausen selbst wird vermutet, dass diese Verbindung bereits in den zwanziger Jahren über den späteren Pfarrer Hermann Breucha (1902-1972) beginnt.
Geyer hatte von 1916 bis 1926 studiert und dabei unter anderen Künstlerfreunde wie Hans Fähnle (1903–1968), Franz Frank (1897–1986) oder Walter Wörn (1901–1963) gewonnen, war aber auch jugendbewegter Quickborner, der sich besonders reformorientierte katholische Theologen angeschlossen hatten. Geyer war sowohl mit [[Hermann Breucha]] (1902–1972), dem späteren Mitbegründer der „Una Sancta-Bewegung“ in Stuttgart (1941), befreundet, als auch über den Quickborn schon früh mit Romano Guardini bekannt geworden (vgl. dazu Clemens Ottnad, in: Baden-Württembergische Biographien, 6, 2016, S. 141-144). Ab wann genau Wilhelm Geyer zum Freundeskreis in Mooshausen gehörte, ist noch nicht genau ermittelt. In Mooshausen selbst wird vermutet, dass diese Verbindung bereits in den zwanziger Jahren über den späteren Pfarrer Hermann Breucha (1902-1972) beginnt, der selbst schon früh mit Weiger und dessen Freundeskreis Kontakt hatte.


1927 zog er nach Ulm, 1929 gründete er zusammen mit den Malern Manfred Henninger (1894–1986), Alfred Lehmann (1899–1979), Manfred Pahl (1900–1994) und Gustav Schopf (1899–1986) die Stuttgarter Neue Sezession und übernahm 1931 deren Vorsitz.  
1927 zog Geyer nach Ulm, 1929 gründete er zusammen mit den Malern Manfred Henninger (1894–1986), Alfred Lehmann (1899–1979), Manfred Pahl (1900–1994) und Gustav Schopf (1899–1986) die Stuttgarter Neue Sezession und übernahm 1931 deren Vorsitz.  


Nachdem 1937 Geyers Bilder aus dem Ulmer Museum als „entartet“ entfernt wurden, bekam er so gut wie keine Aufträge mehr. Infolgedessen hörte auch die Stuttgarter Neue Sezession auf zu bestehen.
Nachdem 1937 Geyers Bilder aus dem Ulmer Museum als „entartet“ entfernt wurden, bekam er so gut wie keine Aufträge mehr. Infolgedessen hörte auch die Stuttgarter Neue Sezession auf zu bestehen.
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1941 kauften die Geschwister Scholl ein Gemälde, um es ihren Eltern zu schenken. Ab diesem ahr waren die Kontakte zwischen Hans Scholl und Wilhelm Geyer besonders häufig. Am 2. März 1941 bedauerte Scholl seinen Bruder Werner, dass er bei einem Besuch Geyers nicht dabei sein konnte. Am 30. April 1941 war Scholl erneut bei Geyer. Da dieser vom Militärdienst beurlaubt worden sei, werde er ihn zukünftig noch häufiger sehen können. In diesem Brief vom 1. Mai 1941 schreibt Hans Scholl an seinen Bruder Werner außerdem, dass Geyer gegenwärtig hier an Kirchenfenster arbeite. „Ich besuche ihn öfters. Er arbeitet unglaublich viel.“ (Hans Scholl Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 53).
1941 kauften die Geschwister Scholl ein Gemälde, um es ihren Eltern zu schenken. Ab diesem ahr waren die Kontakte zwischen Hans Scholl und Wilhelm Geyer besonders häufig. Am 2. März 1941 bedauerte Scholl seinen Bruder Werner, dass er bei einem Besuch Geyers nicht dabei sein konnte. Am 30. April 1941 war Scholl erneut bei Geyer. Da dieser vom Militärdienst beurlaubt worden sei, werde er ihn zukünftig noch häufiger sehen können. In diesem Brief vom 1. Mai 1941 schreibt Hans Scholl an seinen Bruder Werner außerdem, dass Geyer gegenwärtig hier an Kirchenfenster arbeite. „Ich besuche ihn öfters. Er arbeitet unglaublich viel.“ (Hans Scholl Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 53).


Ab 1941 engagierte sich Geyer in der von Breucha mitbegründete Stuttgarter Una-Sancta-Gruppe, zu der von Mooshausen aus ab 1943 auch Guardini stieß. Dass Geyer dazugehörte wissen wir von der Stuttgarter Malerin Herta Rössle, Mitglied der Stuttgarter Sezession, die in den 1940er Jahren auch in Ulm malte und eben durch ihre Freundschaft mit Wilhelm Geyer zum Kreis der Una-Sancta-Bewegung stieß. Sie erfuhr nach eigenem Bekunden ebenfalls von Geyer von der antifaschistischen Studentengruppe um Hans und Sophie Scholl.
Ab 1941 engagierte sich Geyer in der von Breucha mitbegründete Stuttgarter Una-Sancta-Gruppe, zu der von Mooshausen aus ab 1943 auch Guardini stieß. Dass Geyer dazugehörte wissen wir von der Stuttgarter Malerin Herta Rössle, Mitglied der Stuttgarter Sezession, die in den 1940er Jahren auch in Ulm malte und eben durch ihre Freundschaft mit Wilhelm Geyer zum Kreis der Una-Sancta-Bewegung gekommen war. Sie erfuhr nach eigenem Bekunden ebenfalls von Geyer von der antifaschistischen Studentengruppe um Hans und Sophie Scholl.


Es war Mitte Oktober 1941, da Wilhelm Geyer (Ulm) Inge Scholl auf den Buchhändler Josef Rieck in Aulendorf aufmerksam machte. In dieser Buchhandlung seien „sämtliche Werke Newmans“ zu finden. Wilhelm Geyer war also schon früh mit dem Aulendorfer Josef Rieck bekannt, zunächst als Kunde, dann mit ihm befreundet.  
Es war Mitte Oktober 1941, da Wilhelm Geyer (Ulm) Inge Scholl auf den Buchhändler Josef Rieck in Aulendorf aufmerksam machte. In dieser Buchhandlung seien „sämtliche Werke Newmans“ zu finden. Wilhelm Geyer war also schon früh mit dem Aulendorfer Josef Rieck bekannt, zunächst als Kunde, dann mit ihm befreundet.  
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In einem Brief von Hans Scholl an Olga Habler vom 28. Dezember 1942 aus Ulm (IfZ Bd. 52) heißt es, Geyer komme im Januar mit ihnen nach München: "Dann werden wir uns sicher bald wiedersehen.“ Dies schreibt er nach einem Besuch bei Geyer in Ulm.  
In einem Brief von Hans Scholl an Olga Habler vom 28. Dezember 1942 aus Ulm (IfZ Bd. 52) heißt es, Geyer komme im Januar mit ihnen nach München: "Dann werden wir uns sicher bald wiedersehen.“ Dies schreibt er nach einem Besuch bei Geyer in Ulm.  


Nach 1945 zählte Geyer zusammen mit Maria Elisabeth Stapp fest den Bildenden Künstlern zu diesem Kreis. Mit Rieck begründete Geyer 1946 die Gesellschaft Oberschwaben mit, zu deren frühen Mitgliedern auch Robert und Inge Scholl, Otl Aicher, aber auch auch Josef Weiger und Romano Guardini gehörten.
Nach 1945 zählte Geyer zusammen mit Maria Elisabeth Stapp fest den Bildenden Künstlern zu diesem Kreis. Mit Rieck begründete Geyer 1946 die Gesellschaft Oberschwaben mit, zu deren frühen Mitgliedern auch Robert und Inge Scholl, Otl Aicher, aber auch auch Josef Weiger und Romano Guardini gehörten.
 
=== Gerhard Feuerle ===
Gerhard Feuerle wurde in Augsburg aus dem Militärkrankenhaus entlassen. Die Wehrmacht gab ihm die Erlaubnis in München angewandte Kunst zu studieren. Da er in München niemanden kannte, ging sein Vater zu Wilhelm Geyer, um ihm aus dieser Situation herauszuhelfen. Gerhard Feuerle war mit Sophie Scholl befreundet, verkehrte in ihrem Freundeskreis. Gelegentlich nimmt Gerhard Feuerle an den Gesprächsabenden im Atelier teil, aber ohne an den Aktionen der „Weißen Rose“ teilzunehmen, vermutlich auch ohne eingeweiht zu sein. Nach Verhaftung, Verhör durch die Gestapo und nach Freilassung wurde er an die Ostfront abkommandiert und erneut beschattet und verhaftet. Nach einjähriger Untersuchungshaft zum Tode verurteilt, wartete er vier Monate auf seine Hinrichtung in der Todeszelle. Oktober 1944 wurde er von Himmler zum Einsatz in einem Strafbataillon „begnadigt“. Nach Gmünd kehrte er im Frühjahr 1945 zurück und wurde gezwungen, an die Front zurückzukehren. Feuerle ist seit April 1945 vermisst. Er kam vermutlich in diesem Monat bei einem Bombenangriff auf einen Bahnhof ums Leben (vgl. dazu: Christiane Moll/Johannes Tuchel: Gerhard Feuerle und die Weiße Rose im Spiegelbild der Gestapo-Ermittlungen, in: Torsten Krämer (Hrsg.): Gerhard Feuerle. 1918–1945. »Der Krieg traf ihn mitten ins Herz«. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, 7. Mai 1996–4. Juli 1996. Schwäbisch Gmünd 1996).
 
=== Das Atelier Eickemeyer in München ===
Als Geyer nach einer ersten Begutachtung seiner drei Entwürfe durch den Kunstverein der Diözese Rottenburg am 10. Mai 1939 und einer weiteren Stellungnahme am 10. März 1942 dann Ende 1942 den Auftrag der Glasmalerei Mayer in München erhält, für die katholische Pfarrkirche St. Margareta im schwäbischen Albstatt-Magrethausen ein Glasfenster zu entwerfen, bezieht Anfang 1943 durch Vermittlung von Hans und Sophie Scholl in der Münchner Leopoldstraße 38a das Atelier Eickemeyer, der selbst in dieser Zeit nach Krakau abreiste.
 
Am 12. Januar 1943 schreibt Sophie Scholl an Inge Scholl: „Herr Geyer ist schon in Eickemeyers Atelier eingezogen. Wahrscheinlich werden wir manchen Abend mit ihm verbringen. Seine Anwesenheit wirkt sehr beruhigend, er strahlt direkt eine Atmosphäre des Vertrauens aus. (Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 231).
 
Am 27. Januar 1943 fand im Atelier Eickemeyer ein Gesprächsabend statt, an dem u.a. auch Harald Dohrn, der Schwiegervater Christoph Probsts, ein überzeugter Katholik teilnahm. Dabei war es zwischen ihm und Hans Scholl zu einer heftigen Auseinandersetzung über die indifferente Haltung der katholischen Kirche zu den verbrecherischen Methoden des nationalsozialistischen Staats, besonders gegenüber Juden, gekommen sei: „Nach glaubwürdigen Aussagen [des Malers] Wilhelm Geyers konfrontierte Hans Scholl Harald Dohrn mit der Frage, „warum die kath. Kirche sich nicht öffentlich gegen die Greuel auflehne bezw. im Kriege zu allem schweigen würde“ (vgl. die Aussagen Wilhelm Geyers vor der Gestapo am 10. April 1943 und die entsprechende von Harald Dohrn am 2. April 1943).
 
Anfang Februar 1943 schrieb Carl Muth einen Brief an Otl Aicher (IfZ Bd. 102), dass der Kunstmaler Geyer aus Ulm ihn zur Zeit gerade male. Durch eine Bemerkung von Magdalene Scholl kann der Beginn dieser Arbeit auf den 23. Januar 1943 datiert werden.
 
Das Atelier bzw. die Wohnung im nach 1945 neu aufgebauten Haus ging später an Burda, dann an Peter und Barbara Hamm.


== Otl Aicher, Carl Muth und die „Weiße Rose“ - ab Frühjahr 1941 ==
== Otl Aicher, Carl Muth und die „Weiße Rose“ - ab Frühjahr 1941 ==
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Hans Scholl besuchte Furtmeier einmal wöchentlich in seinem Sollner Haus – öfter in Begleitung weiterer Freunde – und ließ sich über vorab verabredete Fragen aus Geschichte, Archäologie und frühchristlichen Texten belehren. Furtmeier pendelte in der NS-Zeit zwischen seinem Elternhaus in Moosburg und seiner Münchner Unterkunft.
Hans Scholl besuchte Furtmeier einmal wöchentlich in seinem Sollner Haus – öfter in Begleitung weiterer Freunde – und ließ sich über vorab verabredete Fragen aus Geschichte, Archäologie und frühchristlichen Texten belehren. Furtmeier pendelte in der NS-Zeit zwischen seinem Elternhaus in Moosburg und seiner Münchner Unterkunft.


=== Manfred Eickemeyer ===
=== Manfred Eickemeyer und sein Atelier in München  ===
Hans Scholl hat im März/April 1942 über Josef Furtmeier dann auch dessen Freund Manfred Eickemeyer kennengelernt. Eickemeyer, der in Polen dienstverpflichtet war, berichtet Scholl von Massenerschießungen an polnischen Juden an der Ostfront.
Hans Scholl hat im März/April 1942 über Josef Furtmeier dann auch dessen Freund Manfred Eickemeyer kennengelernt. Eickemeyer, der in Polen dienstverpflichtet war, berichtet Scholl von Massenerschießungen an polnischen Juden an der Ostfront.
Eickemeyer stellte dem Kreis um Scholl sein Atelier in der Leopoldstraße 38a für Treffen zur Verfügung. Bereits im Frühsommer 1942 veranstalten Hans Scholl und Alexander Schmorell dort Leseabende.
Ende 1942 erhält Geyer - nach einer ersten Begutachtung seiner drei Entwürfe durch den Kunstverein der Diözese Rottenburg am 10. Mai 1939 und einer weiteren Stellungnahme am 10. März 1942 - den Auftrag der Glasmalerei Mayer in München erhält, für die katholische Pfarrkirche St. Margareta im schwäbischen Albstatt-Magrethausen ein Glasfenster zu entwerfen.
Geyer bezieht Anfang 1943 durch Vermittlung von Hans und Sophie Scholl in der Münchner Leopoldstraße 38a das Atelier Eickemeyer, der selbst in dieser Zeit nach Krakau abreiste.
Am 12. Januar 1943 schreibt Sophie Scholl an Inge Scholl: „Herr Geyer ist schon in Eickemeyers Atelier eingezogen. Wahrscheinlich werden wir manchen Abend mit ihm verbringen. Seine Anwesenheit wirkt sehr beruhigend, er strahlt direkt eine Atmosphäre des Vertrauens aus. (Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 231).
Am 27. Januar 1943 fand im Atelier Eickemeyer ein Gesprächsabend statt, an dem u.a. auch Harald Dohrn, der Schwiegervater Christoph Probsts, ein überzeugter Katholik teilnahm. Dabei war es zwischen ihm und Hans Scholl zu einer heftigen Auseinandersetzung über die indifferente Haltung der katholischen Kirche zu den verbrecherischen Methoden des nationalsozialistischen Staats, besonders gegenüber Juden, gekommen sei: „Nach glaubwürdigen Aussagen [des Malers] Wilhelm Geyers konfrontierte Hans Scholl Harald Dohrn mit der Frage, „warum die kath. Kirche sich nicht öffentlich gegen die Greuel auflehne bezw. im Kriege zu allem schweigen würde“ (vgl. die Aussagen Wilhelm Geyers vor der Gestapo am 10. April 1943 und die entsprechende von Harald Dohrn am 2. April 1943).
Anfang Februar 1943 schrieb Carl Muth einen Brief an Otl Aicher (IfZ Bd. 102), dass der Kunstmaler Geyer aus Ulm ihn zur Zeit gerade male. Durch eine Bemerkung von Magdalene Scholl kann der Beginn dieser Arbeit auf den 23. Januar 1943 datiert werden.
Das Atelier bzw. die Wohnung im nach 1945 neu aufgebauten Haus ging später an Burda, dann an Peter und Barbara Hamm.
=== Gerhard Feuerle ===
Gerhard Feuerle war mit Sophie Scholl befreundet, verkehrte in ihrem Freundeskreis. Nachdem Feuerle in Augsburg aus dem Militärkrankenhaus entlassen wurde, gab ihm die Wehrmacht ihm die Erlaubnis, in München angewandte Kunst zu studieren. Da er in München niemanden kannte, ging sein Vater zu Wilhelm Geyer, um ihm aus dieser Situation herauszuhelfen.
Gelegentlich - erstmals im Januar 1943 - nahm Gerhard Feuerle an den Gesprächsabenden im Atelier teil, aber ohne sich später an den Aktionen der „Weißen Rose“ zu beteiligen, vermutlich auch ohne eingeweiht zu sein. Nach Verhaftung, Verhör durch die Gestapo und nach Freilassung wurde er an die Ostfront abkommandiert und erneut beschattet und verhaftet. Nach einjähriger Untersuchungshaft zum Tode verurteilt, wartete er vier Monate auf seine Hinrichtung in der Todeszelle. Oktober 1944 wurde er von Himmler zum Einsatz in einem Strafbataillon „begnadigt“. Nach Gmünd kehrte er im Frühjahr 1945 zurück und wurde gezwungen, an die Front zurückzukehren. Feuerle ist seit April 1945 vermisst. Er kam vermutlich in diesem Monat bei einem Bombenangriff auf einen Bahnhof ums Leben (vgl. dazu: Christiane Moll/Johannes Tuchel: Gerhard Feuerle und die Weiße Rose im Spiegelbild der Gestapo-Ermittlungen, in: Torsten Krämer (Hrsg.): Gerhard Feuerle. 1918–1945. »Der Krieg traf ihn mitten ins Herz«. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, 7. Mai 1996–4. Juli 1996. Schwäbisch Gmünd 1996).


== Entwicklungen im Februar 1942 ==
== Entwicklungen im Februar 1942 ==

Aktuelle Version vom 27. August 2025, 23:55 Uhr

Guardini und „Ulm“
Guardinis Einfluss auf die „Weiße Rose“ und ihr Umfeld, seine Verbindungen zu Otl Aicher und Inge Scholl sowie zur Volkshochschule Ulm und zur Hochschule für Gestaltung
zusammengestellt von Helmut Zenz (Dokumentation noch in Übertragung befindlich!)

Otl Aichers Quickborn-Verbindungen

1935

Das quickbornnahe "Aicher-Trio"

Im Mai 1935 wurde der Ulmer Jungenbund „Quickborn“ zwar formal verboten, doch einige Jungen - namentlich Otl Aicher (* 1922), Willi "Grogo" Habermann (* 1922), Fridolin "Frido" Kotz (* 1922) – bildeten dennoch weiterhin eine Gruppe, die sich selbst als „Quickborn-Jungenschaft“ verstand. Unterstützung bekamen die Jungen von Pfarrer Franz Weiß (1892–1985, mitunter versehentlich Karl Weiß genannt) in Ulm-Söflingen. Insofern ist seine spätere Selbstauskunft Otl Aichers (1985), er habe keiner bündischen Jugendgruppe angehört, habe aber von Ulm aus mit ein paar ehemaligen Mitgliedern der Quickborn-Jungenschaft in Berlin in Kontakt gestanden durchaus nachvollziehbar. Ebenso ist nachvollziehbar, dass er damals viel über Guardini und Burg Rothenfels gehört, ihn aber weder kennengelernt noch bis zum endgültigen Verbot des Quickborn und zur Aufhebung der Burg, beides im Jahr 1939, Burg Rothenfels besucht hatte (vgl. dazu: Otl Aicher: innenseiten des kriegs, Frankfurt am Main, S. 21; Willi Habermann: „Junge Jahre mit Otl 1937-1945, in: Stiftung Hochschule für Gestaltung Ulm (Hrsg.): Freundschaft und Begegnung. Erinnerungen an Otl Aicher, Ulm 1997).

Vormalige Quickborner bei den dj 1.11.-"Trabanten" Scholls

Andere Quickborner wie Alois Schnorr, der damals aber auch einen Schülerbund von Bund Neudeutschland geleitet hatte, die Zwillingsbrüder Karl und Sepp Saur (* 1921), außerdem nach seinem Zuzug Hans Böhler (* um 1920, zuvor in Freiburg im Grauen Orden von Fritz Leist) schlossen sich 1935 der Jungenschaft d.j.1.11 an, die in Ulm vor allem durch Hans Scholl (* 1918) als "Trabanten"-Gruppe innerhalb der Hitlerjugend geführt wurde. Denn nach seiner Beförderung zum Fähnleinführer am 1. Mai 1935 führte Hans Scholl, assistiert von dem in Ulm dienenden Soldaten Ernst Reden (1914-1942), diese dj.1.11-Horte mit etwa zehn Schülern.

1937

Aicher als Tarnbegleitung von Pfarrer Weiß (Frühjahr 1937)

Im Frühjahr 1937 nahm Pfarrer Franz Weiß – wohl auch zur Tarnung des eigentlichen Zwecks der Fahrt – den vierzehnjährigen Otl Aicher mit zu einer Versammlung von Priestern, die ehemalige Frontkämpfer waren, um mit ihnen ein Priester-Netzwerk gegen den Nationalsozialismus zu bilden. In seinen Erinnerungen an diese Veranstaltung schreibt Otl Aicher: „mitten in der braunen flut standen wir auf einem felsen. dieses erlebnis erwies sich als unsinkbares floß. Ich konnte, wenn es kritisch wurde, immer wieder darauf zurückspringen.“

Berliner Inhaftierung (August 1937)

Otl Aicher wurde am 10. August 1937 erstmalig während eines Aufenthaltes in Berlin inhaftiert, nachdem er dort mit Freunden in der Kleidung und Haartracht eines bündischen Jugendlichen eine Fotoausstellung angeschaut hatte. Deshalb wurden der damals 15-jährige Otl Aicher und zumindest sein etwas älterer Freund Ernst Klar im Prinz-Albert-Palais, dem Gestapo-Hauptquartier, wegen des Verdachtes auf „bündische Umtriebe“ tagelang in Einzelhaft festgehalten.

Verhaftung und Verhör in Stuttgart (November 1937)

Wenig später gab es eine weitere „Erschütterung“, die Otl Aicher mit seinen Ulmer Freunden erfuhr. Sie wurden am 11. November 1937 in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ verhaftet und zur Vernehmung ins Stuttgarter Polizeigefängnis verbracht. Der Bestand im Landesarchiv NRW HStA Düsseldorf, Bestand Gerichte, Rep 17/ ..., ist wohl bis heute für den Quickborn noch nicht weiter ausgewertet worden. Dort finden sich aber neben dem Vorverfahren gegen die Quickborner Fritz Böhnlein u.a. (Rep 17/387) unter 17/388, fol. 10, Staatsanwaltschaft Düsseldorf, der Bericht vom 20. Januar 1938 das Vorverfahren gegen Otto Aicher, Karl Saur, Wilhelm Habermann, Fridolin Kotz und Roland Striegel wegen Verstoßes gegen § 4 der VO vom 28.2.1933 und gegen die württ. VO vom 11.5.1937 sowie ebd. fol. 19 ein Bericht vom 4.3.1938, nach dem die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens beabsichtigt, da es keinen Verdacht auf eine strafbare Handlung gebe; ebenso entschieden vom Sondergericht Stuttgart (Vorsitz: Cuhorst) im Fall Böhnlein u.a. am 4.1. und 10.6.1938. Das Verfahren ging eigentlich um eine Anzeigesache gegen Ernst Reden, aber durch unvorsichtige Aussagen der eingeschüchterten Jüngeren konnte die Gestapo aber weitere Verbindungen herausfinden.

Die Schwäbisch Gmünder Quickborn-Gruppe um Fritz Böhnlein

Wehrmutstropfen ist dabei, dass wohl durch eine unvorsichtige Aussage Otl Aichers die Gestapo auf die Spur der Gmünder Quickborn-Gruppe um Fritz Böhnlein kam: „Bei der Erhebung in der Anzeigesache gegen Ernst Reden [ . . . ] wurde durch die Aussage des Mitbeschuldigten Aicher […] bekannt, daß in Schwäb. Gmünd eine Quickborn-Gruppe besteht […].“ (Schreiben der Gestapo Stuttgart, 21. Dezember 1937, HStA Düsseldorf 17/387, Bl. 1, zitiert nach Sönke Zankel: Mit Flugblättern gegen Hitler, 2008, S. 53).

Friedrich "Fritz" Böhnlein (1920-2011) war später Dachdeckermeister in Gmünd und bis zuletzt Mitglied im Quickborn Arbeitskreis.

1938/39

Kaplan Bruno Wüstenberg (April 1938 bis April 1939)

Schließlich war auch Kaplan Bruno Wüstenberg (1912-1984) noch eine Einflussgröße. Bruno Thomas Wilhelm Wüstenberg wurde später Erzbischof und Diplomat des Heiligen Stuhls. Er war am 3. März 1938 in Köln geweiht worden, dann zur seelsorgerlichen Aushilfe zunächst in Ulm-Wiblingen, anschließend in Ulm-Soflingen beurlaubt worden, bevor er zum 1. April 1939 zum Studium des Kirchenrechts nach Rom freigestellt wurde.

Ausweisung (Februar 1939), Verhaftung (April 1939), Entlassung (April 1940) und Verbannung (noch 1940) des Pfarrers Franz Weiß

Ende Februar 1939 wurde Pfarrer Franz Weiß während eines Urlaubs aus Württemberg ausgewiesen. Grund dafür war die Organisation einer Wallfahrt von 150 jungen Mädchen und Männern aus dem Dekanat Ulm nach St. Ottilien. Er kehrte aber am 6. April ins Söflinger Pfarrhaus für die Gründonnerstagsmesse zurück. Am Karfreitag wartete nach der Predigt schon der Wagen der Gestapo vor dem Pfarrhaus. Drinnen war unter anderem Otl Aicher mit seinem Vater bereit, ihren Pfarrer notfalls mit Gewalt zu verteidigen, dieser war zunächst auch gewillt, auszuharren. Schließlich begab er sich doch freiwillig in die Hände der Gestapo und wurde inhaftiert und am 20.(22.???) Juni 1939 von einem Sondergericht wegen „Heimtücke und Kanzelmissbrauchs“ zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt und sofort ins Ulmer Gefängnis eingewiesen. Nach acht Monaten wurde er freigelassen (vgl. dazu: Paul Kopf: Franz Weiss - für Deutschland und Christus, 1994). Er kehrte aufgrund vorzeitiger Haftentlassung am 12. April 1940 zunächst nach Söflingen zurück, wurde aber noch 1940 nach Meersburg an den Bodensee verbannt und schloss sich dort der Schönstatt-Bewegung Kentenichs an. Am 1. April 1944 wurde erneut ein Haftbefehl ausgestellt zwecks Einweisung in ein Konzentrationslager, dem er aber durch Flucht entgehen konnte. Nach dem Krieg wurde er zunächst Pfarrer in Illerrieden, dann 1951 wieder in Ulm.

1940/41

Pater Adolf Eisele MAfr und die Ulmer Abiturienten (Ostern 1940 bis Dezember 1944)

Eine anderer einflussreicher Geistlicher war Pater Adolf Eisele MAfr (1905-1978) [vgl. zu ihm https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Eisele]. Der in Sigmaringen gebürtiger Weißer Vater wirkte vor seiner Ulmer Zeit an der Ordensschule im Missionshaus von Haigerloch, die aber zu Ostern 1940 durch Regierungsbeschluss geschlossen wurden. Gemeinsam mit acht Schülern, die aus der Gegend von Ulm stammten, begleiteten ihn und gingen fortan auf das städtische Gymnasium. Er übernahm die Kaplan an der Wengenkirche, wirkte als Seelsorger in Lazaretten und gab freiwilligen Religionsunterricht sowohl für seine Jungen als auch deren katholische Klassenfreunde im Kaufmannsheim, nachdem der reguläre Religionsunterricht in Schulräumen 1941 verboten worden war (vgl. dazu Joe Eberle: Pater Adolf Eisele - Priester mit Leib und Seele und im Visier der Gestapo, 2013 - https://klepfer.alfred-epple.de/erinnerungen/pater_adolf_eisele.pdf). So gewann Eisele großen Einfluss auf einen Kreis von Gymnasiasten, die später als „Ulmer Abiturienten“ bekannt wurden, weil sie mit der Gruppe um die Geschwister Scholl sympathisierten und die Flugblätter der Weißen Rose in Stuttgart verteilten (vgl. dazu Michael Kuckenburg: Daraus erwuchs bei uns Opposition. in: unterrichtspraxis. Beilage zu „bildung und wissenschaft“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg, Heft Nr. 5, 20. September 2013, ISSN 0178-0786, S. 1–7). In seinem Religionsunterricht arbeitete er z.B. mit Texten von Thomas von Aquin und diskutierte mit den Jugendlichen kritische Texte wie z.B. die gegen die NS-Euthanasie gerichteten Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen (vgl. dazu Heinz A. Brenner: Dagegen. Bericht über den Widerstand von Schülern des Humanistischen Gymnasiums Ulm/Donau gegen die deutsche nationalsozialistische Diktatur. Roth, Leutkirch 1992, S. 9–16 und 20–29)]. Michael Kuckenburg schreibt dazu: "vor allem beeindruckte er durch seine Persönlichkeit, seine Entschiedenheit und seinen Mut: 'Pater Eisele war einer der wesentlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe' (Heinz Brenner). 'Mitten in den Siegen bekamen wir von Eisele das Gegengift verabreicht' (Franz Müller). 'Aus dieser religiösen Einstellung heraus ist unsere Distanz zu dem damaligen System erwachsen' (Walter Hetzel)."(vgl. Kuckenburg, a.a.O.). Zu diesen Ulmer Abiturienten gehörten auch Heiner Guter, Hans Hirzel und Franz Müller, allesamt Mitschüler von Hans Scholl, die später auch Flugblätter der „Weißen Rose“ in Umlauf gebracht haben (vgl. Benedikt Pfister: „Den Nazis die Stirn bieten!“ Die Ulmer Abiturienten im Nationalsozialismus. Saarbrücken 2008).

Nach der Zerstörung Ulms durch den Luftangriff am 23. Dezember 1944 zog er nach Pater Eisele nach Dautmergen bei Balingen und diente dort als Vikar, am 01. September 1945 wurde er Vikar in Geislingen bei Balingen, dann kehrte er nach Wiedereröffnung der Ordensschule nach Haigerloch zurück.

Otl Aicher, der Scholl-Bund und die Guardini-Lektüre der Scholl-Geschwister

Otl Aicher war Klassenkamerad von Werner Scholl, mit dem er sich schulisch schon Anfang 1937 angefreundet hatte.

Für den „Junisonntag, Anfang Juni 1939“ notiert Hans Scholl: „Hochsträß allein Regen – ganz nass – ich sah Ottl, Vikar, Frido“ (zitiert nach Robert M. Zoske: Flamme sein!: Hans Scholl und die Weiße Rose, 2021) Ob mit Vikar Bruno Wüstenberg gemeint sein könnte, ist fraglich, da dieser bereits zu Ostern zum Weiterstudium nach Rom freigestellt worden war. Mit Frido hingegen ist Fridolin Kotz gemeint.

Im Spätsommer 1939 lernten sich auch Otl Aicher und Inge Scholl kennen. Ab Herbst 1939 kam Aicher dadurch in engeren Kontakt mit dem gesamten Geschwisterkreis.

Am 29. Oktober 1939 schilderte Sophie Scholl in einem Brief an Fritz Hartnagel den vorausgehenden Sonntag: „Erika und Ottl Aicher waren dabei. Ich bin froh, dass Werner mit Ottl mehr verkehrt als mit den übrigen Tanzstundenherren seiner Klasse. Ottl ist Werner ziemlich überlegen, außerordentlich eigenartig und schweigsam (eine sympathische Eigenschaft). Er kommt oft zu uns“ (zitiert nach: Sophie Scholl/Fritz Hartnagel: Damit wir uns nicht verlieren: Briefwechsel 1937-1943, 2005, S. 115).

Aus diesen Kontakten entsteht der in Ulm auch als „Scholl-Bund“ bezeichnete Kreis, dem neben Otl Aicher und seinen Freunden Grogo und Frido und den Geschwistern Scholl zeitweise noch weitere Personen angehörten, zum Beispiel Ernst Reden und Fritz Hartnagel.

Interessant ist auch, dass Hans Scholl sich mit Rilke und Michelangelo – letzteres tat auch Otl Aicher - auseinandergesetzt hat. Wie sehr Scholl letztlich doch ein „Tat“-Mensch war, zeigt eine Bemerkung in einem Brief vom 29. April 1940, in dem Scholl klar Stefan George den Vorzug vor Rilke gab (Hans Scholl/Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, a.a.O., S. 30 bzw. ???. 1937 hatte ihm seine Schwester Inge den „Stern des Bundes“ von George zum Geburtstag geschenkt (Hans Scholl/Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, a.a.O., S. 11 bzw. 14 und S. 242 bzw. ???): „Wir ahnen ihn, seine überragende, unantastbare, einsame Größe.“).

Ob alle Geschwister Scholl, die aus einer protestantischen Familie stammten, dennoch über ihren Vater, ihre katholischen Freunde oder auch speziell über Otl Aicher mit katholischen Autoren und dabei auch mit Guardini in Berührung kamen, ist noch nicht genau geklärt. Nachweislich kamen aber Hans und Sophie Scholl schon früh mit Werken von Georges Bernanos, Alois Dempf, Jacques Maritain in Berührung und eben auch mit Guardini.

So schreibt Hans Scholl am 27. April 1941 an seine Freundin Rose Nägele, die von Anfang 1941 bis Ende 1941 intensiv und ab Herbst 1942 bis zum 16. Februar 1943 (letzter veröffentlichter Brief) wieder regelmäßige Korrespondenz mit Hans Scholl führte: „Es ist die richtige Zeit zum Bücherlesen. Ich habe wieder die frühen Gedichte von Rilke vor mir, die ich allerdings jetzt anders aufnehme als vor fünf Jahren. Damals war Rilke für mich alles. Erst jetzt habe ich den wahren Rilke gefunden, deshalb fange ich nochmals von vorne an. Außerdem bin ich mit Grimm´s Michelangelo noch lange nicht zu Ende. Dann wartet Guardinis Hölderlin-Darstellung auf mich. Und am 2. Mai beginnen endlich die Vorlesungen. Ich bin wirklich wissensdurstig. (Ich war es lange nicht.) ...“ (zitiert nach Hans Scholl/Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, 1984, S. 52 f., 1988, S. 67). Die Art der Formulierung lässt darauf schließen, dass dies keineswegs das erste Buch Guardinis war, das Hans Scholl gelesen hatte, und dass er voraussetzt, dass seine Freundin Guardini und dessen Werk kennt.

Der Maler Wilhelm Geyer und seine Frau

Die Ulmer Bekanntschaft

Die Anfänge der ersten Kontakte der Scholls zu Albert Kley und Wilhelm Geyer (1900-1968) liegen wohl im Frühjahr 1938, als einige der Scholl-Geschwistern den Maler Geyer in seiner Wohnung besucht hatten. Die erste nachweisbare Verbindung zwischen Hans Scholl und Wilhelm Geyer ist aber erst für den Februar 1939 belegt, da Inge Scholl ihrem Bruder einen Termin nannte, an dem er sich mit Geyer treffen könne. Fortan haben sich die beiden öfters getroffen. Im Dezember 1939 berichtete Sophie Scholl ihren Eltern von den Neujahrswünschen der Geyerkinder.

Geyer hatte von 1916 bis 1926 studiert und dabei unter anderen Künstlerfreunde wie Hans Fähnle (1903–1968), Franz Frank (1897–1986) oder Walter Wörn (1901–1963) gewonnen, war aber auch jugendbewegter Quickborner, der sich besonders reformorientierte katholische Theologen angeschlossen hatten. Geyer war sowohl mit Hermann Breucha (1902–1972), dem späteren Mitbegründer der „Una Sancta-Bewegung“ in Stuttgart (1941), befreundet, als auch über den Quickborn schon früh mit Romano Guardini bekannt geworden (vgl. dazu Clemens Ottnad, in: Baden-Württembergische Biographien, 6, 2016, S. 141-144). Ab wann genau Wilhelm Geyer zum Freundeskreis in Mooshausen gehörte, ist noch nicht genau ermittelt. In Mooshausen selbst wird vermutet, dass diese Verbindung bereits in den zwanziger Jahren über den späteren Pfarrer Hermann Breucha (1902-1972) beginnt, der selbst schon früh mit Weiger und dessen Freundeskreis Kontakt hatte.

1927 zog Geyer nach Ulm, 1929 gründete er zusammen mit den Malern Manfred Henninger (1894–1986), Alfred Lehmann (1899–1979), Manfred Pahl (1900–1994) und Gustav Schopf (1899–1986) die Stuttgarter Neue Sezession und übernahm 1931 deren Vorsitz.

Nachdem 1937 Geyers Bilder aus dem Ulmer Museum als „entartet“ entfernt wurden, bekam er so gut wie keine Aufträge mehr. Infolgedessen hörte auch die Stuttgarter Neue Sezession auf zu bestehen.

Vor allem Inge Scholl hielt den Kontakt zur Familie Geyer. So schrieb Inge am 7. April 1940 Hans in einem Brief von ihrem Besuch bei Geyer. Am 7. Juni 1940 berichtet Inge ihrem Bruder Hans in einem Brief, dass ihre Mutter bereit sei, sich von Geyer porträtieren zu lassen, wozu es aber aufgrund des Kriegsdienstes nicht mehr gekommen sein wird. Am 14. Juni 1940 schreibt Sophie Scholl an Fritz Hartnagel aus Ulm: „Einen anderen Teil [der Schokolade] kriegt Frau Geyer, die vielleicht jetzt auch Nachwuchs hat, ich will nachher nach ihr sehen. Herr Geyer ist eingezogen.“ (Hans Scholl Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 144)

1941 kauften die Geschwister Scholl ein Gemälde, um es ihren Eltern zu schenken. Ab diesem ahr waren die Kontakte zwischen Hans Scholl und Wilhelm Geyer besonders häufig. Am 2. März 1941 bedauerte Scholl seinen Bruder Werner, dass er bei einem Besuch Geyers nicht dabei sein konnte. Am 30. April 1941 war Scholl erneut bei Geyer. Da dieser vom Militärdienst beurlaubt worden sei, werde er ihn zukünftig noch häufiger sehen können. In diesem Brief vom 1. Mai 1941 schreibt Hans Scholl an seinen Bruder Werner außerdem, dass Geyer gegenwärtig hier an Kirchenfenster arbeite. „Ich besuche ihn öfters. Er arbeitet unglaublich viel.“ (Hans Scholl Sophie Scholl, Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 53).

Ab 1941 engagierte sich Geyer in der von Breucha mitbegründete Stuttgarter Una-Sancta-Gruppe, zu der von Mooshausen aus ab 1943 auch Guardini stieß. Dass Geyer dazugehörte wissen wir von der Stuttgarter Malerin Herta Rössle, Mitglied der Stuttgarter Sezession, die in den 1940er Jahren auch in Ulm malte und eben durch ihre Freundschaft mit Wilhelm Geyer zum Kreis der Una-Sancta-Bewegung gekommen war. Sie erfuhr nach eigenem Bekunden ebenfalls von Geyer von der antifaschistischen Studentengruppe um Hans und Sophie Scholl.

Es war Mitte Oktober 1941, da Wilhelm Geyer (Ulm) Inge Scholl auf den Buchhändler Josef Rieck in Aulendorf aufmerksam machte. In dieser Buchhandlung seien „sämtliche Werke Newmans“ zu finden. Wilhelm Geyer war also schon früh mit dem Aulendorfer Josef Rieck bekannt, zunächst als Kunde, dann mit ihm befreundet.

Als Hans Scholl für das Windlicht den befreundeten Maler Wilhelm Geyer hinzuholen und überdies für die Gestaltung des Umschlagbildes gewinnen wollte, erhob Otl Aicher Einspruch, klärte dies aber nicht direkt. Wieder musste Inge Scholl vermitteln. Otl wolle doch die Jungen unter sich lassen, formulierte sie behutsam in einem Brief an Hans. Der 41-jährige Geyer sei da ein Fremdkörper (vgl. Brief von Inge Scholl an Hans Scholl vom 30. Oktober 1941, IfZ Bd. 55).

Am 20. Oktober 1942 äußert Hans Scholl gegenüber Elisabeth Scholl erneut den Wunsch, Geyer möge nach der Militärzeit die Mutter Scholl malen. Im Laufe des Jahres 1942 war Geyer erneut im Feld. Er kehrte am 5. Dezember 1942 von der russischen Front nach Ulm zurück. Geyer war Ende 1942 als Familienvater und Teilnehmer schon des Ersten Weltkriegs vom weiteren Wehrdienst zurückgestellt worden.

In einem Brief von Hans Scholl an Olga Habler vom 28. Dezember 1942 aus Ulm (IfZ Bd. 52) heißt es, Geyer komme im Januar mit ihnen nach München: "Dann werden wir uns sicher bald wiedersehen.“ Dies schreibt er nach einem Besuch bei Geyer in Ulm.

Nach 1945 zählte Geyer zusammen mit Maria Elisabeth Stapp fest den Bildenden Künstlern zu diesem Kreis. Mit Rieck begründete Geyer 1946 die Gesellschaft Oberschwaben mit, zu deren frühen Mitgliedern auch Robert und Inge Scholl, Otl Aicher, aber auch auch Josef Weiger und Romano Guardini gehörten.

Otl Aicher, Carl Muth und die „Weiße Rose“ - ab Frühjahr 1941

Der Münchener Freundeskreis um Hans Scholl: Schmorell und Probst

Begegnungen und Lesungen mit Theodor Haecker, Fedor Stepun, von Alfred von Martin (ab Januar 1942)

Theodor Haecker (1879-1945)

Am 12 .Januar 1942 schrieb Hans Scholl an Otl Aicher: „Dein letzter Brief kam wie ein Bote aus einem besseren Lande gerade zur rechten Stunde. Was ich Dir zuletzt geschrieben habe ist jetzt überwunden, und über dunkler Vergangenheit steht die Gegenwart in einem anderen Lichte. Man soll ein offenes Wort mit Ehrfurcht vergelten. Du hast das getan und ich danke Dir dafür. Wir warten alle voller Spannung und Ungeduld auf den Tag, an dem Du uns hier besuchen wirst. Ich freue mich schon deshalb, weil ich Dir im Gespräch viel näher kommen kann als in Briefen. Denn immer noch habe ich eine gewisse Scheu vor dieser Schreiberei. Im Gespräch dagegen lockt ein Wort das andere hervor, und aus Frage und Satz entsteht bald das innere geistige Gerüst des anderen sichtbar vor Augen. Von dem Kreis, welchen ich hier zusammengebracht habe, wirst Du schon gehört haben.“ „Du würdest Deine Freude an diesen Gesichtern haben, wenn Du sie sehen könntest. Alle Kraft, die man dort verschwendet, fliesst unvermindert zurück ins eigene Herz“ (Brief von Hans Scholl an Otl Aicher vom 12. Januar 1942 aus München, in: Scholl-Briefe, S. 141f.).

Inge Scholl berichtet über Hans und Werner, „daß sie beide bei Muth waren, als Haecker bei ihnen aus seinen Newman-Übertragungen vorlas“ (Inge Scholl an Sophie Scholl vom 17. Januar 1942, IfZ Bd. 75). Und aus einem weiteren Brief von Inge Scholl, dieses Mal an Hans Scholl selbst, vom 29. Januar 1942 (IfZ Bd. 55) wissen wir, dass Hans Scholl damals geplant hat, Theodor Haecker zu einem weiteren Leseabend einzuladen.

Und im Brief von Hans Scholl an Alfred „Bobi“ Reichle vom 12. Februar 1942 aus München (IfZ Bd. 52) schreibt er, wenn auch etwas unbestimmt, er habe neulich Haecker persönlich kennengelernt.

Alfred von Martin

Über Carl Muth bekam Hans Scholl spätestens Anfang 1942 Kontakt zum Soziologen Alfred von Martin (1882-1979). Dieser war 1938/39 von seiner „Villa Romana“ in Florenz nach München zurückgekehrt. In einem Brief von Sophie Scholl an ihre Eltern und Inge Scholl vom 17. Juni 1942 aus München heißt es, dass Hans Scholl am Sonntag von Professor von Martin eingeladen gewesen sei. Durch ihn hat Scholl wiederum Stepun kennengelernt (Alexander Schmorell/Christoph Probst: Gesammelte Briefe, 2011, S. 162)

Fedor Stepun

Am 10. Februar 1942 schreibt Hans Scholl an Elisabeth Scholl über den russischen Philosophen Fedor Stepun (1884-1965):„Er ist einer von den Menschen, ein Geschichtsphilosoph, der so hoch über der Zeit steht, in der ich wühle und mich abmühe, dass er sagt, es komme nur darauf an, dass das Wesentliche erhalten bleibe. Und dies bleibe uns unter allen Umständen erhalten. Darin hat er recht“ (Briefe und Aufzeichnungen, a.a.O., S. 98).

Josef Furtmeier

Ebenfalls bei Alfred von Martin lernte Scholl dann auch den „Philosophen“, eigentlich zwangsweise pensionierten Justizbeamten und kritischen Katholiken Josef Furtmeier (1887-1969) kennen. [Die mitunter zu findende Angabe Scholl und Furtmeier kennen sich seit Mitte 1941 ist hingegen nicht belegt]. Der Justizdiener Furtmeier war ein gegenüber der Amtskirche kritischer und philosophisch sehr versierter Katholik, der aufgrund seiner politischen Haltung 1933 als Beamter suspendiert wurde.

Über ein "ein dreistündiges, pausenloses und anstrengendes Gespräch" am 4. Juni 1942 bei Josef Furtmeier berichtete Sophie Scholl (Briefe und Aufzeichnungen, a.a.O., S. 98).

Hans Scholl besuchte Furtmeier einmal wöchentlich in seinem Sollner Haus – öfter in Begleitung weiterer Freunde – und ließ sich über vorab verabredete Fragen aus Geschichte, Archäologie und frühchristlichen Texten belehren. Furtmeier pendelte in der NS-Zeit zwischen seinem Elternhaus in Moosburg und seiner Münchner Unterkunft.

Manfred Eickemeyer und sein Atelier in München

Hans Scholl hat im März/April 1942 über Josef Furtmeier dann auch dessen Freund Manfred Eickemeyer kennengelernt. Eickemeyer, der in Polen dienstverpflichtet war, berichtet Scholl von Massenerschießungen an polnischen Juden an der Ostfront.

Eickemeyer stellte dem Kreis um Scholl sein Atelier in der Leopoldstraße 38a für Treffen zur Verfügung. Bereits im Frühsommer 1942 veranstalten Hans Scholl und Alexander Schmorell dort Leseabende.

Ende 1942 erhält Geyer - nach einer ersten Begutachtung seiner drei Entwürfe durch den Kunstverein der Diözese Rottenburg am 10. Mai 1939 und einer weiteren Stellungnahme am 10. März 1942 - den Auftrag der Glasmalerei Mayer in München erhält, für die katholische Pfarrkirche St. Margareta im schwäbischen Albstatt-Magrethausen ein Glasfenster zu entwerfen.

Geyer bezieht Anfang 1943 durch Vermittlung von Hans und Sophie Scholl in der Münchner Leopoldstraße 38a das Atelier Eickemeyer, der selbst in dieser Zeit nach Krakau abreiste.

Am 12. Januar 1943 schreibt Sophie Scholl an Inge Scholl: „Herr Geyer ist schon in Eickemeyers Atelier eingezogen. Wahrscheinlich werden wir manchen Abend mit ihm verbringen. Seine Anwesenheit wirkt sehr beruhigend, er strahlt direkt eine Atmosphäre des Vertrauens aus. (Hans Scholl, Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, Frankfurt 1984, S. 231).

Am 27. Januar 1943 fand im Atelier Eickemeyer ein Gesprächsabend statt, an dem u.a. auch Harald Dohrn, der Schwiegervater Christoph Probsts, ein überzeugter Katholik teilnahm. Dabei war es zwischen ihm und Hans Scholl zu einer heftigen Auseinandersetzung über die indifferente Haltung der katholischen Kirche zu den verbrecherischen Methoden des nationalsozialistischen Staats, besonders gegenüber Juden, gekommen sei: „Nach glaubwürdigen Aussagen [des Malers] Wilhelm Geyers konfrontierte Hans Scholl Harald Dohrn mit der Frage, „warum die kath. Kirche sich nicht öffentlich gegen die Greuel auflehne bezw. im Kriege zu allem schweigen würde“ (vgl. die Aussagen Wilhelm Geyers vor der Gestapo am 10. April 1943 und die entsprechende von Harald Dohrn am 2. April 1943).

Anfang Februar 1943 schrieb Carl Muth einen Brief an Otl Aicher (IfZ Bd. 102), dass der Kunstmaler Geyer aus Ulm ihn zur Zeit gerade male. Durch eine Bemerkung von Magdalene Scholl kann der Beginn dieser Arbeit auf den 23. Januar 1943 datiert werden.

Das Atelier bzw. die Wohnung im nach 1945 neu aufgebauten Haus ging später an Burda, dann an Peter und Barbara Hamm.

Gerhard Feuerle

Gerhard Feuerle war mit Sophie Scholl befreundet, verkehrte in ihrem Freundeskreis. Nachdem Feuerle in Augsburg aus dem Militärkrankenhaus entlassen wurde, gab ihm die Wehrmacht ihm die Erlaubnis, in München angewandte Kunst zu studieren. Da er in München niemanden kannte, ging sein Vater zu Wilhelm Geyer, um ihm aus dieser Situation herauszuhelfen.

Gelegentlich - erstmals im Januar 1943 - nahm Gerhard Feuerle an den Gesprächsabenden im Atelier teil, aber ohne sich später an den Aktionen der „Weißen Rose“ zu beteiligen, vermutlich auch ohne eingeweiht zu sein. Nach Verhaftung, Verhör durch die Gestapo und nach Freilassung wurde er an die Ostfront abkommandiert und erneut beschattet und verhaftet. Nach einjähriger Untersuchungshaft zum Tode verurteilt, wartete er vier Monate auf seine Hinrichtung in der Todeszelle. Oktober 1944 wurde er von Himmler zum Einsatz in einem Strafbataillon „begnadigt“. Nach Gmünd kehrte er im Frühjahr 1945 zurück und wurde gezwungen, an die Front zurückzukehren. Feuerle ist seit April 1945 vermisst. Er kam vermutlich in diesem Monat bei einem Bombenangriff auf einen Bahnhof ums Leben (vgl. dazu: Christiane Moll/Johannes Tuchel: Gerhard Feuerle und die Weiße Rose im Spiegelbild der Gestapo-Ermittlungen, in: Torsten Krämer (Hrsg.): Gerhard Feuerle. 1918–1945. »Der Krieg traf ihn mitten ins Herz«. Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, 7. Mai 1996–4. Juli 1996. Schwäbisch Gmünd 1996).

Entwicklungen im Februar 1942

Mit Carl Muth

Das Verhör von Vater Robert Scholl im Februar 1942

Entwicklungen ab April 1942, vor allem Sophie Scholls Studienbeginn

Sophie Scholl, Carl Muth, Josef Gieles und Maria Loesch-Berrsche

Die Zimmer in der Mandlstraße

Der Quickborner Josef Gieles

Der Bachchor und die Abende bei den Mertens

Der Quickborner Ottmar Hammerstein, das Quartett und der Bachchor

Regina Renner

Gertrud Mertens

Kurt Huber und Sigismund von Radecki

Namenlose evangelische Studentin der Kunstgeschichte und Archäologie aus Preußen

Willi Graf, die „Weiße Rose“ und die Guardini-Lektüre (ab Juni 1942)

Die Zeit der ersten vier Flugblätter

Die Verhaftung Robert Scholls und die Einstellung des Windlichts

Die Zeit von November 1942 bis Ende Januar 1943

Das fünfte und sechste Flugblatt und die letzten Tage

Die Buchhandlung Rieck in Aulendorf

Weitere Entwicklungen von Herbst 1943 bis Kriegsende

Die Kontakte von Muth zu Weiger und Guardini (1943/45)

Das restliche Jahr 1943

Das Jahr 1944

Das Jahr 1945 bis Kriegsende

Kontaktaufnahme Otl Aichers zu Guardini nach Kriegsende

„Die Waage des Daseins“ – Guardinis Münchner Gedächtnisrede für die Geschwister Scholl

Inge Scholl und Simon Anton Schorer (Eichstätter und Konnersreuther Kreis)

Die Volkshochschule Ulm (1945/46)

Über Aichers Mitarbeit bei der geplanten Neugründung der „Schildgenossen“ (1947)

Inge Scholl und die Gesellschaft Oberschwaben (1947)

Die Volkshochschule Ulm und Guardinis „Vom Wesen des Kunstwerks“ (1947)

Weiterere Vorträge Guardinis in Ulm von 1947 bis 1949

Vorarbeiten zur „Geschwister-Scholl-Schule“ für Gestaltung (1949)

Die Ulmer und der 65. Geburtstag Romano Guardinis (1950)

Verteidigung der Familie Scholl gegen Kommunismus-Vorwürfe (1951)

Guardini traut Inge Scholl und Otl Aicher (1952)

Vortrag in Ulm: Die Annahme seiner selbst (1953)

Kogons Plan zur Verfilmung des Lebens der Geschwister Scholl (1953)

Der Start der „Hochschule für Gestaltung“ (1953)

Guardini und die Erinnerungsstätte für die „Weiße Rose“ im Lichthof der Münchner Universität == Die Ulmer und der 70. Geburtstag Guardinis (1955)

Die offizielle Eröffnung der "Hochschule für Gestaltung" und erste finanzielle Schwierigkeiten (1955/56)

Das 10jährige Jubiläum der Ulmer Volkshochschule und Guardinis Vortrag über „Das Wesen des Interpretierens“ (1956)

Der endgültige Rückzug Max Bills (1957) und der altersbedingte Rückzug Guardinis aus den Hochschulgremien

Max Bill verließ 1957 die Hochschule auch als Lehrender. Im Nachlass von Guardini (B23/02-04-6) findet sich ein Brief von Inge Aicher-Scholl an Guardini vom 10. April 1957 mit der Mitteilung, dass Max Bill sich von der Hochschule zurückziehen wird. Sie begründet das gegenüber Guardini damit, daß dieser sich nicht "als fähig zur Teambildung gezeigt" habe. Dies habe Gropius als vorhersehbar bestätigt. Die entsprechende Vereinbarung zwischen Hochschule und Max Bill vom 12. März 1957 lag als Anlage bei.

Guardini hat sich bald darauf - wann genau ist noch nicht ermittelt - ebenfalls aus den Gremien der Hochschule zurückgezogen, wohl vor allem aus gesundheitlichen und Altersgründen.

Guardinis zweite Gedächtnisrede auf die Weiße Rose: „Es lebe die Freiheit“ (1958)

In seinem Tagebucheintrag vom Montag den 24. Februar 1958 schreibt Guardini selbst zum Entstehen seiner Rede: „Heute Abend rief der Rektor hier an und forderte mich auf, zu überlegen, ob ich bereit sei, am 12. Juli die Festrede zu halten bei der Einweihungsfeier des Lichthofs der Universität, in den die Geschwister Scholl damals die Aufrufe gegen Hitler hinuntergeworfen hatten, und das Denkmal für die sechs im gleichen Lichthof. Ich hatte gleich das Gefühl, das tun zu müssen. Es ist wohl nicht gleichgültig, wie die Rede ausfallen wird, die vor einer großen akademischen, aber auch offiziellen Hörerschaft gehalten werden soll. Also muß ich die Sache gut überlegen. Meine persönliche Situation wird dadurch nicht einfacher. Vielleicht über die Verpflichtung gegen die Geschichte, angesichts der Gleichgültigkeit gegen die Geschichte der Zeit in Westdeutschland. Immer mehr wird die Haltung geschichtslos: Geld, Vergnügen, Technik, Sport ... Bei der Feier für die Geschw. Scholl am vergangenen Samstagabend seien etwa 150 Studenten und ein Dutzend Professoren dagewesen. Bei der Versammlung wegen des Gitterspruchs im Lichthof (Dulce et decorum ...) waren es zwischen 2500-3000. Da ging es aber auch um Krachmachen.“

Tatsächlich hielt Guardini die Rede unter dem Titel "Leben und Geschichte". Veröffentlicht wurde sie unter dem Scholl-Wort: "Es lebe die Freiheit" noch im gleichen Jahr im Jahrbuch der Universität. Guardini verwies zu Beginn der Rede auf den Lichthof als "eine Stätte ernsten Gedenkens", in dem sich "ein Vorgang zugetragen" habe, "der vor fünfzehn Jahren für sieben Angehörige dieser Universität - Professor Kurt Huber, die Studenten Sophie und Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Hans Carl Leipelt - zum Signal für die tragische Wende ihres Lebens geworden ist. Von der Brüstung dort oben im ersten Stock haben Sophie und Hans Scholl die Aufrufe abgeworfen, in denen der Kampf ihres Freundeskreises um die Freiheit seinen letzten Ausdruck gefunden hat. Sie wußten, daß darauf die Gefangennahme folgen müsse. Das geschah denn auch, und das Ende für sie alle war der Tod. Ein kleiner Vorgang unter unzähligen anderen in jenen Jahren, die über Deutschland so viel Dunkelheit gebracht haben, weil in ihnen weder Recht, noch Wahrheit, noch Freiheit mehr zu gelten schienen. So hat die Feier der Vollendung dieses Lichthofs ihren eigentlichen Sinn in der Enthüllung des Denkmals für jene gefunden, die mit ihrem Leben für das eingestanden sind, was ihnen das Leben lebenswürdig machte - was aber auch die Grundlage für alles das bildet, wofür unsere Universität stehen muß, solange sie ihres Namens würdig sein will“ (Freiheit und Verantwortung, S. 21)

Im weiteren Verlauf der Rede deutet Guardini die von seiner Schwester berichteten letzten Worte von Hans Scholl vor seinem Tod: „Es lebe die Freiheit!" Für ihn bedeuteten sie "die Rechtfertigung seines Tuns". Für die Nachwelt dagegen "sind sie ein Testament", weshalb es zu bedenken gelte, "was sie meinen" (ebd., S. 22) Guardini charakterisiert im weiteren Verlauf dieses Wort von Hans Scholl als "verhüllte Prophetie": "Es hat mehr bedeutet als nur den Protest eines großgesinnten Herzens gegen die Gewalt, die in Deutschland herrschte. Ihrem tieferen, ihm selbst noch nicht bewußten Sinn nach richtete sich sein Freiheitsruf nicht nur gegen ein aus Machtbesessenheit und irrer Phantastik lebendes System, sondern gegen eine viel größere Bedrohung, die schon lange unterwegs war. Was damals politisch geschah, bildete die erste Ausdrucksform von etwas, das sich von tieferen Gründen der Geschichte her vorbereitete. Heute sehen wir es - ich will vorsichtiger sprechen: jene sehen es, die sehen wollen. Es ist die Gefahr einer Verknechtung, die aus dem Menschenwerk der letzten Jahrhunderte selbst aufsteigt (ebd., S. 27). Nach weiteren Erläuterungen betont Guardini: "So nimmt heute der Ruf „Es lebe die Freiheit!" eine neue Bedeutung an. Er wird zum Ausdruck einer tieferen Gefährdung als jene es war, aus der er damals gekommen ist. Den Ruf zu hören und ihm zu folgen, heißt, zu einem schwierigen Unternehmen bereit zu sein." (ebd., , S. 33). Und zum Abschluss ermahnt er sich und seine Zuhörer: "Die Ehrung, die wir den Menschen erweisen, die damals um der Freiheit willen ihr Leben gegeben haben, wird zu einer bloßen Geste, wenn wir nicht auch zu erkennen suchen, wo die Forderung der gleichen Freiheit für uns liegt, und bereit sind, sie zu erfüllen." (ebd., S. 37)

Kritische Betrachtung der Ulmer Hochschule im Spiegel (1963)

Nach sieben Jahren Rektoratskollegium trat 1962 eine neue Verfassung für die HfG in Kraft, die wieder einen alleinigen Rektor vorsah. Die Wahl fiel auf Otl Aicher, der in Folge dessen von 1962 bis 1964 Rektor war. In diese Zeit hinein fiel aber auch eine sehr kritische Betrachtung der Entwicklung der Ulmer Hochschule im Spiegel. In der Ausgabe vom 20. März 1963 heißt es unter dem Titel "Ulm: Auf dem Kuhberg": "Ein Blatt des Deutschen Gewerkschaftsbundes feierte sie als "Hochschule einer neuen Gesellschaftsordnung". Carl Zuckmayer nannte die Gründung "ein Ereignis, das über Deutschland und Europa hinaus ein Signum neuen Geistes ist". Der ähnlich enthusiasmierte John McCloy verhalf ihr zu einer Million Mark amerikanischer Subventionen, und Baden-Württembergs ehemaliger Kulturminister Schenkel frohlockte: "Das neue Bauhaus!" Keine andere Akademie-Neugründung im Nachkriegsdeutschland wurde mit mehr Vorschußlorbeeren bekränzt als die der "Hochschule für Gestaltung" (HfG) in Ulm am 2. Oktober 1955. Keine Gründung hat aber auch so viel mehr versprochen als gehalten, keine andere akademisch-künstlerische Lehr- und Forschungsanstalt wurde bis auf den heutigen Tag von so vielen Krisen und Querelen heimgesucht, von Mitgründern und Mitarbeitern so scharf kritisiert wie das von der "Geschwister -Scholl-Stiftung" getragene Unternehmen auf dem Ulmer Oberen Kuhberg. Nach der Meinung des kleinschreibenden Züricher Malers, Architekten und Designers Max Bill - Erbauer und erster Rektor der Kuhberg-Akademie - haben "dilettantische fantasten und tüchtige nutznießer sich der ehemals guten sache bemächtigt". Nach Ansicht des amerikanischen Psychologie-Professors Perrine, der von 1958 bis 1961 an der HfG dozierte, "kann die Ulmer Schule den Rang einer Hochschule kaum mehr für sich in Anspruch nehmen". Perrine, dessen von der Ford-Stiftung finanzierte "Forschungsstelle für optische Wahrnehmung" an der Ulmer Schule 1961 einging, schrieb im vergangenen Jahr an den Verwaltungsrat der Geschwister-Scholl-Stiftung: "Der gut Ruf, den Ulm sicher einmal zu Recht besaß, ist heute nur noch eine dünne Fassade aus ein paar Braun-Geräten, Möbeln und Tassen.""

Es folgt eine "Analyse", dass der Ruf der "Ulmer Designer-Akademie" darauf gründet, dass die Ulmer Gestalter, vor allem Hans Gugelot, 1955/56 dem Frankfurter Radio- und Elektrogeräte-Firma Braun ein neues, kompromißlos modernes Image gegeben habe, deren Formgebung auf mehreren internationalen Ausstellungen preisgekrönt wurde, was zu Nachfolgeaufträgen durch die Badische Anilin-, und Soda-Fabrik (BASF), durch Olivetti und Krupp, durch die Farbwerke Hoechst, durch die Hamburger Hochbahn und durch die Lufthansa führte. Diese seien nun aber in einem von Hans Gugelot geleiteten "Institut für Produktentwicklung und Design e.V." in Neu-Ulm gebündelt, während der Leiter Gugelot dem eigentlichen Hochschulbetrieb nur noch als Gastdozent verbunden sei. Aus der HfG dagegen habe es 1962 mehrere Krisensignale gegeben.

  • "drei Rektoratswechsel die Einführung einer neuen Schulverfassung und damit verbundene Mißhelligkeiten im Lehrkörper;
  • zwei Protestaktionen von HfG-Studenten, bei denen gegen die angeblich "undemokratische" neue Verfassung polemisiert wurde und Transparente mit der Parole "Weniger kalter Krieg - mehr Ausbildung!" gezeigt wurden.

Der Unmut der Studierenden wurzelt auch darin, dass nur ein Bruchteil der im Prospekt für die Zeit nach dem einjährigen Grundkurs versprochenen fünf Ausbildungswege für Produktform, Architektur, Stadtbau, Visuelle Kommunikation, Information tatsächlich angeboten wird. Die Abteilung Stadtbau wurde wiederholt als "im Aufbau" angekündigt worden, sei aber bis dato nicht zustande gekommen, die Abteilung Information zwar zustande gekommen, aber verkümmert und zusammengeschrumpft. Im zweiten und dritten Studienjahr fiel ein vorgesehenes Seminar monatelang aus. Das für das dritte Studienjahr der Abteilung Visuelle Kommunikation angekündigte Fach "Experimentelle Technologie" fiel im ersten Quartal des laufenden Lehrjahres mangels Dozenten aus. Die für das vierte Studienjahr im Ulmer Lehrplan für alle Fächer in Aussicht gestellte "Abteilungsarbeit" finde nicht statt. Gegenüber der Politik sei im Blick auf anstehende Verhandlungen über den Aufbau eines Filminstituts in den Abteilungen Information und Visuelle Kommunikation eine Filmabteilung "beschildert" worden, die Schilder nach der Abreise de CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Martin allerdings wieder entfernt worden, weshalb sowohl Studenten als auch Dozenten den HfG-Lehrplan und Lehrbetrieb als "Hochstapelei" und "Potemkinade" klassifizieren würden. Besonders kritisch äußert sich der HfG-Dozent Gert Kalow über den "kalten Krieg" in der Hochschule und wird zitiert mit der Aussage: "Der 'Ulmer Stil', der das Klima innerhalb der Hochschule charakterisiert, besteht aus Unfreundlichkeit, Mißgunst, Kälte, gegenseitigem Haß, Unfähigkeit miteinander zu reden - längst ein Skandal, nur noch notdürftig gedeckt durch den Namen Geschwister Scholl." Damit habe sich das "Kuhberg-Klima" weit von den idealen Vorstellungen der Gründer und Gönner der Hochschule entfernt. Zunächst hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln der Vereinigten Staaten von Amerika und Spender-Millionen von McCloy sowie von deutschen Firmen und Verwaltungsstellen finanziert, werde die Hochschule heute überwiegend von deutschen Steuergeldern von Land, Bund und Stadt Ulm (1.050.000 Mark) und von Studiengebühren und Auftragshonoraren (ca. 500000 Mark) finanziert, was bis auf 0 im Jahr 1962 zurückgegangen sei, seien allerdings die Spenden aus der Industrie. Ausführlich wird die Leitung, Verwaltung und Beratung der Hochschule beschrieben, die planmäßig nicht mehr als 150 Studierende aufnehmen sollte und aktuell von 118 Studenten, darunter 41 Ausländer, besucht werde. Die schleichenden Krise wird nun im Spiegel-Artikel auf das Gerangel um die Leitung geschoben, das schon ein halbes Jahr nach dem Einzug ins neue Hochschulgebäude damit begonnen habe, dass nach dem zunächst als freiwillig kommunizierten Rückzug von Max Bill, der dies im Nachhinein aber als Verdrängung "auf perfide Weise" darstellt, seine "Schüler" Otto Aicher das Rektorat und Tomás Maidonado das Prorektorat übernommen haben. Letzterem gab Bill die Hauptschuld daran, "daß ernste Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der Hochschule bestehen." Aicher wird im Artikel wiederum mit einer Aussage über Bill zitiert: "Sein Abgang war kein Verlust für uns. Die größten Leistungen der HfG entstanden erst hinterher." Die Kritik des Spiegels am Rektorat von Aicher und Maidonado, die die Fächer Visuelle Kommunikation und Produktgestaltung betreuen, besteht nun darin, sich als Dozenten bislang nicht der von ihnen selbst proklamierten Devise unterworfen zu haben nach der die HfG "kein Altersheim" sei und es deshalb "eine gewisse Rotierung von Dozenten-Persönlichkeiten geben" müsse. Die beiden hätten sich im sich daher rasch verändernden Ulmer Dozentenkollegium an die Spitze der HfG-Hierarchie emporgearbeitet, ohne - laut dem Dozenten Kalow - "ein neuer Gropius" zu sein. Diese Kritik habe aber 1957 in einem Essay von Helmut Heißenbüttel auch schon Max Bill getroffen. Heißenbüttel habe "die Doktrin des Form-Puristen Max Bill als unpädagogische "Glaubenslehre", als schultechnisch wertloses "Dogma" und das allgemeine HfG-Programm mit seinem totalen Formgebungsanspruch als "schönen kulturpolitischen Luftballon, der sich unverbindlich über den praktischen Anforderungen dahinbewegt", bezeichnet, das mit den tatsächlichen Leistungen der Schule nicht übereinstimme. Abschließend beschäftigt sich der Artikel mit der am 15. Dezember 1962 erlassenen neuen Verfassung, die nunmehr zwischen ordentlichen und außerordentlichen Dozenten unterscheide, wobei zu ordentlichen Dozenten nur jene zählen, die Gestalter bzw. Designer sind. Nur aus diesen ordentlichen Dozenten kann der Rektor und Prorektor gewählt werden. Nach dem Tod des Dozenten Vordemberge-Gildewart, einem Maler, gäbe es neben den "HfG-Veteraen" Aicher und Maldonado nur noch einen weiteren ordentlichen Dozenten, während die anderen fünf Festdozenten, die Architekten Doernach und Ohl, der Mathematiker Rittel, der Photograph Staub und der Publizist Kalow, alle frühere Mitglieder des Rektoratskollegiums, sich durch die neue Verfassung zu "Lehrkräften zweiten Ranges degradiert" fühlten, die nicht mehr Rektor werden könnten. Auch der Ulmer Gastdozent und Chefredakteur von Radio Bremen, Harry Pross, wird mit dem Urteil zitiert: "Im ganzen ist diese Verfassung eine ins 20. Jahrhundert verpflanzte mittelalterliche Rektoratsverfassung. Bei der kleinen Anzahl von Studenten und Dozenten hat sie etwas Lächerliches." Aicher dagegen sieht in der neue Verfassung im Unterschied zur alten für geeigneter, "bei internen Spannungen klärend zu wirken". Durch den Boykott der Rektoratswahl durch die Hälfte der wahlberechtigten Dozenten sowie der Vertreter der Studentenschaft, verbunden mit der in einem Eilbrief der Ulmer Studentenvertretung an den Kulturpolitischen Ausschuß des Baden-Württembergischen Landtags in Stuttgart erhobenen Forderung nach einer "Verfassung, die den demokratischen Gepflogenheiten unseres Staates und dem intellektuellen Niveau einer Hochschule gerecht wird", scheint der erwartete Neubeginn und die erhoffte Stabilität ungewiß zu sein. Der Artikel endet mit der Prognose: "Eine Eruption, die das Ulmer Kuhberg-Werk möglicherweise bis zum Zusammenbruch erschüttern könnte, sagen HfG-Dozenten für den Tag voraus, "an dem Prorektor Tomás Maldonado das Rektoramt besetzt". Hier endet der Artikel. Tomás Maldonado war dann von 1964 bis 1966 tatsächlich Rektor der Hochschule, in dessen Rektoratszeit sich auch, wie vorhergesagt, die politische und finanzielle Krise der HfG weiter zuspitzte.

Die Ulmer und der 80. Geburtstag Romano Guardinis (1965)

Inwieweit Guardini in diese Problematiken noch mitbekommen hat oder gar einbezogen wurde, konnte bislang nicht festgestellt werden. Die Geburtstagsgrüße der Aichers und Scholls zum 80. Geburtstag enthalten anders als die vorherigen keine Bezüge mehr auf Guardinis Tätigkeit in Volkshochschule und Hochschule, sondern spricht nur noch, wenn auch sehr familiär von den „Ulmer Kindern“ Guardinis.

In der Bayerischen Staatsbibliothek finden sich:

  • B3-3-003: handschriftlicher Brief von Inge Aicher-Scholl vom 16. Februar 1965 (2 Seiten)
  • B4-3-148: handschriftliche Glückwunschkarte von Robert Scholl an Guardini, o.J. (1965) (1 Seite)

Im Ulmer Monatsspiegel, herausgegeben von der Ulmer Volkshochschule, sind zum Geburtstag zwei Beiträge erschienen:

  • („Was ist Wahrheit?“). Zum Geburtstag von Romano Guardini, in: Ulmer Monatsspiegel, hrsg. von der Ulmer Volkshochschule, 16, 172, 1964/65, 7 (März), S. 3-4 (verantwortlich Inge Aicher-Scholl) (mit Einzelheiten zu Guardinis Mitarbeit an der Volkshochschule Ulm) [Gerner 192, ohne Titel „Was ist Wahrheit?“] und [Gerner 254] - [Artikel] - [noch nicht online]
  • Der Lehrer von zwei Generationen, in: Ulmer Monatsspiegel, hrsg. von der Ulmer Volkshochschule, 16, 172, 1965, 7 (März), S. 5-6 (verantwortlich Inge Aicher-Scholl) [Gerner 192] - [Artikel] - [noch nicht online]; vermutlich stammt der Beitrag von Eugen Walter, denn unter dem gleichen Titel findet sich:
    • Eugen Walter: Der Lehrer von zwei Generationen. Zum 80. Geburtstag von Romano Guardini, in: Der christliche Sonntag, Freiburg, 17, 1965, 7, 14. Februar, S. 53-54 [Mercker 2591] - [Artikel] - [noch nicht online]
    • Der Lehrer von zwei Generationen, in: Tag des Herrn, Leipzig, 15, 1965, 11/12 (13. März 1965), S. 42 [Gerner 192] - [Artikel] - [noch nicht online]

In der Ulmer Schwäbische Donauzeitung findet sich zum Geburtstag ein Beitrag von K. Wieder:

  • K. Wieder: Kulturleben ohne provinzielle Enge, in: Schwäbische Donauzeitung, Ulm, 1965, 103 (6. oder 8.??? Mai 1965), Sonderbeilage: Ulm 1945-1965; darin: Hinweis auf den ersten öffentlichen Vortrag „Was ist Wahrheit?“ in Ulm nach 1945 mit Referent Romano Guardini in der Martin-Luther-Kirche [Gerner 254] - [Artikel] - [noch nicht online]

Das Ende der "Hochschule für Gestaltung" im Todesjahr Guardinis (1968)

1966 wurde Tomás Maldonado als Rektor abgelöst von Herbert Ohl, der bereits von 1959 bis 1962 Mitglied des Rektoratskollegiums war. Er trat das Amt an, als bereits bekannt war, dass die Geschwister-Scholl-Stiftung als Träger der HfG, stark verschuldet war.

Im Laufe des Jahres 1968 mussten die ersten Dozenten aufgrund der schwierigen finanziellen Lage entlassen und die Anzahl der Lehrveranstaltungen eingeschränkt werden. Nach erfolglosen Verhandlungen über die weitere Gewährung von Landes- und Bundesmitteln stellte die Geschwister-Scholl-Stiftung den Betrieb der Hochschule zum 31. Dezember 1968 ein.

Nachwirkungen der "Hochschule für Gestaltung"

Als erste Institution übernahm die 1970 in Hochschule für Gestaltung umbenannte Hochschule in Offenbach am Main große Teile des Lehrkonzepts der HfG Ulm. Nach Ulm war sie die einzige Hochschule, die die vom Bauhaus übernommene Bezeichnung "Hochschule für Gestaltung" trug. Erst später folgten noch weitere Lehrstätten.


Literaturverzeichnis (chronologisch)

  • 1984
    • Inge Jens (Hrsg.): Hans Scholl/Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen, hrsg. von Inge Jens, 1984, zu Romano Guardini S. 53 und 252. (Hans Scholl und Guardinis "Hölderlin-Buch") [neu aufgenommen] - [Monographie] - [noch nicht online]
  • 1985
    • Otl Aicher: Innenseiten des Kriegs, Frankfurt am Main 1985, zu Romano Guardini S. 14 [neu aufgenommen] - [Monographie]/[Memoiren] - https://books.google.de/books?id=fhZMDwAAQBAJ;
    • Hartmut Seeling: Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm 1953-1968. Ein Beitrag zur Entwicklung ihres Programms und der Arbeiten im Bereich der Visuellen Kommunikation, Phil. Dissertation, Köln 1985, zu Romano Guardini S. 19, 48 und 68 [Gerner 265] - [Monographie]/[Doktorarbeit] - https://books.google.de/books?id=vn1JAQAAIAAJ;
  • 1992
    • Josef Gieles: Studentenbriefe von 1939 bis 1942, 1992
  • 1993
    • Otl Aicher: Schreiben und Widersprechen. Zu Kultur und Design. Berichte aus der autonomen Republik 1990: Mecklenburg Herbst ´89. Politische Essays, 1993, S. 203 (gemeinsamer Spaziergang über den oberen Kuhberg im Jahr 1946, Gespräch über „Schule des Wiederaufbaus“) [neu aufgenommen] - [Monographie] - https://books.google.de/books?id=xyQjAQAAIAAJ;
  • 1997
  • 2000
    • Barbara Schüler: „Im Geiste der Gemordeten...“ Die „Weiße Rose“ und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit. Paderborn 2000 (Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft 19)
      • dazu: Rezension, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst, 2002, S. 459-461
    • Berthold Gerner: Romano Guardini in München. Beiträge zu einer Sozialbiographie, Band 2: Referent am Vortragspult, München 2000, 6. Volkshochschule Ulm S. 397-432.
  • 2002
    • Barbara Schüler: Inge Scholl und Otl Aicher. Korrespondenzen und Kontakte zwischen Aulendorf und Ulm, in: Kuhn, Elmar L./Ritter, Brigitte/Bauer, Dieter R. (Hrsg.): Das große weite Tal der Möglichkeiten. Geist, Politik, Kultur 1945-1949. Das Projekt Gesellschaft Oberschwaben. Lindenberg 2002 (Oberschwaben – Ansichten und Aussichten), S. 117-130, FN S. 360f.
  • 2012/14
  • 2013
    • Christine Hikel (= Christine Friederich): Sophies Schwester. Inge Scholl und die Weiße Rose, 2013, zu Romano Guardini S. 58-61 (zu: Guardini, Die Waage des Daseins), 107, 147 (Verweis auf Guardinis Brief an Eugen Kogon vom 3. März 1953) und 169 (zu: Guardini, Es lebe die Freiheit) - https://books.google.de/books?id=gDfpBQAAQBAJ;
  • 2014
    • Notker Hammerstein: Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose": Otmar Hammerstein - Eine biographische Erkundung, 2014
    • Eva Moser: Otl Aicher (1922-1991), Grafik-Designer. Leitmotive der Jugendbewegung in Lebenslauf und Selbstdeutung, in: Barbara Stambolis (Hrsg.): Die Jugendbewegung und ihre Wirkungen, 2014, S. 251ff.
    • Robert M. Zoske: Sehnsucht nach dem Lichte – Zur religiösen Entwicklung von Hans Scholl: Unveröffentlichte Gedichte, Briefe und Texte, 2014
  • 2016
    • Stephan Kessler Stephan: Der stille Befehl: Widerstand und Opfergang einer bürgerlich und christlich geprägten Familie im NS-Staat 1933 bis 1945, 2016.
  • 2017
    • Christine Friederich: Widerstand als Glaubenstat? Religiöse Deutungen des Widerstands der Weißen Rose, in: Siegfried Hermle/Dagmar Pöpping (Hrsg.): Zwischen Verklärung und Verurteilung. Phasen der Rezeption des evangelischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus nach 1945, Göttingen 2017, S. 105-118, zu: Guardini, Die Waage des Daseins, S. 111f. (unter Rückgriff auf den Nachlass Inge Scholls im IfZ München) [Artikel] - https://books.google.de/books?id=L4vfDgAAQBAJ&pg=PA111