Die Erneuerung einer Volksandacht: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Romano-Guardini-Handbuch
(Die Seite wurde neu angelegt: „<center><big>Die Erneuerung einer Volksandacht.</big></center> <center>Romano Guardinis „Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes“ (1919)</center> <center>Hintergründe zum Erscheinen der Volksandacht vor 100 Jahren</center> ''Vorbemerkung: Nachfolgender Text wurde 2019 erstellt, aber nicht zur Veröffentlichung fertiggestellt. Er wird nach und nach jetzt hier eingestellt.'' == Der Kreuzweg in der Frömmigkeitsgeschichte == Romano Guardinis Kreuzweg…“)
 
Zeile 45: Zeile 45:
==== Die Fuchs-Herwegen-Debatte über das Verhältnis von Liturgie und Volksandacht ====
==== Die Fuchs-Herwegen-Debatte über das Verhältnis von Liturgie und Volksandacht ====
===== Die Rezension von Friedrich Fuchs: Liturgie oder Volksandacht? (Hochland, 1919) =====
===== Die Rezension von Friedrich Fuchs: Liturgie oder Volksandacht? (Hochland, 1919) =====
{{Vorlage:1919 Hochland Fuchs Liturgie oder Volksandacht?}}
===== Die Erwiderung von Herwegen: Liturgie und Volksandacht (Hochland, September 1919) =====
===== Die Erwiderung von Herwegen: Liturgie und Volksandacht (Hochland, September 1919) =====
===== Friedrich Fuchs: Liturgie als Volksandacht. Eine Erwiderung (Hochland, September 1919) =====
===== Friedrich Fuchs: Liturgie als Volksandacht. Eine Erwiderung (Hochland, September 1919) =====

Version vom 17. April 2025, 19:17 Uhr

Die Erneuerung einer Volksandacht.
Romano Guardinis „Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes“ (1919)
Hintergründe zum Erscheinen der Volksandacht vor 100 Jahren

Vorbemerkung: Nachfolgender Text wurde 2019 erstellt, aber nicht zur Veröffentlichung fertiggestellt. Er wird nach und nach jetzt hier eingestellt.

Der Kreuzweg in der Frömmigkeitsgeschichte

Romano Guardinis Kreuzwegandacht ist eine wichtige Wegmarke auf dem Weg dieser in der Volksfrömmigkeit fest verankerten im 20. Jahrhundert und hat diesen Weg im deutschsprachigen Raum bis weit über den Tod Romano Guardinis im Jahr 1968 hinaus geprägt. Ähnlich einschneidende Wirkungen hatten nur noch:

  • der 1958 begonnene Jugendkreuzweg als „Gebetsbrücke“ zwischen jungen katholischen Christinnen und Christen in der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR, zumal seit er seit 1972 ökumenisch gebetet wurde;
  • der 1964 wieder eingeführte und seither vom jeweiligen Papst am Karfreitag angeleitete Kreuzwegandacht im Kolloseum in Rom so wie
  • das seit 1984 durch die Welt „reisende“ Weltjugendtagskreuz, ein neuer Brauch der auf dieser Reise und den Weltjugendtagen selbst mit Kreuzwegandachten verknüpft ist.

Doch wie kam es überhaupt zu dieser im 19. und 20. Jahrhundert so weit verbreiteten Form der Volksfrömmigkeit?

Nachdem die Franziskaner seit dem 13. Jahrhundert mit der Kustodie des Heiligen Landes betraut wurden, hat sich ihre Frömmigkeit und Spiritualität dort und vielerorts in aller Welt besonders an die Meditation des Leidens Christi gebunden. Diese Aufgabe führte schließlich dazu, dass Ablässe durch das Gebet am Kreuzweg zunächst nur von Franziskanern und Angehörigen ihrer Ordenfamilie erworben werden konnten. 1342 erteilte Papst Klemens VI. den Franziskanern zusätzlich den Auftrag, die Interessen der lateinischen Kirche an den heiligen Stätten zu vertreten. In diesem 14. Jahrhundert begannen die Franziskener auch, in Jerusalem Prozessionen auf dem Leidensweg Christi für Pilger durchzuführen. Ausgehend von zunächst zwei Stationen wurde der Kreuzweg immer weiter ausgestaltet. Im 15. Jahrhundert brachten dann zum einen die Pilger diese Andachtsform in ihre Heimatländer, aber auch die Franziskanische Ordensfamilie verbreitete sie in ihren Niederlassungen und Wirkungsstätten vor allem in Europa. Als sichtbare Zeichen wurden ab dem Ende des 15. Jahrhunderts Stationenwege aufgerichtet, auch innerhalb Deutschlands:

  • 1493 wurde der Lübecker Kreuzweg mit Sieben Stationen vollendet. Nach der Überlieferung der bis 1619 entstandenen Rehbein-Chronik reiste der Lübecker Kaufmann und Ratsherr Hinrich Constin 1468 als Pilger ins Heilige Land und vermaß dort die Weg, den Jesus mit dem Kreuz gegangen war. Nach seiner Rückkehr veranlasste er den Nachbau dieses Weges in seiner Heimatstadt Lübeck in der Form eines Sieben-Stationen-Weges. Die Vollendung seiner Idee im Jahr 1493 erlebte er selbst nicht mehr, denn er starb bereits 1482. Er vermachte der Stadt allerdings sein Vermögen mit der Auflage, dies eben für die Fertigstellung des Kreuzweges zu verwenden.
  • 1504 wurde in Görlitz der Kreuzweg zum heiligen Grab mit sieben Stationen eingeweiht und in Bamberg im selben Jahr ein Kreuzweg, der neun Stationen umfasst.
  • Ebenfalls aus dieser Zeit stammt in Nürnberg der Kreuzweg zum Johannisfriedhof mit Stationen von Adam Kraft (traditionell mit den Jahren 1505/08 eingeschätzt, allerdings gibt es aktuell eine Frühdatierung auf 1487/90 durch Frank Matthias Kammel).
  • Der ebenfalls noch in diese Phase fallende Kreuzweg in Homberg (Efze) in der Kirche St. Marien gilt als der derzeit älteste noch in der Ursprungsgestalt erhaltene Kreuzweg in Deutschland.

Mit der Prägung des Begriffs „Via Dolorosa“ im Jahr 1573 durch den Franziskaner Bonifaz von Ragusa in seinem Buch „Liber de perenni cultu Terrae Sanctae“ für die damals noch vier Stationen des Jerusalemer Kreuzweges, nahmen auch die darauf bezogenen Kreuzwegandachten zu. Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurden Kreuzwege mit vierzehn bebilderten Stationen errichtet. Der Franziskaner Leonhard von Porto Maurizio (1676-1751) ließ den Kreuzweg in einer Grabeskirche oder an einem Bildnis der Grabeskirche als 15. Station enden. Mit päpstlicher Erlaubnis baute er auch die Kapellen mit den vierzehn Kreuzwegstationen in die Arena des Kolosseums ein, was die bis heute begangene Tradition des Kreuzwegs an diesem Ort begründete.

1726 weitete Benedikt XIII. das Ablass-Privileg der Franziskanischen Familie auf alle den Kreuzweg betenden Gläubigen aus. Am 3. April 1731 verfügte dann sein Nachfolger Papst Clemens XII. in seinem Breve „Unterweisungen über die Art, wie man den Kreuzweg abhalten soll“ kanonisch, dass in jeder Kirche ein Kreuzweg vorhanden sein soll und gewährte weitere Ablässe.

Sekundärbibliographie:

  • Karl Alois Kneller, Geschichte der Kreuzwegandacht von den Anfängen bis zur völligen Ausbildung, Freiburg i. Br. 1908
  • A. Götz, Zur Bibliographie der Kreuzwegandacht in Deutschland <1710-1833> (Franziskanische Studien, 36. 1954, S. 286ff.

Zur Vorgeschichte (1909-1919)

Die zehnjährige Reifung

Guardini selbst spricht am Ende seines Geleitwortes davon, dass dem Verfasser „die folgenden Gedanken“ – also zum Kreuzweg – „im Lauf von etwa zehn Jahren an Bedeutung noch nichts eingebüßt haben“. Dies passt zusammen mit einer Erinnerung des Juvenen Alfred Schüler: "Im privaten Gespräch erfuhr man auch etwas von der behutsam-sorgfältigen Arbeitsweise. An seinem Kreuzwegbüchlein hat er zehn Jahre gearbeitet, d.h. immer wieder liegen gelassen, um dann noch mal anzusetzen zu besserer Formulierung" (Schüler, Romano Guardini, 1969, S. 134).

Die Kreuzwegandacht im persönlichen Gebetsleben Romano Guardinis (1911/13)

In den Briefen Josef Weigers erscheint eine Betrachtung zur Kreuzwegandacht erstmals im aus Heppenheim geschriebenen Brief vom 10. Februar 1911. Er lädt Josef Weiger ein, dieser solle seine eigene Lebenssituation im Blick auf den dreimaligen Fall des Heilands unter dem Kreuz bedenken und formuliert dabei die eigenen Schlussfolgerungen dieser Betrachtungen für den Freund vorsichtig, aber auch weitreichend aus: "Hast Du einmal die wundertiefe Bedeutung bedacht, warum im Kreuzweg dreimal der Heiland fällt? Weil seine Aufgabe zu groß ist für seine Kraft. Und zwischen diesem Erliegen und Untergehen in der Flut von Leid und Kampf die einzig-kostbaren beiden Bilder: der Schleier der Veronika und die weinenden Frauen. Er erstickt schier im Kampf - und steht doch so sehr darüber; über sich, über Leid, über Leben, daß er die zarte Blüte der Teilnahme verstehen, würdigen, annehmen kann. Sieh, das scheint mir fast eine der göttlichsten Taten zu sein. Ein Mensch wäre dem Leben und Leid erlegen und stumpf oder wild an Veronika vorbeigegangen. Er meistert das Leid so sehr, daß er den Frieden, die zarte Empfindung frei hat für den lieblichen Dienst, der ihm doch nichts nützt. Und er, der schier erstickt im Schmerz, hat die Klarheit und Selbstlosigkeit des Geistes, die Klagen der Frauen (nicht wütend zum Schweigen zu bringen, sondern) mild und ruhig zu belehren. Sieh, ich meine, jene Gedanken könnten Dich lehren, so Leben, Denken und Empfinden zu meistern. Denn nicht das Leben ist das vollkommene, welches wild und vulkanisch strömt und tobt, sondern das, welches die eigene Kraft und Fülle gezähmt hat, sie frei und leicht besitzt. Ist nicht das Leben erst frei, welches über sich steht? Und weiter mein' ich, Du brauchest keine Angst zu haben, jene Gedanken könnten Deine Kraft abstumpfen. Sie können sie nur klären, friedigen, können sie Dir nur recht zu eigen geben. Sie zeigen Dir den Weg zum Wesen der anderen Menschen, der anderen Zeiten, sie geben Dir, der doch so leicht einsam wird, innere verstehende Gemeinschaft mit den Übrigen, die Du besonders als Priester und Seelsorger brauchst. Sie lehren Dich, Deine Eigenart und Bedeutung und Grenze im Ganzen erkennen, machen demütig, sehend und wahr. Und wenn Du dann so das Ganze siehst, Dich in ihm, - dann stellst Du Dich fest auf Deinen Platz, und ohne das Andersartige zu verletzen, ja, es verstehend und ehrend, tust Du das Deinige" (Briefe an Josef Weiger, S. 50: 5. Brief vom 10.-14.02.1911, Heppenheim)

Und gut zwei Jahre später rät er seinem Freund Josef Weiger in dessen Sorgennöten: "Sieh, ich gebe Dir Deinen Spruch zurück, den Du Deinen Kindern so oft gesagt hast, und der mir auch so lieb geworden ist: Gott im Herzen und das Herz bei Gott - und nichts von der schlimmen Rede, daß er Dich verlassen habe. Er hat Dich lieb; heut habe ich mit Dir den Kreuzweg gebetet, - er ist ganz nah bei Dir! Nicht wahr, nun beweisest Du, wie echt und stark der Spruch ist?" (Briefe an Josef Weiger, S. 100: 28. Brief vom 30.06.1913, Freiburg)

Das Verhältnis der Kreuzwegandacht zu „Vom Geist der Liturgie“ (1918/19)

Hoffnung auf bessere Andachten zum öffentlichen Gebrauch

Interessanterweise ist in der Zeitschrift „Heiliges Feuer“ nach der eigentlichen Rezension der Schrift „Vom Geist der Liturgie“ durch Hermann Platz unter dem Titel „Religiöse Zurückhaltung“ eine Anmerkung eines bislang nicht identifizierten L. Leuk abgedruckt, in der dieser seine eigene Schwierigkeit, die im Diözesangebetbuch abgedruckte Kreuzwegandacht öffentlich zu beten, schildert und Guardinis Hinweise zu den Volksandachten in seinem Erstling als wohltuendes Hoffnungszeichen anerkennt: "In Guardinis Büchlein „Vom Geist der Liturgie“ findet sich eine Stelle, die mir eine Unterhaltung mit einem kath. Pfarrer, die schon viele Jahre zurückliegt, plötzlich wieder ins Gedächtnis gerufen hat. Der Pfarrer erzählte mir, es wäre ihm unmöglich, die Kreuzwegandacht im Diözesangebetbuch öffentlich zu beten, ganz und gar unmöglich wegen der einen Stelle: „O ja, mein Jesus, lieber sterben, als dich noch einmal durch eine schwere Sünde beleidigen!“ Ich habe den Herrn damals verstanden und freue mich, nun in Guardini auch jemanden zu finden, der hier Verständnis verrät. Er schreibt: „Das Beten der Kirche (gemeint ist das LITURGISCHE Gebet) setzt die Geheimnisse der Seele nicht heraus … es weckt wohl jene ganz zarten, tiefen Regungen, aber läßt sie zugleich im Verborgenen. Man kann bestimmte Gefühle der Hingabe, gewisse Worte, welche die innere Erschlossenheit offenbaren, nicht ohne Gefahr für die religiöse Schamhaftigkeit der Seele öffentlich aussprechen, wenigstens nicht oft. Die Liturgie hat das Meisterstück vollbracht und es dem Menschen möglich gemacht, daß er in ihr sein ganzes religiöses Innenleben in seiner Fülle und Tiefe aussprechen kann und doch sein Geheimnis geborgen weiß. Er kann sich ergießen, kann sich ausdrücken und fühlt doch nichts in die Öffentlichkeit gezogen, was verborgen bleiben muß.“ Mögen alle, die Andachten zum öffentlichen Gebrauch verfassen, diese goldenen Worte stets vor Augen haben. Die gesunde, herbe Männlichkeit der Liturgie, des eigentlichen Gebetes der Kirche, tut uns not. Nur mit ihr oder in ihrem Geiste kann man sich zum großen Ziel des Christentums, dem Heroismus seiner Bekenner, mit Erfolg heranbeten" (L. Leuk, Religiöse Zurückhaltung, in: Heiliges Feuer, 6, 1918/19, 1 (Oktober 1918), S. 40).

Nun hat Guardini selbst eben eine solche Andacht verfasst und offensichtlich der großen Resonanz nach diese seine eigenen Worte berücksichtigt.

Exkurs: „Lieber sterben“

Die Fuchs-Herwegen-Debatte über das Verhältnis von Liturgie und Volksandacht

Die Rezension von Friedrich Fuchs: Liturgie oder Volksandacht? (Hochland, 1919)

"Der Benediktinerabt Ildefons Herwegen von Maria-Laach gibt unter dem Titel `Ecclesia orans´ in zwangloser Folge eine Reihe von Monographien heraus, welche die Liturgie dem Verständnis von Klerus, Lehrerschaft und gebildeter Laienwelt näher bringen wollen. Als Einleitung zu dieser Sammlung historischer, dogmatischer aszetisch-mystischer, philosophischer, pädagogischer und ästhetischer Darstellungen erschien ein schmales Bändchen von Dr. Romano Guardini `Vom Geiste der Liturgie' (Herder, Freiburg). Von den sechs Aufsätzen, in die sich die Schrift gliedert, behandelt der erste das ,Liturgische Beten`. Liturgie ist objektiv gewordene religiöse Lebensordnung; ihr Subjekt: die Kirche, nicht der Christ, auch nicht die Gemeinde; ihr Zweck: die Verehrung Gottes durch die religiöse Sozialeinheit, nicht die Erbauung des einzelnen. (Bei dieser Statuierung des objektiven und überindividuellen Charakters der Liturgie sei die pedantische Anmerkung gemacht, daß eben doch nur durch die Einzelseele hindurch religiöses Leben sich entfalten kann.) Das Verhältnis der Liturgie zu Gemüt und Verstand, zu Natur und Kultur wird klar umschrieben. Vom Dogma beherrscht, ist sie ganz gebändigtes Gefühl. Mehr angedeutet als in ihrem vollen Umfange gewürdigt werden die psychologischen Schwierigkeiten dess gemeinsamen Gebetes. Ist es doch Tatsache, daß gerade innerliche Priesternaturen gemeinsames Breviergebet scheuen, während der gleichgeartete Laie beim öffentlichen Rosenkranzgebet mit Herz und Hirn nicht mitkommt und gar bald den Wettlauf aufgibt. Die Liturgische Gemeinschaft verlangt Opfer: Demut, denn der Mensch muß heraustreten aus dem engen Kreis egoistischer Interessen in die umfassende Geisteswelt der Kirche, muß konkret ausgedrückt um Dinge bitten, die ihn unmittelbar nichts angehen; Karitas, denn er muß heraustreten aus dem Für-sich-Sein des persönlichen Lebens in die Gemeinschaft mit gleichgültigen, ja oft unsympathischen Menschen. Auf der anderen Seite aber wird die Liturgie auch überströmende Naturen mit überstarkem Gemeinschaftstrieb nicht auf ihre Kosten kommen lassen. Ihre Gemeinsamkeit ist vielmehr durch ein stets waches Distanzgefühl gemäßigt. Nicht direkt von Individuum zu Individuum geht die Vereinigung der Glieder untereinander, sondern durch Ordnung auf das gleiche Ziel: Gott. Liturgische Gemeinschaft macht nicht gemein. Im Kapitel, Liturgischer Stil legt Guardini offen die eigentliche Schwierigkeit dar, auf welche die Liturgie bei uns stößt. Gestehen wir es uns nur ein, die Liturgie als Stilform befriedigt uns mehr ästhetisch als religiös. Guardini treibt das Problem auf die Spitze, indem er die Gestalt des Herrn in der Liturgie und die Gestalt, wie sie uns aus den Evangelien vertraut ist, gegenüberstellt. Seien wir noch deutlicher: vergleichen wir ein levitiertes Hochamt und das letzte Abendmahl! Dort der erhöhte Herr der, zur Rechten des Vaters sitzt, antwortet Guardini und weist so den stummen Vorwurf ab, der in der Gegenüberstellung liegt. Hier aber Jesus von Nazareth in seiner gottmenschlichen Unmittelbarkeit! Und er ist es doch, nach dem wir vor allem dürsten! Guardini sucht das Problem zu lösen, indem er das individuelle religiöse Leben mit all seiner persönlichen Bestimmtheit und das liturgische Leben mit seiner Stilisierung und Typik als zwei notwendige Formen christlicher Frömmigkeit aufeinander angewiesen sein läßt. Man möchte dem Problem eine andere Wendung geben. Der Herr in der Eucharistie ist der Seele so unmittelbar nahe wie in seinem Erdenleben. Aber erdrückt nicht das levitierte Hochamt die eucharistische Handlung in den Augen des liturgieunkundigen Volkes? Das ist die Frage, die sich einem noch mehr aufdrängt, wenn man einer orientalischen Meßliturgie mit ihren noch weiter ausladenden Formen beiwohnt. Nach einigen feinsinnigen Beobachtungen über „Liturgische Symbolik“ führt das Kapitel „Liturgie als Spiel“ auf die Höhe des Werkes. Es ist von einer solch edlen Freiheit des Geistes diktiert, daß wir es enthusiastisch begrüßen. Nicht so fast einen Zweck hat die Liturgie als vielmehr einen Sinn. In Anlehnung an das Wort der ewigen Weisheit: „Ich war bei ihm, alles ordnend, und war in Entzücken Tag um Tag, spielend vor ihm allezeit, spielend auf dem Erdkreis …“, im Anschluß an das absichtslose Spiel des Kindes und das Schaffen des Künstlers, der nichts will, als sein Innerstes ausströmen, deutet Guardini den Sinn der Liturgie: Vor Gott ein Spiel zu treiben, ein Werk der Kunst – nicht zu schaffen, sondern zu sein, das ist ihr innerstes Wesen. Die Stellung der Liturgie zur ethischen Ordnung beleuchtet das Schlußkapitel: Der Primat des Logos über das Ethos, ein geistvoller Aufriß der verhängnisvollen philosophischen Entwicklung, durch die auf dem Wege über Kant, Schopenhauer, Nietzsche und den Pragmatismus der Primat von der Erkenntnis auf den Willen übertragen wurde, auf den Willen, der da blind ist. Die Liturgie dagegen hält mit der Kirche an dem Primat des Logos über das Ethos fest und bewahrt sich so die innere Gelassenheit und den Sieg über die Unrast des Lebens. So bleibt sie auch frei von moralisierender Absichtlichkeit; weiß sie doch, daß die Seele, die in ihrem Bezirke atmet, von selber stark und gesund und dem Leben gewachsen ist. Psychologischer Scharfblick, der, zugleich gütig, der modernen Seele auf den Grund sieht, und ein künstlerisches Formgefühl, wie es nur bis auf die Antike zurückreichende Kulturtradition vermitteln kann, sind die in Guardinis Büchlein sichtbar gewordenen Gaben dieses wahrhaft aristokratischen benediktinischen Geistes. Ihm gegenüber scheut man sich fast, einen Einwand zu erheben, der banal ist und dessen sich jeder, sicherlich auch der Verfasser selber, bewußt ist, der aber trotzdem ausgesprochen werden muß. Probleme lassen sich nicht totschweigen, nur öffentliche Formulierung führt zu ihrer Lösung. Guardini unterscheidet eine individuelle, subjektive und eine überindividuelle objektive Form der Gottesverehrung, private und liturgische Frömmigkeit. Diese Zweiteilung durchkreuzt die ,Volksandacht’, wie ,die religiösen Bedürfnisse des gläubigen Volkes’ sie verlangen. Wie gliedert Guardini die Volksandacht ein, wie wertet er sie? Er faßt sie als Mischform, objektive Andachtsform mit subjektivem Einschlag, aus den besonderen Bedürfnissen des heutigen Daseins erwachsen, nicht nur zu dulden, sondern innerlich berechtigt, ja unbedingt notwendig. Diese Auffassung mag auf die außerliturgischen Formen der Volksfrömmigkeit zutreffen, soweit sie Guardini anführt: Rosenkranz, Kreuzweg, Nachmittagsandachten. Eine hat die deutsche Singmesse. Sie aber ist der Schlüssel zum Problem, das hier formuliert, nicht gelöst werden soll. In der altchristlichen Kirche fiel liturgische Frömmigkeit und Volksfrömmigkeit zusammen. Gewiß war die Liturgie bereits in ihren Anfängen stilisierte Rede und Gebärde und nicht etwa unmittelbarer Ausdruck augenblicklichem Seelenzustandes, aber sie war dem Volke verständlich, da sie das Kleid der Volkssprache trug und der Sinn für Gebärde noch nicht verkümmert war. Es kam die Zeit, da das Volk die Sprache der Liturgie nicht mehr verstand. Nun muß aber ,das Gebetsleben der Gesamtheit’, wie Guardini richtig bemerkt, ,vom Gedanken getragen sein’. Ferner ist nach Guardini, die Grundgestalt des gemeinsamen Betens die dramatische. Sie teilt die anwesenden in zwei Chöre und lässt das Gebet in Rege und Gegenrede voranschreiten. Das bringt die Masse in Fluß … Damit weist die Liturgie auf ein Grundgesetz psychologischer Rhythmik hin, das nicht ungestraft vernachlässigt wird.’ Diese beiden Forderungen mussten von dem Augenblick an unerfüllt bleiben, da die Sprache der Liturgie dem Volke unverständlich war. Nehmen wir ein Hochamt! Gewiß wäre es falsch, den lateinischen Gesängen des Priester oder Chors jede religiöse Wirkung auf das Volk abzusprechen, weil es sie ja doch nicht verstehe. W. Matthießen hat an dieser Stelle* [*Juli 1918. S. 364] in einer Untersuchung über das Magische der Sprache im liturgischen Kirchengesang nachgewiesen, daß von gewissen Wortfolgen, rein als Klangwerte ohne Rücksicht auf ihren gedanklichen Inhalt betrachtet, ein numinoses Gefühl erzeugt wird, in dem das Ahnen der Majestät des Mysterium tremendum erlebt wird. Andererseits aber bleibt doch wahr, was Guardini sagt: ,So ist die erste Voraussetzung für die Brauchbarkeit eines gemeinsamen Gebetes, daß es vom Gedanken und nicht vom Gefühl beherrscht sei… Der Gedanke allein hält auch das religiöse Leben gesund.’ Die zweite Forderung des gemeinsamen Gebetes, dass ,die ganze Versammlung lebendigen Anteil nehmen muß’, verwirklicht das Hochamt gleichfalls nicht. Das Volk ist von einem, oft berufsmäßig tätigen Chor abgelöst worden. Diesen Hemmnissen gegenüber grub sich der Fluß der Volksfrömmigkeit in seinem Betätigungsdrang ein eigenes Bett in den Volksandachten, vor allem in der deutschen Singmesse, die dem Volk eine aktive Beteiligung am Gottesdienste ermöglichte. Sie will also objektiver, über-individueller Gottesdienst sein. Was jetzt beim Gottesdienste das Corpus Christi mysticum konstituiert, was die Gemeinde eint, ist nicht mehr die eucharistische Opferhandlung in harmonischem Verein mit der Liturgie, also sakraler Rede und Gebärde, sondern die eucharistische Opferhandlung allein, die jedem Anwesenden zum Bewusstsein kommt. Diese Einigung kann wohl durch die deutschen Messgesänge, deren Inhalt sich der heiligen Handlung anschließt, verstärkt werden. Die unverstandene Liturgie hat ihr wenig hinzuzufügen. In romanischen Ländern mögen die Verhältnisse für die Liturgie günstiger liegen, da dort das Kirchenlatein bis zu einem gewissen Grade auch von weiteren Kreisen verstanden wird. Für Deutschland ist jedoch das tolerierte Kompromiß der deutschen Singmesse das augenblickliche Ideal des Pfarrgottesdienstes, denn sie zieht das Volk zu einer aktiven Teilnahme heran und erfüllt eine Funktion, welche der offiziellen lateinischen Liturgie zukäme, - denn schließlich ist sie doch nicht ganz in sich selbst ruhender Zweck, - der sie aber unter den gegenwärtigen Umständen nicht gewachsen ist: nämlich den Sinn der Opferhandlung dem Gläubigen möglichst eindrücklich zum Bewusstsein bringen. Wenn Guardini, nachdem er die Strenge des liturgischen Stils hervorgehoben hat, die noch dadurch verstärkt werde, ,dass die Liturgie in einer toten, fremden, und zwar einer klassischen Sprache redet’, fortfährt: ,Aus all dem wird verständlich, welch zwingende, überzeugende Kraft der liturgischen Ausdrucksform innewohnt, wie sie dem Gläubigen eine Schule religiöser Geistesbildung im reinsten Sinn des Wortes ist’, so gilt dies innerhalb einer benediktinischen Klostergemeinschaft; außerhalb derselben widersprechen dem alle Tatsachen. Tatsächlich ist jetzt die Liturgie ausschließlich Sache der Priester, lebendige Beziehungen zum gläubigen Volk hat sie nicht. die Jesuiten haben dies mit klarem Blick erkannt, und die Liturgie auf ein Minimum beschränkt. Wie stellt sich nun die neue liturgische Bewegung zu diesen tatsächlichen Verhältnissen? Sie will den Kreis der Liturgiekundigen, der sich bisher auf die Priesterschaft beschränkte, erweitern, indem sie die gebildeten Laien in ihn einführt. Es ist in der Tat ein Unding, wenn ein humanistisch gebildeter Katholik während der hl. Messe, statt dem Officium zu folgen, aus einem in der Regel minderwertigen Gebetbuch Privatandachten betet, die subjektiv im Sinne ihres Verfasser, nur nicht in dem des Beters und seines augenblicklichen Seelenszustandes gehalten sind. Hier können so geistvolle Gedanken wie die Guardinis aufrüttelnd wirken. Immer wird jedoch die Kenntnis des Lateins, so wenig sie methodisch zu sein braucht, die Vorbedingung für eine Beteiligung an der Liturgie sein. Wollte man ihr an der Hand von Übersetzungen folgen, so würde sich der psychische Vorgang viel zu sehr komplizieren, um noch eine starke, unmittelbare Wirkung auslösen zu können. Wird doch selbst für den Lateinkundigen zunächst der peinliche Zustand eintreten, daß er sich mittels des Missales wie mit einem Museumsführer in der Liturgie mühsam zurecht zu finden sucht. Von Jugend auf müssen wir in die Liturgie hineinwachsen. Messedienen muß Ehrendienst eines jeden jungen Katholiken werden. Unsere Gymnasiasten, so wie sie ja auch Xenophon, aber nicht die griechischen Evangelisten, Demosthenes, aber nicht Paulus lesen, holen sich in neun Jahren an mumifiziertem Latein die Myopie: das Missale, dessen Latein alltäglich auf den Altären lebendigste Gegenwart ist, ihnen in die Hand zu geben, fällt niemand ein. Es muß vorgeschriebenes Lehrmittel werden. Ich weiß, zwei Religionsstunden wöchentlich in den Mittelschulen sind, dafür zu wenig. Man vermehre sie, wollen wir nicht Christen nur nebenbei sein. Freilich muß sich der Religionsunterricht überall auf gleicher Höhe halten, soll nicht die Vermehrung seiner Stundenzahl die Religion den jungen Menschen verekeln. Nach einigen Generationen könnten so unsere gebildeten Laien auch wieder liturgiefähig werden. Aber was ist damit viel erreicht? frag’ ich. Was ist mit dem ,gläubigen Volk’? Guardini, so sehr er von einer bewussten Geringschätzung des Volkes entfernt ist und seine außerliturgische Frömmigkeit nicht etwa toleriert, sondern sie als notwendig und berechtigt anerkennt, weiß das ,gläubige Volk’ doch nicht in seinen Kreis einzubeziehen, weiß nichts mit ihm anzufangen, verweist es in die Anmerkungen seines Buches. Daß es aber nicht ungestraft abseits der Liturgie steht, entgeht Guardini nicht ganz, der auf die Neigung der Volksfrömmigkeit zur Sentimentalität und auf die oft so süßlichen Erzeugnisse religiöser ,Volkskunst’ hinweist. Wie soll nun die Liturgie wieder der große Laienkatechismus des Volkes werden? Die Liturgie, soweit sie Rede ist; denn als Kirchenjahr wird sie ihrer Aufgabe auch heute noch gerecht. Dies ist das Problem. Die Kenntnis der Kultgesänge war bei allen alten Völkern der Anfang jeden Unterrichts, Und noch heute machen es sich die altgläubigen Juden nicht so leicht wie wir. Der Judenknabe muß hebräisch lernen, um sich am Gottesdienst tätig beteiligen zu könne. Wird dieses Problem übersehen, wird die liturgische Frage nur die Gebildeten gelöst, werden sie um ,gläubigen Volk’ abgeschieden, so sehe ich die liturgische Bewegung von der Gefahr eines religiösen Aristokratismus bedroht. Es wird dann ein paar liturgische Kenner, Feinschmecker unter den Laien geben und sonst alles beim Alten bleiben. So gewiß im Bezirk der unendlich abgestuften individuellen Frömmigkeit ein Aristokratismus, fast möchte ich sagen: Esoterismus seine Berechtigung hat, so gewiß die Mystik eines Johannes vom Kreuz für den Durchschnittsbürger des Gottesstaates unzugänglich ist, so sicher muß die überindividuelle Frömmigkeit der Liturgie ein Idiom sein, in dem sich alle verstehen."

Die Erwiderung von Herwegen: Liturgie und Volksandacht (Hochland, September 1919)
Friedrich Fuchs: Liturgie als Volksandacht. Eine Erwiderung (Hochland, September 1919)

Zur Entstehungsgeschichte der Erstausgabe (1918/19)

Josef Weigers Rezension: Vergleich mit Kreuzweg Kardinal Newmans (1920)

Der Text in der Gegenüberstellung (Newman in der Übersetzung Maria Knöpflers)

Zum Geleit

Zum Eingang

Zum Textvergleich und zur Übersetzung Maria Knöpflers

Die Stationen

Erste Rezensionen und Reaktionen (1920-1923)

Guardini: Was der Kreuzweg über das Leiden sagt [1924]

Weitere Ausgabengeschichte (1920-2017)

Einordnung in das Gesamtwirken Romano Guardinis (1923-1953)

Weitere Rezensionsgeschichte (1924-2019)

Übersetzungsgeschichte (1932-dato)

Persönliche Zeugnisse über den Kreuzweg Guardinis

Anhang:

Für den Anhang, der Auflagen und Ausgaben, Auszüge und Nachdrucke, Übersetzungen sowie ein Verzeichnis der unmittelbaren Sekundärliteratur umfassen sollte, siehe jetzt die entsprechenden Angaben auf Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes