Romano Guardini und der Erste Weltkrieg: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 5. Dezember 2025, 18:31 Uhr
Guardinis Hoffnung auf „die neue große Zeit“
Der Krieg als Beitrag zur "Ausbildung" Guardinis als Lehrer in Weltanschauungsfragen
Guardini schrieb 1955 im Rückblick auf den Ersten Weltkrieg an Carlo Schmid: "Dann kam der Krieg, mit allem, was er bedeutet, und er hat ebenfalls zur 'Ausbildung' eines Lehrers in Weltanschauungsfragen beigetragen." [Brief an Carlo Schmid vom 16.4.1955 (Stabi)]
Daher gilt es diesen Zeitraum gerade auch unter diesem, von Guardini selbst hergestellten Kontext der „Weltanschauung“ genauer zu betrachten.
Begrenzte Übereinstimmungen mit Engelbert Krebs und Max Scheler
Die Schuld eines Volkes
Erneut sind es biographische Begebenheiten, die Impulse für eine persönliche und inhaltliche Weiterentwicklung geben. Während des Ersten Weltkrieges lernte Guardini, der „Europäer von Geburt” und „geborene Europäer“, die Grenzen innerhalb Europas existentiell kennen. Denn in diesem Krieg standen sich ab 23. Mai 1915, nachdem Italien den Dreierbund verlassen und Österreich-Ungarn den Krieg erklärt hatte, Italiener und Deutsche feindlich gegenüber und somit zumindest der Uniform nach auch die Gebrüder Guardini. Während gleichzeitig zwei Brüder in der italienischen Armee dienten [vgl. dazu Schüler, Alfred: Romano Guardini. Eine Denkergestalt an der Zeitwende, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 21, 1969, S. 133].
Für den deutschen Staatsangehörigen, der Guardini 1911 entgegen dem Wunsch seiner Familie ja geworden war, wurde es für mehrere Jahre unmöglich, die Grenze zu seiner ersten Heimat hin zu passieren [Gerner, I, a.a.O., S. 46].
Am 26. Mai 1915 setzte sich Guardini in diesem Zusammenhang mit der Frage nach der „Schuld eines Volkes“ auseinander. Er kritisierte die Glattheit und „schulbubenmäßige“ Selbstverständlichkeit, mit der die deutsche Presse die Entscheidung Italiens darzustellen versuchte:
„Romanische und Germanische Psyche sind durch eine solche Kluft getrennt, dass nur die Liebe Christi eine Brücke hinüber zu schlagen vermag. Aber die Schuld ist da, und man kann sich ihrer Solidarität nicht leicht entziehen, auch wenn man sich sagt, dass man ja persönlich unbeteiligt ist. Ich weiß jetzt ein wenig, wie es ist `dumm angesehen zu werden´ und bekannten Gesichtern aus dem Wege zu gehen. Wäre er nicht so sehr an der Sache beteiligt, so könnte der Dogmatiker sich über diese Erfahrungsgrundlage für die Lehre von der Erbsünde freuen" [55. Brief vom 26. Mai 1916, Mainz, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 166].
Familiäre Betroffenheit
Diese wenigen Zeilen lassen bereits deutlich erkennen, wie stark Guardinis eigene Seele unter der damaligen „Kluft“ zwischen der romanischen und der germanischen „Psyche“ zu leiden hatte. Aufgrund der neuen Kriegskonstellation warfen nicht wenige Deutsche allen Italienern pauschal “treuloses Italienertum” vor, selbst dann, wenn diese wie die Familie Guardini schon über zwei Jahrzehnte in Mainz wohnten [Nach Waltmann, vgl. Heist, Gespräche in Bayrischzell. Hans Waltmann erzählt von Romano Guardini, in: Romano Guardini. Der Mensch. Die Wirkung. Begegnung, Mainz 1979, S. 60; vgl. dazu Johannes Hürter/Gian Enrico Rusconi (Hrsg.): Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915, München 2007, insbesondere S. 7.]. Zunächst hatten seine Eltern die Stadt nicht verlassen dürfen. Sie mussten sich „alle Tage auf der Polizei vorstellen. Von den Brüdern ist der eine in Kopenhagen, der andere in Darmstadt, wo er sich auch alle Tage, u. zw. zweimal, vor der Polizei stellen muss; der dritte ist bei den Alpenjägern.“ Zu diesem Zeitpunkt seien die Leute aber noch „recht freundlich“ gewesen. Doch die Situation war alles andere als klar:
„Die Eltern haben schon manches Zeichen ehrlicher Teilnahme erfahren. Aber das alles ist doch recht hart. Man kanns nicht gut beschreiben. Es ist zu viel ganz Individuelles dabei. Der Mensch sehnt sich nach einer klaren Situation; die Lage meiner Familie aber ist, äußerlich und innerlich, sehr kompliziert“ [55. Brief vom 26. Mai 1915, Mainz, in: Guardini, Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 165].
Der Vater und dann auch die Mutter im Schweizer Exil (1915-1919)
Als dann nach der Kriegserklärung sein Vater „vom Abend auf den Morgen Deutschland verlassen“ musste, ging er „aber nicht nach Italien zurück, sondern blieb, in der Hoffnung, so eine gewisse Führung behalten zu können, in der Schweiz“ [Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 27]. Die Wertung von Gerl-Falkovitz, Guardinis Vater habe die Stadt verlassen müssen, „weil er den Kriegseintritt öffentlich missbilligt hatte“ [Hanna-Barbara Gerl, Romano Guardini 1885-1968. Leben und Werk, Mainz (3., erg. 1987), S. 18], wird durch einen Brief an Weiger vom 8. Juni 1915 etwas undeutlicher. Darin heißt es nämlich:
„Vater ist z.Z. in Bern. In München musste er an der dortigen Versammlung der Konsulatsbeamten teilnehmen und erhielt dann die Weisung, Deutschland zu verlassen. Wir haben aber die Hoffnung, dass eine Rückberufung erreicht wird. Jedenfalls ist die Sache unsicher und wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass es definitiv bleibt“ [56. Brief vom 8. Juni 1915, Mainz, in: Guardini, Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 168].
Aus einer Angabe des nachfolgenden Briefes lässt sich errechnen, dass Guardinis Vater Ende Mai 1915 Deutschland verlassen hatte [“Vater ist immer noch (jetzt 4 ½ Wochen) weg” (57. Brief vom 27. Juni 1915, Mainz, in: Guardini, Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 170)]. Einen Monat später wartete man nun „auf die Entscheidung“:
„Mutter rüstet dieweile das Haus, von oben bis unten, zu seinem Empfang oder zur Abreise“ [ebd., S. 170].
Gerade in dieser schwierigen Zeit, wurde die Familie zunehmend und auch von früheren Freunden gemieden [nach Waltmann, vgl. Heist, Gespräche in Bayrischzell. Hans Waltmann erzählt von Romano Guardini, in: Romano Guardini. Der Mensch. Die Wirkung. Begegnung, Mainz 1979, S. 60]. Für den gebürtigen Italiener mit deutscher Staatsangehörigkeit eine doppelte Gratwanderung. Zudem hatte Guardini durch die Abwesenheit des Vaters und zweier Brüder plötzlich einen „Teil der Verantwortung für die Sache der Familie und des väterlichen Geschäftes“ übernehmen müssen [Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 27].
Es dauerte schließlich bis 1917, dass seine Mutter zu ihrem Mann in die Schweiz ausreisen durfte [Im 70. Brief vom 17. Januar 1917, ebd., hatte er seinem Freund Weiger vom neuerlichen Gesuch berichtet. Im 73. Brief vom 12. Oktober 1917, Mainz, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 210 übermittelte Guardini die Adresse seiner Eltern. Der genaue Zeitpunkt war für mich nicht zu ermitteln.]. Im Sommer 1917 hatte man sogar den Zentrumsführer Erzberger persönlich gebeten, das Ausreisegesuch für die Mutter zu erwirken. Erzberger hat diese Unterstützung auch zugesagt [70. Brief vom 17. Januar 1917, Mainz, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 204]. Der Kommentar Guardinis zu diesem Vorgang zeigt abermals seine innere Zerrissenheit in jenen Tagen, die vielleicht auch die weitestgehend fehlende Kommentierung politischer Ereignisse erklären könnte:
„Man weiß nicht, was man wünschen soll, dass sie fort darf oder nicht“ (ebd.).
Offensichtlich durfte die Mutter dann aber noch 1917 ausreisen. Erst am 11. September 1919 kehrten Guardinis Eltern kurzzeitig nach Mainz zurück [70. Brief vom 12. September 1919, Mainz, in: Briefe an Josef Weiger, a.a.O., S. 221].
Der Tod des Vaters
Der Vater starb dort aber bereits knapp drei Wochen später am 30. September 1919. Guardini berichtete sechs Tage danach in einem Brief an Kunibert Mohlberg:
„Mein lieber Vater ist gestorben, am 30. Sept., nachdem er kaum 14 Tage zurück war. Die letzte Woche war nicht schön. Sie wissen ja, wie das alles ist. Aber er hats nicht schwer gehabt, ist hinübergegangen, ohne vorher aufzuwachen, nachdem er zweimal die heil. Kommunion empfangen hat. Das ist ein guter Trost“ [Hs. Brief an Kunibert Mohlberg, Mainz, 05.10.1919, Archiv Maria Laach].
Seine Brüder verlegten daraufhin im Sinne der Mutter die Firma wieder ganz nach Italien. Guardini entschied sich, allein in Deutschland zurückzubleiben - eine Entscheidung, die wiederum lange Jahre das Verhältnis zu seiner Mutter belasten sollte [Gerl, Romano Guardini, (3., erg.)1987, S. 22].
Im Rückblick vom 15.9.1930 in einem Brief an Bartholomäus Mischler schreibt Guardini:
„Für meine Familie brachte der Krieg den Zusammenbruch von vielem; Vater starb und meine Mutter siedelte nach Italien zurück. (Sie lebt noch, hier in Vicenza, und ich bin augenblicklich bei ihr)“ [hs. an Bartholomäus Mischler, Isola Vicentina, 15.09.1930, Dom- und Diözesanarchiv Mainz Isola Vicentina (Prov. di Vicenza), 15. Sept. 1930].