Die Erneuerung einer Volksandacht

Aus Romano-Guardini-Handbuch
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Die Erneuerung einer Volksandacht.
Romano Guardinis „Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes“ (1919)
Hintergründe zum Erscheinen der Volksandacht vor 100 Jahren

Vorbemerkung: Nachfolgender Text wurde 2019 erstellt, aber nicht zur Veröffentlichung fertiggestellt. Er wird nach und nach jetzt hier eingestellt.

Der Kreuzweg in der Frömmigkeitsgeschichte

Romano Guardinis Kreuzwegandacht ist eine wichtige Wegmarke auf dem Weg dieser in der Volksfrömmigkeit fest verankerten im 20. Jahrhundert und hat diesen Weg im deutschsprachigen Raum bis weit über den Tod Romano Guardinis im Jahr 1968 hinaus geprägt. Ähnlich einschneidende Wirkungen hatten nur noch:

  • der 1958 begonnene Jugendkreuzweg als „Gebetsbrücke“ zwischen jungen katholischen Christinnen und Christen in der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR, zumal seit er seit 1972 ökumenisch gebetet wurde;
  • der 1964 wieder eingeführte und seither vom jeweiligen Papst am Karfreitag angeleitete Kreuzwegandacht im Kolloseum in Rom so wie
  • das seit 1984 durch die Welt „reisende“ Weltjugendtagskreuz, ein neuer Brauch der auf dieser Reise und den Weltjugendtagen selbst mit Kreuzwegandachten verknüpft ist.

Doch wie kam es überhaupt zu dieser im 19. und 20. Jahrhundert so weit verbreiteten Form der Volksfrömmigkeit?

Nachdem die Franziskaner seit dem 13. Jahrhundert mit der Kustodie des Heiligen Landes betraut wurden, hat sich ihre Frömmigkeit und Spiritualität dort und vielerorts in aller Welt besonders an die Meditation des Leidens Christi gebunden. Diese Aufgabe führte schließlich dazu, dass Ablässe durch das Gebet am Kreuzweg zunächst nur von Franziskanern und Angehörigen ihrer Ordenfamilie erworben werden konnten. 1342 erteilte Papst Klemens VI. den Franziskanern zusätzlich den Auftrag, die Interessen der lateinischen Kirche an den heiligen Stätten zu vertreten. In diesem 14. Jahrhundert begannen die Franziskener auch, in Jerusalem Prozessionen auf dem Leidensweg Christi für Pilger durchzuführen. Ausgehend von zunächst zwei Stationen wurde der Kreuzweg immer weiter ausgestaltet. Im 15. Jahrhundert brachten dann zum einen die Pilger diese Andachtsform in ihre Heimatländer, aber auch die Franziskanische Ordensfamilie verbreitete sie in ihren Niederlassungen und Wirkungsstätten vor allem in Europa. Als sichtbare Zeichen wurden ab dem Ende des 15. Jahrhunderts Stationenwege aufgerichtet, auch innerhalb Deutschlands:

  • 1493 wurde der Lübecker Kreuzweg mit Sieben Stationen vollendet. Nach der Überlieferung der bis 1619 entstandenen Rehbein-Chronik reiste der Lübecker Kaufmann und Ratsherr Hinrich Constin 1468 als Pilger ins Heilige Land und vermaß dort die Weg, den Jesus mit dem Kreuz gegangen war. Nach seiner Rückkehr veranlasste er den Nachbau dieses Weges in seiner Heimatstadt Lübeck in der Form eines Sieben-Stationen-Weges. Die Vollendung seiner Idee im Jahr 1493 erlebte er selbst nicht mehr, denn er starb bereits 1482. Er vermachte der Stadt allerdings sein Vermögen mit der Auflage, dies eben für die Fertigstellung des Kreuzweges zu verwenden.
  • 1504 wurde in Görlitz der Kreuzweg zum heiligen Grab mit sieben Stationen eingeweiht und in Bamberg im selben Jahr ein Kreuzweg, der neun Stationen umfasst.
  • Ebenfalls aus dieser Zeit stammt in Nürnberg der Kreuzweg zum Johannisfriedhof mit Stationen von Adam Kraft (traditionell mit den Jahren 1505/08 eingeschätzt, allerdings gibt es aktuell eine Frühdatierung auf 1487/90 durch Frank Matthias Kammel).
  • Der ebenfalls noch in diese Phase fallende Kreuzweg in Homberg (Efze) in der Kirche St. Marien gilt als der derzeit älteste noch in der Ursprungsgestalt erhaltene Kreuzweg in Deutschland.

Mit der Prägung des Begriffs „Via Dolorosa“ im Jahr 1573 durch den Franziskaner Bonifaz von Ragusa in seinem Buch „Liber de perenni cultu Terrae Sanctae“ für die damals noch vier Stationen des Jerusalemer Kreuzweges, nahmen auch die darauf bezogenen Kreuzwegandachten zu. Mit Beginn des 17. Jahrhunderts wurden Kreuzwege mit vierzehn bebilderten Stationen errichtet. Der Franziskaner Leonhard von Porto Maurizio (1676-1751) ließ den Kreuzweg in einer Grabeskirche oder an einem Bildnis der Grabeskirche als 15. Station enden. Mit päpstlicher Erlaubnis baute er auch die Kapellen mit den vierzehn Kreuzwegstationen in die Arena des Kolosseums ein, was die bis heute begangene Tradition des Kreuzwegs an diesem Ort begründete.

1726 weitete Benedikt XIII. das Ablass-Privileg der Franziskanischen Familie auf alle den Kreuzweg betenden Gläubigen aus. Am 3. April 1731 verfügte dann sein Nachfolger Papst Clemens XII. in seinem Breve „Unterweisungen über die Art, wie man den Kreuzweg abhalten soll“ kanonisch, dass in jeder Kirche ein Kreuzweg vorhanden sein soll und gewährte weitere Ablässe.

Sekundärbibliographie:

  • Karl Alois Kneller, Geschichte der Kreuzwegandacht von den Anfängen bis zur völligen Ausbildung, Freiburg i. Br. 1908
  • A. Götz, Zur Bibliographie der Kreuzwegandacht in Deutschland <1710-1833> (Franziskanische Studien, 36. 1954, S. 286ff.

Zur Vorgeschichte (1909-1919)

Die zehnjährige Reifung

Guardini selbst spricht am Ende seines Geleitwortes davon, dass dem Verfasser „die folgenden Gedanken“ – also zum Kreuzweg – „im Lauf von etwa zehn Jahren an Bedeutung noch nichts eingebüßt haben“. Dies passt zusammen mit einer Erinnerung des Juvenen Alfred Schüler: "Im privaten Gespräch erfuhr man auch etwas von der behutsam-sorgfältigen Arbeitsweise. An seinem Kreuzwegbüchlein hat er zehn Jahre gearbeitet, d.h. immer wieder liegen gelassen, um dann noch mal anzusetzen zu besserer Formulierung" (Schüler, Romano Guardini, 1969, S. 134).

Die Kreuzwegandacht im persönlichen Gebetsleben Romano Guardinis (1911/13)

In den Briefen Josef Weigers erscheint eine Betrachtung zur Kreuzwegandacht erstmals im aus Heppenheim geschriebenen Brief vom 10. Februar 1911. Er lädt Josef Weiger ein, dieser solle seine eigene Lebenssituation im Blick auf den dreimaligen Fall des Heilands unter dem Kreuz bedenken und formuliert dabei die eigenen Schlussfolgerungen dieser Betrachtungen für den Freund vorsichtig, aber auch weitreichend aus: "Hast Du einmal die wundertiefe Bedeutung bedacht, warum im Kreuzweg dreimal der Heiland fällt? Weil seine Aufgabe zu groß ist für seine Kraft. Und zwischen diesem Erliegen und Untergehen in der Flut von Leid und Kampf die einzig-kostbaren beiden Bilder: der Schleier der Veronika und die weinenden Frauen. Er erstickt schier im Kampf - und steht doch so sehr darüber; über sich, über Leid, über Leben, daß er die zarte Blüte der Teilnahme verstehen, würdigen, annehmen kann. Sieh, das scheint mir fast eine der göttlichsten Taten zu sein. Ein Mensch wäre dem Leben und Leid erlegen und stumpf oder wild an Veronika vorbeigegangen. Er meistert das Leid so sehr, daß er den Frieden, die zarte Empfindung frei hat für den lieblichen Dienst, der ihm doch nichts nützt. Und er, der schier erstickt im Schmerz, hat die Klarheit und Selbstlosigkeit des Geistes, die Klagen der Frauen (nicht wütend zum Schweigen zu bringen, sondern) mild und ruhig zu belehren. Sieh, ich meine, jene Gedanken könnten Dich lehren, so Leben, Denken und Empfinden zu meistern. Denn nicht das Leben ist das vollkommene, welches wild und vulkanisch strömt und tobt, sondern das, welches die eigene Kraft und Fülle gezähmt hat, sie frei und leicht besitzt. Ist nicht das Leben erst frei, welches über sich steht? Und weiter mein' ich, Du brauchest keine Angst zu haben, jene Gedanken könnten Deine Kraft abstumpfen. Sie können sie nur klären, friedigen, können sie Dir nur recht zu eigen geben. Sie zeigen Dir den Weg zum Wesen der anderen Menschen, der anderen Zeiten, sie geben Dir, der doch so leicht einsam wird, innere verstehende Gemeinschaft mit den Übrigen, die Du besonders als Priester und Seelsorger brauchst. Sie lehren Dich, Deine Eigenart und Bedeutung und Grenze im Ganzen erkennen, machen demütig, sehend und wahr. Und wenn Du dann so das Ganze siehst, Dich in ihm, - dann stellst Du Dich fest auf Deinen Platz, und ohne das Andersartige zu verletzen, ja, es verstehend und ehrend, tust Du das Deinige" (Briefe an Josef Weiger, S. 50: 5. Brief vom 10.-14.02.1911, Heppenheim)

Und gut zwei Jahre später rät er seinem Freund Josef Weiger in dessen Sorgennöten: "Sieh, ich gebe Dir Deinen Spruch zurück, den Du Deinen Kindern so oft gesagt hast, und der mir auch so lieb geworden ist: Gott im Herzen und das Herz bei Gott - und nichts von der schlimmen Rede, daß er Dich verlassen habe. Er hat Dich lieb; heut habe ich mit Dir den Kreuzweg gebetet, - er ist ganz nah bei Dir! Nicht wahr, nun beweisest Du, wie echt und stark der Spruch ist?" (Briefe an Josef Weiger, S. 100: 28. Brief vom 30.06.1913, Freiburg)

Das Verhältnis der Kreuzwegandacht zu „Vom Geist der Liturgie“ (1918/19)

Hoffnung auf bessere Andachten zum öffentlichen Gebrauch

Interessanterweise ist in der Zeitschrift „Heiliges Feuer“ nach der eigentlichen Rezension der Schrift „Vom Geist der Liturgie“ durch Hermann Platz unter dem Titel „Religiöse Zurückhaltung“ eine Anmerkung eines bislang nicht identifizierten L. Leuk abgedruckt, in der dieser seine eigene Schwierigkeit, die im Diözesangebetbuch abgedruckte Kreuzwegandacht öffentlich zu beten, schildert und Guardinis Hinweise zu den Volksandachten in seinem Erstling als wohltuendes Hoffnungszeichen anerkennt: "In Guardinis Büchlein „Vom Geist der Liturgie“ findet sich eine Stelle, die mir eine Unterhaltung mit einem kath. Pfarrer, die schon viele Jahre zurückliegt, plötzlich wieder ins Gedächtnis gerufen hat. Der Pfarrer erzählte mir, es wäre ihm unmöglich, die Kreuzwegandacht im Diözesangebetbuch öffentlich zu beten, ganz und gar unmöglich wegen der einen Stelle: „O ja, mein Jesus, lieber sterben, als dich noch einmal durch eine schwere Sünde beleidigen!“ Ich habe den Herrn damals verstanden und freue mich, nun in Guardini auch jemanden zu finden, der hier Verständnis verrät. Er schreibt: „Das Beten der Kirche (gemeint ist das LITURGISCHE Gebet) setzt die Geheimnisse der Seele nicht heraus … es weckt wohl jene ganz zarten, tiefen Regungen, aber läßt sie zugleich im Verborgenen. Man kann bestimmte Gefühle der Hingabe, gewisse Worte, welche die innere Erschlossenheit offenbaren, nicht ohne Gefahr für die religiöse Schamhaftigkeit der Seele öffentlich aussprechen, wenigstens nicht oft. Die Liturgie hat das Meisterstück vollbracht und es dem Menschen möglich gemacht, daß er in ihr sein ganzes religiöses Innenleben in seiner Fülle und Tiefe aussprechen kann und doch sein Geheimnis geborgen weiß. Er kann sich ergießen, kann sich ausdrücken und fühlt doch nichts in die Öffentlichkeit gezogen, was verborgen bleiben muß.“ Mögen alle, die Andachten zum öffentlichen Gebrauch verfassen, diese goldenen Worte stets vor Augen haben. Die gesunde, herbe Männlichkeit der Liturgie, des eigentlichen Gebetes der Kirche, tut uns not. Nur mit ihr oder in ihrem Geiste kann man sich zum großen Ziel des Christentums, dem Heroismus seiner Bekenner, mit Erfolg heranbeten" (L. Leuk, Religiöse Zurückhaltung, in: Heiliges Feuer, 6, 1918/19, 1 (Oktober 1918), S. 40).

Nun hat Guardini selbst eben eine solche Andacht verfasst und offensichtlich der großen Resonanz nach diese seine eigenen Worte berücksichtigt.

Exkurs: „Lieber sterben“

Die Fuchs-Herwegen-Debatte über das Verhältnis von Liturgie und Volksandacht

Die Rezension von Friedrich Fuchs: Liturgie oder Volksandacht? (Hochland, 1919)
Die Erwiderung von Herwegen: Liturgie und Volksandacht (Hochland, September 1919)
Friedrich Fuchs: Liturgie als Volksandacht. Eine Erwiderung (Hochland, September 1919)

Zur Entstehungsgeschichte der Erstausgabe (1918/19)

Josef Weigers Rezension: Vergleich mit Kreuzweg Kardinal Newmans (1920)

Der Text in der Gegenüberstellung (Newman in der Übersetzung Maria Knöpflers)

Zum Geleit

Zum Eingang

Zum Textvergleich und zur Übersetzung Maria Knöpflers

Die Stationen

Erste Rezensionen und Reaktionen (1920-1923)

Guardini: Was der Kreuzweg über das Leiden sagt [1924]

Weitere Ausgabengeschichte (1920-2017)

Einordnung in das Gesamtwirken Romano Guardinis (1923-1953)

Weitere Rezensionsgeschichte (1924-2019)

Übersetzungsgeschichte (1932-dato)

Persönliche Zeugnisse über den Kreuzweg Guardinis

Anhang:

Für den Anhang, der Auflagen und Ausgaben, Auszüge und Nachdrucke, Übersetzungen sowie ein Verzeichnis der unmittelbaren Sekundärliteratur umfassen sollte, siehe jetzt die entsprechenden Angaben auf Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes