Mittwochsclub
Der Mittwochsclub in Tübingen - auch Mittwochs-Tischgesellschaft (alternativ: "Mittwoch-Tisch-Gesellschaft"), Mittwochsgesellschaft oder Kaiserkreis ist ein Gelehrtengruppe, die sich regelmäßig mittwochs in Tübingen getroffen hat. Mitglieder stellten sie in die Tradition der Berliner Mittwochsgesellschaft (1863-1944) - https://de.wikipedia.org/wiki/Mittwochsgesellschaft, vor allem auch aufgrund der Mitgliedschaft von Eduard Spranger in beiden Gruppierungen.
Laut Wikipedia gründeten in den Nachkriegsjahren der Theologe Helmut Thielicke und Theodor Eschenburg in Tübingen einen „Mittwochsclub“, so die Bezeichnung in Thielickes Erinnerungen. Dieser Gesprächskreis traf sich einmal im Monat, anfangs in der Wohnung eines Mitglieds, später im Restaurant „Kaiser“, weshalb die Runde „Kaiser-Kreis“ genannt wurde. Demnach gab es mehrere Parallelen zur Berliner Mittwochsgesellschaft von 1863:
- jeweils ein Mitglied hielt einen Vortrag über ein selbst gewähltes Thema aus seinem Fachgebiet mit anschließender Diskussion (Friedrich Wilhelm Graf: Helmut Thielicke und die „Zeitschrift für Evangelische Ethik“, Tübingen 2021, S. 70 f.) Thielicke beschrieb die Gruppe als „eine sorgfältig ausgewählte Tafelrunde, die – zuerst kümmerlich, später üppiger – im ‚Kaiser‘ miteinander aß, um danach Referate zu besprechen, die wir reihum hielten“ (Helmut Thielicke: Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, 1986, S. 240). Laut Graf traf sich dieser Kreis zunächst auch in den Wohnungen der Mitglieder.
- beide Kreise setzten sich zusammen aus Gelehrten der Universität und Vertretern anderer Berufe und Funktionen
Mitglieder waren laut Thielicke und/oder Speidel:
- der evangelische Theologe Helmut Thielicke, ab 1945 in Tübingen, 1951/52 Rektor der Universität Tübingen, 1954 Weggang nach Hamburg (auch laut Hans Speidel: Aus unserer Zeit)
- der Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg, ab 1947 Dozent, ab 1951 Honorarprofessor, ab 1952 Ordinarius in Tübingen (auch laut Hans Speidel: Aus unserer Zeit)
- der Philosoph Eduard Spranger (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern und Hans Speidel: Aus unserer Zeit), 1934-1944 Mitglied schon der Berliner Mittwochsgesellschaft, ab 1946 Prof. in Tübingen, 1953 emeritiert, 1963 in Tübingen gestorben
- der Historiker Rudolf Stadelmann (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern und Hans Speidel: Aus unserer Zeit), seit 1938 in Tübingen
- der Biochemiker Adolf Butenandt (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern und Hans Speidel: Aus unserer Zeit), 1948-1956 in Tübingen
- der Jurist Wilhelm Gallas (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern)
- der Schriftsteller und Journalist Hans Wenke (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern), 1949-1954 in Tübingen
- der Verleger Hermann Leins (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern), ab 1945 wieder Verleger mit Sitz in Tübingen und Stuttgart
- der General Hans Speidel (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern)
- der Tübinger Oberbürgermeister Wolfgang Mülberger (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern), 1949 bis 1954 Oberbürgermeister
- sowie „der eine oder andere Vertreter der Wirtschaft“ (laut Thielicke, Zu Gast auf einem schönen Stern).
- der "Religionsphilosoph" Romano Guardini (nur laut Hans Speidel: Aus unserer Zeit), 1945-1948 Prof. in Tübingen, hielt in Tübingen noch bis 1950 Blockvorlesungen von München aus
- Hermann Stock (nur laut Hans Speidel: Aus unserer Zeit), eventuell Verwechslung mit Hermann Leins?
- Friedrich Sieburg (laut Thielicke, aber nicht in: Zu Gast auf einem schönen Stern, vgl. Graf, Helmut Thielicke und die „Zeitschrift für Evangelische Ethik“, S. 70 f)
Memoriale und archivalische Erwähnungen der Gruppierung
Hermann Wenke (1957)
Wenke verweist in seiner Würdigung Sprangers darauf, Spranger sei wie er selbst "Mitglied der von Rudolf Stadelmann begründeten Tübinger Mittwoch-Tisch-Gesellschaft, welche monatlich einen Kreis von Männern zusammenführt, die sich neben ihrer Berufsarbeit für die Angelegenheiten von Volk, Staat und Welt mitverantwortlich fühlen" (Hans Wenke, Eduard Spranger. Bildnis eines geistigen Menschen unserer Zeit, Heidelberg 1957, S. 376).
Hans Speidel (1977)
General Hans Speidel bezeichnete den Tübinger Kreis als „die wiedererstandene ‚Mittwochsgesellschaft‘“. Er schrieb in seinen Erinnerungen, unter dem Vorsitz von Eduard Spranger sei er „als Nachfolger“ des langjährigen Berliner Mitglieds Generaloberst Beck aufgenommen worden. Laut Speidel war Spranger der „Mittelpunkt“ der Tübinger Mittwochsrunde (Hans Speidel: Aus unserer Zeit, Berlin 1977, S. 260)
Helmut Thielicke (1986)
Nach Thielickes Erinnerung gründete er gemeinsam mit Eschenburg den "Mittwochsclub" als "sorgfältig ausgewählte Tafelrunde, die - zuerst kümmerlich, später üppiger - im `Kaiser´ miteinander aß, um danach Referate zu besprechen, die wir reihum hielten". Obwohl auch freundschaftlich mit Guardini verbunden und in Tübingen sein Gegenpart als Vertreter der "evangelischen Weltanschauung", erscheint bei ihm Guardini nicht als Mitglied des Kaiser-Kreises (Helmut Thielicke: Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen, 1986, S. 240). Dies dürfte aber damit zusammenhängen, dass der Club erst nach dem Wechsel Guardinis nach München offiziell von Thielicke und Eschenburg "gegründet" wurde, und vorher unter Stadelmann nur "informell" bestanden hat.
Adolf Butenandt
Im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft befindet sich im "Nachlass Adolf Butenandt" in der "Korrespondenz: III. Private Korrespondenz: M" eine Akte mit der Nummer III. Abt., Rep. 84/2, Nr. 8011 und dem Titel "Mittwochs-Tischgesellschaft sowie der Laufzeit "1950/51, 1953-1955", Tübingen". Laut Beschreibung enthält diese bisher von mir nicht eingesehene Akte "u.a.: Mitgliederlisten.- Einladungen mit Teilnahmevermerken.- Schriftwechsel mit Erich Haag betr. Vortrag Butenandts." (vgl. dazu auch Peter Karlson: Adolf Butenandt, 1990, S. 170).