Politische Theologie des "Menschlich-Unerlässlichen im Neuen"

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Politische Theologie des „Menschlich-Unerlässlichen im Neuen“. Ein Querschnitt entlang einiger Jubiläen Romano Guardinis (Autor: Helmut Zenz)

Der Text stammt aus dem Jahr 2005. Die Jubiläumsjahrangaben beziehen sich daher auf dieses Jahr, also müssen aktuell plus 18 Jahre gerechnet werden.

Vor 120 Jahren: Hineingeboren ins „Ende der Neuzeit“

Am 17. Februar 1885 wurde der Theologe und Philosoph Romano Guardini in eine Zeit hineingeboren, die er später selbst als das „Ende der Neuzeit“ bezeichnete. Der zu seinen Tagen noch nicht in Mode gekommene Begriff der „Post-Moderne“ wäre Guardini vermutlich unsinnig erschienen, weil er selbst mit dem Begriff „Moderne“ zumindest im deutschen Sprachgebrauch nicht die „Neuzeit“ verband. Im romanischen und angelsächsischen Sprachraum blieb ihm mangels verbaler Alternativen keine andere Wahl als vom „Ende der modernen Epoche“ zu sprechen.

„Modern“ war für ihn zunächst ein Schlagwort aus dem Kulturkampf zwischen Modernisten und Traditionalisten, deren Haltungen er gleichermaßen kritisierte. „Moderne“ und „Tradition“ als solche bedeuten ihm dagegen eine unausweichliche Polarität, die in je eigener Weise für alle Zeitalter gilt. Den Begriff der Neuzeit jedoch verbindet Guardini mit einem ganz bestimmten Welt- und Menschenbild, das das Welt- und Menschenbild des Mittelalters abgelöst habe, so wie jenes das Welt- und Menschenbild der Antike. Der Neuzeit folgt dann konsequenter Weise eine „neue“ Neuzeit, oder anders ausgedrückt: Nachdem die „alte“ Neuzeit historisch zum „zweiten“ Mittelalter geworden ist, wird die „neue“ Neuzeit zur eigentlichen Neuzeit. Und auch dieses „neue“, „nach-neuzeitliche“ Welt- und Menschenbild ist für Guardini keineswegs nur negativ konnotiert. Guardini war nie ein Mittelalter-Nostalgiker, Neuzeit-Negierer und Gegenwart-Verächter, sondern immer sowohl ein „Konservativer“ mit „Blick nach vorn“ [Im Gespräch mit Abt Hörhammer; vgl. auch den Sammelband Arno Schilson (Hrsg.): Konservativ mit Blick nach vorn. Versuche zu Romano Guardini. Würzburg 1994] als auch ein „Renovativer“ mit „Blick zurück“ [Zum Begriff der „Renovatio“ im Umfeld Guardinis vgl. Ernst Michel: Renovatio. Zwiesprache zwischen Kirche und Welt. Aulendorf/Stuttgart 1947].

Für Guardini beginnt die „Nach-Neuzeit“ auf philosophischer Ebene mit dem Finitismus Nietzsches, so wie am Anfang der philosophischen Neuzeit der dialektische Autonomismus Kants gestanden hatte. Den Höhepunkt der Neuzeit wiederum sah er im dialektischen Idealismus Hegels und ihr Ende im dialektischen Materialismus, sei es im linkshegelianisch-sozialistischen oder im rechtshegelianisch-nationalistischen Format. Nietzsche hatte dann in den Augen Guardinis mit seinem Finitismus eben diese extremen und totalistischen Hegelianismen ad absurdum geführt, was aber gerade nicht ihr Ende bedeuteten sollte, sondern ihre „Synthese“ in den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. In ihnen wurde der hegelsche, mit dem Staat identifizierte Weltgeist derart „materialisiert“, dass er sich sogar in politisch-religiösen Heilsbringern, allen voran Stalin und Hitler, manifestieren konnte. Diese haben bekanntlich dann jedoch anstatt des „Paradieses auf Erden“ nur irdisches Unheil gebracht.

Diese Schlussfolgerungen hat Guardini in seinem umfangreichen Werk erst nach und nach gezogen, und sie haben oftmals ihre Wurzeln in biographischen Gegebenheiten; sie haben eine Geschichte, die hier anhand weiterer Guardini-„Jubliäen“ aufzeigt werden soll.

Vor 100 Jahren: Religiöse Krise und alternative Philosophie

Es ist 100 Jahre her, dass der zwanzigjährige Guardini – nahezu zeitgleich mit seinem Freund Karl Neundörfer und verschärft durch die Auseinandersetzung mit einem Kantianer während seines Nationalökonomie-Studiums in München - in eine fundamentale religiöse Krise geraten war. Bereits in den Semesterferien in Mainz konnten die beiden Freunde diese Krise wieder überwinden und zwar durch die klare Abkehr sowohl von den Anbiederungen eines liberalistischen Katholizismus als auch vom Kulturkämpfertum des neuscholastischen Essentialismus. Noch im gleichen Jahr wandte Guardini sich von der Nationalökonomie hin zur Philosophie und Theologie, ging von München nach Berlin. Dort hatte er dann auch sein priesterliches Berufungserlebnis, das schließlich am 28. Mai 1910 – also vor 95 Jahren – in die Priesterweihe in Mainz mündete.

Infolge ihrer Krisenerfahrung haben Guardini und Neundörfer noch 1905 damit begonnen, einen alternativen philosophischen Ansatz zu entwickeln: die konkret-lebendige Gegensatz-Philosophie. Denn die beiden jungen Studenten hatten – bei allem Positiven, das sie der Neuzeit abgewinnen konnten - das philosophische „Übel“ dieser Epoche klar und eindeutig ausgemacht: einerseits in der kantischen Abstrahierung des Gottesbegriffs, die in einen absoluten Autonomismus geführt habe, und andererseits in der hegelianischen Ausprägung der Dialektik, die alle polaren Gegensätze in absolute Widersprüche verkehrt habe. Kern der Alternative war somit eine Re-Konkretisierung und Re-Personalisierung des Gottesbegriffs und eine klare methodische Unterscheidung von polaren Gegensätzen und Widersprüchen. Dieser Versuch sollte dann 1912/1914 in einem ersten schriftlichen Entwurf vorliegen und sich überraschenderweise deutlich an den Neukantianern Georg Simmel und Heinrich Rickert orientieren [Gegensatz und Gegensätze. Entwurf eines Systems der Typenlehre, 1914]. Kein geringerer als Max Scheler hat dies bereits in einem Brief an Guardini vom 4. Juli 1919 zutreffend analysiert [Brief vom 4. Juli 1919 (Stabi Köln), zitiert nach Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Romano Guardini. 1885-1968. Leben und Werk, Mainz (3., erg.)1987, S. 109]. Diese Anleihen bei Simmel und Rickert sind ein Anzeichen dafür, dass es Guardini nicht um eine grundsätzliche Überwindung Kants ging, sondern um die Korrektur von dessen Schwachstellen. Dies geht auch aus einer mittlerweile veröffentlichten Skizze zu Kants Philosophie aus dem Jahre 1913 hervor, die einem Brief an seinen Freund Josef Weiger beigelegen hatte [Vgl. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Hrsg.): Kant und Liturgie. Zwei unbekannte Skizzen des jungen Romano Guardini ..., in: Theologie und Philosophie, 2002, 4, S. 553-556]. Indem er die berechtigten Anliegen von Kants anthropologisch-ethischer Wende aufnahm, seine autonomistisch-transzendentalistische Entpersonalisierung des Gottesbegriffes tilgte und die hegelianische Dialektik durch eine eigenständige Dialogik ersetzte, war es Guardini tatsächlich geglückt, eine völlig unhegelianische lebendig-konkrete Spannungseinheit aus notwendigen Polaritäten zu konzipieren. Vor allem hat er damit aber auch die „politische Theologie“ der Hegelianer in Frage gestellt, die den Staat entweder zum „präsenten Gott“ oder aber für überflüssig erklärten, je nachdem, ob sie ihn als These, Antithese oder Synthese veranschlagt hatten.

Vor 90 Jahren: Sozialtheologische Trinitäts- und Erlösungslehre

Erlösung kommt für Guardini definitiv nicht vom Staat oder von der Gesellschaft, sondern ausschließlich vom trinitarisch-personalen Gott, auf den allein sich das gesamte sittliche Leben jedweder Gemeinschaft sinnvoll begründen lässt, wie er bereits in seinem vor 90 Jahren geschriebenen und 1916 erschienenen Aufsatz „Die Bedeutung des Dogmas vom dreieinigen Gott für das sittliche Leben der Gemeinschaft“ betont [Guardini, Die Bedeutung des Dogmas vom dreieinigen Gott für das sittliche Leben der Gemeinschaft, in: Theologie und Glaube, Paderborn, 8, 1916, S. 400-406]. Nachdem im Mittelalter die Trinität noch "als Mittelpunkt des Heils, als Quelle und Ziel des Gnadenlebens" gegolten und entsprechend jede irdische Autorität und Rechtsgeltung in jenem Geheimnis ihre letzte Grundlage, eine "Magna Charta der Pflicht und Würde jeder menschlichen Gemeinschaft" gesehen habe, sei diese Selbstverständlichkeit in der Neuzeit verloren gegangen [ebd., S. 87]. Die Antwort darauf ist für Guardini aber gerade nicht die naheliegende und daher bereits ohnehin zu starke Betonung der "Gemeinschaft", denn "hier wirken all jene unheilvollen Einflüsse des Sozialtriebes, die Nietzsche mit dem kurzen Worte zeichnet: 'Gemeinschaft macht gemein'." Dies ist wohl der erste öffentliche Verweis Guardinis auf seine Beschäftigung mit Nietzsche. Gerade das "Streben nach Selbsterhaltung, nach Abstand zwischen sich und dem anderen" sei notwendig [ebd., S. 89]. Nur dieses wahre "Recht auf eigene Überzeugung behauptet die Unabhängigkeit des Urteils, die Selbständigkeit des Entschlusses und der Verantwortung. Ihm entspricht im anderen die Zurückhaltung vor jener Grenze, die, wie die eigene, so die fremde Persönlichkeit umschließt." Zu beachten ist, dass Guardini in diesem frühen Aufsatz noch keine Unterscheidung von Persönlichkeit und Person trifft, sondern sie synonym gebraucht.

Erst als beides gleichermaßen im Blick ist, kümmert sich Guardini im nächsten Schritt um einen Ausgleich. Dieser geschehe "nicht 'von selbst', sondern nur unter dem Einfluss einer lebendig-sittlichen Macht: des Willens zur Gemeinschaft. Gemeinschaft wird nicht durch Zusammenfügung von Naturwesen, sondern durch freie, wechselseitige Hingabe sittlicher Persönlichkeiten" [Ebd., S. 90]. Und um diese sittlichen Persönlichkeiten liege notwendigerweise "ein heiliger Ring, den niemand überschreiten darf, es sei denn, er öffne sich von selbst; ja, bis zu einem gewissen Grade darf er sich selber nicht öffnen, ohne sich zu entweihen" [Ebd., S. 91]. Und gerade in diesem Sinne sei theologisch das "Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit" das Vorbild des Gemeinschaftslebens und jede wirkliche, das heißt bei Guardini lebendig-konkrete, Menschengemeinschaft ist "ein 'VESTIGIUM TRINITATIS', ein Spurbild der dreieinigen Gottesgemeinschaft" [Ebd., S. 93].

1915 hatte Guardini zudem seine Doktorarbeit in Freiburg bei Engelbert Krebs und Carl Braig abgegeben. Darin beschreibt er „die Lehre des hl. Bonaventura von der Erlösung“ ebenfalls als lebendig-konkrete Gegensatz-Dogmatik, in der in sich notwendige Polaritäten wirken: Intuitivität und Rationalität als Methode der Theologie, Communio und Hierarchie als Struktur der kirchlichen Gemeinschaft; letztlich personalisiert er in Bonaventura selbst die lebendig-konkrete Spannungseinheit der beiden in diesem Sinne „polaren“ Kirchenväter Augustinus und Thomas von Aquin.

Vor 85 Jahren: „Vom Sinn der Kirche“ - theoretisch und praktisch

Ende 1920 – also vor 85 Jahren - hatte Guardini erstmals über den „Sinn der Kirche“ referiert, vor der Vereinigung akademisch gebildeter Katholiken Siegburgs. Im gleichen Jahr war er zur Quickborn-Jugendbewegung auf Burg Rothenfels gestoßen und wurde alsbald deren geistlicher Mentor. Sowohl seine theoretische Ekklesiologie als auch seine praktische Jugendarbeit leben von seiner Gegensatzidee, die er überdies in seinen Vorlesungen als Dogmatik-Dozent in Bonn und Religionsphilosoph in Berlin vertiefte und ausbaute, bis es schließlich 1925 zu einer Neuauflage kam. Darin bezeichnet er alle zwischen 1912/14 und 1925 erschienenen "Einzelarbeiten” ausdrücklich als "Erprobung" der gemeinsam mit Neundörfer entwickelten “Typenlehre” und verweist dabei explizit auf seine Arbeiten “über die Philosophie und Theologie des heiligen Bonaventura - über seine Erlösungslehre die eine; die andere, noch ungedruckt, über die 'Systembildner' seines Denkwerkes, ist seine Habilitationsschrift; dann die Schriften 'Vom Geist der Liturgie', 'Vom Sinn der Kirche' und über 'Liturgische Bildung'; endlich eine Reihe kleinerer Untersuchungen, von denen der Band 'Auf dem Wege' einige zusammenfasst". Sie "tragen die Gegensatzidee als Richtung und Maß in sich" [Guardini, Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten. Karl Neundörfer zu eigen, Mainz/Paderborn 1998, S. 11].

Auf politisch-theologischem Gebiet hatte er im Sinne dieser Gegensatzidee bereits im Jahr zuvor tiefergehende Überlegungen angestellt, und zwar mit den Aufsätzen „Rettung des Politischen“ und „Eine neue politische Wirklichkeit“ sowie seinem letzten „Brief über Selbstbildung“ unter dem Titel „Staat in uns“, publiziert jeweils in der Quickborn-Zeitschrift „Die Schildgenossen“:

1) In dem Aufsatz „Rettung des Politischen“ betont Guardini, seine Konzeption von der „Hoheit“ und „Autorität“ des Staates und von der Volkswerdung habe nichts mit "heidnischer Staatsvergottung" oder "nationalistischer Volksvergötzung" zu tun. Man dürfe aber dem "politischen Heidentum", den "Nationalisten und Staatsanbetern" mit ihrer "zum Ersticken" ungeistigen, engen und brutalen politischen Haltung und dem entsprechenden politischen Willen die Werte "Volk" und "Staat" nicht überlassen [Guardini, Rettung des Politischen, in: ders.: Wurzeln eines großen Lebenswerks. Aufsätze und kleine Schriften, Band 2, Mainz/Paderborn 2001, S. 207f.]. Es reiche jedoch nicht aus, dem einfach nur eine "katholische Politik" entgegenzusetzen, ohne "jene Haltung zu haben, die diese Werte überhaupt erst sieht; den Willen, der sie überhaupt erst zu verwirklichen mag." Offen übt Guardini Kritik an der unter Katholiken gängigen Gleichsetzung von "unpolitischer Haltung mit dem Charakter des Katholischen." Guardini schreibt der katholischen Jugend damit folgendes Motto auf die Fahnen: "Wirklich politische Politik müssen wir wollen, aber aus katholischem Geist" [ebd., S. 209].

Guardini ist sich bewusst, dass der Staat "immer wieder versucht ..., seine ihm von Gott verliehene Hoheit in göttliche umzuwandeln. Die Hoheit des Staates besteht nur darin, dass er Gottes Stellvertreter sei im Natürlichen, Rechtlichen. Er aber sucht sie zur ursprünglichen, einzigen, absoluten zu begründen. Im Letzten: der Staat sucht immer wieder `Gott zu sein´. `Den präsenten Gott´ hat ihn ja Hegel genannt" [ebd., S. 209 f.]. Daher sei es die “Pflicht der Persönlichkeit, ... dem Staat gegenüber Wache zu halten, dass er in seinen Grenzen bleibe" [ebd., S. 210]. Wenn der Mensch diese Pflicht vernachlässige, komme es zu "verhängnisvollen Verknüpfungen": Erstens die Verbindung des "Begriffs eigentätiger, verantwortungsbewusster Persönlichkeit mit der Vorstellung eines demokratistischen Staates ..., der auf Hoheit verzichtet und sich bloß als Sicherheitseinrichtung, als Kulturwart und Wirtschaftsbehörde ansieht"; zweitens die Verbindung der "Begriffe von Hoheit und Ehre mit der Vorstellung des Obrigkeitsstaates und der Kabinettspolitik alten Stils, für welche die Persönlichkeit des Einzelnen politisch bedeutungslos und die Völker lediglich Objekte waren" [ebd., S. 213 f.]. Guardini ruft also die Quickborn-Jugend dazu auf, "bevor wir fragen, was Christliche Politik sei,“ gelte es „erst überhaupt auf der politischen Ebene" zu stehen. Erst dann könne man sich fragen, was "die `Torheit des Kreuzes´ in der Politik" bedeute [ebd., S. 217].

2) Als positives Modell für diese politische Gesinnung und Haltung stellt uns Guardini in seinem Aufsatz über „eine neue politische Wirklichkeit“ Mahatma Gandhi vor, der "ganz auf dem Boden des wirklichen Staates“ Willens gewesen sei, „von der gegebenen Situation auszugehen" [Guardini, Eine neue politische Wirklichkeit, in: ders.: Wurzeln eines großen Lebenswerks. Aufsätze und kleine Schriften, Band 2, Mainz/Paderborn 2001, S. 155]. So habe er zunächst das Volk, vor allem geistig und religiös geweckt; es "mit der Überzeugung von der Wahrhaftigkeit seiner Rechte" durchtränkt [ebd., S. 154] und ihm dann die politische Macht von "Reinheit der Gesinnung, Ehrlichkeit, Ritterlichkeit, Treue" aufgezeigt. Gandhi wollte "Recht, Sendung, Menschenwürde" nicht mit Gewalt und List durchsetzen, sondern mit Wahrheit, Recht und Würde selbst. Denn diese "werden in ihrer geistigen Wesenheit selbst unmittelbar zur politischen Potenz" [ebd., S. 156].

Für Guardini handelt sich dabei also wesentlich um eine Frage der Pädagogik, denn "die Wurzel der kommenden politischen Haltung liegt in der kommenden Menschenbildung [ebd., S. 158].

3) Im Selbstbildungsbrief „Staat in uns“ betont Guardini schließlich in obigem Sinne, dass die politische Haltung, ja Staats-Haltung auf jenem gebildeten Wissen beruhe, "dass Staat nie auf einzelnen Menschen ruht mit ihrer Einseitigkeit, nie auf einer Partei allein mit ihrer besonderen Richtung, dass er vielmehr jenes eigentümliche Etwas ist, jene Wölbung, die sich gerade aus dem Widerspiel der Spannungen und Gegensätze erhebt; ... dass Volk nie aus einem Einzelnen allein spricht, sondern aus der Mannigfaltigkeit lebendiger Anschauungen überzeugter Menschen; ... dass `Staat´ jenes Große, Weite, Starke ist, das durch schöpferische Tat aus den Gegensätzen emporwächst; `Volk´ jenes Tiefe, Umfassende, das sich in ihnen entfaltet und von bauender Kraft in die Einheit des Staates zusammengefasst sein will" [Guardini, Staat in uns, in ders.: Briefe über Selbstbildung, Mainz (11)1968, S. 167f.]. Und in einer Eindeutigkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, fügt er hinzu: „Wir wollen nicht dem Rausch des Genie-Kultes verfallen. Es ist einfach nicht wahr, dass nur der große Einzelne schafft, sondern jeder Einzelne. Freilich jeder nach seinem Können. Und von diesem jeden Einzelnen, von dir also und von mir, rede ich. Ist ein Großer da, so trete er vor und zeige, was er kann! Wir aber wollen uns nicht durch die Berufung auf den Großen unsere kleine Leistung verächtlich machen; und auch nicht unsere kleine, aber für unsere bescheidene Kraft schwere Pflicht durch Genie-Gerede wegtäuschen lassen!!" [ebd., S. 168f, Fußnote 1]. Letztlich bestehe der Staat nämlich “aus Persönlichkeiten. Persönlichkeit aber ist innerlich. Sie hat eine Welt in sich, welche andere nicht schauen können, wenigstens nicht bis ins Letzte” [ebd., S. 169].

Vor 80 Jahren: Neuauflage der Gegensatzlehre

In der bereits erwähnten Neuauflage seiner Gegensatzlehre fasst Guardini schließlich seine zwischen 1915 und 1925 gewachsene „politische Theologie“ zusammen: "Einzelpersonen und Gemeinschaftsknüpfung sind selbst unvollkommene endlich-geschöpfliche Eben-Bildung des eigentlichen, des göttlichen Personal-Verhältnisses, wie es sich in Christus offenbart, und durch die Kirche im Dogma von der Einheit der göttlichen Natur und Dreiheit der heiligsten Personen gefasst wird" [Guardini, Gegensatz, a.a.O., S. 114, FN 31]. Und weiter: “Der Einzelne in der Gruppe, die Familie in der Gemeinde, der kleinere Verband im umfassenderen, sie alle bleiben auch innerhalb der übergreifenden Einheit, was sie sind; bewahren ihren eigenen Mittelpunkt und besonderen Innenbereich" [ebd., S. 120]. Daher werden wir “vom Standpunkte der Gegensatzlehre“ her auch „zum entschiedensten Solidarismus gedrängt. Der besagt: Einzelner und Gruppe können, soweit sie im Gegensatzverhältnis stehen, von einander nicht abgeleitet werden" [ebd., S. 124]. Und eine “von der Gegensatzidee beherrschte Haltung trägt etwas eigentümlich Welthaftes in sich ... eine eigentümliche Fähigkeit, das Einzel-Runde als Glied eines Gesamten zu nehmen. Dieses `Gesamte´ meint keine umfassbare Gestalt, sondern lebendige Mehr-Dimensionalität, darin Kräfte und Strukturen, aus verschiedenen `Richtungen´ her einander gegenübergestellt, zu einem Mittelpunkt hin" [ebd., S. 172]. Was Guardini hier in Bezug auf alle menschlichen Gesamtheiten formuliert, gilt natürlich in besonderer Weise für die politische Gesamtheit des Staates.

Vor 70 Jahren: Christliche Verwirklichung als „Autonomie“ und „Allonomie“

Bereits zehn Jahre später - vor 70 Jahren also - wurde Guardini anlässlich seines 50. Geburtstages mit der fulminanten Festschrift „Christliche Verwirklichung“ geehrt, zu der nicht nur „seine Quickborner“, sondern unter anderem auch Jacques Maritain, Erich Weniger, Philipp Funk und Hermann Platz beigetragen hatten. Seine Freunde ermöglichten außerdem die Veröffentlichung der wichtigsten Aufsätze aus den Jahren 1923 bis 1935 unter dem Titel „Unterscheidung des Christlichen“. „Christliche Verwirklichung“ und „Unterscheidung des Christlichen“ markieren tatsächlich die zwei Wesensmerkmale Guardinischer Religionsphilosophie.

Guardini selbst machte sich zu seinem Geburtstag ein Geschenk eigener Art. Er publizierte seine Deutung der Bekehrung des Aurelius Augustinus. Interessanterweise setzt sich Guardini darin auch mit dem Problem des Verhältnisses von Autonomie und Heteronomie auseinander. Weil der Begriff der Heteronomie mittlerweile „abschätzig“ verwendet werde, ersetzt ihn Guardini durch den der “Allonomie”, wörtlich übersetzt: Fremd-Gesetz. Durch ihn kennzeichnet er dann auch das Menschenbild Augustins. Allonomie sei jene Veranlagung, “die sich unwillkürlich auf den Andern bezieht; sich naturgemäß als Glied eines Ganzen, als Ausdruck und Organ einer Macht, als Teil eines All-Geschehens erfährt.” Ebenso wie die Allonomie sei aber auch die Autonomie eine natürliche Tendenz und besitze ein christliches Daseinsrecht. Beide zusammen bilden nämlich ein “transzendentales” Gegensatzpaar. Denn auch wo die autonome Haltung “echt ist, bildet sie eine ursprüngliche Anlage, die sich ebenso ins Christliche wie ins Nicht-Christliche wenden kann und darin erst ihre letzte Bestimmung erhält" [Guardini, Die Bekehrung des Aurelius Augustinus. Der innere Vorgang in seinen Bekenntnissen. Josef Weiger gewidmet, Leipzig 1935, S. 120]. “Auch der anlagegemäß `autonome´ Mensch kann gläubig und gottgehorsam sein; große Gestalten des neuzeitlichen, aber auch des früheren Christentums zeugen dafür" [ebd., S. 121]. Und umgekehrt könne die Allonomie genauso extrem werden wie die Autonomie. So sei zum Beispiel Pascal der Gefahr dieses “religiösen Absolutismus” erlegen: “Sobald das Denken sich gewöhnt, von jeder endlichen Gegebenheit unmittelbar auf Gott, auf seine Wirksamkeit, Ewigkeit, Sinnfülle usw. zurückzugreifen, droht das Irdische sein Gewicht zu verlieren. Es hört auf, wirklicher Antrieb des Handelns und lohnender Gegenstand der Arbeit zu sein" [ebd., S. 138]. Das Endliche werde vom Religiös-Unbedingten her entmächtigt. Dagegen habe sich das christliche Denken geschützt, “indem es Augustinus wohl zum Hüter des inneren Heiligtums gemacht, zum Führer aber nicht ihn gewählt hat, sondern Thomas von Aquin" [ebd., S. 109]. Nur dadurch sei die Gefahr eines “Kurzschlusses vom Religiösen her” weitgehend gebannt [ebd., S. 52 u.ö.]. In Guardinis philosophiegeschichtlichen Deutung hat Pascal also “die Macht der augustinischen Innerlichkeit” [ebd., S. 31] übersteigert, während Kant sie vernachlässigt habe.

Nicht zuletzt seine eigene Orientierung an dieser „augustinischen Innerlichkeit“ ermöglichte es Guardini in den folgenden unheilbringenden Jahren selbst nicht die Orientierung zu verlieren und die Gratwanderung zwischen beredtem Schweigen und Zivilcourage, verdecktem Widerspruch und passivem Widerstand zu bestehen. Gerade darin ist er damals vielen jungen Katholiken ein Fels in der Brandung geworden.

Vor 60 Jahren: Theologisch-politische Aufarbeitung des Dritten Reichs

In seiner prophetischen Art appellierte Guardini sogleich nach Ende des Dritten Reichs vor 60 Jahren appellierte mit seiner ausdrücklich als „theologisch-politische Besinnung“ charakterisierten Schrift „Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik“ [1945/46, dann in ders.: Unterscheidung des Christlichen, Mainz 1963, S. 411-456] für eine dialogische Alternative zu den weiterhin hegelianisierenden „Politischen Theologien“ gerade auch bei den jungen katholischen Theologen.

Für Guardini waren nämlich die Ursachen für die Krisis der Staatsautorität „nicht politischer oder soziologischer, auch nicht im besonderen Sinne sittlicher, sondern religiöser Natur, und es entsteht das Problem, wie eine neue religiöse Begründung des Staates zu schaffen sei, ohne die er immer mehr zu einer bloßen Macht- und Nutzorganisation wird" [ebd., S. 438, Anm. 7]. Er betont die weiterhin zutiefst christliche Bestimmung der “abendländischen Form des Staates”: "In ihr hat der Träger der Hoheit seine Gewalt von Gott. Aber nicht in einem naturhaften Sinne, wie der heidnische Herrscher, der in einem natürlichen Verwandtschaftsverhältnis zur Gottheit gesehen wird - welche Gottheit letztlich das Numen des Staates oder Volkes oder der Stadt beziehungsweise des Staates ist, so dass der Herrscher als deren aktive Verkörperung erscheint - , sondern in einem personalen: Gott, der personal-souveräner Herr des Himmels und der Erde ist, hat ihn zu seinem Stellvertreter bestellt und macht ihn für sein Tun verantwortlich" [ebd., S. 441 f.].

Und im abschließende Kapitel steht der markante Satz: “Europa wird christlich, oder es wird überhaupt nicht mehr sein. Es kann reich sein oder arm werden; es kann eine hochentwickelte Industrie haben oder zum Bauerntum zurückkehren müssen; es kann diese oder jene politische Form annehmen - in alledem bleibt es es selbst, so lange seine Grundgestalt lebt" [ebd., S. 454f.]. Wenn also Europa nach dem Nationalsozialismus, der darauf ausgegangen sei, alles Europäische zu vernichten, „noch fernerhin sein, wenn die Welt noch fernerhin Europa brauchen soll, dann muss es jene von der Gestalt Christi her bestimmte geschichtliche Größe bleiben, nein, mit einem neuen Ernste werden, die es seinem Wesen nach ist. Gibt es diesen Kern auf – was dann noch von ihm übrigbleibt, hat nicht mehr viel zu bedeuten" [ebd., S. 456].

Noch im gleichen Jahr wurde Guardini von der Familie Scholl gebeten, am 4. November 1945 die Gedächtnisrede für die zwei Jahre zuvor von den Nationalsozialisten hingerichteten Geschwister Hans und Sophie Scholl zu halten. Er stellte sie unter den Titel “Die Waage des Daseins” [Tübingen/Stuttgart 1946], die er in drei Ordnungen gegeben sah: Die erste ist die Ordnung “der rechten Verwaltung. Sie wird durch die Verantwortung bestimmt, welche der Mensch für das vielbedürfende Dasein hat, das eigene wie das der anderen. Und durch seine Verantwortung für die Dinge selbst" [ebd., S. 10]. „Auf Grund dieser Ordnung wird das Tun gewogen. Das Maß sind Redlichkeit, Treue und Umsicht" [ebd., S. 11]. Die zweite Ordnung ist “die der (rechten) Tat und des (reinen) Werkes" [ebd., S. 13, (mit Klammerworten) S. 14]. Das Werk ordnet “die Beziehungen der Menschen”, begründet “Hoheit und Recht”. Auch hier geht alles “aus der Kraft der Freiheit, aus der Tiefe des Geistes, aus den Quellen des Herzens hervor - und andererseits aus den Möglichkeiten der Geschichte und der Forderung der Stunde" [ebd., S. 14]. Als notwendige Tugenden dieser zweiten Ordnung nennt er Mut, Anfangskraft und Bereitschaft, um die Selbstsucht mit “innerem Adel” [vgl. ebd., S. 18: "Gehorsam gegen den inneren Ruf")zu überwinden [ebd., S. 14 f.]. Die dritte Ordnung schließlich sei “nicht in Welt und Leben begründet ...; nicht von deren Wesen her gewährleistet und daher auch nicht von ihm her zu verstehen noch zu rechtfertigen. Ihr Ursprung liegt im Herzen Gottes. Sie wurde in die Welt hineingetragen durch Jesus Christus" [ebd., S. 18]. Es gehe um das “Handeln der Liebe“, das weit über eine “Ethik der Selbstlosigkeit” oder eine “Philosophie des Schaffens und der Geschichte” hinausgehe und aus irdischen Voraussetzungen allein nicht verstanden werden könne. Vielmehr “lebt es aus dem Glauben an den neuen Anfang, der sich in Christus aufgetan hat und ist ebenso `Ärgernis und Torheit´, wie Sein Handeln selbst es gewesen ist.” Die menschliche Gemeinschaft lebt von diesen “Opfern” der dritten Ordnung ebenso wie von der rechten Verwaltung der materiellen Dinge und von den rechten Taten und Werken in der ersten und zweiten Ordnung. Wir sind nicht nur gemeinsam abhängig von materiellen Dingen, nicht nur gemeinsam verbunden “im Gewebe der Taten und Werke" [ebd., S. 24 f.], sondern auch Gemeinschaft aus der Tat Christi. In diesem Sinn haben die Geschwister Scholl als überzeugte Christen “für die Freiheit des Geistes und die Ehre des Menschen gekämpft, und ihr Name wird mit diesem Kampf verbunden bleiben. Zuinnerst aber haben sie in der Strahlung des Opfers Christi gelebt, das keiner Begründung vom unmittelbaren Dasein her bedarf, sondern frei aus dem schöpferischen Ursprung der ewigen Liebe hervorgeht" [ebd., S. 26 f.].

Vor 55 Jahren: Beginn einer „unvollendeten Trilogie“

1950 – vor 55 Jahren - begann Guardini mit der Veröffentlichung einer in gewissem Sinne „unvollendeten Trilogie“. Er selbst spricht von dieser Trilogie in einer Tagebuchnotiz vom 23. März 1954. Erster Teil davon ist die nach dem Krieg im Vorfeld einer Pascal-Vorlesung entstandene Schrift über „das Ende der Neuzeit“. In ihr arbeitet er die Stärken und Schwächen des Kantischen Autonomismus im Gegenlicht der philosophiegeschichtlichen Entwicklung heraus, um sie schließlich für ein „Ethos“ der Demokratie abzuwägen. Der zweite Teil folgte bereits im Jahr darauf unter dem Titel „Die Macht“, in dem er die Stärken und Schwächen des Machiavellismus im Gegenlicht der historischen Konsequenzen herausarbeitet, um daraus ein „Ethos“ der Macht zu charakterisieren. Aus den Texten des Kollegs im Wintersemester 1954/55 sollte „das dritte Bändchen nach `Ende der Neuzeit´ und `die Macht´“ entstehen, das Verhältnis von „Macht und Nihilismus mit einer Stellungnahme zu Nietzsche“ aufzeigen und die Stärken und Schwächen des Finitismus Nietzsches im Gegenlicht der ethisch-anthropologischen Herausforderungen der Gegenwart in den Blick nehmen. Von diesem dritten Teil existiert noch ein Typoskript, das aber unveröffentlicht blieb. Doch schon früher hat Guardini diese Frage behandelt, so zum Beispiel in seinen 1932 bis 1939 entstandenen Studien über die „religiösen Gestalten in Dostojewskijs Werk“ [Guardini, Religiöse Gestalten in Dosojewskijs Werk. Meinem Bruder Gino zu eigen, München (3)1947]. Er schreibt darin unter dem Stichwort „Die Endlichkeit und das Nichts“: “Durch das neunzehnte Jahrhundert erstrecken sich die Schaffenszeiten dreier Männer, die ... eine letzte Gemeinsamkeit der Denk- und Erlebnisstruktur verraten: Es sind die drei großen `Romantiker´ Sören Aabye Kierkegaard, Fjodor Michailowitsch Dostojewksij, Friedrich Wilhelm Nietzsche. In ihnen zieht die Existenzsituation des neuzeitlichen Menschen - des Menschen also vom fünfzehnten Jahrhundert an - ihre letzten Folgerungen. Sie liquidieren die Neuzeit; zugleich dringen in ihnen bereits Elemente der folgenden Periode hervor, welche ihren Namen noch nicht hat. Was aber jenes Voraufgehende zu Ende führt und das Neue einleitet, ist, dass die radikale Endlichkeit sich zur Geltung bringt" [ebd., S. 190 f.]. Mit der Neuzeit hatte die Welt begonnen, “sich zu dehnen; sie wird ende-los ...; zugleich aber werden die Dinge bloß endlich. Beides hängt zusammen, und führt zur nämlichen Endwirkung" [ebd., S. 191]. Denn “das Bewusstsein der Ende-Losigkeit der Welt schafft die ersten psychologischen Bedingungen für ihre Ablösung von Gott.” Der Mensch “beginnt, die Attribute Gottes an sich zu ziehen. Zuerst dadurch, dass er sich selbst `absolut´ setzt.” Die kategoriale und die inhaltliche Autonomie werden begründet. “Ein Gebiet nach dem anderen des menschlichen Daseins konstituiert sich als wertautonom. Der neuzeitliche Kulturbegriff schafft die Synthesis, und übernimmt die Erbfolge des Reiches Gottes - vielleicht noch im Staate verdichtet" [ebd., S. 192]. "Der entscheidende Schritt ... ist im Letzten der Entschluss zur radikalen und ausschließlichen Endlichkeit: der titanische Finitismus. Im Maße dieser Schritt vollzogen wird, wird die Endlichkeit selbst `göttlich´; genauer `profan-heilig´. Das Gemeinte steht `jenseits´ dessen, was die neuzeitliche Gegenüberstellung `Welt und Gott´ besagte. Hier ist die Schwelle der kommenden Zeit. Dass dieser Vorgang offenbar wird, macht das Beunruhigende im Werke jener drei Männer aus. Dem `absoluten Paradox´ Kierkegaards liegt die nämliche Existentialerfahrung zugrunde, wie der Menschen- und Daseinslehre Nietzsches. Kierkegaard überwindet sie christlich - freilich ist´s zuweilen, als treibe er Satan mit Beelzebub aus. Denn wodurch unterscheidet sich, wenn wir die christliche Gewilltheit wegnehmen, sein Begriff des `ganz verschiedenen Gottes´ inhaltlich noch von Nietzsches und Kirilloffs `Nichts´? ... Die nämliche Grundsituation kehrt bei Nietzsche wieder, nur dass dieser Ja sagt, wo Kierkegaard Nein, und verneint, wo jener bejaht. Diese Ambivalenz offenbart die dialektische Einheit der Position" [ebd., S. 193 f.]. Geradezu als Erben Nietzsches, die sich nicht mehr von Gott, sondern vom “nichtenden” Nichts umfasst wissen, erscheinen nun aber bei Guardini “die ärztlich-pädagogische Theorie und Praxis der Freudschen Psychoanalyse, und vor allem, bereits zu einer geschichtlich-politischen Macht geworden, der Bolschewismus" [ebd., S. 194 f.].

In einer Studie aus dem Jahr 1933/1934 fügt er für die „Extremisten der gegenwärtigen Bewegung“, also die Nationalsozialisten hinzu: “Das Endliche bedarf des Absoluten nicht mehr, um sich als autonom zu begründen. Als Endliches ist es autonom, und als solches autark. Das bedeutet aber zugleich, dass die ganze Endlichkeit sich als einziges und eines zusammenschließt: alle Kräfte in ein Dasein und Werk.” Damit richte sich die “religiöse Potenz” nun endgültig nicht mehr auf das Absolute, sondern auf das Endliche, mitunter sogar allein auf den Staat. Angesichts dieser Entwicklungen könnten: “der homo religiosus wie der politicus ... nur - um der Religion wie um des Staates willen - große Sorgen haben. Sie braucht noch gar nicht von der christlichen Kritik an der Welt ausgehen; es genügt das klare Bewusstsein, was für eine gewaltige und gefährliche Energie die religiöse ist, und wie problematisch, wie wahrhaft beunruhigend die Spannungen werden müssen, wenn sie in solche Einheit mit der realistischsten aller Aufgaben, der politischen gebracht wird. Nitroglyzerin ist gut, aber man kann damit keinen Mörtel anrühren um ein Haus zu bauen" [Guardini, Religiöse Offenheit der Gegenwart, S. 57; zitiert nach Alfons Knoll: Glaube und Kultur bei Romano Guardini. Paderborn/München/Wien/Zürich 1994, S. 380].

Angesichts dieser Diagnose schreibt er in seiner Schrift „Das Ende der Neuzeit“ ganz bewusst über die „Zukunftskraft der demokratischen Werte“. Die Entscheidung über diese Zukunftskraft liege nämlich darin, “ob sie in die Kargheit und Existenzstrenge der Person umgedacht und umgelebt werden - jener Person, die in der Masse steht" [Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1950, S. 73].

Guardini zeigt die Dramatik dieser bevorstehenden Entscheidung deutlich auf: “Gelingt das nicht, dann tritt die zweite furchtbare Möglichkeit ein: dass der Mensch den Es-Mächten verfällt" [ebd., S. 73 f.]. Die unausweichliche Folge davon sei aber, dass sich das Dasein desorganisiere. Und dann trete „jener Kurzschluss ein, der sich seit dreißig Jahren in immer steigendem Maße vollzieht: es wird Gewalt geübt. Durch sie sucht sich die Ratlosigkeit einen Ausweg. Wenn die Menschen sich nicht mehr vom Innern her gebunden fühlen, werden sie äußerlich organisiert; und damit die Organisation arbeitet, setzt der Staat seinen Zwang dahinter. Kann aber auf die Dauer aus Zwang existiert werden?" [ebd., S. 104, Anmerkung]. Und erneut wird Guardini zum Propheten für die Nach-Neuzeit: Nur die “Beziehung von Absolutheit und Personalität, von Unbedingtheit und Freiheit wird den Glaubenden fähig machen, im Ortlosen und Ungeschützten zu stehen und Richtung zu wissen. Sie wird ihn fähig machen, in ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zu treten, quer durch alle Situationen des Zwanges und der Gefahr hindurch; und in der wachsenden Einsamkeit der kommenden Welt - einer Einsamkeit gerade unter den Massen und in den Organisationen - lebendige Person zu bleiben.” Die Signatur des beginnenden Weltzeitalters ist für Guardini die furchtbare “Einsamkeit im Glauben”, die nur von Menschen ertragen werden kann, die gelernt haben, sich die nötige Stille und die Gelassenheit des Hörens zu bewahren [ebd., S. 115].

Diese Einsichten vertieft Guardini im Jahr darauf in seinem „Versuch zur Wegweisung“ in der Macht-Frage [Guardini, Die Macht, Würzburg 1951]. Am Ende seiner Analysen zeichnet er jenen „neuen Menschentyp“, der allein fähig wäre, die Anforderungen der Nach-Neuzeit zu bestehen: “Dieser Mensch muss wissen und bejahen, dass der Sinn der kommenden Kultur nicht Wohlfahrt, sondern Herrschaft ist.” Er wird kein liberaler Bürger mehr sein, der nach einer Universalversicherung strebt, daher Sicherheit, Nutzen und Wohlfahrt an die Stelle von Herrschaftssinn setzt und deshalb “weder ein echtes Herrschaftsethos, noch einen echten Herrschaftsstil ausgebildet” hat [ebd., S. 98]. Er muss im Gefühl mit der Technik eins sein. “Von Hiroshima ab wissen wir, dass wir am Rande des Untergangs leben und weiterhin leben werden, solange die Geschichte währt. Der Mensch des neuen Typus fühlt diese Gefahr. Er fürchtet sie natürlich auch, erliegt der Furcht aber nicht, denn er ist mit ihrer Atmosphäre vertraut" [ebd., S. 99]. Er hat das Bewusstsein der Verantwortung für die Welt. “Er hat das neuzeitliche Dogma, alle Dinge führten von selbst zum Besten, überwunden. Für ihn gibt es den Optimismus der Fortschrittsgläubigkeit nicht mehr.” Er hat das Gefühl für absolute Forderungen. “Der kommende Mensch ist entschieden unliberal - was nicht meint, er habe keinen Sinn für Freiheit. `Liberale´ Haltung besagt, man dürfe keine absoluten Elemente im Leben einführen, weil sie sofort das Entweder-Oder und damit den Kampf erzeugen" [ebd., S. 100]. Weiter versteht es dieser Mensch „zu befehlen, wie zu gehorchen. Er weiß, was Disziplin heißt. Nicht als passives Eingefügtsein, sondern aus der Verantwortung des Gewissens und in der Ehre der Person. Hier liegt die Voraussetzung für das Größte, das er zu leisten hat: Autorität aufzurichten, welche die menschliche Würde achtet; Ordnungen zu schaffen, in denen die Person existieren kann" [ebd., S. 100 f.]. Der kommende Mensch werde wieder einen Sinn für Askese haben als “Kampf gegen den Verräter des Menschen in ihm selbst” [ebd., S. 118, FN]. Das letzte Element dieses neuen Menschenbildes sei schließlich seine religiöse Haltung. “Aus solcher Klarheit heraus wäre dieser Mensch auch fähig, das Scheinwesen zu durchschauen, das mitten in aller wissenschaftlichen und technischen Entwicklung herrscht: den Trug der liberalen Kulturvergötzung, der totalitären Weltvervollkommnung, des tragizistischen Pessimismus, der neuen Mythik, der psychoanalytischen Zwitterwelt”. Verbunden mit dem christlichen Kerngeheimnis der Demut könnte aus alledem “so etwas wie die Fähigkeit zum `Regieren´ hervorgehen" [ebd., S. 104].

Vor 45 Jahren: Zum Verhältnis von Freiheit und Demokratie

Am Vorabend des 20. Juli 1960 – also vor 45 Jahren – hat Guardini die Gedenkrede auf der gemeinsamen Feier der Stadt München und der Akademie für politische Bildung in Tutzing zum 20. Juli 1944 gehalten. Unter dem schlichten Titel „Freiheit“ spricht er über das Verhältnis von Freiheit und Demokratie. Im Abschnitt “demokratische Freiheit” geht es Guardini nicht um einzelne Betätigungsformen in dieser “anspruchsvollsten und eben damit gefährdetsten aller politischen Ordnungsformen”, sondern um deren Grundlagen. Wenn Demokratie – so Guardini - daraus lebe, dass der Einzelne sich für das Schicksal des Staates verantwortlich wisse, die Einzelnen jedoch “zueinander im Verhältnis wechselseitiger Achtung” und alle zusammen im “gleichen Grundanliegen: der Ehre und dem Wohl des Ganzen” stünden, dann könne sie letztlich nur gelingen, wenn möglichst viele in dem Bewusstsein dieser Verantwortung lebten; und zwar nicht etwa nur bei einer Abstimmung oder einer Wahl, sondern täglich in allem relevanten Verhalten. “Freiheit” ist in diesem Zusammenhang dann weniger Unabhängigkeit vom Staat als vielmehr Verpflichtung, am Ganzen positiv mitzuwirken. “Die eigentliche Freiheitshaltung ruht auf etwas Unbedingtem und ist ebensoviel Pflicht wie Recht.“ So sei auch die Gesinnung der Widerstandskämpfer vom 20. Juli „nicht die von Revolutionsmachern und Verfassungsstürzern“ gewesen, „sondern der Ernst von Menschen, die in schweren Stunden Fühlung mit den Wurzeln des Daseins gewonnen hatten.” Und deshalb sei auch weiterhin „Vorsicht geboten, wenn man von der Freiheit sprechen will. Es gibt eine Weise, das zu tun, die sie geradezu zerstört, indem sie ihren Sinn verfälscht; so zum Beispiel, wenn der totalistische Machtwille sie in ihr Gegenteil umlügt. Dabei wollen wir nicht vergessen, dass der Mensch für diese Lüge anfällig wird, sobald er den Ernst des Freiheitswillens verkommen lässt. Dann wirft er sich der Diktatur in die Arme, die ihm die Verantwortung abnimmt. Es gibt aber auch eine andere Weise, falsch von der Freiheit zu reden, nämlich jene, die es mit idealistischen Phrasen tut, zu dekorativen Zwecken, oder politischer Propaganda. Auch sie zerstört, weil nichts mehr hinter ihr steht. Die Worte haben Sinn und Ernst verloren und können dann in jede Trugform umgefälscht werden. Wer die Freiheit nicht mit Ernst will, soll von ihr schweigen. Es ist der letzte Dienst, den man ihr tun kann" [Guardini, Freiheit/Eine Gedenkrede, in: Sorge um den Menschen, Mainz 1962, Band 1, S. 131]. In einer zusammenfassenden Definition schreibt Guardini schließlich: “Demokratie ist Gleichgewicht, aber immerfort werdendes; so verlangt sie Wachsamkeit, Selbstlosigkeit und Zucht. Aus alledem erwächst die Freiheit. Ohne das ist sie Unordnung, die nur durch Taktik und Polizei gehindert wird, als Chaos durchzubrechen oder in Diktatur umzuschlagen" [ebd., S. 135].

Vor 40 Jahren: Die Kirche des Herrn als Erzieherin zur christlichen Freiheit

1965 schließt sich der Kreis der Jubiläen. Vor 40 Jahren und ungefähr 45 Jahre nach der ersten hat Guardini nämlich seine zweite größere Schrift über die Kirche veröffentlicht. Bei diesen „Meditationen“ über „die Kirche des Herrn“ handelt es sich keineswegs nur um ein rein spirituelles Testament handelt. Denn die Kirche erscheint darin nämlich nicht zuletzt als die “Erzieherin zur christlichen Freiheit. Welche Freiheit natürlich etwas anderes meint als die psychologische Möglichkeit, zu wählen, was sympathisch ist, oder die philosophische Autonomie, zu urteilen, was nach eigenen Maßstäben richtig erscheint. Sie meint, dass der Glaubensbereite von der Bindung durch psychologische, soziologische, historische und welche Voraussetzungen immer zur vollen Wirklichkeit des sich selbst in Christus offenbarenden Gottes befreit wird" [Guardini, Die Kirche des Herrn. Meditationen über Wesen und Auftrag der Kirche. Dem Andenken Seiner Heiligkeit, des Papstes Johannes XXIII. in Ehrfurcht, Würzburg 1965, S. 75].

Nach Guardinis fester Überzeugung habe “keine antike Humanität, kein östlicher Tiefsinn, kein neuzeitliches Übermenschentum ... je die Welt und den Menschen so ernst genommen wie der christliche Glaube" [ebd., S. 135]. Und so wird dieser christliche Glaube geradezu zur Voraussetzung für das Gelingen jeglicher Gemeinschaft, auch der politischen Gemeinschaft des Staates, insbesondere wenn sich dieser die besonders anspruchsvolle Form der Demokratie gegeben hat.

Vor 35 Jahren: Posthumes Bekenntnisses zur „katholische Demokratie“

Bereits 1946 hatte Guardini an seine Freunde einen leider erst 1970 und somit vor 35 Jahren veröffentlichten Brief “Zum Problem der Demokratie” [Guardini, Zum Problem der Demokratie. Der Versuch einer Klärung, Staatsbibliothek München 1946, jetzt in: Geschichte und Wissenschaft, 21. Jg., 1970, S. 711-716] geschrieben, der nunmehr gleichzeitig als posthumes politisch-theologisches Vermächtnis Guardinis gelten kann: „Ich persönlich glaube wirklich, ein Demokrat zu sein - ich füge sofort hinzu, ein katholischer Demokrat, der absolute Werte und objektive Autoritäten als gegeben anerkennt.“ Er verstehe unter Demokratie „einen Zustand des Lebens, in welchem die primäre Initiative des sowohl persönlichen wie öffentlichen Tuns im einzelnen liegt. Dieser Initiative steht gegenüber: ein wachsendes Bewusstsein vom Recht des anderen und vom Recht der Ganzheiten der res publica. Sobald Letztere in legitimer Form eine Sache definiert hat (Verfassung, Gesetz, Urteilsspruch usw.), bindet sie mich, auch wenn ich anderer Meinung bin. So bleibt mir denn nur der vom Gesetz vorgesehene Weg, dagegen anzugehen. Zum demokratischen Grundgefühl gehört weiter die unwillkürliche Geneigtheit, mehr als das: die Selbstverständlichkeit, dass alle Fragen, die in den Lebensbereich des anderen oder in den der Gemeinschaft greifen, in ebenbürtiger Verhandlung, in einem vernünftigen und von Achtung getragenen Ausgleich gelöst werden" [ebd., S. 712]. Das Gelingen dieser Demokratie hänge von drei Voraussetzungen ab: Erstens müsse der einzelne "das Gefühl eines persönlichen, geformten Daseins haben; das, was die Vergangenheit mit dem Begriff nicht der Person, sondern der Persönlichkeit gemeint hat. Er empfindet die Einzigartigkeit jeder Persönlichkeit.“ Die zweite Voraussetzung ergebe „sich ohne weiteres hieraus: Der demokratisch gesinnte Mensch ist fähig, auf sich selber zu stehen, seinen Weg zu gehen, sein eigenes Leben zu gestalten. Wohl verlangt er nach Gemeinschaft, aber als von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, mit all den Spannungen, die aus der Einmaligkeit beider entspringen. Und er verlangt die Möglichkeit, immer wieder in den eigenen Bereich zurückzukehren, auch auf die Gefahr hin, darin nicht nur mit sich allein, sondern in sich einsam zu sein.“ Und drittens gelte: „Der demokratisch gesinnte Mensch empfindet ganz primär den Wert der Freiheit, und zwar der persönlichen sowohl wie der des Gesamtwesens, in welchem er steht. Letztere Freiheit wird nicht nur durch äußere Unterdrückung seitens fremder Mächte, sondern sogar viel mehr noch von innen her zerstört, sobald die Persönlichkeit nicht die Stellung hat, die ihr gebührt.“ In für die damalige Zeit überraschend klaren Schlussfolgerungen verfolgt Guardini diese drei Voraussetzungen bis zu ihrem Ursprung zurück: „Bisherige Demokratie setzt also ein Gleichgewichtsverhältnis zwischen individueller Selbständigkeit und objektiver Ordnung voraus. Das wiederum setzt voraus, dass die Anzahl der in Betracht kommenden Menschen nicht so groß ist, dass daraus die Masse wird, sondern dass die Persönlichkeit immer noch ein - wenn auch noch so wenig erreichtes - Normbild darstellt. Setzt ferner voraus, dass die wirkenden ökonomischen, geistigen, sozialen Energien von Persönlichkeiten empfunden, getragen und vertreten sind, so dass sie nicht den anonymen Charakter durchgehender Gewalten annehmen.“ Allein an dieser Stelle kommt der Skeptiker in Guardini zum Vorschein. Er glaubte nicht, dass die Menschen – trotz der vorausgegangenen totalitaristischen Erfahrungen – allen diesen Voraussetzungen schon entsprechen [ebd., S. 713]. Vielmehr konstatiert Guardini „im Durchschnitt der Menschen, besonders der jüngeren, folgendes: Sie empfinden die Persönlichkeit nicht mehr als unbedingten Wert. Sie verlangen nicht danach, sie selbst zu sein, sondern sind unwillkürlich bereit, in einem Ganzen aufzugehen. Die Ganzheit steht mit einer solchen Wucht im Bewusstsein, dass nicht einmal das Gefühl durchdringt, `Glied´ zu sein, was immer etwas Organisches bedeutet und eine Spannung des Einzelnen zum Ganzen voraussetzt, sondern Ziffer in einer Vielzahl, Element in einem Eigentlich-Seienden. Selten treffe ich auf das für die Demokratie elementare Verlangen nach Freiheit. Man will gar nicht frei sein, sondern man verlangt den Befehl und legt das Ethos in dessen saubere und sachliche Durchführung. ..." [ebd., S. 714]. Und doch gibt Guardini die Hoffnung nicht auf: „So wird es darauf ankommen, ob man sich darauf stützt, dass die geschichtlichen Umbrüche ja niemals mit einem Ruck vor sich gehen, sondern Stränge des Früheren noch lange über die Zeit hinaus laufen, in der der Mittelpunkt, der Schwerpunkt des Geschehens schon längst anderswohin gerückt war, und ob man sich so etwas sucht, worin das Frühere `noch´ besteht - oder ob man sich berufen fühlt, in das Neue einzutreten und dort mitzuwirken, um den Ertrag des Früheren hinüberzuretten, bzw. ob man nach der Weise sucht, wie das Menschlich-Unerlässliche im Neuen zur Geltung kommt" [ebd. S. 716].

Zwar fühlte sich Guardini vielleicht nicht dazu berufen, in das Neue einzutreten, doch mit seiner Gegensatzphilosophie und den auf ihrer Grundlage gewonnenen Einsichten hat er doch klare Maßstäbe für eine Politische Theologie des „Menschlich-Unerlässlichen im Neuen“ gesetzt und zwar im Blick auf ein christliches und demokratisches Europa. Das immer noch weit verbreitete Vorurteil, er sei ein unpolitischer Antiliberaler gewesen - so noch der Politologe Alexander Schwan in seiner Rezension von Ludwig Watzals Buch „Das Politische bei Romano Guardini“ (Percha-Kempfenhausen 1987) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung [Die Rezension titelte „Kein liberaler Demokrat. Über Romano Guardinis Begriff des Politischen“] - der mit der Demokratie nicht viel habe anfangen können84, ist damit widerlegt. Im Gegenteil: Seine Kritik an der Entchristlichung Europas und seine Vision einer „katholischen Demokratie“ erweisen sich als äußerst aktuell. Für den überzeugten Christen gilt es vielleicht mehr denn je, für die Freiheit des Geistes und die Ehre des Menschen zu kämpfen.