Romano Guardini und die Familie Kuhn

Aus Romano-Guardini-Handbuch
Die Familie Kuhn und Romano Guardini
Von Helmut Zenz - Valentine Rothe gewidmet zum Dank für zahlreiche Hinweise

Familienhintergrund der Kuhns

Ein Großteil der biographischen Informationen zu Familie und Herkunft stammen aus den Erinnerungen von Heinrich Gerhard Kuhn und sind im Internet unter http://www.lueben-damals.de/erinnerungen/kuhn.html veröffentlicht.

Helmut Kuhn

Die Genealogie

  • Görlitzer Anwaltsfamilie
    • Max Kuhn, Kaufmann in Waldenburg (heute: Wałbrzych), verheiratet mit Charlotte Kuhn geb. Henschel, Halbschwester des Musikers Isidor George Henschel; nachgewiesen ab 1866; 1883 handelte er z.B. mit Weißwaaren und Band; 1883 Mitbegründer der Waldenburger Synagoge
      • Wilhelm Felix Kuhn (1868-1927), Rechtsanwalt, 1898 konvertiert und verheiratet mit Martha Hoppe (1868-1946 in Göttingen), evangelisch-lutherische Bauerstochter und Diakonisse
        • Helmut Kuhn (1899-1991), 1925 verheiratet mit Käthe Levy (1896-1971), zuletzt Deutschland
          • Reinhard Kuhn (1930-1980), verheiratet mit Elisabeth von Rittberg sowie Ira Ameriks; wohnhaft in den Vereinigten Staaten; zwei Kinder
          • Annette Kuhn (1934-2019), zuletzt Deutschland
        • Heinrich Gerhard Kuhn (1904-1994), Chemiker, 1931 verheiratet mit Marie Bertha, genannt „Mariele“ Nohl (1909-2008), Tochter von Herman Nohl, lutherisch, von Beruf Erzieherin; Großbritannien
          • Anselm Thomas Kuhn (* 1936), Großbritannien; ein Kind
          • Nicholas John Kuhn (* 1938), Großbritannien
      • Georg Albert Kuhn (1869-1942), Justizrat in Görlitz, Moltkestraße 53, verheiratet mit der Sängerin Johanna van Linden van den Heuvell (1872-1939), Künstlername „Tilia Hill“. Georg Kuhn beging zusammen mit seiner Schwägerin Trui van Linden van den Heuvell angesichts der drohenden Deportation in Amsterdam Selbstmord.
      • Thekla [oder Hedwig (Hedi)???] Kuhn, Sprachlehrerin, unverheiratet, Görlitz, starb an Krebs [irrtümlicher Namenswechsel innerhalb der Erinnerung von Heinrich Kuhn, vermutlich eher Thekla als Hedwig, da eine Hedwig (Hedi) auch als Schwester von Charlotte Henschel genannt]
      • Dr. med. Fritz Kuhn, praktizierenden Arzt, später (1920) Spezialarzt für Harn- und Hauterkrankungen sowie (1930) für Hypnose, seelische Leiden und Organstörungen in Berlin (Landsbergerstraße 45 bzw. später 66/67), nicht verheiratet [Erinnerung von Heinrich Kuhn, nicht näher ermittelt]
    • Dr. med. (David?) Kuhn, Breslau („anderer Zweig der Familie Kuhn“) =??? Dr. Kuhn, Onkel von Wilhelm Kuhn [ein David Kuhn praktizierte um die Jahrhundertwende den Sommer über in Kudowa, im Winter in Breslau]
      • ??? Grete Kuhn, Tochter von Dr. Kuhn, Schwester von Georg???
      • ??? Georg Kuhn, später Direktor des Schlesischen Bankvereins und Direktor der Breslauer Filiale der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft, verheiratet mit Marta, nach 1945 Flucht aus Schlesien nach Murnau/Bayern. Ist wohl „Vetter Georg“

Herkunft

Helmut Kuhn wurde am 22. März 1899 als Sohn des Lübener Rechtsanwalts und Stadtverordneten Wilhelm Kuhn (1868-1927) und dessen Frau Martha, einer evangelischen Diakonisse, geboren. Sein Vater hatte vor der Ehe den Glauben seiner Frau angenommen und der im Jahr nach der Heirat geborene Helmut Kuhn wurde evangelisch getauft. Sein Vater, der aus einer alteingesessenen, angesehenen jüdischen Görlitzer Anwaltsfamilie abstammte, war seit 1897 in Lüben tätig, wohnte in der Faulhaberstr. 4 im sogenannten „Bürgermeisterhaus“, einem ansehnlichen villenartigen Anwesen, in dem sich seine Kanzlei befand. Die Familie Kuhn war mit den Familien des Lübener Bürgermeisters Hugo Feige und des Arztes Dr. Paul Hübner sowie dem Ehepaar des Direktors des Gymnasiums Erich Tscharntke befreundet.

Kindheit und Schulzeit

Auch von der gemeinsamen Kindheit und Schulzeit berichtet sein jüngerer Bruder Heinrich Gerhard Kuhn (1904-1994). Dieser war in seiner Jugendzeit Mitglied der Lübener Wandervögel unter Leitung des Lehrers Dr. Martin Treblin, zusammen mit Günther Kienast, Walter Lange, Dr. Martin Treblin, Wende und Herbert Baumgärtner. Außerdem gibt es Erinnerungen von Ingeburg Feige, die Tochter des ehemaligen Lübener Bürgermeisters Hugo Feige, an Helmut und Heinrich Kuhn, an die Zeit, da die Familien Kuhn und Feige miteinander benachbart und befreundet waren. Zum Beispiel kann sich Frau Dr. Feige noch gut an eine gemeinsame Silvesterfeier im Bürgermeisterhaus erinnern, auf der es unter der ebenfalls anwesenden Jugend recht turbulent zuging und die auch fotografisch dokumentiert ist. Auch ihr Bruder Konrad Feige erwähnte in seinen Erinnerungen mehrfach die Familie Kuhn [Vgl. dazu: Hans Werner Jänsch: Helmut Kuhn (1899-1991) - Ein großer Sohn unserer Stadt, in Lübener Heimatblatt 6/1991 und 3/1992; auch abgedruckt in: http://www.lueben-damals.de/erinnerungen/kuhn.html]

Helmut Kuhn besuchte in Lüben das Realgymnasium. In den Jahresberichten der Schule von 1911 bis 1914 wird er jedes Jahr mehrfach erwähnt, weil er bei vielen Schulfeiern Gedichte rezitierte und für verschiedene Leistungen ausgezeichnet wurde, u.a. erhielt er 1912 zu Kaisers Geburtstag als „Kaiserprämie“ das Buch „Aus dem Leben Friedrichs des Großen“ überreicht. Seine geistigen Anlagen und sein rhetorisches Talent kündigten sich also bereits in früher Jugend an.

Zuletzt wird er in den Jahresberichten 1914 als mit 15 Jahren jüngster Kriegsfreiwilliger des Lübener Gymnasiums erwähnt. Zum Leidwesen seiner Eltern legte Helmut Kuhn sein Abitur nach den damals geltenden kriegsbedingten Sonderbestimmungen vorzeitig ab („Notabitur“), um sich anschließend sofort freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Die mitunter zu findende Aussage, er habe im September 1914 das Realgymnasium ohne Abschluss verlassen, ist so also nicht korrekt.

Nach vier Jahren Kriegsdienst hatte sich Helmut Kuhn schließlich noch „an der ergebnislosen Operation einer Freiwilligen Brigade an der Ostgrenze Schlesiens“ beteiligt.

Studium und Promotion

Kuhn hatte ab 1919 an der Universität in Breslau Philosophie studiert. Ein Semester hat er von seiner Studienzeit in Innsbruck verbracht. Im Dezember 1923 schloss er seine Studien mit der 1924 erschienen Dissertation „Der Begriff des Symbolischen in der deutschen Ästhetik bis Schiller“ bei Eugen Kühnemann an der Universität Breslau mit dem Doktortitel („magna cum laude“) ab. Die Arbeit wurde noch 1924 in den Schlesischen Jahrbüchern für Natur- und Geisteswissenschaften veröffentlicht (Schlesische Jahrbücher für Natur- und Geisteswissenschaften, II, 1924, 3, S. 168-178). Es folgte im Mai 1924 noch das Staatsexamen.

Auch Hans-Georg Gadamer (1900-2002) hatte in Breslau nach dem Ersten Weltkrieg bei Kühnemann zu studieren begonnen, der zudem ein Hausfreund seines Vaters war. Gadamer ging dann aber bald nach Marburg und München, wurde 1922 bei Natorp und Hartmann in Marburg promoviert, studierte dann in Freiburg und ging dann mit Heidegger zur Habilitation (1929) nach Marburg zurück. Dies erklärt, dass Gadamer und Kuhn sich erst 1930 persönlich begegnet sind (vgl. Roswith Grassl. Breslauer Studienjahre. Hans-Georg Gadamer im Gespräch, Mannheim 1996).

Kuhns Kriegs- und Nachkriegserfahrungen hatten nach eigener rückwirkender Einschätzung zu seiner Haltung in der Weimarer Republik geführt: „So war ich für die intellektuellen Straßenschlachten der Weimarer Republik verloren, ohne ein ernsthaftes affirmatives Verhältnis zu ihr zu gewinnen – ein widerspruchvoller und unbefriedigender Zustand, nicht gebessert dadurch, daß er damals von vielen geteilt wurde. Die deutsche Intellektualität, weitgehend von Nietzsche bestimmt, war kein Pfeiler der aus der Niederlage hervorgegangenen Demokratie. Nietzsche selbst wurde weniger gelesen und erörtert als seine zeitgenössischen Wortführer. Der geist- und kenntnisreiche Nihilismus und die Maskulinität von Oswald Spenglers `Untergang des Abendlandes´ paßten in die düstere Landschaft der Nachkriegsjahre, in einem subtileren Sinn aber auch Thomas Manns `Betrachtungen eines Unpolitischen´ (1918)“ (vgl. Helmut Kuhn, in: Philosophie in Selbstdarstellungen, hrsg. von Ludwig J. Pongratz, Bd. III, Hamburg 1977, S. 239).

Exkurs: Heinrich Gerhard Kuhns „Erinnerungen aus meinem Leben“

Heinrich, der jüngere Bruder von Helmut Kuhn, begleitete seine Mutter nach Göttingen und lernte dort die Tochter des an der Göttinger Universität lehrenden Philosophen und Pädagogen Herman Nohl kennen und heiratete sie 1931. Helmut Kuhn kritisierte später die Reformpädagogik des Vaters seiner Schwägerin als zu „progressiv“.

Heinrich Kuhn hatte zuvor ebenfalls das Lübener Gymnasium besucht. In den Schuljahresberichten von 1914 und 1915 wird erwähnt, dass bei der Feier zum Kaisergeburtstag 1914 "Sextaner Kuhn das Gedicht 'Der Kaiser am Rhein' von Ute Muellenbach deklamierte". Am 27. Januar 1915 - der erste Weltkrieg war im Gange - feierte die Schule des Kaisers Geburtstag durch den Vortrag "guter neuerer Kriegsgedichte". Der Quintaner Heinrich Kuhn und andere deklamierten gemeinsam "Der weiße Goeben" von Ludwig Ganghofer. Heinrich Kuhn ist der Vater von Anselm Kuhn, in dessen Besitz sich die Lebenserinnerungen seines Vaters befinden, aus denen Hans Werner Jänsch auszugsweise die Abschnitte online wiedergeben durfte und die sich vorrangig mit seinem Leben in der Lübener Zeit befassen.

Zu Helmut Kuhn schreibt er explizit:

  • "Mein Bruder Helmut, 5 Jahre älter als ich, stellte ein wichtiges Mitglied unserer Familie dar, ebenso die Pensionsgäste. Im September 1914 trat er als Freiwilliger (im Alter von 15 ½) in das Deutsche Heer ein, und bald danach mussten auch unsere Pensionsgäste uns für den Kriegsdienst verlassen."
  • "So kam es, dass mein Bruder Helmut eines Tages in Uniform erschien, auf dem Foto sieht er aus wie ein Schuljunge in einer schlecht sitzenden Uniform. Es gab natürlich einen verzweifelten Mangel an Offizieren, um sie auf jedwede Verwendung im Krieg vorzubereiten. Einige von ihnen wurden bald an die Ostfront geschickt, und es gab schreckliche Geschichten über viele dieser unausgebildeten Soldaten, die sinnlos starben. Meine Eltern müssen sehr unglücklich und besorgt darüber gewesen sein, und ich möchte über das, was dann passiert ist, sagen, dass es sehr typisch für meine Mutter war."
  • „Der unmittelbarste und wichtigste Einfluss auf das Leben unserer Familie war die Einziehung meines Bruders Helmut, der zunächst in die nahe Garnison zur Ausbildung und nicht lange danach zum Kriegsdienst an die Westfront versetzt wurde, wo er bald Leutnant eines Infanterie-Regiments wurde. Von da an sah ich ihn nur gelegentlich für kurze Zeit. In recht häufigen Briefen an mich, abgesehen von Briefen an die Eltern, versuchte er, mit mir den Kontakt zu halten. In diesen Briefen an mich sagte er natürlich sehr wenig über die Realität des Krieges, aber er hielt den Kontakt."
  • "Bald nach dem Ende des Krieges, kam er zurück nach Lüben, um seine Schullaufbahn zu beenden. Ich glaube allerdings nicht, dass er tatsächlich Kurse in der Schule besuchte, sondern dass er selbst lernte, was er für sein Studium benötigte. Was er vor allem brauchte, waren klassischen Sprachen, insbesondere Griechisch, das die Schule in Lüben nicht lehrte."
  • "Bis zum März 1922, als ich meine Reifeprüfung, das Abitur, ablegte, lebte ich natürlich ganz in Lüben. Während dieser Zeit waren mein Bruder und ich oft zusammen, bevor er sich an der Universität Breslau einschrieb, später während seiner Semesterferien. Obwohl unsere Interessen in verschiedene Richtungen gingen, seine in Richtung Philosophie und alte Sprachen, meine in Richtung Chemie, Physik und Mathematik, wollten wir beide auch unsere Kenntnisse in Englisch und Französisch verbessern. Deshalb erinnere ich mich noch, dass wir einige englische Bücher zusammen lasen, wie Der Pfarrer von Wakefield und Dickens Geschichten, und wir haben auch viele andere Themen diskutiert, wobei ich mehr als mein Bruder davon profitiert haben muss."
  • "Er beendete sein Studium mit dem Doktortitel (magna cum laude) im Dezember 1923 und auch die Staatsexamen mit Auszeichnung im Mai 1924. Diese Prüfung entspricht der Abschlussprüfung an einer britischen Universität. Es ist eine Qualifikation für jede Art von Unterricht auf High School Ebene in Deutschland und bildet dabei eine Art Versicherung für den Eintritt in eine akademische Laufbahn, die zu diesem Zeitpunkt als schlecht bezahlte Position unter dem Status einer vollen Professur angeboten wurde. Mein Bruder ging dann von Breslau an die Universität Berlin, wo er im Februar 1930 Privatdozent in einer unbezahlten Position wurde."

Helmut Kuhns Wechsel nach Berlin

Nach seiner Promotion 1923 wechselte Helmut Kuhn von Breslau nach Berlin, zunächst noch ohne konkretes Ziel, dann aber um dort Klassische Philologie bei Werner Jaeger weiter zu studieren, auf den er durch Julius Stenzel aufmerksam gemacht worden ist [Helmut Kuhn: Curriculum vitae meae, in: Ludwig J. Pongratz (Hrsg.): Philosophie in Selbstdarstellungen, Hamburg 1977, Bd. III, S. 244]. Es existiert im Kuhn-Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek noch eine Teil der Korrespondenz mit Werner Jaeger zwischen 1927 und 1935 (Berlin1 eKU, 2 eBU, 1 BU1927-1935, 1 B o.D.)

Heirat mit Käthe Lanke (Lewy)

Am 1. Oktober 1925 vermählten sich Helmut Kuhn und mit Käthe Lanke (Lewy bzw. Levy).

Der Name „Lanke“

Sie unterschrieb mit Lanke auch auf dem Trauschein, nachdem ihre verwitwete Mutter bereits den Namen Lanke angenommen hatte und als Trauzeugin ebenfalls so unterschrieben hatte. Goldenstedt weist darauf hin, dass laut Emory University Archiv, 17.2.1947, Atlanta, Georgia USA Lanke als Geburtsname ausgewiesen ist.

Der andere Berliner gleichaltrige „Käthe Lewy“

Aufgrund der Verwechslungsgefahr sei auf eine andere „Käthe Lewy“ in Berlin hingewiesen. Sie hatte 1923 die Dissertation „Die Problemwelt in Ludwig Tiecks Novellen aus den Jahren 1820-1830“ im Maschinendruck veröffentlicht Es handelt sich um eine weitere Käthe Lewy (1896, geboren in Frankfurt/Oder-1942), die zufällig im gleichen Jahr geboren wurde wie Käthe Kuhn, aber unverheiratet blieb. Sie war ebenfalls Lehrerin, wohnte in Berlin-Tiergarten, Brückenallee 6, und wurde am 13. Juni 1942 nach Sobibor deportiert. Dort starb sie. Für sie gibt es einen Stolperstein für den „Hanseatenweg 10“ im Hansaviertel. Vgl. dazu auch die Suchanzeige von 2011: „Elli Abrahamsohn und Dr. Käthe Lewy im Hansaviertel in Berlin-Tiergarten. Der Bürgerverein Hansaviertel e.V. plant erneut die Verlegung von Stolpersteinen. Elli Abrahamsohn (*17.06.1879) und Dr. Käthe Lewy (*31.08.1896) wohnten in der Brückenallee 6. Frau Lewy war Lehrerin und arbeitete im Kindertagesheim Marburger Str. 5. „Tatjana Ruge Chiffre 112341“ (https://www.berlin.de/aktuell/ausgaben/2011/dezember/suchanzeigen/“

Genealogische Zusammenhänge

Käthe Lewy, die Frau von Helmut Kuhn wurde am 30.1.1896 geboren und zwar als Tochter von Max („Meier“/“Meir“) Lewy (1860-1903) und Margarete Löwenstädt (1872-1925). Mitunter findet sich auch die Schreibweise "Levy". Sie stammt somit aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aus Breslau. Ihr Bruder Otto (1892-1916) ist im Ersten Weltkrieg in Verdun gefallen. Er hat im Breslauer Friedhof Cosel ein Ehrengrab. Im Internet findet sich die Eheurkunde von Max Lewy und Margarete Löwenstädt (http://gen.scatteredmind.co.uk/images/certs/m/m_6699_6698.png)

Käthe Kuhns Großvater war der Breslauer Kaufmann Jacob Loewy=Lewy (1829-1898) verheiratet mit Jullie=Julie Bielschowsky (1839-1906) Lewy. Sie hatten insgesamt zehn Kinder:

  1. Anna Lewy (1859-1884);
  2. Max Meier Lewy (1860-1903) war der älteste Sohn;
  3. Albert Lewy (Lanke) (* 1861-nach 1935/39, genaues Sterbedatum nicht ermittelt);
  4. Hugo Lewy (1862, + Florenz/in der Toskana, Sterbedatum nicht ermittelt);
  5. Paula Frankfurther (1863-1938), verheiratet mit Oskar Frankfurther;
  6. Fritz Lewy (1868-1933 in Leipzig), verheiratet mit Lina Kuhfuss;
  7. Gertrud Priebatsch (1871, + in Israel, Sterbedatum nicht ermittelt, vermutlich bei ihrem Sohn Hans Priebatsch, der 1934 nach Israel ausgewandert ist), verheiratet mit Felix Priebatsch (1867-1926);
  8. Carl Lewy (* 1872; Sterbedatum nicht ermittelt);
  9. der Sprachwissenschaftler Ernst Lewy (1881-1966 in Dublin, 1925 Professor am Ungarischen Institut in Berlin, dann 1933 Entlassung, 1935 Wiedereinstellung, im selben Jahr Versetzung in den Ruhestand; 1937 Emigration nach Irland auf Vermittlung von Sir Alan Gardiner, ab 1947 irischer Staatsbürger) verheiratet mit Hedwig Ludwig;
  10. Georg Lewy (unbekannte Lebensdaten)

Der zweite „Lanke“ in der Lewy-Familie

Max Lewys Bruder, der Arzt Albert Lewy hatte bereits Anfang des Jahrhunderts in Marokko den Namen Lanke angenommen. Der Grund dafür ist unbekannt. Er war zunächst von 1887 bis 1890 in Venezuela, dann Assistent an einer Klinik in Breslau, im Oktober 1891 ging er nach Mogador. 1895 heiratete er in Berlin Marie Elise Anna Landsberg (* 1869). Ihr Verbleib ist unklar. Bei seiner zweiten Heirat 1901 in Marokko mit der Schweizerin Jeanne Challandes (1874-1953) hieß er noch Lewy, hat dann aber in Marokko den Namen in Lanke gewechselt. 1905 findet er sich als „Albert Lanke“ im „Renseignements coloniaux et documents. Bulletin des Comité de l´ Afrique française“ (Bd. 15, 1905, S. 263). Ab April 1906 ist er als Arzt und Apotheker in Mogador mit diesem Namen geführt. Bislang war nicht klar, wann und wo die Namensänderung erfolgt. Aufgrund einer aufgetauchten Berliner Liste kann dies aber bestimmt werden. Offiziell wurde der Name mit Erlaß vom 18. August 1902 in Berlin geändert, denn Albert Lewy, neuer Name: Lanke steht als Nr. 17 auf der „Liste der Berliner Juden, denen vom 18. Mai 1913[irrtümlich: muss heißen 26. August 1900] bis zum 20. Oktober 1913 [irrtümlich, da letzte Erlasse am 21. Oktober 1913] der Name geändert worden ist“. (Vgl. Bering, Dietz: Die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches. Namensänderungen Berliner Juden, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, 1990, S. 178)

Von 1911 bis 1925 arbeitete er in einer eigenen Praxis in Wermsdorf bei Oschatz/Sachsen. 1925 ging er in Leibrente, wohnte ab 1933 aber in Leipzig als Privatmann, wohl in der Wohnung seines 1933 verstorbenen Bruders Fritz Lewy. Er ist dort über medizinische Fachzeitschriften von 1933 bis 1935 nachweisbar, danach verlieren sich die Spuren. Laut myheritage lebte er noch 1939 (Quelle nicht ersichtlich). (Zur Biographie siehe: Mai, Gunther: Die Marokko-Deutschen 1873-1918, 2014, Kurzbiographien S. 61 - https://www.db-thueringen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbt_derivate_00030520/Mai_Die_Marokko-Deutschen_Kurzbiographien.pdf)

Sollte Käthe Kuhn, wie anzunehmen, keine „geborene“ Lanke sein, ist daher nur eine “Anleihe“ beim Bruder ihrer Mutter denkbar, wenn auch Motiv und Ursache unklar bleiben. In keinem Fall ist „Lanke“ aber ein von Käthe Kuhn frei erfundener Tarnname, den Käthe Kuhn nachträglich 1933 bzw. 1925 angenommen hätte, wie die Tochter Annette Kuhn noch 2003 annahm (vgl. Annette Kuhn: Heimat – the treasured word, in: Franz-Josef Jelich/Stefan Goch (Hrsg.): Geschichte als Last und Chance: Festschrift für Bernd Faulenbach, 2003, S. 177 ff., hier S. 187). Leider standen Annette Kuhn damals noch nicht die heutigen Möglichkeiten der genealogischen Forschung via Internet zur Verfügung, sonst hätte sie schon damals die Hintergründe verdachtsfreier kennenlernen können. Die Frage, ob ihre Mutter selbst wusste, „dass ihre Großmutter 1943 in Lodz, zwei ihrer Tanten in Theresienstadt ums Leben kamen. … Wo lagen die Gräber der Toten der Familie Lewy und der Familie Löwenstedt, der Mutter und der Großmutter meiner Mutter?“

Die Urgroßmutter Fanny Löwenstädt und die Opfer des Nationalsozialismus

Annette Kuhn berichtet in diesem Aufsatz auch irrtümlich von ihrer Urgroßmutter Fanny Löwenstädt, die fünf Schwestern gehabt habe, allesamt Tanten ihrer Großmutter Margarete. Sie führt dann aber die Schwestern ihrer Großmutter Margarete auf. Diese war aber eine Tochter von Paul Löwenstädt (1838-1911) und seiner Frau Jenni geb. Stoller. Diese wiederum hatten neben Margarete (* 1872) noch sieben Töchter:

  1. Agnes (1871-17.10.1942, gestorben im Ghetto Theresienstadt), verheiratete Krebs
  2. Gertrud (1874-20.9.1942 [1943???] in Theresienstadt), verheiratete Tockuss;
  3. Fanny (1875-1942 ermordet im Ghetto von Lodz), verheiratete Mokrauer;
  4. Else Malwine (1876-1931), verheiratete Landsberger;
  5. Magda Margarete (1879-1935), verheiratete Buchholz;
  6. Marie (1883-1944, gestorben im Ghetto Theresienstadt), verheiratete Thilo;
  7. Käthe (1888-1894)

Über die von ihr genannten Schwestern hinaus starb also Käthe im Kindesalter und Else noch vor Beginn des Dritten Reiches. Tatsächlich starben Marie 1944 im Ghetto von Theresienstadt und Fanny 1942 im Ghetto von Lodz. Diese Großtante verwechselte Annette Kuhn wohl mit ihrer Urgroßmutter.

Annette Kuhns Urgroßmutter Fanny Loewenstaedt, geb. Berliner (1811-1875) als Tochter von Ernestine Berliner geb. Horowitz (1788-1843), hatte 1836 den Breslauer Rum-, Sprit- und Likörfabriksbesitzer Jonas Mendel Loewenstaedt (1799-1852) geheiratet. Ihre Tochter Ernestine heiratete Marcus Lichtenstein. Außer Ernestine und Paul Loewenstaedt sind bislang keine weiteren Kinder bekannt. Nach dem Tod ihres Mannes hat Fanny Lowenstadt die Firma auf ihren Sohn Paul Löwenstädt überschrieben. Vgl. zu den genealogischen Angaben https://wc.rootsweb.com/trees/237197/I144236/paul-loewenstaedt/individual

Die zwanziger Jahre des Ehepaars Kuhn

Käthe Lanke, ab 1925 Kuhn, studierte also in Berlin Altphilologie (ab wann genau???). Sie gehörte zur ersten Studentinnengeneration, die ohne eine Sondergenehmigung studieren konnte.

Käthe Lewys Mutter starb noch im Jahr der Hochzeit am 23. November 1925 in Breslau. Ihre Beerdigung ist unter dem ursprünglichen Namen „Margarethe Lewy geb. Lowenstaedt, Höschenplatz 6“, also im Krankenhaus der Landesversicherungsanstalt Schlesien, im „Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt“ (2, 1925, Nr. 12 (15. Dezember 1925 - http://www.bibliotekacyfrowa.pl/Content/55804/PDF/directory.pdf) für den 26. November 1925 für den Friedhof Cosel in Breslau verzeichnet. Dort beerdigt liegt auch ihre am 31. Oktober 1927 Mutter Jenni Loewenstaedt.

Helmut Kuhns Vater starb 1927, worauf seine Mutter ihren Wohnsitz nach Göttingen verlegte. Bei der Auflösung des Lübener Haushalts übernahm die Familie Feige den Kuhn'schen Seiler-Flügel. Der Kontakt zwischen der Mutter von Frau Dr. Feige und Frau Kuhn riss bis zu deren Tod nicht ab. Das Kuhnsche Anwesen erwarb der aus Lüben stammende Fleischermeister Otto Hoffmann.

Als 1930 der Sohn Reinhard zur Welt kam, gab Käthe Kuhn die geplante eigene Dissertation „Kinderspielzeug im alten Rom“ beim berühmten Altphilologen Wilamowitz auf (Ich trage einen goldenen Stern: ein Frauenleben in Deutschland, 2003, S. 13; Goldenstedt, a.a.O., S. 15).

Helmut Kuhn, Romano Guardini und die Berliner Kant-Gesellschaft

Helmut Kuhns Beziehung zu Guardini bis zur Emigration

Hugo Herrera schreibt über Helmut Kuhn: „Er hatte keine Lehrer im eigentlichen Sinn, stand aber Hönigswald, Jaeger und Guardini nahe […]. Bestimmend für Kuhns Denken waren – neben Hönigswald, Jaeger und Guardini – Platon und Husserl. Im Vorwort von Das Sein und das Gute schreibt er: „Nun ist der Gedanke, von dessen Wichtigkeit der Autor gern andere überzeugen möchte und dem er seine eigene Autorenschaft von der ersten bis zur letzten Zeile verdankt, nicht einmal sein eigener. Die Natur dieses Gedankens schließt jeglichen Anspruch auf Originalität, so wie das Wort heute verstanden wird, aus. Es geht einfach um den Begriff der Philosophie, wie ihn Platon zuerst gedacht und in seinem schriftstellerischen Werk zum Ausdruck gebracht hat“(17: SuG, S. 11) Und weiter schreibt Kuhn in diesem Vorwort: „Die Phänomenologie Edmund Husserls half zur Emanzipation von den konstruktiven Denkgewohnheiten der neukantischen Schule und gab Mut und Freiheit zum eigenen Sehen“ (SuG, S. 12). […] Andere Philosophen, die das Denken Kuhns beeinflussten, sind Thomas von Aquin, Aristoteles, Kant und latent-kritisch Martin Heidegger und Carl Schmitt. Kuhn stand – trotz seiner Nähe zur Phänomenologie und zu in Deutschland bekannten Professoren wie R. Guardini, L. Strauss, E. Voegelin und anderen – philosophisch eher isoliert da“ [Hugo Herrera: Sein und Staat. Die ontologische Begründung der politischen Praxis bei Helmut Kuhn, 2005, siehe insbesondere S. 11-13; unter Verweis auf Curriculum, S. 240 ff., 252 f., 279; vgl. H. Kuhn, Romano Guardini – Philosoph der Sorge, St. Ottilien; Romano Guardini, Der Mensch und das Werk, München 1961)].

Trotz mittlerweile vorliegender autobiographischer und biographischer Darstellungen [Christiane Goldenstedt, "Du hast mich heimgesucht bei Nacht." - Die Familie Kuhn im Exil, 2013; Annette Kuhn, Ich trage einen goldenen Stern: ein Frauenleben in Deutschland, 2003, insbesondere Abschnitt zu Romano Guardini S. 100-105] - ist noch nicht endgültig geklärt, wann und wo genau Kuhn und Guardini sich persönlich kennengelernt haben. Er selbst schreibt dazu im Vorwort seiner zweiten Guardini-Studie „Romano Guardini – Philosoph der Sorge“ von 1987, er habe 1925 erstmals eine philosophische Vorlesung Guardinis besucht: „Wir schreiben das Jahr 1925. Guardini, Professor an der Universität Berlin (formaliter Mitglied der Universität Breslau) hält eine philosophische Vorlesung. Unter den Hörern findet sich der Verfasser dieses Buches, der nach geglückter Promotion an der Universität Breslau zu weiteren Studien an die Universität der Hauptstadt gekommen ist. Guardini spricht unbeschadet der Eigentümlichkeit seiner italienischen Herkunft als ein typischer Vertreter der deutschen geistesgeschichtlichen Philosophie. Was ihn aber von seinen deutschen Kollegen unterscheidet, ist das Erfülltsein von einer doppelten Überzeugung. Die Philosophie griechischen Ursprungs und die christliche Botschaft – das sind für ihn das Fundament, auf dem unsere Zivilisation beruht und von dem unsere Zukunft abhängt. Gewiß wurde diese Überzeugung von vielen Vertretern der geisteswissenschaftlichen Philosophen geteilt. Für Guardini aber war sie mehr als ein Glaubensartikel unter anderen. Für den Hörer kam also alles darauf an, von diesem Lichtpunkt ergriffen zu sein. Der Verfasser dieses Buches glaubt, daß auch er getroffen war“ (Helmut Kuhn, Romano Guardini – Philosoph der Sorge, 1987, S. 9).

Dabei grenzte Helmut Kuhn sich von der Jugendbewegung und bestimmten Guardini-Kreisen ab, die sich aus dem Gemeinschaftsbewusstsein mit ihm, zu ihm hingezogen fühlten. Für ihn dagegen war es „der gleiche Drang, der die jungen Männer von einst sich um Sokrates scharen ließ“ (ebd., S. 22).

Helmut Kuhn berichtete im Zusammenhang mit Guardini außerdem über eine Begebenheit aus den Jahren 1932/33, in der Guardini selbst nur eine indirekte Rolle spielt, in der Kuhn aber Guardinis Geschichtsdenken als Antipoden zur Geschichtsphilosophie Stefan George und seine Anhänger nachzeichnet. „Ich erinnere mich eines Vorfalls aus dem Jahre 1932. Ein älterer und berühmter Kollege hatte mich zu sich gebeten, um mich mit L.F. bekannt zu machen, einem jungen Mann, der sich damals als einer der geistigen Führer der Jugendbewegung einen Namen gemacht hatte und der mit dem Kreis um Stefan George in Verbindung stand. Ein am Tag zuvor aus dem Munde von Romano Guardini vernommenes Wort wollte mich nicht loslassen: `Das Wissen um den Sinn unserer Gegenwart ist uns verschlossen. Nur prophetische Einsicht vermag dieses Dunkel zu durchdringen.´ So oder so ähnlich hatte der Ausspruch gelautet, den ich viele Jahrzehnte später von dem gleichen Sprecher noch einmal gehört habe. Seine Wahrheit hatte mir sofort eingeleuchtet, wenn mir auch seine Bedeutungsfülle erst später zum Bewusstsein kommen sollte. L.F., beredt und leuchtend, war der Wortführer bei dem Gespräch zu dritt. Er sprach davon, wie die brüchig gewordene Kruste der bürgerlich-liberalen Gesellschaft, gleichsam unter dem Druck aufwärts drängenden flüssigen Feuers aus der Erdmitte, zu bersten beginnt, wie ein neues Zeitalter ... Es war eine im Nietzsche-Stil poetisierte Wiedergabe der landläufigen Geschichtsphilosophie, die in eine Apotheose der nationalsozialistischen Bewegung auslief. Der Redner gefiel mir ebenso, wie mir die Rede missfiel, und ich dachte an das Wort Guardinis. Wenige Monate danach ereignete sich die „Machtergreifung“, und L.F. war dazu ausersehen, bei einer Veranstaltung im Harnack-Haus das Ereignis zu feiern. Er lobte die Bewegung, tadelte ihren Antisemitismus – und musste noch am nächsten Tage Sicherheit in der Schweiz suchen. Er ging später nach Holland und hat dort in den Kriegsjahren in Zusammenarbeit mit dem holländischen Widerstand sein Leben für die Rettung deutsch-jüdischer Kinder eingesetzt. Es ist mehr Weisheit im Gewissen als in der Geschichtsphilosophie, die in der meist uneingestandenen Nachfolge Hegels die Vorsehung in Wissenschaft verwandeln oder das Schicksal lenken möchte“ (Helmut Kuhn: Das Sein und das Gute, München 1962, Vorwort, Oktober 1961, S. 14).

Die Identität von „L. F.“ konnte bislang noch nicht ausgemacht werden. Auch der Guardini sinngemäß zugeschriebe Aphorismus konnte noch keinem später veröffentlichten Werk zugeordnet werden.

In den dreißiger Jahren hörte Kuhn bei Guardini dann auf jeden Fall noch über Hölderlin (wohl in den Wintern 34/35 und 35/36) und Dostojewski (möglich ab Sommer 1930) [Helmut Kuhn, in: Ludwig J. Pongratz (Hrsg.): Philosophie in Selbstdarstellung, Bd. III, 1977, S. 236-283, hier S. 255]. Zu Hölderlins Verhältnis zur Romantik hatte er sich selbst schon 1926 Gedanken gemacht [Helmut Kuhn: Hölderlin und die Romantik, in: Die Zeitenwende, II, 1926, 10, S. 398-420]. Außerdem erinnert sich Kuhn für die dreißiger Jahre an „abendliche Zirkeln wechselnder Zusammensetzung“, von „Konventikeln der Dissidenten“, bei denen er immer wieder auch Guardini begegnete [Pongratz, a.a.O., S. 265].

Ein Kreis, dem Helmut Kuhn angehörte, könnte zum Beispiel in anderen Kontexten zu Begegnungen mit Guardini geführt haben. Helmut Kuhn war 1937 der erste von vier Emigranten eines Berliner Gesprächskreises, der sich ab Mitte der dreißiger Jahre dort gebildet hatte. Zu ihm gehörten Fritz Kaufmann, Richard Kroner und Kurt Riezler, die alle drei 1938 emigrierten. Kurt Riezler war nach dem Entzug der Lehrbefugnis in Frankfurt am Main 1934 nach Berlin gezogen, Kroner war 1935 zu seiner Schwägerin Cläre Kauffmann nach Berlin gegangen und hatte dort eine Forschungsstelle zugewiesen bekommen, der Freiburger Phänomenologe und Husserl-Schüler Fritz Kaufmann kam von Freiburg aus nach Berlin und lehrte ab 1936 als Gastprofessor an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Fritz Kaufmann lehrte in den USA als Dozent in Chicago und in Buffalo. Kroner war zunächst drei Jahre in Oxford in England tätig und siedelte 1940 in die USA über, wo er am Union Theological Seminary in New York von 1941 bis zu seiner Emeritierung 1952 Religionsphilosophie lehrte. Riezler bekam in den USA zunächst eine Professur an der New School for Social Research in New York City, daneben war er Gastprofessor an der University of Chicago und an der Columbia University. Er kehrte 1954 nach Europa (Rom) zurück, starb aber bereits 1955 bei einem Aufenthalt in München. Inwieweit die Berliner Kontakte auch in den USA weitergepflegt wurde, ist noch nicht erforscht.

Richard Kroner und Kurt Riezler gehörten zusammen mit Romano Guardini und neben Konrat Ziegler, Ernesto Grassi, Richard Müller-Freienfels, Hans Rothfels, Carl Friedrich von Weizsäcker zu den „Katakombenkreisen des Philosophierens“ um den Medizinhistoriker Leibbrand. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch Helmut Kuhn bei dem ein oder anderen Treffen dieses Kreises dabei gewesen sein könnte.

1937 verließ der „Schüler“ Helmut Kuhn - so sah er sich [Helmut Kuhn: Romano Guardini – Philosoph der Sorge, 1987, S. 10] - also bei seiner Flucht und Emigration auch seinen „sokratischen“ Lehrer Guardini, nimmt in die neue Welt aber ein ihm unvergessliches Wort Guardinis mit: „Er sprach von dem „tragischen Finitismus“ Nietzsches, der das Sandkorn der Endlichkeit mit Gewalt habe sprengen wollen, dann von der im Glauben erschauten endlichen Welt, die nicht im Nichts verloren bleibt, sondern die Gott wie einen Ball mit seinen Händen umschließt“ (Helmut Kuhn: Gespräch in Erwartung. Zu Martin Bubers 80. Geburtstag, in: Merkur, 12, 1958, S. 101-124, hier S. 114).

Helmut Kuhns Werk zwischen 1926 und 1936

1926 bis 1932

In Berlin übernahm Helmut Kuhn in der Kant-Gesellschaft - wann genau konnte ich noch nicht klären - die Stelle des wissenschaftlichen Assistenten von Arthur Liebert, dem Geschäftsführer der Kant-Gesellschaft und dem Herausgeber der Kant-Studien zur Seite. Nach dem Tode von Rudolf Eisler 1926 übernahm er die Vollendung und Herausgabe des Kant-Lexikons. In dieser Zeit kam er nicht nur mit Guardini, sondern auch mit Berliner Kreisen in Kontakt, die von Guardini bzw. auch von Martin Heidegger beeinflusst waren (vgl. Henckmann „Erkenntnis und Entscheidung“, Philosophisches Jahrbuch, 75, 2019, S. 430-437 - https://philosophisches-jahrbuch.de/wp-content/uploads/2019/03/PJ75_S430-437_Henckmann_Erkenntnis-und-Entscheidung.pdf).

Außer seiner Hauptarbeit – der redaktionellen Vollendung von Rudolf Eislers „Kant-Lexikon“, die er 1929 abschließen konnte [Helmut Kuhn (Hrsg.): Rudolf Eislers Kant-Lexikon, Berlin 1929; Hildesheim (Neudruck)1961)], stehen vor dem Dritten Reich nur wenige Aufsätze zu Buche, bis zur Habilitation im Grunde nur zwei Aufsätze und einige Rezensionen.

Ein wichtiges Thema ist die Entwicklung einer Weltanschauung unter dem Einfluss Werner Jaegers:

  • 1926 erschien der Aufsatz „Das Altertum und die Moderne Geschichtsphilosophie“ (in: Die Antike, II, 1926, S. 190-204). Dieser enthält bereits, beeinflusst von seinem Lehrer Jaeger, alle bestimmenden weltanschaulichen Elemente seiner Arbeiten bis 1936 (so Tilitzki, S. 322: „Im Zentrum steht das Ethos des humanistischen Menschenbildes mit seiner „rein irdisch gedachten Entfaltung aller menschlichen Werte in der Gemeinschaft“, das den „gebildeten Menschen“ als „letzten Sinn und Maßstab der Kultur“ fordere. Die politische Gemeinschaft kann daher nur Zwischenstation auf dem Weg zur „Kulturgemeinschaft“ sein. Im Widerspruch zum romantischen Volksgeist, zu Ideen, Organismus-Analogien, „naturalistisch-ästhetischen“ Entwürfen der modernen „Kulturbiologie“ und zu „quietistisch-konservativen Wachstumsbegriffen“, macht Kuhn den Bestand einer lebendigen Gemeinschaft allein davon abhängig, daß der einzelne dem Ganzen zustimme“ (Zitate aus S. 200)
  • Sein früher, 1931 in einer Sammlung von Jaeger erschienener Rekurs auf die Antike richtete sich gegen die Berliner Antwort auf das „Historismusproblem“, somit aber auch gegen Werner Jaegers „dritten Humanismus“ selbst und ebenso gegen Spranger. Und das obwohl viele Kuhn mit Jaeger als Vertreter dieses „dritten Humanismus“ sehen.
  • In seiner Rezension zu Karl Jaspers „Die geistige Situation der Zeit“ (Kant-Studien, 1932, S. 279-281) spricht Kuhn in diesem Sinne davon, dass er gerne die bürgerliche, „maßvolle Verbindung von Europäertum und nationaler Gesinnung“ zum politischen Imperativ erheben wollte, wäre da nicht die unaufhaltsame „Mechanisierung der Welt“, die vielleicht noch unnachgiebiger als „Faschismus und Bolschewismus“ die besten Traditionen des deutschen Bürgertums bedrohe und jedes Eintreten für sie sinnlos erscheinen lasse.

In den Kant-Studien von 1934 geht eine weitere Besprechung Kuhns zu Werner Jaegers „Paideia“ . Er begrüßte dabei Jaegers „Paidaia“, distanziert sich aber erneut leicht, weil die „Existenzfrage“ nicht von einem „noch so groß geschauten Griechenbild“ her zu lösen sei (S. 338). Nach eigenem Bekunden Kuhns habe die Berliner Zeit unter dem Einfluss Jaegers eine Akzentverschiebung von der Paideia zur Polis und von der ästhetischen zur politischen Bildung bedeutet, „beseelt vom humanistischen Ethos“, der im wiedererstandenem Idealismus und seiner praktischen Philosophie angesiedelt war. Er war damals freundschaftlich verbunden mit den Jaeger-Schülern Harder, Schadewaldt, Kristeller, Walzer und Solmsen (vgl. Tilitzki, a.a.O., S. 321)

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Literaturgeschichte und Ästhetik:

  • Helmut Kuhns erste Rezension in den Kant-Studien erschien 1927 zu Herbert Cysarz´ „Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft. Kritik und System“ (Kant-Studien, 32, 1927, S. 402-404). Es folgten zahlreiche weitere bis zur Einstellung seiner Tätigkeit für die Kant-Studien 1934/35.
  • Am 15. Juni 1927 bei der 336. Sitzung der Berliner Gesellschaft für deutsche Literatur hält er den Vortrag über „Literaturhistorische Probleme in der gegenwärtigen Ästhetik“.

[Ebenfalls noch zwischen 1927 und 1930 hielt er dort den Vortrag: „Über Ursprung und Bedeutung des Psychologischen in der modernen Literatur“, vgl. Wissenschaft ohne Universität, Forschung ohne Staat. Die Berliner Gesellschaft für deutsche Literatur 1888-1938, S. 211]

  • 1928 veröffentlichte er den Aufsatz „Die ästhetische Autonomie als Problem der Philosophie der Gegenwart“ in der Zeitschrift „Logos“ (in: Logos, XVII, 1928, 3, S. 301-322).

Am 3. Mai 1929 beantragte Helmut Kuhn schließlich die Habilitation, die er am 25. Februar 1930 erfolgreich absolvierte.

  • Seine Habilitationsschrift ist sein zweibändiges Werk „Die Kulturfunktion der Kunst“ Darin verrechnet er Hegel unter den Klassizismus (siehe Hegel-Studien 36, 1996, S. 64). Die Gutachten stammen von Dessoir, sein „Habilitationsvater“, und Spranger sowie von Maier. Die Beurteilungen fielen eher kritisch aus. Maier tadelte die „unbefriedigenden Ergebnisse“ und die einseitig phänomenologische Einstellung, Spranger hielt die Arbeit zwar methodisch ausgezeichnet „durchgeführt“, monierte aber, Kuhn berühre den religiösen Untergrund der Kunst nur flüchtig, weshalb die Untersuchung keine greifbaren Ergebnisse zeitige. Und Dessoir vermisste die „Ursprünglichkeit des Denkens“, die man für eine Lehrkraft für die Geschichte der Ästhetik benötige (Tilitzki, S. 322 unter Berufung auf UA-HUB, Phil. Fak. Nr. 1244, Bl. 168-183; Habil. Kuhn 1929/30; Voten von Dessoir, Spranger, Maier).
  • Im Band I, S. 208 ff. registrierte er als Ästhetiker, daß das „ökonomische Individual-Interesse“ jeden Versuch, ein „umfassendes Ordnungsganzes“ zu bewahren, negiere, daß daher das „Leben“ verarme und der „künstlerische Geist“ erstickt werde, durch das „Übergewicht der ökonomischen Apparate“ die „teilhaften Bestrebungen“ begünstigt würden und damit letztlich Kultur in Zivilisation aufgelöst werde.
  • Trotz der Bedenken ließ man Kuhn zu Colloquium und Probevorlesung („Das Problem des Standpunkts und die geschichtliche Erkenntnis“, publiziert in: Kant-Studien, 35, 1930, S. 496-510) zu.
  • Am 2. Mai 1930 erhält er die Venia legendi. Er wirkte fortan in Berlin als unbezahlter Privatdozent. [Laut seinem Bruder Heinrich wurde er im Februar 1930 „Privatdozent in einer unbezahlten Position“.]
  • Von seiner Korrespondenz mit Eduard Spranger sind im Kuhn-Nachlass der Bayerischen Staatsbibliothek noch einiges vorhanden (2 eKU, 2 eBU, 3 BU 1931-1957)
  • Im Kontext seiner Habilitation steht 1930 wohl auch der Aufsatz „Die Entstehung der deutschen Ästhetik aus dem Geiste des Humanismus“ (in: Die Antike, V, 1930, S. 128-160).
  • Im Oktober 1930 nimmt Kuhn schließlich am „Vierten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Hamburg vom 7. bis 9. Oktober 1930 (vgl. Bericht in: Kant-Studien, 35, 1930, S. 575)

1930: Das persönliche Zusammentreffen mit Hans-Georg Gadamer:

  • In einem bei Jean Grondins Gadamer-Biographie angeführten Brief von Gadamer an Kuhn vom 13. Februar 1960 heißt es über das erste Kennenlernen der beiden Philosophen im Rahmen der Naumburger Pfingsttagung 1930 mit Werner Jaeger (mitunter datiert Gadamer selbst irrtümlich auf 1929 und in der Sekundärliteratur findet sich „Juli 1930“, Pfingstsonntag war aber der 8. Juni 1930): „Als wir uns erstmals in Naumburg 1930 begegneten und ein eingehendes Gespräch über Heidegger hatten, habe ich sogleich – und ich erinnere mich dessen noch sehr genau - eine fast bestürzende Überraschung empfunden, daß die phänomenologische Arbeitsweise (wie wir uns damals noch ganz auffaßten) doch nicht das esoterische Werkstattgeheimnis und Privileg war, als das es im Freiburger Phänomenologenkreis beansprucht wurde.“
  • Gadamer ergänzt am 25. Februar 1962: „Erinnern Sie sich unseres ersten Gesprächs (in Naumburg 1930), als ich Ihrer Darlegung betreffs Sein und Zeit entgegenhielt, die Gegenposition zu Aristoteles sei nicht die `Geschichtlichkeit´, sondern der `Augenblick´ Kierkegaards? Unsere Differenz scheint sich in 30 Jahren nicht wesentlich verwandelt zu haben.“
  • 1934 behandelte Gadamer in einem Rezensionsaufsatz über "Ästhetik" (in: Zeitschrift für deutsche Bildung [Frankfurt/M., M. Diesterweg], 10. Jg. (1934), H. 6, S. 324-328) auch Helmut Kuhns zwei Bände "Die Kulturfunktion der Kunst".

1931: Seine Antrittsrede als Privatdozent hält Helmut Kuhn über „Die Geschichtlichkeit der Kunst“, die er als Zugang zur „Geschichtlichkeit des Daseins“ begreift. (Die Geschichtlichkeit der Kunst, in: Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft, 25, 1931, S. 209-225). Im gleichen Jahr erscheint in der Zeitschrift „Vorstoß“ sein Aufsatz „Lebensbedingungen heutiger Kunst“ (in: Vorstoß, I, 1931, 46, S. 1815-1821). Fortan sollte ihn diese kunstwissenschaftliche Thematik weiter begleiten. In deutscher Sprache erscheinen:

  • Rezension zu Franz Josef Böhms Dissertation „Die Logik der Ästhetik“ (1928 bei Rickert), 1932. Kuhn urteilt, dass diese als Theorie des Atheoretischen mißlungen sei und weder dem Künstler noch dem Liebhaber der Kunst etwas zu sagen habe.
  • Das Problem der Interpretation von Kunstwerken. Bemerkungen zu Fritz Saxls Buch über Mithras, in: Zeitschrift für Ästhetik u.a. K., XXVII, 1933, S. 52-58 (einleitender Bezug zu Aby Warburg)
  • Rezensionen, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bände 29-30, 1935???, Zu: Alfred Baeumler, Ästhetik, S. 76-80; Zu: Ferdinand Lion, Das Geheimnis des Kunstwerks, S. 171-172
  • Kairos und Mnemosyne - Zwei Phasen im Leben eines Kunstwerks, in: Neue Deutsche Hefte, Bertelsmann, 1959, Heft 61
  • Wesen und Wirken des Kunstwerks. München 1960; Mittenwald 1979; 1980; Essenza e vita dell´ opera d´arte, Torino 1970 [Kuhn nimmt auf Guardinis “Über das Wesen des Kunstwerks” keinen Bezug, hat er es nicht gekannt???]
  • Die Festlichkeit des Kunstwerks, in: Hochland, München, 1961, S. 343-348
  • Das ästhetische Urteil im Leben und Nachleben des Kunstwerks, in: L. Pareyson (Hrsg.): Il Giudizio Estetico. Atti del Simposio di Estetica, Venezia 1958, Padova 1961, S. 60-70

Insbesondere zu Hegels Ästhetik hält Kuhn mehrere Vorlesungen und verfasst mehrere Aufsätze:

  • Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik“
  • Hegels Ästhetik als System des Klassizismus, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 40, 1931, S. 90-105

Später auch noch:

  • Der Ursprung der Ideologie aus dem Geist der Philosophie Hegels, in: Hegel-Studien, 6, 1971, S. 189-209
  • Die Gegenwärtigkeit der Kunst nach Hegels Vorlesungen über Ästhetik, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, Bonn 1974. S. 251-269

Henning Ottmann wird später über diese Auseinandersetzung Kuhns mit Hegel schreiben: „Helmut Kuhn legt Hegel im Stile von Litt, Cassirer und Meinecke aus. Er plaziert ihn an den Umschlagspunkt in der Geschichte des Geistes, an dem die "göttliche Vorsehung" sich so in "menschliche Wissenschaft" verwandelt, daß die alte Tradition des Aufstiegsgedankens dem Historismus verfällt und die Philosophie als Erkenntnis des Guten als Guten sich in Ideologie zu verwandeln beginnt. Hegels Philosophie, welche die Theorie als Gedanken der Zeit bestimmt, hat "indirekt" "der Verfälschungsform des praktisch-philosophischen Wissens eine unerhörte Chance eröffnet". [...]Indem Hegel die "Zeit" in die Philosophie einläßt, wird seine Theorie der zweideutige Anfang der historistischen Effekte: des "Verschmelzungseffekts" (Verschmelzung von politischer Leidenschaft und geschichtsphilosophischer Idee), des "Ideologisierungseffektes" (historische Funktionalisierung des Gedankens) und des "Totalisierungseffekts" (Integration der Bildungswelt in die politische Sphäre. [...] Indem Hegel das "philosophische Geschehen des Aufstiegs ... analogisch gleichsetzt mit der realen Geschichte der Menschheit" [...], kann er zum Ausgangspunkt der mit Heidegger endenden Paradoxie werden, in der das Sein als "Sein ist Zeit" uns mitspielt, statt mit uns zu spielen. Helmut Kuhn formuliert quasi platonisch die Kritik am Historizismus der Marionettentheorie." (Ottmann, Hegel im Spiegel der Interpretationen, 1977, S. 335 in Bezug auf Kuhn, Der Ursprung der Ideologie aus dem Geist der Philosophie Hegels; Kuhn, Der Staat). Und Balduin Schwarz formuliert: „Hegel war der Begründer der Denkweise, die Helmut Kuhn „Revolutionismus“ benannt und als die „übergeordnete und als die „übergeordnete Kategorie der Hegelschen Geschichtsphilosophie“ herausgearbeitet hat. "Revolutionismus" kennzeichnet "die universale Ereignishaftigkeit der Geschichte überhaupt"" (Schwarz, Sören Kierkegaards Begriff "Christliches Erkennen", in: Rupert Hofmann/Jörg Jantzen/Henning Ottmann (Hrsg.): Anodos. Festschrift für Helmut Kuhn, München/Weinheim 1989, S. 284 in Bezug auf Kuhn, Die Kirche im Zeitalter der Kulturrevolution).

1931 erscheint ein umfangreicherer Literaturbericht von Kuhn im "Archiv für Geschichte und Philosophie" (Bericht über die deutschen Schriften des Jahres 1930 zur Geschichte der Philosophie von Kant bis zur Gegenwart (Fortsetzung), in: Archiv für Geschichte der Philosophie, 40, 1931, S. 551-565).

Im Mai 1931: Generalversammlung der Kant-Gesellschaft in Halle mit dem Thema "Wendung zu Ontologie und Realismus". Kuhn veröffentlicht dazu eine "Betrachtung" [Wendung zu Ontologie und Realismus. Betrachtung zum Thema der Generalversammlung der Kant-Gesellschaft 1931, in: Kreis von Halle, 1931, Heft 6-7, S. 1-5 (l.c., S. 184–187)].

1932 hielt Kuhn laut Kant-Studien (S. 322) am 22. Juni in der Ortsgruppe Berlin den Vortrag „Zum Problem der Selbsterkenntnis“. Und in den Kant-Studien schreibt er einen Geburtstagsartikel für Georg Lasson (Georg Lasson zum 70. Geburtstag, in: Kant-Studien, 1932, S. 314 f.).

1933 bis 1936

Anders als Liebert, der 1933 nach Belgrad ins Exil ging und von dort aus 1939 nach England, und auch als sein Bruder, der Physiker Heinrich Kuhn, der ja noch im August 1933 nach Oxford ausgewandert war, blieb Helmut Kuhn, obwohl als „Halbjude“ mit einer „Volljüdin“ verheiratet, noch in Deutschland und übte seine Funktion ab 1934 sogar mit dem Titel „Sekretär der Kant-Gesellschaft“ weiter aus. Der gebürtige Schlesier hatte vom September 1914 bis 1919 als Kriegsfreiwilliger gedient. Als Träger des eisernen Kreuzes entschied er sich nun für den Weg des Bittstellers [Vgl. dazu auch die Wertung seiner Tochter Annette Kuhn: Ich trage einen goldenen Stern, a.a.O., S. 12].

Im Sommersemester 1933 leitete Kuhn innerhalb der sogenannten „Arbeitsgemeinschaft“ der Ortsgruppe Berlin der Kant-Gesellschaft einen Lektürekreis zu Platons Dialogen (laut: Kant-Studien, 39, 1934, S. 245).

In den Kant-Studien fallen für 1933 zwei Beiträge ins Gewicht. Einmal eine Rezension zu Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ (Helmut Kuhn: Politik, existenzphilosophisch verstanden. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“, in: ders.: Der Staat. Eine philosophische Darstellung, München 1967, S. 447-460; zuerst in Kant-Studien, Bd. 38, 1933, S. 190-196. Darin schreibt Kuhn unmissverständlich: „Alle politischen Begriffe sind nach Sch. gebunden an eine konkrete Situation, und das muß im Zusammenhang seiner Theorie bedeuten, an eine konkrete Gegensätzlichkeit. Von diesem Boden abgelöst, verlieren sie den ihnen ursprünglichen `polemischen Sinn´ und werden zu `leeren und gespenstischen Abstraktionen´“ (18) Alle echten politischen Theorien setzen den Menschen als böse voraus (51). Existenzphilosophisch!“ (S. 450).

Carl Schmitt war alles andere als begeistert von dieser Kritik. Denn in diesem Artikel legt er Carl Schmitts Schrift als Manifest einer von Nietzsche geprägten Avantgarde aus. Schmitt sah dies als „dumme Artikel eines Juden, frech und unverschämt. In einem Begleitbrief war sogar von „verborgenem Nihilismus“ die Rede. Er, Schmitt, habe den Eindruck gewonnen, der Rezensent, ein gewisser Dr. Helmut Kuhn, habe ihn mit Ernst Jünger verwechselt, als er behauptete, Schmitt könne den wahren Ernst einer politischen Existenz nur im Ernstfall, der Todesbereitschaft fordert, erkennen. So weit, so gut. Dieser Kuhn habe recht, wenn er schreibe, dass man erschreckende Sachverhalte unerschrocken ins Auge fassen müsse, auch wenn sicherheitsbedürftige Gemüter darüber vielleicht entsetzt seien. Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft stellten nicht nur Proben, sondern auch Garanten des Ernstes im politischen Kampf dar. Insofern stimme er, Schmitt, mit Jüngers Haltung in dessen Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“ überein. Aber, jetzt wieder mit gehobener Stimme: Die Freund-Feind-Formel steht nicht in der Tradition des Immoralismus dekadenter Literatur, wie Privatdozent Kuhn vermutet. „Der Begriff des Politischen“ ist kein Manifest des Politischen Existentialismus! Ein typisches Feindbild aus dem Dunstkreis liberaler Denker. Karl Löwith habe die Formel vom „Politischen Existenzialismus“ geprägt, und der abtrünnige Heidegger-Schüler Herbert Marcuse habe in die gleiche Kerbe geschlagen.“ (so übernommen von Helmut Lethen, Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich, 2018, S. XXVI.; vgl. auch: Reinhard Mehring: Don Capisco und sein Soldat: Carl Schmitt und Ernst Jünger … „Schmitt beobachtete Heidegger, seitdem dessen „jüdische“ Schüler (Helmut Kuhn, Karl Löwith, Herbert Marcuse) seinen BEGRIFF DES POLITISCHEN als politischer Auslegung von Heideggers existentialistischen Defiziten kritisierten. [...]“

Allerdings geht Carl Schmitt bei der Einordnung Kuhns ebenfalls fehl, wenn er ihn zu Löwith und Marcuse stellt, denn gerade zu diesen Heidegger-Schülern hatte Kuhn selbst ein distanziertes Verhältnis: "Feinhörige [Nietzsche-]Leser, an ihrer Spitze der Heidegger-Schüler Karl Löwith, bemerkten dann, daß, allem offensichtlichen Widerspruch zum Trotz, eine gewisse Entsprechung festzustellen sei zwischen dem Existenzdrama des christlich bemühten Kierkegaard auf der einen und andererseits dem griechisch-heidnisch inspirierten Nietzsche, der die mit dem philosophischen Hammer zerschlagene Denk- und Glaubenswelt durch neue, aus des Willen zur Macht geschaffene Werte ersetzen wollte und der in Verzweiflung über die sprachlos gewordenen Weltlinge mit titanischem „Dennoch!“ ihre ewige Wiederkehr deklarierte. So konnte sich neben den weichen, durch idealistische Hoffnungen gemilderten Humanismus der kalte und ästhetisch gehärtete Nietzsche-Humanismus Ernst Jüngers und seines Kreises stellen – auch er wie der Existentialismus als Herausforderung bürgerlich-akademischer Humanität gedacht" [Helmut Kuhn, in: Pongratz (Hrsg.): Philosophie in Selbstdarstellungen, a.a.O., S. 249 f.]

Kuhn hat 1933 für die Kant-Studien auch noch Husserls „Méditations Cartésiennes" rezensiert (in: Kant-Studien, XXXVIII, 1933, S. 209-216).

1934 erscheint dann Helmut Kuhns Sokrates-Buch [Helmut Kuhn: Sokrates. Versuch über den Ursprung der Metaphysik, Berlin 1934; München (2)1959; italienisch: Mailand 1969.]. Kuhn unterscheidet darin die „sokratische Frage“ von ihrer „ontologischen Umbildung“ durch Platon und meint: „Sokrates stellt die Frage, auf die Platons Ontologie antwortet“ (ebd., S. 142). Anlass zur Wiedergewinnung der sokratischen Frage sei die parallele „Fragesituation“, der Verlust der Naivität des Daseins in einer Krisenlage: „Im Verfall des Lebens entspringt die sokratische Frage und fragt nach der Möglichkeit seiner Wiederherstellung“ (ebd., S. 20). Ein erfülltes Leben bestehe in der „Sorge um die Seele“, im konsequenten Vollzug der sokratischen Frage. Diese Existenz habe ein „doppeldeutiges“ Verhältnis zum Staat: „Das Bürgersein, an dem Sokrates festhält, besteht paradox genug in der Enthaltung von aller bürgerlichen Tätigkeit. Der wahre Bürger in diesem Sinn ist also nicht nur als der Gerechte immer in Gefahr, mit der Ungerechtigkeit der Polis in Konflikt zu geraten – er steht als die echte Verkörperung der Polis außerhalb der konkreten Polis. Die Polis ist durch ihn gerettet und zugleich gerichtet.“ (ebd., S. 110). Letztlich stilisiert er Sokrates zum „letzten Bürger“, der das „Schicksal des geistigen Menschen in der Geschichte Europas“ verkörpere, weil es ihm gelungen sei, seine „Innerlichkeit“ gegen eine ungerechte Staatsordnung zu behaupten (S. 117-120 und 128).

Unter anderem Husserl nimmt das Werk sehr lobend auf (vgl. Briefe an Kuhn, in: ders. -, Briefwechsel Bd. VI, Dordrecht 1994, S. 237-247). Strauss lehnt dagegen das Buch gegenüber Jacob Klein sehr deftig ab (Brief vom 8. Januar 1935 in: Gesammelte Schriften, Bd. 3, S. 535); auch Gadamer rezensiert ablehnend (Gadamer, Rez.: Helmut Kuhn, Sokrates: Ein Versuch über den Ursprung der Metaphysik, Berlin, Die Runde, 1934, 161S. in: Deutsche Literaturzeitung: Wochenschrift für Kritik der internationalen Wissenschaft [Berlin, Weidmann], 57. Jg. (1936), H. 3 (19. Januar), Sp. 95-100; Gesammelte Werke, Bd. IV, S. 229-233; Gesammelte Werke Bd. V, S. 322-326 sowie Gesammelte Werke, Bd. IV, S. 103-106). In seinem Festschriftbeitrag für Kuhns Festschrift von 1964 unter dem Titel „Platon und die Vorsokratiker“ verweist er auf diese Rezension allerdings als Beleg dafür, wie sehr ihn schon vor Jahrzehnten der methodische Grundgedanke des Kuhnschen Buches beeindruckt habe (hier nach: Gadamer, Griechische Philosophie I-III, 1985, S. 58).

An dieser Stelle sei auf die bereits veröffentlichten Briefe von Husserl an Kuhn zwischen dem 23. Februar 1934 und dem 4. Februar 1937 hingewiesen (S. 237-243: 23.II.1934, 28.XI.1934, 18.II.1935, 3.II.1937, 4.II.1937, dazu ca. 1934 ein nicht abgesandter Entwurf). Der Kuhn-Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek enthält Korrespondenz mit Husserl: „Br. Beil.: 2 Kopien v. Briefen 3 eBU, 1 BU, 1 eKU, 2 Umschl.1934-1937“. Im besagten Brief vom 23. Februar 1934 (aufgrund einer falschen Zuordnung der römischen Monatszahl II zur deutschen Zahl 11 wird der Brief in der Sekundärliteratur mitunter auch auf den 23. November 1934 datiert) heißt es über das Sokrates-Buch: „Sehr herzlich danke ich Ihnen für die Zusendung Ihres schönen, höchst geistvollen und scharfsinnigen Sokratesbuches. Ich habe mich in den letzten Wochen viel damit beschäftigt. Es ist eigentlich seit Jahren das erste philosophische Buch, das ich von Anfang bis Ende gelesen und ernstlich durchdacht habe. Mich selbst beschäftigt seit langem schon das Problem, wie philosophiegeschichtliche Interpretationen für den philosophischen Selbstdenker in seinem aktuellen Philosophieren bedeutsam sind und welchen Sinn solche Interpretationen selbst, sei es einzelner Philosophen, sei es des gesamten Zuges der vergangenen Philosophie haben. Die Aufforderung des Internationalen Komitees des Prager Kongresses, mich brieflich über die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie zu äussern, war im August dieses Jahres für mich die für mich die Anregung gewesen, eine Interpretation des Ursprungs der Idee „Philosophie“ und ihre Ausbildung bis zur Gegenwart der Beantwortung der gestellten Frage zu Grunde zu legen – und zugleich daneben über den Sinn dieser Geschichtsbetrachtung nachzudenken, die in der Tat auf sehr tiefe geschichtsphilosophische Probleme zurückführt.“

In engem Zusammenhang mit der Sokratesarbeit steht auch noch Kuhns Aufsatz „Die Sokratesforschung und ihre gegenwärtige Aufgabe“ (in: Geistige Arbeit, 1934, Nr. 21, S. 7-8).

Für 1934 findet sich im Nachlaß Kuhns ein Brief von Gerhard von Mutius (1872-1934), einem Diplomaten, der nunmehr in Berlin lebte (3 eBU, 1eKU1934). Zu Mutius hatte in dieser Zeit auch Guardini Kontakt.

Die letzten drei größeren und publizierten Texte 1935 und 36 waren hingegen:

  • Die deutsche Philosophie der Gegenwart, in: Das Evangelische Deutschland, XII, 1935, 43-44, S. 62-63; italienisch: La Filosofia Tedesca Contemporanea, in: Archivio di Storia della Filosofia, IV, 1935, 3, S. 181-196 (über Husserl, Scheler, Heidegger, Jaspers u.a.)
  • Hellas und Wir. Zur Frage der Wiedergeburt der griechischen Philosophie in Deutschland, in: Frankfurter Zeitung, 19.4.1936
  • Die Einheit der Philosophie, in: Das Deutsche Wort, XII, 1936, 20, S. 814-818 (über Husserls Phänomenologie) - das Publikationsorgan „Das Deutsche Wort“ war vormals „Die literarische Welt. Unabhängiges Organ für das deutsche Schrifttum“. In der Weimarer Republik war es eine Wochenschrift, die von Ernst Rowohlt und Willy Haas 1925 in Berlin gegründet wurde. Die Zeitschrift erschien von 1925 bis 1933 unter der Herausgeberschaft von Willy Haas in der Literarische Welt Verlagsgesellschaft, Berlin-Lichterfelde. Die Redaktion saß in der Passauer Straße. Nach Haas' Emigration wurde sie kurzzeitig als „Neue Folge“ gleichen Titels (1933–1934) fortgesetzt, nun herausgegeben von Karl Rauch. Nachdem die Zeitschrift im Sinn der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ dann seit 1934 "Das deutsche Wort" genannt wurde, erschien sie im Berliner Verlag Bott. Sie wurde 1941 eingestellt (Ernst Fischer, Stephan Füssel (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Teil 2, Berlin, Boston, 2012, S. 99).

Guardinis Aktivitäten in der Kant-Gesellschaft

Auf katholischer Seite stehen nicht viele Katholiken innerhalb der Kant-Gesellschaft, im Grunde tauchen nur die Namen Romano Guardini, Friedrich Dessauer, Johannes Hessen und Ernst Przywara SJ regelmäßig auf. Immerhin können für Guardini zwischen 1926 und 1932 sechs geplante Vorträge vor Ortsgruppen der Kant-Gesellschaft verzeichnet werden, von denen auch fünf gehalten worden sind.

Erstmals sprach Guardini wohl am 27. Januar 1926 vor der Berliner Ortsgruppe der Kant-Gesellschaft über „Die religiöse Erkenntnisbedeutung des Kultes“ (Vgl. Bericht über die Vortragveranstaltungen der Kant-Gesellschaft, Ortsgruppe Berlin, während des Jahres 1926, in: Kant-Studien, Philosophische Zeitschrift, Berlin, 32, 1927, S. 549, Nr. 110).

Vor der Kieler Ortsgruppe, auf Einladung durch Heinrich Scholz hin, sprach er am 11. Juni 1926 über „Kierkegaard“ (vgl. Bericht über die Vortragsveranstaltungen der Kant-Gesellschaft, Ortsgruppe Kiel, während der Wintersemester 1925/1926 bis Wintersemester 1926/27, in: Kant-Studien, Philosophische Zeitschrift, Berlin, 32, 1927, S. 450f.: 11. Juni 1926: Prof. Dr. Romano Guardini von der Berliner Universität: „Kierkegaard“; sowie Hans Kudszus: Der große Prozess (Rezension zu: Guardini, Der Tod des Sokrates), in: Der Tagesspiegel, Berlin, 1948, 25. April. Kudszus (1901-1977) war Assistent bei Heinrich Scholz in Kiel, als Guardini den Vortrag hielt; vgl. dazu auch Hans Kudszus: Chronik, in: Neue Deutsche Hefte, Berlin, 15, 1968, 4 (Nr. 120), S. 224-227, zu Romano Guardini S. 224: Kudszus berichtet im Zusammenhang mit dem Kieler Vortrag von einem gemeinsam mit Guardini verbrachten Tag an der Kieler Buch und Guardinis Reflexionen über den „letzten“ Tag).

Im Januar 1929 referiert Guardini vor der Ortsgruppe Erfurt über „Der Sinn der Schwermut“ [vgl. Ortsgruppe Erfurt: Vorträge in den Jahren 1929 und 1930: Januar 1929: Prof. Dr. Guardini, Berlin: „Der Sinn der Schwermut“, in: Kant-Studien, 36, 1931, S. 218].

Im März 1929 wohl vor der Kant-Gesellschaft in Köln über den „augustinischen Denktypus“, vermutlich ein Stück aus seinem Kommentar zu Madeleine Sémer??? [Vgl. Wust, Peter: Der augustinische Denktypus. Zum Vortrag Romano Guardinis in der Kantgesellschaft, in: Kölnische Volkszeitung, 9. März 1929 (Erste Morgen-Ausgabe)].

Im Dezember 1931 war vor der Ortsgruppe in Kiel ein weiterer Vortrag von Guardini über Pascal geplant, der allerdings dann ausfiel [vgl. Ortsgruppe Kiel: 1931, in: Kant-Studien, 38, 1933, S. 297 (16. Dezember: Für den ausgefallenen Vortrag Guardinis sprach Prof. Dr. Stenzel, Kiel: „Pascals Anschauungen über die Stellung des Menschen in der Wirklichkeit“)].

Schließlich spricht Guardini noch am 5. Februar 1932 vor der Ortsgruppe Basel über „Grenzen und Möglichkeiten der Gemeinschaft“ (vgl. Ortsgruppe Basel: 5. Februar 1932: R. Guardini, Berlin: „Grenzen und Möglichkeiten der Gemeinschaft“, in: Kant-Studien, 37, 1932, S. 234).

Es ist wenig wahrscheinlich, dass Helmut Kuhn als Assistent und Sekretär von Arthur Liebert von dieser Tätigkeit Guardinis nichts mitbekommen hätte. Allerdings finden sich bei Kuhn kaum Bezugnahmen

Demütigung, Flucht und Emigration

Geburt und Taufe Annette Kuhns im Mai 1934

Am 22. Mai 1934 wurde Kuhns Tochter Annette geboren. Ihre Eltern waren zum Zeitpunkt der Geburt Christen protestantischer Konfession. Sie wurde durch Martin Niemöller, Pastor der Bekennenden Kirche, in der Anna Kirche Berlin-Dahlem getauft, die Taufpatenschaft hatte Antonie Meinecke, die Frau von Friedrich Meinecke übernommen [Annette Kuhn, a.a.O., S. 14]. Auch wenn diese Taufe in den vollständig erhaltenen Matrikeln nicht verzeichnet ist, ist die Familientradition sehr glaubwürdig. Mit nun zwei kleinen Kindern erhöhte dies natürlich die existentiellen Sorgen der jungen Familie und die bange Frage, ob man nicht doch besser den anderen in die Emigration folgt oder den Status quo im Dritten Reich zu erhalten versuchen.

Die Krisis der Kant-Gesellschaft nach Arthur Lieberts Emigration Ende 1934

Nachdem Arthur Liebert emigriert war, fand im Mai 1934 die letzte Mitgliederversammlung der Kant-Gesellschaft in Halle an der Saale statt, die zunächst die Satzung änderte, um sodann Paul Menzer, Eduard Spranger und Ministerialrat im Reichserziehungsminiserium Martin Löpelmann zum neuen Vorstand zu bestimmen. Immerhin wurde Helmut Kuhn bei dieser Versammlung noch zum wissenschaftlichen Assistenten bestellt, der dem Erweiterten Vorstand angehört. Die Geschäfts- und Wohnadresse Kuhns lautete damals: „Berlin-Dahlem, Goßlerstraße 29“.

Löpelmann trat bereits am 10. Oktober 1934 wieder aus dem Vorstand aus. Dies führte letztlich auch dazu führte, dass Menzer seinen Rücktritt anbot. Dieser pochte dabei aber auf den Verbleib des auch von Löpelmann geduldeten, faktisch die Geschäfte führenden Kuhn und sprach sich scharf gegen Baeumler als möglichen Nachfolger aus. Dieser wünsche nämlich die Beseitigung der Kant-Gesellschaft [Christian Tilitzki Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 2, Berlin 2002, S. 1014 unter Berufung auf: Löpelmann v. 9. 10. 1934; ebd. v. 8. 10. 1934 an REM. UAH, Rep. 6/1388; Menzer an AA v. 10. 10. 1934].

Über „Auslandswirkungen" recht kurioser Art berichtete Kuhn in einem Brief vom 9. November 1934 an den Hallenser Universitätskurator Friedrich Tromp (1875-1954). Demnach berufe sich ein ausländisches Mitglied bei der Verteidigung des nationalsozialistischen Deutschland auf Spinoza! Der Kurator Tromp revanchierte sich am 20. November mit der ernstzunehmenderen Abschrift eines Spranger-Briefes. Spranger teilte Tromp mit, dass in einem Times-Artikel vom 13. November, inspiriert vermutlich von einem Insider, kritisiert werde, dass Rosenberg der Kant-Gesellschaft Schwierigkeiten bereite und ihr Ende sich deshalb wohl ankündige. Mitte Dezember erkundigte sich das Auswärtige Amt bei Rust, was man mit Rücksicht auf die erhebliche kulturpolitische Bedeutung der Gesellschaft angesichts der Berichte der Auslandspresse über die innere Krise der Gesellschaft und den Rücktritt Löpelmanns zu tun gedenke [Tilitzki, S. 1016 unter Berufung auf BAP, REM 49.01/2608, Bl. 10; AA an REM v. 14. 12. 1934.]

Nach dem Vortrag "Philosophie und Zeitgeist" von Litt in der Berliner Ortsgruppe wurde diese in der nationalsozialistischen Parteipresse angegriffen, Litt habe gegen die NS-Rassenlehre polemisiert. Darauf hin machte der geplante nächste Referent, der Kieler Neugermanist Gerhard Fricke, seinen Vortrag von einer klärenden Stellungnahme zu den „politischen Auseinandersetzungen" um Litts Auftritt abhängig. Daraufhin empfahl Kuhn dem Kurator Trump, sich auf „irreführende Berichterstattung" zu berufen. Kuhn berichtete in diesem Zusammenhang dem Kurator, das Nicolai Hartmann ihm mündlich Interesse am Weiterbestehen der Kant-Gesellschaft bekundet und auch persönliche Hilfe zugesagt habe, vor allem für den Fall dass die Deutsche Philosophische Gesellschaft sich am Treiben gegen die Kant-Gesellschaft beteilige. Wenn dies geschehe, wolle Hartmann aus der Gesellschaft austreten [Tilitzki, S. 1015 unter Berufung auf Litt 1935a; Kuhn an Kurator v. 20. 11. 1934] Dieses Angebot Hartmanns währte aber nicht lange, denn schon wenige Tage später zog dieser bei einem weiteren Gespräch mit Kuhn zurück [Tilitzki, ebd., Kuhn an Tromp v. 23. 11. 1934]. Hintergrund dafür bildete wohl das an der Universität kursierende Gerücht, Krieck solle für „politische Pädagogik" nach Berlin berufen werden. Dies könnte natürlich dann auch bedeuten, dass im nächsten Schritt das Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung dessen Beteiligung an der Kant-Gesellschaft wünsche. Da aber Kuhns Plan, Spranger und Hartmann sowohl im Vorstand der Kant-Gesellschaft als auch der Deutschen Philosophischen Gesellschaft zu installieren, an der Weigerung Sprangers scheiterte, dem Vorstand der Gesellschaft beizutreten, sah sich auch Hartmann nicht mehr zur Hilfe für die Kant-Gesellschaft verpflichtet.

Die praktisch-organisatorischen Probleme aufgrund der Gerüchte von der Krisis in der Kant-Gesellschaft wurden so gravierend, dass Kuhn nicht einmal mehr einen Diskussionsleiter für den Vortrag des schwedischen Philosophen Liljequist Anfang Dezember fand, da Köhler abwesend war und Spranger sich bis zur Klärung der Vorstandsfrage weigerte. Wenn auch der Rechtsphilosoph Emge die Diskussionsleitung ablehne, müsse man den Vortrag absagen [Tilitzki, ebd., Kuhn an Tromp v. 23. 11.]

Am 24. November erhielt Tromp von dem Hallenser Physiologen Emil Abderhalden, der die Übernahme des Vorsitzes mit dem Hinweis, dass er Nicht-Philosoph sei, ablehnte und eine Persönlichkeit empfahl, die weltanschaulich in den Ideen der NSDAP verankert sei. Darauf bot Tromp am 27. November Emge den Vorsitz der Kant-Gesellschaft an. Gleichzeitig ersuchte er Spranger, der Kant-Gesellschaft treu zu bleiben, obwohl der Rechtsphilosoph und Leiter des Nietzsche-Archivs Emge bereits am 1. Dezember 1931 in die NSDAP eingetreten, am 29. Juli 1932 den Wahlaufruf der Jenaer Hochschullehrer für die NSDAP initiierte, Anfang 1933 die Erklärung für Adolf Hitler zur Reichstagswahl im März 1933 unterschrieben hatte und 1934 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsphilosophie innerhalb der von Hans Frank gegründeten Akademie für Deutsches Recht wurde. Emge, der 1934 an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin berufen wurde und ab der Jahreswende 1934/35 als einzig verbliebener Herausgeber des „Archivs für Rechts- und Sozialphilosophie“ firmierte. Allerdings trat - so Christian Tilitzki - Emge auch auch als Kritiker der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Diese sei mit seinen auf Gott basierenden Grundeinstellungen unvereinbar.

Emge sagte zwei Tage vor der Ankunft Liljequist sowohl die Moderation des Abends als auch die Übernahme des Vorsitzes der Kant-Gesellschaft zu, letzteres allerdings nur unter der Bedingung, die Mitglieder eines neuen Vorstands selbst auswählen zu können. Dies meldete Kuhn am 3. und 5. Dezember an Tromp. [Tilitzki, S. 1014 unter Berufung auf Brief von Kuhn an Tromp]

Die Krisis der Kant-Studien Ende 1934

Neben der Kant-Gesellschaft geriet auch der Haupt-Publikation, die "Kant-Studien" endgültig in die Krise. Nach jeweils einseitiger, von der Gegenseite nicht anerkannten Kündigungen der Verlagsvertrags Ende September, erhöhte der Inhaber des PAN-Verlages und Verleger der Kant-Studien, Kurt Metzner, den Druck, indem er die Außenstände von angeblich 5000 RM reklamierte. Eigentliches Ziel war es wohl, die Urheberrechte an der renommierten Zeitschrift in die Hand zu bekommen, da er zur Sicherstellung seiner Forderung die Abtretung der Urheberrechte verlangte [Tilitzki, S. 1016 unter Berufung auf ebd.]. Tromp teilte am 4. Dezember 1934 Kuhn mit, daß Metzner bereits das nächste Heft der Kantstudien nicht drucken werde, solange die Kant-Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten nicht begleiche. Am 7. Dezember 1934 drohte er damit, sich an den Justitiar des Deutschen Verlegervereins zu wenden. Kuhn machte am 11. Dezember 1934 Tromp darauf aufmerksam, dass nach seiner Rechnung der Schuldenstand 3000 RM und nicht die von Metzner geltend gemachten 5000 RM betrage, am Tag darauf meldete er die Mitteilung Metzners, dass dieser bei Nichtbegleichung das H. 3/4 der Kant-Studien nicht ausliefern werde. Am 14. Dezember konterte Tromp mit der Feststellung, dass die Forderungen nicht präzisiert worden sei und aufgrund der durch das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung getroffenen Maßnahmen zur Sicherung der Kant-Gesellschaft die Dringlichkeit Metzner "schwer verständlich" machten.

Erfolglose Versuche zur Umbildung des Vorstands durch den designierten Vorsitzenden Emges (Januar bis Juni 1935)

Der designierte Vorsitzende Emge unterbreitete im Außenpolitischen Amt Rosenbergs den Vorschlag, die Kant-Gesellschaft in den Dienst der auswärtigen Kulturpolitik zu stellen, dagegen die Deutsche Philosophische Gesellschft ganz auf die "Innenpolitik" zu konzentrieren. Er sei dazu bereit, gegebenenfalls auch den Vorsitz der Kant-Gesellschaft wieder an Baeumler abzutreten [Tilitzki, S. 1016 unter Berufung auf BAK, NS 15/291; Aktennotiz Schaefer/APA v. 9.1.1935 über Besprechung mit Emge].

Außerdem versuchte Emge den Vorstand umzubilden. Doch noch "Anfang Juni 1935 notierte man im Reichserziehungsministerium: Emge lege zuviel Gewicht auf alte bekannte Namen. Nur Bauch, Baeumler, Heyse, wohl auch Carl Schmitt und Hartmann seien darunter positiv zu bewerten, allenfalls noch Krieck, während Freyer und sein Kreis schon bedenklich stimme, ebenso natürlich Rothacker und Spranger. Besser eigne sich im Vergleich mit denen Driesch. Der sei zwar „Liberalist und Pazifist", verfüge aber über auswärtige Beziehungen, und mit seiner antimaterialistischen Philosophie sei er auch einsetzbar"[Tilitzki, S. 1017 unter Berufung auf: Ebd.; Aktenvermerk v. 3. 6. 1935]. Nach Emges Personaltableau in einem vertraulichen Entwurf sollten dem engeren Vorstand angehören: Heyse, Emge, Hartmann, Spranger, Reichspressechef Otto Dietrich und der geisteswissenschaftliche Referent des Reichs-Erziehungs-Ministers, Eugen Mattiat. Heyse, Spranger und Emge wären danach auch die neuen Herausgeber der Kant-Studien geworden. Dietrich lehnte aber ab, weil er nicht als politisches Feigenblatt der Kant-Gesellschaft fungieren wollte. Daher musste Emge die Anfang Juni anberaumte Sitzung zur Konstituierung des Vorstandes wieder absagen.

Erfolgreicher Versuch Löpelmanns, einen Vorstand und Hans Heyse zu bilden (Juni/Juli 1935)

Mitte Juni teilte Löpelmann Tromp mit, nun selbst wieder die Leitung der Kant-Gesellschaft übernommen zu haben und nunmehr mit der „völligen Umorganisation" beginnen zu wollen[Tilitzki, S. 1017 unter Berufung auf ebd.; Löpelmann an Tromp 17. 6. 1935].

Denn tatsächlich war nun Löpelmann in der Bildung des Vorstands erfolgreicher. Bereits Mitte Juli 1935 konnte er bei einer Sitzung mit Mattiat, Heyse, Koellreutter und Metzner Hans Heyse dazu überreden, die Präsidentschaft zu übernehmen und Metzner als Geschäftsführer zu akzeptieren[Tilitzki, S. 1017 unter Berufung auf ebd., Lopelmann an Tromp v. 19. 7. 1935]. Die Bedingung Heyses war, daß alles Organisatorische ihn nicht belaste, wozu er von Löpelmann ohnehin nicht vorgesehen war, weil er ihn für organistorisch unbegabt hielt. Außerdem einigte man sich, Kurator Tromp solle nicht länger dem Vorstand angehören[Tilitzki, S. 1018:]. Dieser "Wunsch" ging allerdings nicht in Erfüllung[BAP, REM 49.01/2608; REM-Vermerk v. 24. 7. 1935]. In dem Protokoll des Reichserziehungsministeriums war außerdem die Rede davon, dass der frühere Vorstand eine ausgeplünderte Kasse hinterlassen habe. Das Erscheinen des aktuellen Heftes 1 der Kant-Studien 1935 sei aber nicht gefährdet. Heyse bekam den Auftrag, die Kant-Studien "gleichzuschalten" und war entschlossen, mit der liberalen Tradition der Kant-Studien zu brechen und der nationalsozialistischen Philosophie und Wissenschaft "zum internationalen Durchbruch" zu verhelfen. Das entsprach in etwa den Intentionen Metzners, der schon aus finanziellem Kalkül fortan unentwegt die außenpolitische Wirkungsmöglichkeit der Kant-Gesellschaft und ihrer Zeitschrift herausstrich. Als der emigrierte Liebert von Belgrad aus Ende 1935 zur Gründung einer internationalen Zeitschrift für Philosophie aufrief, sah der neue Geschäftsführer der Kant-Gesellschaft, der Verleger Metzner sich bestätigt, dass im Ausland eine internationale Kant-Gesellschaft unter Lieberts Führung und mit Kuhn als Hintermann im Entstehen sei[ebd. BAK, NS 15/291; Metzner an Schäfer/APA v. 18. 12. 1935; der Aufruf Lieberts kam zu den Akten: BAP, REM 49.01/2608]. 

Ausbootung Helmut Kuhns in Kant-Gesellschaft und als Privatdozent (Juni 1935 bis Februar 1936)

In der Zwischenzeit hatte man "immerhin" den nicht-arischen Sekretär Helmut Kuhn ausgebootet[Tilitzki, S. 1017 unter Berufung auf UAH, Rep. 6/1388; Tromp an Löpelmann v. 28. 6. 1935] und später auch noch vorgeworfen, er hätte eine "Wagenladung Akten" zurückgehalten. Er war schließlich am 30. Juni 1935 dazu gezwungen, seine Position aufzugeben [vgl. Walter Wienert (Bearb.): Chronik der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd. I (April 1932-März 1935), Berlin o.J., S. 39. Rudolf Schottlaender (Bearb.): Verfolgte Berliner Wissenschaft, Berlin 1988 S. 127f. und Strauss/Röder: International Biographical Dictionary of the Central European Emigration, Vol. II, S. 672]. Auch aus der Redaktion der Kant-Studien wurde Kuhn entlassen. Als Ersatz für Kuhn waren zunächst der junge Romanist Gerhard Hess oder die Dessoir-Schülerin Gertrud Jung vorgesehen, schließlich sollte aber der Verleger Metzner Geschäftsführer werden. Im Oktober 1935 musste Helmut Kuhn dann auf Anfrage die eigene Abstammung erklären – nach damaligem Klassifikationssystem ist er „Mischling ersten Grades“ -, im Januar 1936 noch die der Gattin Käthe Kuhn geb. Lewy, die somit ebenfalls jüdischer Abstammung war. Aufgrund der Frontkämpferregelung im Gesetz für die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 konnte Kuhn seine Stellung als Privatdozent noch bis zum 31. Dezember 1935 aufrechterhalten [Siehe Universitätsarchiv Humboldt Universität Berlin PA 421 (Kuhn), zitiert nach R. Mehring: Tradition und Revolution in der Berliner Universitätsphilosophie, in: Rüdiger vom Bruch/Christoph Jahr/Rebeca Schaarschmidt: Die Berliner Universität in der NS-Zeit, 2005, S. 209f.]. Nachdem diese „Privilegierung im BBG weggefallen war, verlor er die Lehrbefugnis und teilte damit das Schicksal von David Baumgardt (Berlin), Fritz Kaufmann und Werner Brock (beide Freiburg), August Gallinger (München) und Karl Löwith (Marburg), außerdem als Honorarprofessor Kurtz Riezler (Frankfurt am Main). Gegen den drohenden Entzug seiner Venia versuchte Kuhn damals abermals Dispens zu erwirken.

So wurde Kuhn am 28. Januar 1936 beurlaubt und ihm rückwirkend die Venia entzogen. Kuhn bat am 5. Februar 1936 mit „deutschem Gruß“ um Aufschub unter Darlegung seiner wirtschaftlichen Situation. Doch der Antrag wurde abschlägig beschieden.

Die zwielichtige Rolle des Verlegers Metzner

Im Juni 1936 wies Metzner auch Mattiat auf Lieberts „Gegengründung" hin und beklagte, daß dessen ahnungslose Geldgeber nicht wüßten, daß sie dem jüdischen Intellektualismus Vorschub leisteten. Darin lag ein kaum zu überlesender Hinweis auf die Notwendigkeit, die Geldquellen (auch zum Wohle des Metzner-Verlages) ähnlich großzügig sprudeln zu lassen, wolle man im Reichs-Erziehungs-Ministerium die „geistige Einkreisung" verhindern und sich die philosophische „Weltführung nicht aus den Händen reißen lassen".

Der Sachbearbeiter im Reichs-Erziehungs-Ministerium sah das nüchterner: Die Versuche, der Kant-Gesellschaft wieder internationalen Auftrieb zu geben, seien verfehlt bzw. verfrüht, da man die deutsche, völlig unausgegorene Philosophie der Weltöffentlichkeit noch nicht präsentieren könne, ohne damit in internationalen Diskussionen schlecht abzuschneiden. Da man mit dem „Mischmasch" der Kant-Gesellschaft ohnehin keine Kulturpolitik treiben könne, solle die Philosophie daher Öffentlichkeit lieber noch meiden und sich auf ihren universitären Wirkungskreis konzentrieren [BAP, REM 49.01/2608; Metzner an Mattiat v. 24. 6. 1936 und ebd., Bl. 137; REM-Vermerk (Burmeister) v. 9. 7. 1936].

"Im Souterrain" der Kant-Gesellschaft übte vor allem Tromp Kritik an Metzners Rolle. Tromp warf Metzner vor, an Kuhns Judentum erst Anstoß genommen zu haben, als der Sekretär ihn über Metzners Geschäftsgebaren aufzuklären begann. Auch erinnerte er an das einst so besonders enge Verhältnis zwischen Metzner und Liebert in einer Zeit, als in der „PAN-Bücherei" noch überwiegend jüdische Autoren zu Worte kamen. Daher sei zu vermuten, daß Liebert sich bei Vertragsschluß nicht nur von uneigennützigen Motiven leiten ließ, unter der Hand also zu beiderseitigem Vorteil Abmachungen getroffen worden seien. Schließlich habe Metzner der Kant-Gesellschaft im Juni 1935 geschadet, als er, nachdem nach kritischer Zeit (Auslandspresse, Parteischikanen) eine Konsolidierung eingetreten war, mit einer gerichtlichen Klage seine überhöhten Forderungen eintreiben wollte und somit eigennützig wie rücksichtslos gegen die seit Ende 1934 konkursgefährdete Kant-Gesellschaft vorgegangen. Auch nachdem die vereinbarten Teilzahlungen mit Hilfe eines Darlehens 1935 geleistet worden seien, habe er die Drucklegung von Heft 1 des 40. Bandes zunächst weiter vereitelt.

Die weitere Geschichte der Kant-Gesellschaft

Die Kant-Gesellschaft und die Kant-Studien kamen 1936 faktisch zum Erliegen. Am 27. April 1938 wurde in einer Mitgliederversammlung die Auflösung der Gesellschaft betrieben. 1941/42 gab es durch die Nationalsozialisten einen allerdings erfolglosen Versuch, die Kant-Gesellschaft und die Kant-Studien im Zeichen der NS-Europa-Ideologie wieder ins Leben zu rufen. Heyse wurde vom Amt Rosenberg beauftragt, einen Band 44 herauszugeben, gemeinsam mit August Faust, Ferdinand Weinhandl und Günther Lutz. Durch einen Bombenangriff wurde die gesamte Auflage bis auf ein Exemplar zerstört.

Die Zeit bis zur Emigration in Potigny (August 1936 bis Juli 1937)

Am 14. August 1936 fragte Kuhn abermals „höflichst“ nach der Vergütung seiner Dienstjahre.

Für Ende August 1936 sorgte die mit Kuhn befreundete französische Philosophin Jeanne Herrschel für eine Einladung Helmut Kuhns zum Philosophenkongress in Pontigny ("Pontigny Conference" - "Entretiens de Pontigny"), an der unter anderem auch Martin Buber teilnahm (er leitete am 29. August die vierte Diskussion). Dort lernte er die amerikanischen Kollegin Catherine Gilbert kennen, die sich seither gemeinsam mit der Romanistin Meta Miller und der Historikerin Bernice Draper für eine Berufung an eine amerikanische Universität einsetzten.

Am 9. September 1936 bekam er von der Universitätsverwaltung den Bescheid, dass „bei Würdigkeit und Bedürftigkeit ein jederzeit widerruflicher Unterhaltzuschuß gewährt werden kann“. Daraufhin beschrieb Kuhn am 17. September 1936 seine Bedürftigkeit als Familienvater und seine Würdigkeit nach den Vorstellungen der Zeit: „Im September 1914 bin ich im Alter von fünfzehneinhalb Jahren Soldat geworden und gehöre somit zu den jüngsten Kriegsfreiwilligen des deutschen Heeres von 1914. Ich habe während des Krieges als Angehöriger eines Infanterie-Regiments und einer Mg. Scharfschützen-Abteilung an der Westfront gestanden. Ich bin zweimal verwundet worden, habe das E.K. 1. und 2. Klasse und das Verwundetenabzeichen erhalten. September 1915 wurde ich zum Leutnant befördert. Nach Friedenschluß habe ich dem oberschlesischen Grenzschutz angehört. – Ich habe mich niemals politisch betätigt und habe keiner Partei angehört.“

Am 30. Oktober 1936 beantragt Kuhn schließlich in Pontigny (!) einen Personalausweis mit Berufsangabe „Secrétaire de l´ Institut international de collaboration philosophique“, auf dem die Auswanderung nach London im Monat Mai 1937 vermerkt war.

Offensichtlich plante Kuhn in Pontigny eine Konferenz, für die er auch Husserl gewinnen wollte, dem aber die Reise dorthin nicht autorisiert wurde. Am 4. Februar 1937 schreibt Husserl Kuhn nach Pontigny: „Vor allem freue ich mich über die schöne Wendung Ihres Geschicks, das Sie in dem philos<ophischen> Paradies in Pontigny eine herrliche Zuflucht finden liess. Was hat ein gütiger Himmel mit Ihnen vor, als Philosophen vor? Sie werden nicht auf halbem Wege stehen bleiben können – ich hoffe Ihnen ein wenig weiter helfen zu können, ich alter Wanderer, der in den Sümpfen der bodenlosen Philosophien nicht leben, der ich nicht in hohlen Argumentationen u. Systemen mich philosophisch nähren konnte, sondern sehen, verstehen wollte u. musste.“

Am 14. November 1936 erhält Kuhn schließlich erneut einen abschlägigen Bescheid. Die „Rechtmäßigkeit“ seiner Entlassung wurde dabei endgültig bestätigt. Am 3. Dezember 1937 wurde Helmut Kuhn schließlich durch die Nationalsozialisten die Lehrerlaubnis in Deutschland aufgrund seiner jüdischen Herkunft offiziell entzogen.

1936 emigrierte im Übrigen auch die mit den Kuhns befreundete Familie Jaeger in die Vereinigten Staaten aus politischen Gründen und wegen der jüdischen Herkunft von Ruth Jaeger, geb. Heinitz.

Husserl meldet am 4. Februar 1937 an Rektor Friedrich Metz, dass das „Institut für internationale philosophische Zusammenarbeit“ in der Abbaye de Pontigny ihn ersucht habe dem Directionsausschuss beizutreten und er dies angenommen habe. Gleichzeitig bat Husserl um die Genehmigung, im Laufe des Sommers an den Verhandlungen des Instituts in Pontigny teilnehmen zu dürfen. (Briefwechsel, Band 8, S. 200). Am 3. (oder 4.???) Februar hat Husserl in diesem Sinne an Helmut Kuhn einen Brief geschrieben (Briefwechsel, Band VI).

Belastete Freundschaft mit Gadamer: Hat dieser sich (nicht) für Kuhn eingesetzt?

Valentine Rothe erinnert sich an die Erzählung Helmut Kuhns, er habe damals auch den Freund Gadamer gebeten, sich für seinen Verbleib an der Uni in Berlin einzusetzen, worauf dieser wohl nicht reagiert habe. Dazu nimmt er in einem Schreiben Stellung, das er ohne Datum Ende der 80iger geschrieben hat. Das Datum ist auf dem Couvert verzeichnet. Darin meint er, sich für Kuhn eingesetzt zu haben. Gadamer stellt die Dinge so dar, als habe er Kuhn unterstützt und geholfen. Dieser Brief ohne Datum ist unterschiedlich einsetzbar und soll Gadamer einen Blankoscheck ausstellen. Was Gadamer da wohl schreibt, könnte wohl wahr sein, denn man konnte durchaus eine Bitte erhalten und sich auf geeigneten Wegen dafür einsetzen, aber natürlich ohne Erfolgsgarantie UND: Es durfte weder herauskommen, dass der "Jude" selbst der Initiator der Intervention war und daher durfte man natürlich auch dem Bittenden keine Rückmeldung geben, dass man sich für ihn einsetzen werde und auch nicht, ob man es getan hat und mit welchem Erfolg. Dies würde nämlich die Gefahr beinhalten, dass die Gestapo davon bei einer Postkontrolle Wind bekommen könnten. Gadamers Stellung innerhalb des Dritten Reichs war keinesfalls gefestigt und nach dem Rücktritt Heideggers als Rektor von Freiburg wurden auch die Heidegger-Schüler mit Argwohn bedacht, zumal wenn sie sich nicht in den einschlägigen Nazi-Organisationen engagierten und somit als politisch nicht zuverlässig galten. Andererseits hatte sich das Verhältnis zwischen Gadamer und Kuhn damals ohnehin abgekühlt. Denn nachdem Kuhn 1933 Carl Schmitt in einem Aufsatz angegriffen hatte und Leo Strauss sich mehr oder weniger öffentlich von ihm distanziert hatte, wurde auch Kuhns Sokrates-Buch nicht mehr wohlwollend aufgenommen. Sogar Gadamer schrieb damals eine ablehnende Rezension. Alles in allem handelt es sich aber um ein weiteres Moment in Kuhns aussichtslosem Kampf. Der Vorgang kann wohl erst durch das Auffinden dieser und weiterer Archivalien geklärt werden.

Einreiseverbot nach Vortragsreise in den Niederlanden (Februar 1937)

Bei einer von Pontigny aus, auf Einladung von Leo Polak getätigten Vortragsreise von Helmut Kuhn in die Niederlanden im Februar 1937, musste er aufgrund einer Denunziation zunächst in Holland bleiben und konnte nicht zu seiner Familie nach Deutschland reisen. Daher ging Kuhn wieder nach Pontigny in Frankreich zurück und holte wohl zur Sicherheit zu diesem Zeitpunkt [???] seine Familie samt dem gesamten Mobiliar dorthin nach. [21.4.1937: Helmut Kuhn schreibt mit Adresse von Pontigny an Fritz Saxl und betont dabei, dass er uns die Familie sich in Frankreich unglücklich fühlen würden und er deshalb hoffe, dass der Aufenthalt dort nur von kurzer Dauer sei, Goldenstedt, S. 17].

Ausreise Helmut Kuhns von Frankreich nach Großbritannien (Mai 1937)

Im Mai 1937 reiste Helmut Kuhn dann von Frankreich nach London aus. Erste Adresse war London (Oppidans Road 15). Von April bis Juni 1937 hielt er sich bereits häufiger bei seinem Bruder in Oxford auf. Heinrich Gerhard Kuhn war bereits 1933 nach Großbritannien emigriert und in Oxford sesshaft geworden.

Nachholen der Familie (Sommer 1937)

In einem Brief vom 9. Juli 1937 an Gertrud Bing kündigte Kuhn dann die Ankunft seiner Frau und Reinhards an (wohl in der zweiten Julihälfte), die während der Sommermonate 1937 ebenfalls in der Oppidans Road wohnten. Der umfangreiche Hausstand blieb noch in Frankreich und wurde laut einem Brief von Gertrud Bing an Käthe Kuhn vom 5. Juli 1938 später auf einem Speicher in Paris deponiert. Annette Kuhn hingegen reiste in Begleitung ihrer Großmutter nach England ein (Brief von Eva Frank an Käthe Kuhn 26.9.1937, Bayerische Staatsbibliothek München, Ana 581).

Teilnahme am 9. Internationalen Kongreß für Philosophie in Paris (August 1937)

Der für die Philosophen in dieser Zeit wichtigste Kongreß war der 9. Internationale Kongreß für Philosophie, der Anfang August 1937 in Paris stattfand[George Leaman/Gerd Simon: Die Kant-Studien im Dritten Reich - https://www.kant.uni-mainz.de/ks/history/leaman.html. Demnach liegt ein Exemplar des Programms im BAPo 49.01 REM 2940 Blatt 145–153]. An ihm nahm auch Helmut Kuhn teil. Am 14. August 1937 beglückwünschte Husserl brieflich Ake Petzäll (Briefwechsel, Band 8, S. 283), Helmut Kuhn zur Mitarbeit gewonnen zu haben. „Ich selbst schätze ihn ausserordentlich.“ Auch Husserl selbst war zu diesem Kongress eingeladen worden. Da die Teilnahme an internationalen Kongressen im damaligen Deutschland genehmigungspflichtig war, erhielt Husserl aber keine Genehmigung, um an diesem Kongress teilzunehmen [George Leaman/Gerd Simon: Die Kant-Studien im Dritten Reich - https://www.kant.uni-mainz.de/ks/history/leaman.html unter Verweis auf Aktenvermerk Dahnke, 1.6.37, BAPo 49.01 REM 2940 Blatt 94]. Man fürchtete, dass ihm wie schon in Prag 1934 Ovationen entgegengebracht werden, was die Nationalsozialisten auf sein Judentum bezogen und entsprechend als NS-feindlich auslegten [ebd. unter Verweis auf den undatierten Bericht Gerhard Lehmanns als Anlage zu Lehmann an Mattiat, 9.8.37, BAPo 49.01 REM 2940 Blatt 240–2] Der deutsche, wie für jeden Kongress vom Wissenschaftsministerium bestellte "Delegationsleiter" war Heyse. Außerdem nimmt als Presseberichterstatter auf Veranlassung von Baeumler[ebd. Aktenvermerk Dahnke, 16.6.37, BAPo 49.01 REM 2940 Blatt 219.] und "Vertreter des stellvertretenden Vorsitzenden der Kantgesellschaft" (mit letzterem ist wohl der Verleger Metzner gemeint) nimmt an dieser Tagung auch der junge Gerhard Lehmann teil. Lehmanns Bericht über den Pariser Kongress muss eher zur Gattung der verbandspolitischen Empfehlungen gerechnet werden, die lediglich einige Beobachtungen zum Ausgangspunkt nehmen[Ebd. unter Verweis auf: Bericht Lehmann, ohne Datum [vor 9.8.37], luc. cit.]. Darin wurde zum Beispiel festgehalten, dass der Kongreß von zahlreichen Emigranten besucht war, „insbesondere von Herren aus dem früheren Vorstande der Kant-Gesellschaft: Liebert, Utitz, Kuhn, Pollak etc.". Vor allem die Juden hätten die Gelegenheit wahrgenommen, über die "neue ,Barbarei‘ [...] den Nationalsozialismus" herzuziehen. Darüber hinaus würde es „zwei Kräfte" geben, "mit denen zu paktieren für den Neuaufbau der wissenschaftlichen Auslandsbeziehungen der Kant-Gesellschaft weder zweckmäßig noch möglich sein dürfte: die internationale französische Kulturpropaganda und der internationale Katholizismus". Auch sonst stünden fast alle auf der Tagung vertretenen Länder vor allem unter französischem Einfluß. Im Wissenschaftsministerium war man schon vorher zu einer weitergehenden Einschätzung gekommen: „Es gewinnt den Anschein, als ob es sich um Machenschaften der jüdischen Emigration zur geistigen Einkreisung Deutschlands handelt." [ebd. unter Verweis auf: Aktenvermerk Dahnke, 17.7.37, BAPo 49.01 REM 2940 Blatt 227].

Umzug nach Haslemere (Oktober 1937)

Bereits im Juli 1937 reifte der Plan nach Haslemere zu ziehen und Reinhard dort an der Quäkerschule von Stoatley Rough unter der Direktorin Hilde Lion einzuschulen (Quelle überprüfen ???) Von der Oppidans Road bzw. von Oxford aus ging es dann für die Familie im Oktober 1937 tatsächlich nach Haslemere in Großbritannien. Annette Kuhn besuchte dort den Yafflesmead Kindergarten von Margarete Hutchinson, der nach der Fröbelschen Spielpädagogik arbeitete.

Reinhard Kuhn als Schüler der Stoatly Rough Scholl von Hilde Lion (Oktober 1937 bis Februar 1938)

Reinhard Kuhn ging, wie geplant, auf die Stoatly Rough School von Hilde Lion.

Am 3. Dezember 1937 bedankt sich Helmut Kuhn bei Hilde Lion dafür, dass er zuvor an der Stoatley Rough School einen Vortrag halten konnte und für die Möglichkeit, mit einer Mrs. List lehrreiche Stunden verbringen zu können.

Unstimmigkeiten zwischen den Kuhns und Hilde Lion (Januar/Februar 1938)

Im weiteren Verlauf war es jedoch zu Unstimmigkeiten bezüglich der Qualität des Unterrichts gekommen. Dies teilte Helmut Kuhn am 4. Januar 1938 Gertrud Bing mit, verbunden mit der Information, dass Reinhard nun Privatstunden bei einer Lehrerin in Haslemere erhielte [nämlich bei Dorothy Hutchinson] und man sich nicht sicher sei, ob man Reinhard nach Ablauf der Ferien wieder nach St. Rough zurückschicken solle, weshalb man mit Bing darüber sprechen wolle. Dann haben sich die Kuhns offensichtlich und ohne Hilde Lion vorher zu informieren und die offiziellen Kündigungsfristen von Stoatley Rough einzuhalten, dazu entschieden, die Direktorin der öffentlichen Primary School Dorothy Hutchinson anzufragen, ob Reinhard als Vollschüler aufgenommen werden könne. Hilde Lion erfuhr von dieser Anfrage am 14. Januar 1938 durch einen Brief von Dorothy Hutchinson selbst vom 10. Januar 1938, die aufgrund der Kurzfristigkeit bei Hilde Lion nachfragte. Der Brief wurde ihr nach Deutschland nachgeschickt, wo Hilde Lion Anfang 1938 hinreise, um in Berlin-Schöneberg Freunde zu treffen. Mit einem Brief an Käthe Kuhn vom 14. Januar 1938 verweist Hilde Lion auf die Kündigungsfrist, so dass die Kuhns im Februar in der ersten Woche nach Schulbeginn für das folgende Term, das nach Ostern beginne, die Kündigung zu bewirken. Am 17. Januar 1938 beantwortete Helmut Kuhn diesen Brief, mit dem Verweis, dass Frau Hutchinson zu einer Mitteilung an Lion nicht autorisiert war und deren Mitteilung zudem irrtümlich erfolgte. Man habe, um Reinhard während der achtwöchigen Jahreszeit genügend zu beschäftigen, ihm Privatstunden bei Miss Hutchinson geben lassen und diese gebeten, Reinhard bis zum 15. Februar an ihrem jetzt beginnenden Unterricht teilnehmen zu lassen. Längerfristige Abmachungen seien damit nicht verbunden gewesen. Reinhard selbst habe gerade eine Phase, die ihm jeglichen Schulbesuch verleidet, da er nicht von Eltern und Schwestern getrennt werden möchte. Da man ohnehin auf einen Entscheid aus Amerika warte, habe man während der Ferien nicht den Kontakt zu Lion gesucht.

Am 16. Februar 1938 kam es schließlich zur entscheidenden Unterredung zwischen Käthe Kuhn und Hilde Lion (Goldenstedt, S. 52). Hilde Lion berichtet im Anschluss daran an die Vereinbarung, Reinhard jeden Sonnabend sofort nach Stundenschluss nach Huas gehen zu lassen, damit er den Sonnabendnachmittag und den ganzen Sonntag mit den Eltern verleben kann. Außerdem hat man Käthe Kuhn angeboten auch Annette Kuhn für eine gewisse Zeit aufzunehmen, damit die Mutter zur Ruhe kommen könne. Käthe Kuhn hingegen berichtete Bing über die Unmöglichkeit des Verhaltens von Lion ihr gegenüber. Auch ihre Vorschläge lehnte Käthe Kuhn ab, denn der eintägige Aufenthalt von Reinhard im Hause Kuhn sei wirtschaftlich nicht tragbar und Annette als Dreijährige nach Stoatley Rough zu schicken, wo das nächstjüngste Kind immerhin sechs Jahre alt sei, sei pädagogisch unmöglich.

Helmut Kuhn teilte daraufhin Hilde Lion am 18. Februar 1938 mit, Reinhard von der Schule zu nehmen. Am 20. Februar berichtete Kuhn davon Gertrud Bing. Bing machte sich für das Problem mitverantwortlich, weil sie die Probleme von Emigrantenfamilien bei der Einschulung ihrer Kinder und auch die Problematik der achtwöchigen Winterferien unterschätzt habe, und infolgedessen zu spät vermittelnd eingegriffen habe.

Umzug ins Laburnum House (Ende Januar 1938)

Ende Januar 1938 zog die Familie ins Laburnum House in der Longdene Road.

Vorbereitungen für die Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika (März 1938)

Aus einem Brief von Gertrud Bing an Käthe und Helmut Kuhn vom 11. März 1938[Warburg Archive GC, London, nach Goldenstedt, S. 83] geht hervor, dass Ake Petzäll, Gründer und Herausgeber der schwedischen Zeitschrift „Theoria“ ihm einen Nachweis über ein Bankguthaben in Göteborg ausstellte, der letztlich dafür erforderlich war, um zu dokumentierten, dass man ein Jahr in den USA überleben könne.

Neuanfang in den Vereinigten Staaten

Emigration zuerst von Helmut Kuhn (Juni 1938)

Die gesamte Emigration erfolgte mit Unterstützung von Gertrud Bing vom Warburg Institute in London, finanziell zudem von der Society for the protection of Science and Learning und dem Emergency Commitee.

Wohl Anfang Juni 1938 emigrierte zunächst Helmut Kuhn in die USA und war zunächst Gast im Hause Gilbert[vgl. Brief an Gertrud Bing vom 7. Juni 1938 im Warburg Archive GC, laut Goldenstedt].

Nachdem er es noch im Juni 1938 mit Hilfe der amerikanischen Philosophin Katherine Everett Gilbert (1886-1952) geschafft hatte, erfolgreich Kontakt mit amerikanischen Institutionen aufzunehmen, was die wirtschaftliche Situation der Familie schnell verbesserte. Er bekam ein Forschungsstipendium der Graham Kenan Akademie für Philosophie und ging dafür an die Universität Chapel Hill in North Carolina.

Nachholen der Familie (September 1938)

Im September 1938 kam seine Frau mit den Kindern nach[vgl. Annette Kuhn, a.a.O., S. 35], wann genau die Überfahrt stattfand ist schwer zu terminieren. Nach einigen Wochen schrieb Käthe Kuhn an Gertrud Bing am 5. Oktober 1938 einen Bericht über die „letzten Wochen“. (Goldenstedt, S. 90). Laut diesem Brief reisten sie am 2. September von Haslemere mit der Bahn ab und wurden in New York überraschend vom Vetter einer sehr guten Berliner Freundin am Pier abgeholt und nach Durham gebracht, wo Helmut Kuhn sie zusammen mit Prof. Thomas empfing.

Die Familie lebte sich in Chapel Hill wohl schnell ein. Die Tochter erinnerte sich an die Zeit in Chapel Hill: „Mein Vater verbreitete um sich die Atmosphäre eines autoritätsbewussten Denkers, der keinen Widerspruch duldete. In den Jahren in Chapel Hill schrieb er an seinem Buch FREEDOM FORGOTTEN AND REMEMBERED, in dem er seine eigene Situation als deutscher Philosoph in den USA in den großen weltgeschichtlichen Zusammenhang von Krieg und Frieden stellte. Zur gleichen Zeit veröffentlichte er zusammen mit seiner Kollegin Catherine Gilbert seine PHILOSOPHISCHE ÄSTHETIK. Der Aufenthalt in den USA war für ihn stimmig. Inzwischen selbst US-Bürger, pries er die Demokratie als die beste Staatsform, war ein erklärter Gegner des Nationalsozialismus und vertrat als konservativer Denker das bessere Deutschland“ [Annette Kuhn, a.a.O., S. 46].

Erstes Werk in englischer Sprache gemeinsam mit Katharine Everett Gilbert (1939)

Das erste Werk in englischer Sprache schrieb Kuhn gemeinsam mit Katharine Everett Gilbert, die wie Kuhn sich in Kunstphilosophie und Ästhetik profilierte und seit 1930 Professorin für Philosophie an der Duke University wirkte. Bereits in einem Brief von Anfang Februar 1938 berichtet ein undatierter, aber vor dem 3. Februar 1938 gelaufener Brief, dass die Arbeit am gemeinsamen Buch voranschreitet [Warburg Archive GC, London, nach Goldenstedt, S. 84]. Es handelte sich um ein Dialog- und Textbuch über die “Geschichte der Ästhetik”, das dann 1939 erschien.

Weitere Veröffentlichungen in den Vereinigten Staaten von Amerika (ab 1940)

1940 beteiligte sich Kuhn an den "Philosophical Essays in Memory of Husserl" (Helmut Kuhn: The Phenomenological Concept of "Horizon", in Marvin Farber (Hrsg.): Philosophical Essays in Memory of Husserl, Cambridge, Harvard University Press, 1940, S. 106-123).

In deutscher Sprache erschien in diesem Jahr noch ein Text in der Exilzeitschrift „Mass und Wert. Zweimonatsschrift für freie deutsche Kultur“ (1937-1940), die im Zürich und New York ansässigen Verlag Oprecht erschienen ist, unter dem Titel „Der gefesselte Prometheus. Gedanken über den Zusammenhang von Tragödie und Kosmologie“ (in: Maß und Wert, II, 1940, 5/6, S. 609-635).

An diese Thematik schließt 1941 in englischer Sprache der Aufsatz “The True Tragedy: On the Relationship between Greek Tragedy and Plato” an (Part I., in: Harvard Studies in Classical Philology, LII, 1941, S. 1-40; Part II, in: ebd., LIII, 1942, S. 37-88).

1941 folgte in englischer Sprache aus dem Bereich der Ästhetik noch der Aufsatz „The System of the Arts” (in: Journal of Aesthetics and Art Criticism, I, 1941, S. 66-79).

1942 folgte in der Zeitschrift "Philosophy and Phenomenological Research" ein weiterer Artikel mit Bezug zu Husserls Phänomenologie (Helmut Kuhn: Fact and Value in Ethics, in: Philosophy and Phenomenological Research, II, 1942, 4, S. 501-510).

Das zweite von Annette Kuhn erwähnte Buch „Freedom forgotten and remembered“ erschien in Chapel Hill 1943 (1942???). Auf der Titelseite zitiert es St. Augustinus mit dem Satz „They came to life again by remembering their proper life which they had forgotten“ (St. Augustine, On the Trinity XIV 13). Karl Löwith rezensierte dieses Buch für “Social Research” (11, 1944, S. 117). Zum Schlussabschnitt “Rehabilitation der Theologie” merkte er kritisch an: “Christianity, in particular, found freedom in bondage, and the City of Man is not allowed to encroach on the City of God. The modern conscience, however, is so thoroughly secularized that even Kuhn, who remembers Augustine on the title page, forgets that the “Rehabilitation of Theology” (p. 255 ff.) requires a faith in things invisible which is not to be found in the modern interpretation of Christianity as freedom and humanity.”

Es folgen folgende Aufsätze:

  • The Common Man on Trial, in: Review of Politics, VI, 1944, 1, S. 18-35
  • Charity and Contemplations: Comments on Reinhold Niebuhr´s Gifford Lectures, in: Philosophy and Phenomenological Research, 1944, S. 420-430
  • The Humanity of Man, in: A State University Surveys the Humanities, Chapel Hill, Univ. of. N.C. Presse, 1945, S. 68-80
  • The Classical Christian Tradition and the Emerging World, in: Theology Today, II, 1946, 4, S. 443-458
  • Conscience and Society, in: The Journal of Religion, XXVI, 1946, 3, S. 303-344
  • Thought and Action. A Meditation on the Principles of Political Science, in: Journal of Politics, VII, 1946, 4, S. 451-477
  • Artikel “Empathy” (S. 320-321), “Imagination” (S. 453) und “Philosophy of Art” (S. 741-747), in: D. D. Runes/H. G. Schrickel (Hrsg.): Encyclopedia of the Art, 1946
  • Metaphysics and Existentialism, in: Review of Metaphysics, I, 1947, S. 1
  • True Poetry is Praise, in: Theology Today, IV, 1947, 2, S. 238-258
  • Exhortatio ad Philosophiam, in: Philosophy and Phenomenological Research, VIII, 1947, I

Außerdem setzte Kuhn sich 1946/47 in den USA für die Übersetzung von Meineckes Buch „Die Deutsche Katastrophe“ ein [vgl. Meineckes Brief an G. Mayer vom 29. Dezember 1946, in: Friedrich Meinecke: Werke, Bd. 6: Ausgewählter Briefwechsel, bearbeitet von Gerhard Albert Ritter, München 2006, S. 266; auch Meinecke, Werke, 1968, S. 603]. Sein Sohn Reinhard arbeitete wohl auch an einer Übersetzung [vgl. Annette Kuhn, a.a.O., S. 55]. Es ist in englischer Sprache dann aber wohl erst 1950 in einer Übersetzung von Sidney B. Fay in Großbritannien erschienen.

Käthe Kuhns Engagement für das "American Committee to Aid Survivors of the German Resistance" (ab 1948)

Käthe Kuhn engagierte sich noch in den Vereinigten Staaten nach dem 20. Juli 1944 für die Überlebenden des Deutschen Widerstands. Sie gründete, unterstützt von ihrem Mann und zusammen mit Eric Warburg, 1948 die Hilfsorganisation „American Committee to Aid Survivors of the German Resistance“, bald als „Hilfswerk 20. Juli“ bekannt. Chairman der Organisation war Reinhold Niebuhr, Schatzmeister Paul H. Kempner. Im Organisationskommitee engagierten sich Karl Brand, Edward B. Burling, Mrs. William L. Clayton, Mrs. Joseph C. Grew, Allen W. Dulles, Richard J. Kroner, Helmut Kuhn, Henry Smith Leiper, Felix Morley, Henry Parkman, George N. Shuster, Robert G. Sproul, Dorothy Thompson, Paul J. Tillich, Mrs. Harold Walker, Eric M. Warburg und Helen C. White. Als Sekretärinnen wirkten Käthe Kuhn und Dotty Waetjen. Es ging vor allem um die Verschickung von Care Paketen an die Witwen und Hinterbliebenen des 20. Juli 1944, aber auch an viele andere Notleidende in Deutschland [vgl. Annette Kuhn: a.a.O., S. 52]; Frauke Geyken: Wir standen nicht abseits: Frauen im Widerstand gegen Hitler, 2014; Christiane Goldenstedt, „Du hast mich heimgesucht bei Nacht.“ – Die Familie Kuhn im Exil, 2013].

Wechsel Helmut Kuhns an die Emory-State-University in Atlanta (1947 bis 1949)

1947 wechselte Kuhn noch für kurze Zeit bis 1949 an die Emory-State-University in Atlanta. Von dort aus erschienen:

  • Marx, Disciple and Adversary of Hegel, in: Emory Univ. Quarterly, IV, 1948, 3, S. 7-8
  • Carlyle, Ally and Critic of Emerson, in: Emory Univ. Quarterly, IV, 1948, S. 171-180
  • Die Philosophie in den Vereinigten Staaten, in: Studium Generale, I, 1948, 7, S. 426-434
  • (general editor) gemeinsam mit Ernst Cassirer und anderen: Renaissance Philosophy of Man, Chicago 1948
  • Encounter with Nothingness. An Essay on Existentialism, Hinsdale 1949; London 1951; deutsch: Begegnung mit dem Nichts: ein Versuch über die Existenzphilosophie. Tübingen 1950; span. Buenos Aires 1953
  • Existentialism - Christian and Anti-Christian, in: Theology Today, VI, 1949, 3, S. 311-323
  • Ernst Cassirer´s Philosophy of Culture, in Schilpp (Hrsg.): The Philosophy of E. Cassirer, Northwestern Univ. Press Evanston, III, 1949, S. 547-574

Teilnahme am Philosophenkongress in Mendoza/Argentinien (März 1949)

Am 28. März 1949 nahm er noch von Atlanta aus am 1. Nationalen Philosophiekongress an der Quyo Universität in Mendoza in Argentinien teil.

Kuhn und Chicago

Die mitunter zu findende Aussage Helmut Kuhn habe neben Hans Rothfels, Hans Morgenthau und Arnold Bergstraesser an der University of Chicago gelehrt ist, ist falsch (so bei Wilhelm Bleek: Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, 2001, S. 251; auch noch Bleek, Schulen der deutschen Politikwissenschaft, 2013, S. 195).

Neue Auseinandersetzung mit Guardini noch in Amerika (1948)

Eine wirkliche und öffentliche Auseinandersetzung von Seiten Kuhns mit Guardinis Werk findet erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zunächst noch von Amerika aus in Form von Rezensionen statt.

Es beginnt mit seiner Rezension zu Guardinis Dostojewskij-Werk (Helmut Kuhn: Rezension zu: Guardini, Religiöse Gestalten zu Dostojewskijs Werk, in: German books. A selective critical bibliography of publications in German, Chicago, 1, 1948, S. 42).

Wenig später folgt eine Rezension zu Guardini "Tod des Sokrates" (Helmut Kuhn: Rezension zu: Guardini, Der Tod des Sokrates, in: German books. A selective critical bibliography of publications in German, Chicago, 1, 1948, S. 71 f.): “Guardini has developed the philosophical interpretation of works of literature into an art of rare perfection. His Christian humanism is wide enough to include within the scope of sympathetic understanding not only St. Augustine, Dante, and Pascal, but also such apostates from Christianity as Hoelderlin, Dostoevski, and Nietzsche. At the same time [72] the formulations by which the interpreter expresses his own convictions are so flexible as to give his sensitiveness full range and prevent him from imposing upon his portraits an unbecoming family likeness. Under the Hitler regime he had to go into retirement, and it is gratifying to see him now back at his work of teaching and writing. In the book before us Guardini ventures into a field which in recent decades has been scrutinized by a whole army of critics. Closely for ing Plato's text, throwing into bold relief the structure of the argument as expressed by the the literary form, and scaring occasionally to a bird´s eye-view of the Platonic world, the writer shows to best advantage his responsiveness to a great text and his mature and reverent wisdom. But the things he invites us to observe have been seen before by others. There are hardly fresh discoveries as we found them in Guardini´s interpretations of Hoelderlin´s hymns or of Dostoevski´s novels. Guardini is very satisfactory as an interpreter of the Socratic drama and the Platonic myth. He ist not quite as satisfactory in explaining Plato´s dialectic. There are wonderful pages on the 'existential' reality of Plato's conception of knowledge, on ascent as the form of spiritual life, and on the re-descent into human-political reality (ps. 183-184). But when he comes to the doctrines of Ideas, a certain evasiveness of terminology blure the sharp outlines of Plato´s thought. The sturdy and persistent rationality of the ancient philosopher finds no answering counterpart in the refined sensitivity of his modern commentator. None of the metaphysical problems with which the Phaedo leaves us is seen and expressed with clarity: neither the problem of the status of the soul (which is changeable and yet akin to the immutable Forms), nor the problem of the ontological character of the world of Becoming, nor finally the problem as to how immutable Forms can cause change. With too facile and rather un-Platonic formulae truth is identified with the Ideas (p. 149), and the Ideas in turn, with a not very felicitous choice of terms, are described as “images” (“Bilder”) or “value images” (“Wertbilder,” p. 209). Guardini's book is an excellent aid in reaching the level at which Plato must be understood. But in order to come to grips with Plato's central problems the reader will have to fall back on his own resources. Emory University Helmut Kuhn”

Ebenfalls in "German books" von 1948 erscheint noch eine Kurzrezension von Guardinis "Der Anfang" (Helmut Kuhn: Kurzrezension zu: Guardini, Der Anfang, in: German books. A selective critical bibliography of publications in German, Chicago, 1, 1948, S. 212): "Guardini's art of interpretations consists in clarifying ideas while at the same time evoking the mood which surfuses them. He is particularly successful with a text so close to his heart as the five opening chapters of St. Augustin's Confessions. The little book is a valuable supplement to the writer's Die Bekehrung des heiligen Aurelius Augustinus (1935). Helmut Kuhn"

Rückkehr nach Deutschland

Rückkehr und Lehrstuhl in Erlangen (1949-1952)

Annette Kuhns Datierung des Wechsels (noch 1948)

Denn weiter vorne hatte sie noch geschrieben: "Meine Lage änderte sich erst, als ich 1948 in der Baldwin School Aufnahme fand. Die Baldwin School lag im Norden, in Pennsylvania, jenseits der Mason-Dixie-Line, die damals die Nordstaaten von den Südstaaten trennte"[Ebd., S. 50]. Im Spätsommer fuhr Annette Kuhn mit ihren Eltern zu einem letzten Besuch nach New york City, um sich von den vielen Freunden zu verabschieden, darunter Paul Tillich, Reinhold Niebbuhr und andere evangelische Theologen, aber vor allem auch von Käthe Riezler und Erich Warburg.[vgl. ebd., S. 51 f.].

Annette Kuhn erinnert weiter, dass ihre deutsche Schulzeit 1948 in Erlangen begonnen habe[Annette Kuhn, a.a.O., S. 65]. Außerdem: "Erst 1948 zu meiner Heimkehr nach Deutschland schickte mir Tante Meinecke meine "Niemöller-Bibel", die sie für mich aufbewahrt hatte"[Ebd., S. 15]. Sie besuchte in Erlangen von 1948 bis 1951 das Gymnasium Fridericianum.

Die Rolle Reinhold Schneiders

Reinhold Schneider hatte die Kuhns zur Rückkehr nach Deutschland ermutigt, was ihm bei Helmut Kuhn weniger schwierig gefallen sein dürfte als bei Käthe Kuhn. Er hatte wohl seit 1947 r brieflichen Kontakt mit Helmut Kuhn [1947-1956: Badische Landesbibliothek; Nachlaß Reinhold Schneider; Signatur: K 2875: Briefe von Helmut Kuhn an Reinhold Schneider. Erlangen, 1947-1956. - 16 Br., 1 K., Deutsch. – Brief]

1954/55 schrieb Kuhn auch zwei Rezensionen zu Werken Reinhold Schneiders:

  • Tragödie und Kreuz. Rezension zu: Reinhold Schneider: Ausgewählte Werke, 8, 1954, Heft 74, 4 (April 1954), S. 394-396
  • Kreuz zwischen Stromschnellen. Über Reinhold Schneider, in: Merkur, IX, 1955, Heft 84, 2 (Februar 1955), S. 193-195 (Rezension zu: Reinhold Schneider: Verhüllter Tag)

Käthe Kuhn war schon bald nach der Rückkehr gebeten worden, ihre Beziehungen zu nutzen, um - unterstützt durch Helmut Gollwitzer und Reinhold Schneider eine - Sammlung von Abschiedsbriefen von NS-Gegnerinnen und Gegnern herauszugeben. Die Sammlung kam 1954 in Deutsch unter dem Titel „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“, 1956 in Englisch unter dem Titel „Dying we live“ heraus (vgl. dazu Annette Kuhn: a.a.O., S. 58).

Zwei Mal findet sich in dieser Sammlung ein Bezug zu Guardini, nämlich einmal in einem Brief von Alfons Wachsmann und einmal in einer Tagebuch-Aufzeichnung von Jochen Klepper:

  • Alfons Wachsmann an seine Schwester Maria am 1. August 1943: „Den Rosenkranz von Guardini bete ich täglich und vom richtigen auch noch. Noch nie habe ich solche Einkehr gehalten“[1955, S. 192] und "Jetzt lese ich in der lateinischen Nachfolge und in Guardini Der Herr“[ebd., S. 195].
  • Jochen Klepper schreibt zum Freitag, den 4. Dezember 1942: „Hanni [=Johanna Klepper] hatte Frau K. zum Tee; abends fuhren wir in einen Vortag von Guardini. Es war das erstemal, dass wir – gar keine Vortrags- und Vorlesungsmenschen – einen Vortrag auf-suchten. Diesmal war der Wunsch sogar von Hanni ausgegangen, weil Guardini bei unserem Zusammensein doch sehr auf sie gewirkt hatte. Und was ich noch nie getan hatte: Ich nahm Notizbuch und Bleistift mit, so groß war auch mein Zutrauen. Drei überfüllte Säle besten Publikums und bester Jugend; in zwei Säle mußte der Vortrag durch Lautsprecher übertragen werden. Die Menschen standen fest eingekeilt; wer nur konnte, schrieb mit"[1955, S. 400/1957, S. 419].

Verkündung des Wechsels nach Erlangen (Sommer 1949)

Am 8. Juli 1949 erfuhren die Studierenden der Emory State University in Atlanta von der Absenz ihres Professors, der im Juni für ein Jahr die Universität verlassen habe, um an der Erlanger Universität zu lehren. Insider vermuteten, dass dies aber ein Abschied auf Dauer sein würde [vgl. Goldenstedt, a.a.O., S. 102].

Lehrstuhl für Philosophie in Erlangen

Helmut Kuhn erhielt 1949 zunächst einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Erlangen.

Schulischer Wechsel der Tochter nach Heidelberg

Annette Kuhn ging dann von 1951 bis zum Frühjahr 1954 die Elisabeth-von-Thadden-Schule, wo sie vor allem durch Marie Baum, geprägt wurde [Annette Kuhn, a.a.O., S. 73].

Vortrag bei 2. Lindauer Psychotherapiewoche 1951

  • Ärztliche Psychotherapie und Philosophie, in: Die Vorträge der 2. Lindauer Psychotherapiewoche 1951, Stuttgart, G. Thieme, 1951, S. 102-112

Veröffentlichungen in der Erlanger Zeit

  • The Christian Conscience in our Political World, in: Measure, I, 1950, 4, S. 372-385
  • Existentialism. The Philosophy Library, in: Ferm, Vergilius (Hrsg.): A History of Philosophical Systems, New York 1950, S. 405-417
  • Nicolai Hartmann's ontology, in: Philosophical Quarterly, 1, 1951, S. 289-318
  • The Wisdom of the Greeks, in: Myers, E.D. (Hrsg.): Christianity and Reason. 7 Essays, N. Y. Oxoford Univ. Press, 1951, S. 145-172

Die Zeit in München (ab 1953)

Lehrstuhl für amerikanische Kulturgeschichte und Philosophie in München (1953-1956/59)

Helmut Kuhn erhält schließlich am 1. April 1953 als Lehrstuhlvertreter, am 1. Mai 1953 als Professor in München an die Ludwig-Maximilians-Universität den Lehrstuhl für amerikanische Kulturgeschichte und Philosophie. Gleichzeitig war er Vorstand des Münchner Amerika-Instituts bis 1958 und dann bis 1960 kommissarisch. Auf den danach umbenannten „Lehrstuhl für Nordamerikanische Kulturgeschichte“ folgte ihm F. G. Friedmann, ebenso in der Institutsleitung.

Gründung der "Philosophischen Rundschau" mit Gadamer

Zum Jahrgang 1953/54 begründete Kuhn dann gemeinsam mit dem Heidelberger Hermeneutiker und Heidegger-Schüler Hans-Georg Gadamer die „Vierteljahresschrift „Philosophische Rundschau“, die der Wiederbelebung einer echten philosophischen Kritik dienen soll.

In dieser Zeitschrift sollte Gadamer zwei Mal Schriften Kuhns rezensieren, nämlich 1954 und 1977:

  • Gadamer, Rez.: Die Wiedergeburt der Metaphysik aus dem Gewissen (Helmut Kuhn: Begegnung mit dem Sein, 1954), 1954. (GW4);
  • Gadamer, Rez.: Helmut Kuhn, Liebe: Geschichte eines Begriffs, München, Kösel Verlag, 1975, 269S. in: Philosophische Rundschau, 24. Jg. (1977), H. 1/2, S. 117-120. ,Liebe, Geschichte eines Begriffs (H. Kuhn)', in: GW4, S. 103-106.

Schließlich verfasste Gadamer 1991 in der „Philosophischen Rundschau“ den Nachruf auf Helmut Kuhn[Gadamer, Helmut Kuhn +, geb. 22. März 1899, gest. 2. Oktober 1991, in: Philosophische Rund-schau, Bd. 39, 1992, 1/2, S. 1-2]

Wechsel zur allgemeinen Philosophie (1956/59)

„In München wurde er 1953 zum Professor für Amerikanische Kulturgeschichte und Philosophie am Amerika-Institut der Universität München ernannt. Er wollte aber einen rein philosophischen Lehrstuhl. Die Berufung war schwierig, denn es gab Widerstand von mehreren Mitgliedern der Fakultät[Herrera, a.a.O., S. 11f.: Kuhn spricht, im Bezug auf diese Episode, von Kämpfen, „die eine mir früher unbekannt gebliebene Feindseligkeit enthüllen“; Curriculum S. 279. Die Fakultät war gegenüber Kuhn eher feindselig; vgl. Helmut Kuhn 80 Jahre. Laudatio von Prof. N. Lobkowicz, in: Zeitschrift für Politik 26 (1979), S. 217; Curriculum, S. 279; Mitteilung von J. Jantzen an den Verfasser.“]

Auch Guardini scheint sich damals mit Dempf und anderen für Kuhns Wechsel eingesetzt zu haben. In einem Brief von Käthe Kuhn an Annette Kuhn vom 3. Februar 1956 heißt es: „Guardini ist sehr für Papi worauf wir uns alle viel einbilden können. Jedenfalls ist die Fakultätsliste durch mit Papi an erster Stelle (nach harten Kämpfen), jetzt kommt die Senatssitzung – leider in Abwesenheit von Alex, der nach USA bangen Herzens in diesem Monat geht. Dempf ist ein wackerer Streiter und unermüdlicher Freund, Kuhn ist in dieser Sache sein ergebener Knappe. Mündlich mehr.“ (???)

Gemeint ist die Nachfolge von Aloys Wenzl, der am 1. März 1955 emeritiert worden war: „Die Nachfolgeregelung gestaltete sich schwierig. Nach langem Ringen einigte sich die Fakultät im Dezember 1956 auf eine Berufungsliste, aber die beiden Erstplatzierten Carl Friedrich von Weizsäcker, Universität Göttingen, und Gottfried Martin, Universität Mainz, lehnten nacheinander den Ruf ab, worauf das Ministerium die Berufungsliste an die Fakultät zurückgab. Die Fakultät konnte sich nicht auf eine neue Berufungsliste einigen: Eine Mehrheit, darunter Alois Dempf, votierten für Helmut Kuhn, der a. o. Professor für amerikanische Kulturgeschichte und Philosophie am in der Fakultät angesiedelten Amerika-Institut war, eine Minderheit, darunter Aloys Wenzl, votierten für Fritz-Joachim von Rintelen, der bis zu seiner Zwangsbeurlaubung durch die Nationalsozialisten 1941 schon einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität München innegehabt hatte. Nachdem die Fakultät sich nicht einigen konnte, berief das Ministerium schließlich Helmut Kuhn zum 15.9.1958 als Nachfolger Wenzls" [Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität, hrsg. von Hans Otto Seitschek, ‎Wolfhart Henckmann, ‎Martin Mulsow · 2010, S. 255].

Am 15. September 1958 übernahm Kuhn also als ordentlicher Professor den Lehrstuhl für Philosophie und wurde gleichzeitig Vorstand des Philosophischen Seminars I, 2. Abteilung, was er bis 1967 blieb. Formal bedarf es dazu aber offensichtlich eines nochmaligen Wechsels:

"Kuhn wechselte allerdings schon drei Monate später in das Philosophische Seminar I auf einen neu eingerichteten Lehrstuhl für Philosophie, und das Ministerium berief zum 15.12.1958 Wolfgang Stegmüller als eigentlichen Nachfolger von Aloys Wenzl“ [Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität, hrsg. von Hans Otto Seitschek, ‎Wolfhart Henckmann, ‎Martin Mulsow · 2010, S. 255].

"Allgemeine Gesellschaft für Philosophie in Deutschland" (1957 bis 1962)

Von 1957 bis 1962 war Helmut Kuhn Präsident der „Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland“. 1961 leitete er für diese auch den 6. Kongresses der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland in München.

Rektor der "Hochschule für Politik" (1960-1970)

Von 1960 bis 1970 bekleidete Kuhn das Amt des Rektors der Hochschule für Politik/Politische Wissenschaft in München.

Mitherausgeber der "Zeitschrift für Politik" (1960-1987)

Damit verbunden war auch die Übernahme der Position des Redakteurs und Mitherausgebers der "Zeitschrift für Politik", zunächst bis 1962 noch mit A. Grabowsky. Die „Zeitschrift für Politik“ wurde nämlich 1961 auch Organ der Hochschule für Politik München anstelle der „Politischen Studien“ (vgl. dazu: Helmut Kuhn 80 Jahre, in: Zeitschrift für Politik, 1979). Durch den langen Zeitraum sollte er die Zeitschrift nachhaltig prägen.

Neue Beziehung zu Guardini (1949-1968)

wird noch ausgeführt

Das Wirken und das Werk Helmut Kuhns nach Guardinis Tod

wird noch ausgeführt

Späte Kritik an Guardini durch die eigene Stellungnahme zu "Kulturrevolution" und für eine „konservativen Wende“

wird noch ausgeführt

Komplexe Familiengeschichte nach 1968

Wird hier nicht ausgeführt, da familiengeschichtlich keine Bezüge mehr zu Guardini.

Annette Kuhn und Romano Guardini

Wann Annette Kuhn selbst erstmals mit Guardini bekannt wurde, ist nicht genau zu bestimmen, wohl aber erst nach dem Wechsel der Familie Kuhn von Erlangen nach München. Dort begann Annette Kuhn zum Wintersemester 1954/55 Geschichte, Germanistik, Anglistik und Philosophie zu studieren[vgl. zum Studium: Annette Kuhn, a.a.O., S. 81ff.]. Sie hörte während des Studiums neben Gollwitzer, Grüning, Schnabel, Spindler, Spörl, Stadtmüller, Kunisch, Motekat, Stöcklein, Clemen, Bourke, Deku auch bei ihrem Vater und bei Guardini. Nebenbei las man mit befreundeten Studenten die Duineser Elegien von Rilke, „den Kommentar zu Rilkes Elegien von Romano Guardini auf dem Schoß“[Ebd., S. 84].

1955 kam es zum Konflikt mit den Eltern sowie das Ende einer Beziehung mit einem britischen Studenten namens „John“, der von ihrem Vater vehement abgelehnt worden war. Sie flüchtete sich infolgedessen zu ihrem Bruder Reinhard in die Vereinigten Staaten. Aufgrund erhaltener Papiere und Briefe verbrachte Annette Kuhn bereits Weihnachten 1955 bei ihrem Bruder Reinhard und seiner ersten amerikanischen Frau „Liesl“ (wohl Gräfin von Rittberg).

Annette Kuhn berichtet, ihre Eltern hätten während des Auslandsaufenthaltes konvertiert und stellten sie damit vor vollendete Tatsachen. Ob sie es ihr erst nach ihrer Rückkehr oder während des Amerika-Aufenthalts mitgeteilt haben, war zunächst unklar. Unabhängig davon hat sie das unglaublich getroffen und kränkte sie die Tatsache sehr, so nach ihren Erzählungen gegenüber Rothe. Dennoch gab sie später den Ausschlag für einen vergleichbaren Weg. Sie wollte „den Anschluss“ finden. Der Zeitpunkt der Konversion der Eltern ist in der Literatur sehr divergierend: „1937“, „in den Jahren des amerikanischen Exils“, „fünfziger Jahre“, „1955“ oder gar „Anfang der sechziger Jahre“ bis „Mitte der sechziger Jahre angegeben; auch wurde bisher nicht klar, ob Helmut und Käthe Kuhn gemeinsam oder unabhängig voneinander konvertiert hatten. Die Konversion fand vor allem im Umfeld der Jesuiten in München, insbesondere von P. Augustin Rösch statt. Mittlerweile kann aufgrund eines Briefes 1956 als Konversionsjahr dokumentiert werden.

1957 kehrte Annette Kuhn nach München zurück und besuchte die Hauptvorlesung von Romano Guardini: „Etwa über das Numinose bei Walter F. Otto. Über religiöse Anschauungen in den Weltreligionen.“

Sie schloss ihre Studien mit einer Promotion bei Franz Schnabel und Max Spindler über „Die Staats- und Gesellschaftslehre Friedrich Schlegels“ ab, die 1959 publiziert wurde. Darin findet sich eine Berufung auf Guardini: Der Sonntag, gestern, heute und immer, Würzburg 1957 (S. 39: „Schlegel bleibt vielmehr dem alttestamentlichen Sinne der christlichen Verheißung treu: die irdische Herrschaft des Menschen ist nicht souverän, sondern sie ist ihm verliehen; der Mensch herrscht als Statthalter Gottes.“ und eine auf: Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1950 (S. 61: „Aus dieser Ordnung trat in der Neuzeit der autonome Mensch heraus, der aus eigenen natürlichen und menschheitlichen Normen Werte zu schaffen glaubte. Beruht dieser Schritt auf einem „Irrtum“ (Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1950, S. 61), so ist Schlegels Anknüpfen an die universale, religiöse Ordnung gewiß kein romantischer „okkasionalistischer“ Griff.“).

1959 ging sie zum Weiterstudium an die Universität Heidelberg, laut Goldenstedt für den Abschluss des Staatsexamens, was von Valentine Rothe allerdings in Frage gestellt wird, weil Annette Kuhn nie Staatsexamen gemacht habe. Annette Kuhn wurde dort vor allem durch Werner Conze geprägt. In ihrem alten Internat übernahm sie am Wochenende Telefondienste, konnte dort essen und sich verproviantieren. Bei Conze, am Institut für Sozialgeschichte, war eine Habilitation angedacht. Außerdem arbeitete an einem Lexikon mit. Das Stichwort war: "Deutschkatholiken". Es kam aber zu Divergenzen, vor allem mit Mitautor Kosseleck. Außerdem sollte ihr DFG-Stipendium bald zu Ende gehen[Annette Kuhn, a.a.O., S. 135].

Am Mittwoch, den 26. Juli 1961 konvertierte sie mit Taufe zur römisch-katholischen Kirche, zuvor brieflich und in Gesprächen begleitet durch Romano Guardini – Romano Guardini übernimmt die Patenschaft (Wiedertaufe fand aufgrund der noch bestehenden Pflicht zur Taufe mit fließendem Wasser statt). Über die Vorbereitungszeit schreibt sie: „In der Zeit meiner Konversion gewann ich in Romano Guardini einen liebevollen, einfühlsamen Begleiter und guten Freund. Er wurde mein Taufpate. Der Briefwechsel mit ihm hatte mir in meiner Heidelberger Zeit Kraft, Zuversicht und Orientierung gegeben. ... Ich hatte mit ihm meine ersten Gedanken zur Geschichtstheorie ausgesucht“[Annette Kuhn, a.a.O., S. 101]. Guardini sagte anlässlich der Konversion zu Anette Kuhn: „Vergiss nicht, dass du auch eine Protestantin bist. Das musst du auch bleiben“[ebd.]

Das Datum wird bestätigt durch einen Eintrag Guardinis in sein handschriftlich angelegtes Verzeichnis „Ansprachen in der Kirche“: „1961, 26.7. Ignatiushaus „Die Kirche“. Konversion von Annette Kuhn[Vgl. Brief von Gerner an Annette Kuhn vom 7. November 1992]. Das Ignatiushaus ist das frühere Provinzialatsgebäude der Jesuiten in der Seestr. 14 in München. Daher könnte einer der mit der Familie verbundenen Jesuitenpatres der taufende Priester gewesen sein, so zum Beispiel auch noch der dann am 7. November 1961 überraschend verstorbene P. Augustin Rösch. Guardini hält als Taufpate Ansprache bei Konversion mit Taufe, nimmt aber laut Annette Kuhn nicht an anschließender Eucharistiefeier teil. Er ist danach einziger Gast beim anschließenden gemeinsamen Frühstück im Hause Kuhn. Eine Widmung „Zur Erinnerung an den 26. Juli 1961“ findet sich im Nachlass Annette Kuhns im Buch „Der Rosenkranz unserer lieben Frau“.

Am 4. August 1961 schreibt Guardini an Helmut Kuhn, Annette Kuhn habe ihm sein Buch freundlicherweise überbracht. Der Antwort habe auf sich warten lassen, da er es zuerst lesen wollte: "Das ist nun geschehen, und ich möchte Ihnen sagen, wie beglückend es ist, die hinter den eigenen Bemühungen stehenden Intentionen so tief verstanden zu sehen. Lassen Sie sich dafür von Herzen danken. In dem Buch sind aber außerdem so gewichtige Dinge gesagt, daß Anlaß zur Prüfung besteht, ob die Wirklichkeit ihnen entspreche Das Ergebnis wird wohl sein, daß, wenn es vergönnt ist, noch viel getan werden muß." Zum Abschluss grüßt er Frau Kuhn sowie Annette, sofern diese noch in München sei.

Nach der Konversion Annette Kuhns wurde der Briefwechsel sogar noch intensiver. „Bis zu seinem Tod besuchte ich ihn in München. In den letzten Jahren in seinem Bett liegend, teilte er mir seine Gedanken, vor allem seine tiefen Zweifel mit. Kierkegaard war ihm stets nahe, aber er sprach auch gern von der geheimnisvollen Verbindung von Selbstliebe und Gottesliebe bei Pascal. Romano Guardini – für mich der gläubige Zweifler. Er stellte immer neue Fragen. Was wäre gewesen, wenn Jesus länger gelebt hätte, wenn er eine Familie gegründet hätte, wenn, wenn? Er liebte es, weiter zu fragen, als er glaubte, fragen zu dürfen. Und dann kam er wieder auf das, was er das Besondere der christlichen Botschaft nannte. Nur das Christentum habe den Mythos überwunden und den Weg vom Mythos zum Logos geöffnet. In immer neuen Bildern spekulierte Romano Guardini über diesen Weg vom Mythos zum Logos, den auch wir dank der christlichen Botschaft von dem Fleisch gewordenen Wort Gottes gehen könnten. Ich hörte geduldig zu – aber ungläubig“[Annette Kuhn, a.a.O., S. 102 f.]

Am 23. November 1962 schrieb Guardini an Annette Kuhn davon, er habe von ihrer bald anstehenden Probevorlesung gehört und wünsche ihr den "allerschönsten Erfolg".

Dass Guardini die Gegensatzlehre 1962 besonders bewegt, wird auch aus einer Erinnerung Annette Kuhns über einen ihrer Besuch bei Guardini deutlich: „Weihnachten 1962 schenkte er mir sein Buch DER GEGENSATZ. VERSUCH ZU EINER PHILOSOPHIE DES LEBENDIGEN KONKRETEN, eine schon 1925 veröffentlichte Schrift, seine Habilitationsschrift, die er der theologischen Fakultät in Bonn vorgelegt hatte und die abgelehnt worden war. Dieses Buch war 1955 neu aufgelegt worden. Er wollte mit mir darüber sprechen. Romano Guardini nannte dieses kleine Büchlein seine wichtigste Arbeit. Der erkenntnistheoretische Grundgedanke dieser Schrift, die Frage nach der Verbindung von Begrifflichen und Lebendigem, begleitete ihn lebenslang. IN VIELERLEI FORM, RICHTIG UND VERZERRT, MASSVOLL UND VESTIEGEN, wie er selbst es bescheiden und selbstkritisch in seiner Vorrede aus dem Jahre 1925 ausdrückte. Die Lebendigkeit im Konkreten, der Weg zum lebendigen Wort, die Begegnung und die Erfahrung von Nähe und Fremdheit, die schmerzliche Notwendigkeit, in Gegensätzen denken zu müssen. Hiervon erzählte Guardini, oft voller Trauer, oft von Schmerzen überwältigt. Bei diesen Besuchen schwieg ich lange. Wir schwiegen beide“[Annette Kuhn, a.a.O., S. 102 f. Bezüglich der Habilitation irrte Annette Kuhn, da Guardini ja bereits 1922 mit einer Arbeit über Bonaventura habilitierte. Dass Guardini das ja nach eigenem Bekunden eher philosophische Thema der theologischen Fakultät Bonn ursprünglich als Thema angeboten hatte - und das als Alternative zu dem noch ursprünglicher geplanten liturgiewissenschaftlichen Themas - und auch dieses abgelehnt wurde, ist bislang nicht ersichtlich].

Über "Mariechen" (Maria Parzinger), die Haushälterin Guardini, schreibt Annette Kuhn: „Sie bewies durch die alltägliche Selbstverständlichkeit ihres Tuns, dass die Überwindung der falschen Gegensätze im Denken möglich sei. An ihr lernte ich auch den Umgang mit falschen dualen Gegensätzen. Ohne Worte zeigte mir das Mariechen, dass die dualen Gegensatzpaare, Mythos und Logos, Glaube und Vernunft und die dualen Geschlechterkonstrukte, männlich und weiblich, keine unüberwindlichen Gegensätze darstellen, sondern aus Angst erzeugte Grenzen des Denkens“ [Annette Kuhn, a.a.O., S. 103].

Am 27. Dezember 1962 datiert dann - vermutlich motiviert durch den Besuch Annette Kuhns bei Guardini an Weihnachten 1962 - ein an den Bonner Professor Schaller gerichtetes "Gutachten" Romano Guardinis: "Erlauben Sie mir, Ihnen in einer Frage, die mich sachlich wie persönlich interessiert, eine Meinung vorzutragen. Ich weiß, daß Fräulein Dr. Annette Kuhn sich um eine Professur an der dortigen Pädagogischen Hochschule bewirbt und eine Probevorlesung gehalten hat; habe auch von ihrem Vater, Herrn Prof. Helmut Kuhn, erfahren, daß die Vorlesung günstig beurteilt worden ist. Ich kenne Fräulein Dr. Kuhn gut und habe sowohl von ihren wissenschaftlichen wie persönlich-ethischen Qualitäten die beste Meinung. So glaube ich, der Sache zu dienen, wenn ich in überzeugter Weise zu ihren Gunsten spreche. Auch scheint mir noch sehr ins Gewicht zu fallen, daß Fräulein Dr. Kuhn zur akademischen Jugend sicher rasch einen Kontakt des Vertrauens und der Sympathie gewinnen wird. In der Hoffnung, mit dieser Meinungsäußerung Ihren Intentionen entsprochen zu haben, ..."

Annette Kuhn wusste jedenfalls um diese Unterstützung: „Guardini blieb mir Zeit seines Lebens ein sehr guter Freund. Als ich mich um die ausgeschriebene Stelle für Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Bonn bewarb, schrieb er für mich ein Gutachten. Ich werde nicht allzu euphorisch über dich schreiben, sagte er mir mit einem lustigen Zwinkern in den Augen. Das könnte dir nur schaden. [...] Romano Guardini schrieb für mich kein Gefälligkeitsgutachten. Ein guter, sehr guter Freund, ein feinsinniger, zweifelnder Diplomat in der großen Kirche des Herrn." [Annette Kuhn, a.a.O., S. 104].

Annette Kuhn kam der Absprung nach Bonn gerade recht, der vor allem unter Mithilfe Prof. Robert Schlette gelang. Schlette und seine Frau Ruth waren Freunde in einem Lesekreis in München. Aufgrund ihrer fehlenden Schulerfahrung stand man ihr an der Pädagogischen Hochschule skeptisch gegenüber. Aber neben Schlette wurde sie auch von Jürgen Rausch, ebenfalls mit der Familie Kuhn befreundet, gefördert. Valentine Rothe sagte mir dazu, der habilitierte Robert Schlette habe sie an die PH Bonn gehört, mit großer Zustimmung Guardinis und zunächst bei gleichzeitiger Geheimhaltung vor ihrem Vater. Zum Sommersemester 1963 wechselte Annette Kuhn dann tatsächlich nach Bonn.

Die Kalendereinträge Guardinis bestätigten weitere Besuche 1963:

  • 16.4.63: Eintrag in Kalender: „Di 16.4. [Notizen:] Ann. Kuhn Abschiedsbesuch. Fährt nach Bonn und beginnt am 1.5. zu lesen.“
  • 20.8.63: Eintrag in Kalender: „Di 20.8. [Notizen:] Ann. Kuhn g. Abend“

"Nach seinem Tod fand sein Freund Felix Messerschmid, der sich für die politische Bildung nach 1945 in Deutschland einsetzte, im Nachlass von Guardini ein von mir verfasstes Manuskript mit dem Titel „Warum studieren wir Geschichte?“. In einem Brief vom 10. März 1969 fragte Messerschmid bei mir an, ob vielleicht ich die Verfasserin sei. ... “ (Annette Kuhn: Warum studieren wir Geschichte?, Hochland, 55, 1963, 5, S. 407 ff.; diese Publikation im Hochland nicht kennend, sondern für unveröffentlicht handelnd fragte Messerschmid an, ob er den Text in Zeitschrift "Geschichte - Wissenschaft - Unterricht" veröffentlicht darf) [Annette Kuhn, a.a.O., S. 104].

In ihrem eigenen Beitrag zur Festschrift "Epimeleia" für ihren Vater unter dem Titel "Die Sorge um die Armen. Eine Überlegung zur sozialen Frage" vermerkt sie in einer Fußnote zum Titel: "Herrn Professor Guardini möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen; er gab die Anregung zu diesem Beitrag“ (1964, S. 249)

Für den 6. Januar 1965 ist ein weiterer Kalendereintrag vorhanden: „Mi 6.1. [...]. Besuch Ann. Kuhn.“

Auch zur Festschrift für Romano Guardini zum 80. Geburtstag schrieb sie einen Guardini-affinen Beitrag zum Thema "Macht" (Annette Kuhn: Die Macht im Wandel der Herrschaftsstrukturen, in: Helmut Kuhn u.a. (Hrsg.): Interpretation der Welt. Festschrift für Romano Guardini zum 80. Geburtstag, Würzburg 1965). Dass sie als junge Wissenschaftlerin in Bonn zu dieser Festschrift für Guardini einen eigenen Beitrag liefert, ist angesichts des freundschaftlichen Verhältnisses, das sich zwischen den beiden entwickelt hatte, nicht mehr verwunderlich.

Außerdem widmete Annette Kuhn ihrem Mentor die historische Studie über das Ringen der Kirche mit dem Sozialismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts[Annette Kuhn: Die Kirche im Ringen mit dem Sozialismus, 1803-1848. Eine historische Studie, München/Salzburg 1965] mit den Worten "Romano Guardini in tiefer Verehrung zu eigen" (S. 7). Sie nimmt an zentraler Stelle auch Bezug auf Guardinis sozialwissenschaftliche Bestimmung einer "Ordnung unter Personen" „Entfremdung bezeichnet in unserem Zusammenhang zunächst ganz allgemein das Gefühl des Unbeheimatetseins. Der Mensch erfährt sich einer feindlichen Umwelt ausgesetzt; er glaubt sich durch fremde Mächte bedroht. Seit den vierziger Jahren ist immer wieder von Entfremdung die Rede. Dabei stammen diese Aussagen in den meisten Fällen weder von Hegelianern noch von Marxisten. Die These von der Entfremdung bietet sich in den vierziger Jahren als Deutung des Daseins an. Entfremdung setzt voraus, daß der Mensch in einer heilen Welt zur vollen Freiheit und zum vollen Bewußtsein seiner selbst kommen müßte. Eine soziale Welt des erfüllten Heils ist den Christen eine Utopie; die Welt als Werkstätte des Heiles dagegen ein göttlicher Auftrag. Damit wird die Kategorie der Entfremdung von Belang für die Frage nach dem christlichen Glauben in der sozialen Ordnung. Die Überwindung der Entfremdung, wenn auch letztlich undurchführbar, bleibt eine dem Christentum gestellte Aufgabe. Der Christ muß fragen, ob die soziale Ordnung so beschaffen ist, daß der Mensch sich als das erfahren kann, was sein Wesen zutiefst bestimmt: als Geschöpf und Ebenbild Gottes. Ist die tägliche Arbeit des Menschen noch erfahrbar als Erfüllung des christlichen Auftrags, mitzuarbeiten an der Versöhnung der Welt mit Gott? Von dieser Sicht her erscheint die gesellschaftliche Krise, die das Wort Entfremdung umschreibt, als ein Ausdruck des Unvermögens des Einzelnen wie auch des sozialen Ganzen, an der Versöhnung der Welt mit ihrem Schöpfer mitzuwirken. Als innerweltliche Heilsbotschaft ist die Lehre der Entfremdung ein Zeichen der Verzweiflung des Geschöpfs an seiner Ebenbildlichkeit und der Empörung gegen seinen Schöpfer; als soziale Bestandsaufnahme das Merkmal einer akuten gesellschaftlichen Krise des Christentums. Diese Krise verführte zur Annahme, es gäbe eine christliche Sozialordnung, die eine Aufhebung der Entfremdung, d.h. eine sozial garantierte Versöhnung mit Gott möglich mache.[4 Guardini: Über Sozialwissenschaft und Ordnung unter Personen, in: Unterscheidung des Christlichen, Mainz 1963.] Diese Versuchung lag schon dem Denken des christlichen Alteuropa nahe, da die alltäglichsten Lebensvollzüge wie auch alle öffentlichen Akte Ausdruck einer christlichen Sinngebung des Seins waren. In dieser Umwelt konnte in unreflektierter Weise die soziale Ordnung als ein zuverlässiger Träger der christlichen Religion erscheinen. Der christlichen Restauration lag diese gleiche Gefahr zugrunde, die sich wiederum in verwandelter Form im christlichen Sozialismus findet. Diese Versuche, eine christliche soziale Ordnung zu entwerfen, mußten scheitern. Sie weisen jedoch auf etwas sehr Wesentliches hin: auch der christliche Glaube muß die Gestalt einer sozialen Manifestation annehmen. Für den Glaubenden gibt es nicht nur die objektiven Manifestationen seines Glaubens in den sozialen Ordnungen der Familie, des Staates und der Kirche. Er kennt auch ihre lebendige Entsprechung „in uns“ als den Ort der Verwirklichung dieser objektiven Gebilde. Er weiß um eine „Familie in uns“, einen „Staat in uns“ und eine „Kirche in uns“. Das ist das von Plato entdeckte Verhältnis der Entsprechung von ursprünglicher innerer und abbildlicher äußerer Ordnung. Es genügt jedoch nicht, der Kirche im Sinne des mittelalterlichen Gedankens von ordo eine Stelle in dieser statisch vorgestellten inneren und zugleich gesellschaftlichen Hierarchie zuzuweisen."

Tante Marieles Vater war der Reformpädagoge Hermann Nohl. Kritik von Mutter und Vater an dieser progressiven Richtung der Pädagogik der Zwanzigerjahre [Annette Kuhn, a.a.O., S. 136]. Zu diesem Zeitpunkt las sie gegen den Rat ihrer Eltern Nohl, Weniger, Spranger, Litt.

„Guardini war klug mit seinem Lehrstuhl umgegangen, der die merkwürdige Bezeichnung `Christliche Weltanschaung´ trug. Obgleich orthodoxer Kirchenmann, interpretierte er den christlichen Alleinvertretungsanspruch auf seine eigene christliche Weise. Über seine Verbindung von Orthodoxie, Liberalität und Menschlichkeit dachte ich viel nach, als ich mich um den Lehrstuhl GESCHICHTE UND IHRE DIDAKTIK bewarb, konnte aber der Vorstellung von Geschichte als religiös bestimmbares Gesinnungsfach nichts anfangen“[Annette Kuhn, a.a.O., S. 140].

1966 wurde sie ordentliche Professorin für Mittelalterliche und Neuere Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Rheinland (Abteilung Bonn) – die Berufung erfolgte als damals jüngste Professorin der Bundesrepublik sowie als Nachfolgerin von Klara Marie Faßbinder und Renate Riemeck, der Pflegemutter von Ulrike Meinhof. Sie blieb Professorin in Bonn bis 1980[Annette Kuhn, a.a.O., S. 142]. Was aus dem geplanten Habilitationsverfahrens an der Ruprecht-Karls Universität in Heidelberg wurde, ob es überhaupt eröffnet wurde, ist bislang nicht klärbar. Durch Berufung nach Bonn wurde es aber jedenfalls nicht fortgeführt.

Annette Kuhn wurde in der Folgezeit von „Wolfgang Hilligen, einem führenden Politikdidaktiker an der Universität Gießen, ein liberaler Katholik und Vertreter der gesellschaftstheoretischen Gedanken der Frankfurter Schule“ beeinflusst[Annette Kuhn, a.a.O., S. 154 f.].

Die Biographie Annette Kuhns nach Guardinis Tod 1968 weist noch folgende Stationen auf. 1972 war sie erstmals Dekanin.

1980, nach der Auflösung der Pädagogischen Hochschule, wurde sie Professorin für Geschichtsdidaktik an der Universität Bonn. 1986 erfuhr die Ausrichtung die Erweiterung bzw. Umwidmung zum »Lehrgebiet Frauengeschichte«, womit sie zur ersten Inhaberin eines solchen Lehrstuhls in Deutschland wurde.

Dazu hatte sie 1986 eine Gastprofessur in den USA, hielt darüber hinaus Gastvorträge in Schweden, in Großbritannien und in der Schweiz.

Annette Kuhn war Mitherausgeberin der Zeitschrift »metis. Zeitschrift für historische Frauen- und Geschlechterforschung«.

1992 bis 1996 wurde sie allerdings vom Wissenschaftlichen Lehrerprüfungsamt in Bonn ausgeschlossen mit der Begründung, ihre Themen würden zur Studienordnung nicht passen.

Im Juni 1999 erfolgte die Emeritierung. Ihr Fach wurde nicht wieder besetzt.

Nach ihrer Emeritierung arbeitete sie am Bau eines Hauses der FrauenGeschichte.

2003 erschien ihre hier wesentlich mit zu Grunde gelegte Autobiographie „Ich trage einen goldenen Stern – Ein Frauenleben in Deutschland“. Es folgten die weiteren biographischen Aufsätze mit Bezug zu Guardini, zum Beispiel in der Festschrift für Bernd Faulenbach[Annette Kuhn: Heimat – the treasured Word, in: Franz-Josef Jelich/Stefan Goch (Hrsg.): Geschichte als Last und Chance: Festschrift für Bernd Faulenbach, 2003, S. 177 ff.].

Guardinis Rosenkranzsammlung

siehe Guardinis Rosenkranzsammlung