Titeleien

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Unter Titelei wird die Überschrift über einen Text (in unserem Fall Guardinis) genannt, die nicht vom Autor stammt und auch nicht von ihm autorisiert ist. Guardini hat sich schon Zeit seines Lebens gegen solche Veränderungen seiner Texte durch Neukontextualisierung und -akzentuierung mit Hilfe von neuen Titeln verwahrt und gewährt. Seit seinem Tod kommt dies - mangels Gegenwehr - natürlich noch häufiger vor. Nachfolgend werden aktuelle Beispiele solcher Guardini-Nachdrucke unter neuem Titel vorgestellt. Die jüngsten Beispiele werden vorangestellt:

Titeleien zu Lebzeiten Guardinis

In der Korrespondenz Guardinis sind mehrere Beispiele erhalten, wo er den - zum Teil nicht einmal autorisierten - Abdruck von Auszügen unter nicht von ihm stammenden Titeln ausdrücklich kritisierte.

Offiziöse Titeleien

Mitunter sind auch von den Verlagen, die Romano Guardinis Werke publizierten, derartige Titeleien verursacht worden.

Sul limite della vita

Ein kleines, nicht sehr gravierendes Beispiel: Die italienische Neuausgabe der "Theologischen Briefe an einen Freund. Einsichten an der Grenze des Lebens." im Jahr 1994 erfolgte plötzlich unter dem Titel "Sul limite della vita. Lettere teologiche a un amico". Die Erstausgabe erschien noch unter dem Titel "Lettere teologiche ad un amico. Intuizioni al limite della vita". Die Umdrehung, der Wechsel in der Präposition und das Weglassen der Kennzeichnung als "Einsichten" verwirrt seither die italienische Sekundärliteratur.

Kath.net und Vision2000.at

Der österreichische Verein Vision 2000 und seine online-Zeitschrift "Vision 2000" - aktuell in der Redaktion von Alexa und Dr. Christof Gaspari sowie Joseph Doblhoff - veröffentlichten zwischen 2016 und 2022 dreimal, zum Teil ausführliche Zitat-Auszüge aus Guardinis Werken. Dabei gaben sie diesen Auszügen jeweils Titel, Untertitel oder Zwischenüberschriften, die nicht von Guardini selbst stammen.

"Eine widerchristliche Lebensform, die normal erscheint"

  • Die Ausgabe 3-4/2022 der Zeitschrift "VISION 2000" hat unter dem Schwerpunktthema "Christus verkünden gelegen - ungelegen" einen Auszug aus dem Buch "Das Ende der Neuzeit" von 1950 unter dem Titel "Eine widerchristliche Lebensform, die normal erscheint" abgedruckt (siehe: http://www.vision2000.at/?nr=2022/3&id=4010, nachgedruckt auch bei Kath.net: https://www.kath.net/news/78625). * Eingeleitet wird der Text mit dem Satz "Hellwache Beobachter wie der große Theologe Romano Guar­dini (1885-1968) erkannten schon in der Mittel des 20. Jahr­hunderts die sich abzeichnenden Folgen der totalen Verweltlichung des Lebens und deren schwerwiegende Auswirkungen auf das Glaubensleben." In kath.net wird dem zusätzlich noch vorangestellt: "Auf der einen Seite ein von direkten christlichen Einflüssen abgelöstes autonomes Weltdasein, auf der anderen Seite eine Christlichkeit, die in einer eigentümlichen Weise diese „Autonomie" nachahmt - Gedanken von Romano Guardini / VISION 2000"
  • In dem abgedruckten Passus steht auch der Satz "So bildet sich eine nichtchristliche, vielfach widerchristliche Lebensform heraus. Sie setzt sich so konsequent durch, dass sie als das Normale einfachhin erscheint, und die Forderung, das Leben müsse von der Offenbarung her bestimmt werden, den Charakter kirchlichen Übergriffs bekommt." Dieser Satz wird dann auch den Titel hin verkürzt zu: "eine widerchristliche Lebensform, die normal erscheint".
    • aus "nichtchristliche, vielfach widerchristliche Lebensform" wird "widerchristliche Lebensform"
    • aus "Lebensform", die "sich so konsequent" durchsetzt, "dass sie als das Normale einfachhin erscheint" wird "Lebensform, die normal erscheint".
    • Es wird nicht in Rechnung gestellt, dass sowohl die Formulierung "widerchristlich" als auch der Begriff "Lebensform" zwischen 1950 und heute einen Bedeutungswandel erlebt hat. Der Begriff "Lebensform" ist aus dem Kontext der in den zwanziger Jahren in der katholischen Jugendbewegung entdeckten und auch in den fünfziger Jahren wiedererstandenen "Lebensbewegung" und "Lebensreform" ebenfalls ins "Private" abgeglitten und bezieht sich heute fast nur noch ausschließlich auf die Wahl der Form einer Lebenspartnerschaft, von denen einige als "normal", andere als "unnormal" erscheinen.
  • Die kurzen Einleitungen legen den Zusammenhang zwischen der Säkularisierungsbeschreibung bei Guardini und dem Themenschwerpunkt einer ungelegenen Christusverkündigung nicht dar.
  • Problematisch ist dabei:
    • Guardini spricht hier vom "neuzeitlichen Menschen", der nicht nur den Glauben an die christliche Offenbarung verliert, sondern auch eine Schwächung seines natürlichen religiösen Organs erfährt, " so daß er die Welt immer mehr als profane Wirklichkeit" sehe. Guardini spricht in Das Ende der Neuzeit/Die Macht insbesondere auch vom nach-neuzeitlichen Menschen, der durch diese neue "Einsamkeit im Glauben" vor der Herausforderung besteht, sich wieder unmittelbar mit dem "Sinn der Kirche" auseinanderzusetzen. Die Nach-Neuzeit beginnt für Guardini um die Jahrhundertwende, nicht erst nach 1945. Ausdrücklich sprach er dabei - auch noch nach 1945 - vom "Erwachen der Kirche in den Seelen" in der katholischen Jugendbewegung - analog zum "Erwachen der Mystik in den Seelen" in der freideutschen Jugendbewegung. Guardini vertritt für "Krisen" den Standpunkt, wie ihn das Hölderlin-Zitat repräsentiert: "Wo Gefahr ist, wächst auch das Rettende".
    • Die Stelle steht im Kapitel über "Die Auflösung des neuzeitlichen Weltbildes und das Kommende": Daher ist diese Stelle aus dem Gesamtkontext seiner Überlegungen gerissen und ist ohne den Schluss des Buches (S. 94) in der fortgeschrittenen Nach-Neuzeit höchst missverständlich und einseitig. Dort heißt es nämlich komplementär ergänzend: "Wenn wir die eschatologischen Texte der Heiligen Schrift richtig verstehen, werden Vertrauen und Tapferkeit überhaupt den Charakter der Endzeit bilden. Was umgebende christliche Kultur und bestätigende Tradition heißt, wird an Kraft verlieren. Das wird zu jener Gefahr des Ärgernisses gehören, von welcher gesagt ist, daß ihr, »wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten erliegen würden« (Mt 24,24). Die Einsamkeit im Glauben wird furchtbar sein. Die Liebe wird aus der allgemeinen Welthaltung verschwinden (Mt 24,12). Sie wird nicht mehr verstanden noch gekonnt sein. Um so kostbarer wird sie werden, wenn sie vom Einsamen zum Einsamen geht; Tapferkeit des Herzens aus der Unmittelbarkeit zur Liebe Gottes, wie sie in Christus kund geworden ist. Vielleicht wird man diese Liebe ganz neu erfahren: die Souveränität ihrer Ursprünglichkeit, ihre Unabhängigkeit von der Welt, das Geheimnis ihres letzten Warum. Vielleicht wird die Liebe eine Innigkeit des Einvernehmens gewinnen, die noch nicht war. Etwas von dem, was in den Schlüsselworten für das Verständnis der Vorsehungsbotschaft Jesu liegt: daß um den Menschen, der Gottes Willen über Sein Reich zu seiner ersten Sorge Macht, die Dinge sich wandeln (Mt 6,33). Dieser eschatologische Charakter wird sich, scheint mir, in der kommenden religiösen Haltung anzeigen. Damit soll keine wohlfeile Apokalyptik verkündet werden. Niemand hat das Recht zu sagen, das Ende komme, wenn Christus selbst erklärt hat, die Dinge des Endes wisse der Vater allein (Mt 24,36). Wird also hier von einer Nähe des Endes gesprochen, dann ist das nicht zeithaft, sondern wesensmäßig gemeint - daß unsere Existenz in die Nähe der absoluten Entscheidung und ihrer Konsequenzen gelangt; der höchsten Möglichkeiten wie der äußersten Gefahren."
    • Ein bloßes Beklagen der Säkularisierung ist infolgedessen kontraproduktiv zum eigentlich von Guardini intendierten, nämlich unsere Existenz, die angesichts der "Nähe der absoluten Entscheidung" nicht nur ihre Konsequenzen der "äußersten Gefahren", sondern auch "der höchsten Möglichkeiten" erreicht.
    • Jede Intention, die diese Polarität des zukünftigen Lebens auf die Klage über den "Verlust der Mitte" reduziert, rückt sich selbst in die Nähe einer Unheilsprophetie à la Spengler, des "Untergangs des christlichen Abendlandes". Dass den Christen in der Endzeit aber ohnehin verheißen ist, dass umgebende christliche Kultur und bestätigende Tradition" an Kraft verlieren wird, wie Romano Guardini schreibt, ist eben nicht Unheil, sondern "Bewährung in der Not".
    • In dem Text wird zudem zwar von der Problematik der "Autonomie", nicht aber von der - ebenfalls von Guardini problematisierten "Heteronomie" die Rede. Guardini sieht aber in Autonomie und Heteronomie zunächst zwei notwendige Pole, die innerhalb der "Theonomie" in Spannung gehalten werden sollen. Auch eine "rein religiöse Religiosität" im Sinne eines heteronomistischen Integralismus oder ein religiösen Absolutismus jedweder Art sind bei Guardini Fehlformen.

Wenn sich die Welt von Christus abwendet

Diese Form der "Kommentierung" von Auszügen wandte kath.net/Vision2000.at bereits früher an - https://www.kath.net/news/75462: So wurden am 7. August unter dem Titel "Wenn sich die Welt von Christus abwendet" "Auszüge aus dem Buch „Das Ende der Neuzeit“ - Von Romano Guardini †" veröffentlicht. Die Einleitung lautet: "Der große Theologe Romano Guardini (1885-1968) hat schon nach dem 2. Weltkrieg von einem „Ende der Neuzeit“ gesprochen und einen tiefreichenden Umbruch der geistigen Situation in der westlichen Gesellschaft vorhergesehen. Das Kennzeichen dieser Veränderung: eine allgemeine radikale Absage an die christliche Kultur und die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Erneuerung des christlichen Lebens aus der Gegenwart Gottes. Wir stehen vor einer enormen Fehleinschätzung, nämlich der Ansicht, Machtzunahme sei Fortschritt." In die Wiedergabe der Auszüge werden Zwischenüberschriften eingezogen, die es im Original nicht gibt. Mal werden Auslassungen angezeigt, im Übergang hingegen nicht. Am Ende wird der Text nicht mit Anführungsstrichen abgeschlossen, so dass im Gesunde die ganze Seite als Auszug angesehen werden könnte. Weder werden Textsprünge von über 16 bzw. 4 Seiten gekennzeichnet, wie auch in der Quellenangabe nicht die Seitenzahlen vermerkt sind. Auch in den Zwischenüberschriften werden Guardini Wortkonstruktionen ("gottlose Religiosität") "in den Mund" gelegt, die er so nie getätigt hat. Indem man aber die Rede vom "Ende der Neuzeit" als Vorhersage eines bevorstehenden Umbruchs der geistigen Situation in der westlichen Gesellschaft deutet, verkennt man erstens, dass Guardini das "Ende der Neuzeit" im Übergang vom 19. auf das 20. Jahrhundert sieht und somit bereits das bis 1945 geschehene die Signatur der Säkularisierung trägt. Es handelt sich also nicht um eine Unheilsprophetie, die allein durch ein bestimmte Verhaltensänderung abgewendet werden kann, sondern um eine phänomenologische Epochenbeschreibung, in der weder Technik noch Macht dämonisiert wird, sondern die Möglichkeit eines konstruktiven Umgangs mit Macht und Technik aufgezeigt wird, so dass der Einzelne oder die menschlichen Gemeinschaften nicht von dämonischen Es-Mächten dominiert werden, mit deren Hilfe die faktisch Mächtigen die Macht und Technik unter Vorspiegelung eines angeblichen "Fortschritts" für ihre Zwecke ausnutzen, sondern die individuelle und solidarische Verantwortung für die Macht und die Technik übernimmt. Guardini nimmt in seiner Schrift keine Stellung zur Frage, ob Machtzunahme Fortschritt bedeute oder nicht, sondern er konstatiert eine faktische Zunahme der Macht in der Nach-Neuzeit aufgrund der veränderten technischen Möglichkeiten und beschreibt die Voraussetzungen unter denen diese Zunahme der Macht zumindest weniger negative Auswirkungen hat. Er wendet sich also nicht gegen einen möglichen Fortschritt durch ein "Mehr" an Technik und Macht, sondern gegen eine "blinde" Fortschrittsgläubigkeit bei gleichzeitiger Überlassung der Macht an die dämonischen "Es-Mächte", gegen die "man" nichts tun könne.

kath.net/Vision2000.at Original
„In Wahrheit ist die Macht etwas durchaus Mehrdeutiges; kann Gutes wirken wie Böses, aufbauen wie zerstören.“ S. 70: In Wahrheit ist die Macht etwas durchaus mehrdeutiges; kann Gutes wirken wie Böses, aufbauen wie zerstören.
(…) Zu was sie tatsächlich wird, hängt davon ab, wie die Gesinnung ist, die sie regiert, und der Zweck, zu dem sie gebraucht wird. Bei genauer Prüfung zeigt sich aber, daß im Laufe der Neuzeit zwar die Macht über das Seiende, Dinge wie Menschen, in einem immer ungeheuerlicheren Maße ansteigt, der Ernst der Verantwortlichkeit aber, die Klarheit des Gewissens, die Kraft des Charakters mit diesem Anstieg durchaus nicht Schritt halten *10. Es zeigt sich, daß der moderne Mensch nicht zum richtigen Gebrauch der Macht erzogen wird; ja daß weithin sogar das Bewußtsein des Problems fehlt, oder sich doch auf gewisse äußere Gefahren beschränkt, wie sie im Kriege deutlich geworden sind und durch die Publizistik erörtert werden. Das bedeutet, daß
Die Möglichkeit, der Mensch werde die Macht falsch gebrauchen, (wächst) beständig. die Möglichkeit, der Mensch werde die Macht falsch gebrauchen, beständig wächst.
(…) Da es ein wirkliches und wirksames Ethos des Machtgebrauchs noch nicht gibt, wird die Neigung immer größer, diesen Gebrauch als einen Naturvorgang anzusehen, für welchen keine Freiheitsnormen, sondern nur angebliche Notwendigkeiten des Nutzens und der Sicherheit bestehen. [S. 71] Mehr:
Die Entwicklung macht den Eindruck, als ob die Macht sich objektiviere; als ob sie im Grunde überhaupt nicht mehr vom Menschen innegehabt und gebraucht werde, sondern sich selbständig aus der Logik der wissenschaftlichen Fragestellungen, der technischen Probleme, der politischen Spannungen weiter entfalte und zur Aktion bestimme. Ja, das bedeutet, dass die Macht sich dämonisiert. Das Wort ist zerredet und zerschrieben, wie alle für das Dasein des Menschen wichtigen Worte; so muss man sich, bevor man es braucht, auf seinen Ernst besinnen. Es gibt kein Seiendes, das herrenlos wäre. Sofern es Natur ist – das Wort im echten Sinn der nicht-personalen Schöpfung gemeint – gehört es Gott, dessen Wille sich in den Gesetzen ausdrückt, nach welchen die Natur besteht. Sofern es im Freiheitsbereich des Menschen erscheint, muss es einem Menschen gehören und von ihm verantwortet werden. Geschieht das nicht, dann wird es nicht wieder zu „Natur“ – fahrlässige Annahme, mit welcher, mehr oder weniger bewusst, die Neuzeit sich tröstet; es bleibt nicht einfach disponibel, auf Vorrat gleichsam, sondern etwas Anonymes ergreift von ihm Besitz. Drücken wir es psychologisch aus: es wird vom Unbewussten her regiert, und das ist etwas Chaotisches, in welchem die Möglichkeiten des Zerstörens mindestens ebenso stark sind wie die des Heilens und Aufbauens. Das ist aber noch nicht das Letzte. Von der Macht des Menschen, die nicht durch sein Gewissen verantwortet wird, ergreifen die Dämonen Besitz. Und mit dem Wort meinen wir kein Requisit der augenblicklichen Journalistik, sondern genau das, was die Offenbarung meint: geistige Wesen, die von Gott gut geschaffen sind, aber von Ihm abgefallen; die sich für das Böse entschieden haben und nun entschlossen sind, Seine Schöpfung zu verderben. S. 71: die Entwicklung macht den Eindruck, als ob die Macht sich objektiviere; als ob sie im Grunde überhaupt nicht mehr vom Menschen innegehabt und gebraucht werde, sondern sich selbständig aus der Logik der wissenschaftlichen Fragestellungen, der technischen Probleme, der politischen Spannungen weiterentfalte und zur Aktion bestimme. Ja, das bedeutet, daß die Macht sich dämonisiert. Das Wort ist zerredet und zerschrieben, wie alle für das Dasein des Menschen wichtigen Worte; so muß man sich, bevor man es braucht, auf seinen Ernst besinnen. Es gibt kein Seiendes, das herrenlos wäre. Sofern es Natur ist - das Wort im Sinn der nicht-personalen Schöpfung gemeint – gehört es Gott, dessen Wille sich in den Gesetzen ausdrückt, nach welchen diese Natur besteht. Sofern es im Freiheitsbereich des Menschen erscheint, muß es einem Menschen gehören und von ihm verantwortet werden. Geschieht das nicht, dann wird es nicht wieder zu »Natur« - fahrlässige Annahme, mit welcher, mehr oder weniger bewußt, die Neuzeit sich tröstet; es bleibt nicht einfach disponibel, auf Vorrat gleichsam, sondern etwas Anonymes ergreift von ihm Besitz. Drücken wir es psychologisch aus: es wird vom Unbewußtsein her regiert, und das ist etwas Chaotisches, in welchem die Möglichkeiten des Zerstörens mindestens ebenso stark sind wie die des Hellens und Aufbauens. Das ist aber noch nicht das Letzte. Von der Macht des Menschen, die nicht durch sein Gewissen verantwortet wird, ergreifen die Dämonen Besitz. Und mit dem Wort meinen wir kein Requisit der augenblicklichen Journalistik, sondern genau das, was die Offenbarung meint: geistige Wesen, die von Gott gut geschaffen sind, aber von Ihm abgefallen; die sich für das Böse entschieden haben und nun entschlossen sind, Seine Schöpfung zu verderben.
Wenn Dämonen die Macht übernehmen keine Zwischenüberschrift
Diese Dämonen sind es, welche dann die Macht des Menschen regieren: durch seine scheinbar natürlichen, in Wahrheit so widersprüchigen Instinkte; durch seine scheinbar folgerichtige, in Wahrheit so leicht beeinflussbare Logik; durch seine unter aller Gewalttätigkeit so hilflose Selbstsucht. Wenn man ohne rationalistische und naturalistische Vorentscheidungen das Geschehen der letzten Jahre betrachtet, dann reden seine Art des Verhaltens und seine geis­tig-seelische Stimmung deutlich genug. Das alles hat die Neuzeit vergessen, weil der Empörungsglaube des Autonomismus sie blind gemacht hat. Sie hat gemeint, der Mensch könne einfachhin Macht haben und in deren Gebrauch sicher sein – durch irgendwelche Logik der Dinge, die sich im Bereich seiner Freiheit ebenso zuverlässig benehmen müssten, wie in dem der Natur. So ist es aber nicht. Diese Dämonen sind es, welche dann die Macht des Menschen regieren: durch seine scheinbar natürlichen, in Wahrheit so widersprüchigen Instinkte; durch seine scheinbar folgerichtige, in Wahrheit so leicht beeinflußbare Logik; durch seine unter aller Gewalttätigkeit so hilflose Selbstsucht. Wenn man [S. 72] ohne rationalistische und naturalistische Vorentscheidungen das Geschehen der letzten Jahre betrachtet, dann reden seine Art des Verhaltens und seine geistig-seelische Stimmung deutlich genug. Das alles hat die Neuzeit vergessen, weil der Empörungsglaube des Autonomismus sie blind gemacht hat. Sie hat gemeint, der Mensch könne einfachhin Macht haben und in deren Gebrauch sicher sein - durch irgendwelche Logik der Dinge, die sich im Bereich seiner Freiheit ebenso zuverlässig benehmen müßten, wie in dem der Natur. So ist es aber nicht.
Eine gottlose Religiosität keine Zwischenüberschrift
Immer noch bleibt aber die Frage zu beantworten, von welcher Art die Religiosität der kommenden Zeit sein werde? Nicht ihr offenbarter Inhalt, der ist ewig; aber seine geschichtliche Verwirklichungsform, seine menschliche Struktur? Hier wäre manches zu sagen und zu vermuten. Wir müssen uns aber beschränken. Wichtig wird vor allem sein, worauf zuletzt hingewiesen wurde: das scharfe Hervortreten der nicht-christlichen Existenz. Je entschiedener der Nicht-Glaubende seine Absage an die Offenbarung vollzieht und je konsequenter er sie praktisch durchführt, desto deutlicher wird daran, was das Christliche ist. Der Nicht-Glaubende muss aus dem Nebel der Säkularisationen heraus. Er muss das Nutznießertum aufgeben, welches die Offenbarung verneint, sich aber die von ihr entwickelten Werte und Kräfte angeeignet hat. Er muss das Dasein ohne Christus und ohne den durch Ihn offenbarten Gott ehrlich vollziehen und erfahren, was das heißt. Schon Nietzsche hat gewarnt, der neuzeitliche Nicht-Christ habe noch gar nicht erkannt, was es in Wahrheit bedeute, ein solcher zu sein. Die vergangenen Jahrzehnte haben eine Ahnung davon vermittelt, und sie waren erst der Anfang. S. 88: Immer noch bleibt aber die Frage zu beantworten, von welcher Art die Religiosität der kommenden Zeit sein werde? Nicht ihr offenbarter Inhalt, der ist ewig; aber seine geschichtliche Verwirklichungsform, seine menschliche Struktur? Hier wäre manches zu sagen und zu vermuten. Wir müssen uns aber beschränken. Wichtig wird vor allem sein, worauf zuletzt hingewiesen wurde: das scharfe Hervortreten der nicht-christlichen Existenz. Je entschiedener der Nicht-Glaubende seine Absage an die Offenbarung vollzieht und je konsequenter er sie praktisch durchführt, desto deutlicher wird daran, was das Christliche ist. Der Nicht-Glaubende muß aus dem Nebel der Säkularisation heraus. Er muß das Nutznießertum aufgeben, welches die Offenbarung verneint, sich aber die von ihr entwickelten Werte und Kräfte angeeignet hat. Er muß das Dasein ohne Christus und ohne den durch Ihn offenbarten Gott ehrlich vollziehen und erfahren, was das heißt. Schon Nietzsche hat gewarnt, der neuzeitliche Nicht-Christ habe noch gar nicht erkannt, was es in Wahrheit bedeute, ein solcher zu sein. Die vergangenen Jahrzehnte haben eine Ahnung davon vermittelt und sie waren erst der Anfang.
Ein Glaube, der in der Gefahr bestehen kann keine Zwischenüberschrift
Auslassung vor Beginn mitten im Abschnitt Der Kulturbesitz der Kirche wird sich dem allgemeinen Zerfall des Überlieferten nicht entziehen können, und wo er noch fortdauert, wird er von vielen Problemen erschüttert sein. Was aber das Dogma angeht, so liegt es zwar in seinem Wesen, jede Zeitwende zu überdauern, da es ja im Überzeitlichen begründet ist; doch darf man vermuten, an ihm werde der Charakter der Lebensweisung besonders deutlich empfunden werden.
Je genauer das Christentum sich wieder als das Nicht-Selbstverständliche bezeugt; je schärfer es sich von einer herrschenden nicht-christlichen Anschauung unterscheiden muss, desto stärker wird im Dogma neben dem theoretischen das praktisch-exis­tentielle Moment hervortreten. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass damit keine »Modernisierung« gemeint ist; keinerlei Abschwächung weder des Inhalts noch der Geltung. Im Gegenteil, der Charakter der Absolutheit, die Unbedingtheit der Aussage wie der Forderung werden sich schärfer betonen. Aber in dieser Absolutheit wird, vermute ich, die Definition der Exis­tenz und die Orientierung des Verhaltens besonders fühlbar werden. So wird der Glaube fähig, in der Gefahr zu bestehen. Im Verhältnis zu Gott wird das Element des Gehorsams stark hervortreten. Reiner Gehorsam, wissend, dass es um jenes Letzte geht, das nur durch Ihn verwirklicht werden kann. Nicht, weil der Mensch "heteronom" wäre, sondern weil Gott heilig-absolut ist. Eine ganz unliberale Haltung also, mit Unbedingtheit auf das Unbedingte gerichtet, aber – und hier zeigt sich der Unterschied gegen alles Gewaltwesen – in Freiheit. S. 92: Je genauer das Christentum sich wieder als das Nicht-Selbstverständliche bezeugt; je schärfer es sich von einer herrschenden nicht-christlichen Anschauung unterscheiden muß, desto stärker wird im Dogma neben dem theoretischen das praktisch-existentielle Moment hervortreten. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß damit keine »Modernisierung« gemeint ist; keinerlei Abschwächung weder des Inhalts noch der Geltung. Im Gegenteil, der Charakter der Absolutheit, die Unbedingtheit der Aussage wie der Forderung werden sich schärfer betonen. Aber in dieser Absolutheit wird, vermute ich, die Definition der Existenz und die Orientierung des Verhaltens besonders fühlbar werden. [S. 93] So wird der Glaube fähig, in der Gefahr zu bestehen. Im Verhältnis zu Gott wird das Element des Gehorsams stark hervortreten. Reiner Gehorsam, wissend, daß es um jenes Letzte geht, das nur durch ihn verwirklicht werden kann. Nicht, weil der Mensch »heteronom« wäre, sondern weil Gott heilig-absolut ist. Eine ganz unliberale Haltung also, mit Unbedingtheit auf das Unbedingte gerichtet, aber - und hier zeigt sich der Unterschied gegen alles Gewaltwesen - in Freiheit.
Diese Unbedingtheit ist keine Preisgabe an die physische und psychische Macht des Befehls; sondern der Mensch nimmt durch sie die Qualität der Gottesforderungen in seinen Akt auf. Das aber setzt Mündigkeit des Urteils und Freiheit der Entscheidung voraus. Und ein nur hier mögliches Vertrauen. Nicht auf eine allgemeine Vernunftordnung, oder auf ein optimistisches Prinzip des Wohlmeinens, sondern auf Gott, der wirklich und wirkend ist; nein, mehr, der am Werk ist und handelt. Wenn ich recht sehe, gewinnt das Alte Testament eine besondere Bedeutung. Es zeigt den Lebendigen Gott, der den mythischen Weltbann ebenso durchbricht wie die heidnischpolitischen Weltmächte, und den glaubenden Menschen, der, im Einvernehmen des Bundes, sich auf dieses Handeln Gottes bezieht. Das wird wichtig werden. Diese Unbedingtheit ist keine Preisgabe an die physische und psychische Macht des Befehls; sondern der Mensch nimmt durch sie die Qualität der Gottesforderungen in seinen Akt auf. Das aber setzt Mündigkeit des Urteils und Freiheit der Entscheidung voraus. Und ein nur hier mögliches Vertrauen. Nicht auf eine allgemeine Vernunftordnung, oder auf ein optimistisches Prinzip des Wohlmeinens, sondern auf Gott, der wirklich und wirkend ist; nein, mehr, der am Werk ist und handelt. Wenn ich recht sehe, gewinnt das Alte Testament eine besondere Bedeutung. Es zeigt den Lebendigen Gott, der den mythischen Weltbann ebenso durchbricht wie die heidnischpolitischen Weltmächte, und den glaubenden Menschen, der, im Einvernehmen des Bundes, sich auf dieses Handeln Gottes bezieht. Das wird wichtig werden.
Die unmittelbare Beziehung zu Gott
Je stärker die Es-Mächte anwachsen, desto entschiedener besteht die „Weltüberwindung“ des Glaubens in der Realisation der Freiheit; im Einvernehmen der geschenkten Freiheit des Menschen mit der schöpferischen Freiheit Gottes. Und im Vertrauen auf das, was Gott tut, nicht nur wirkt, sondern tut. Es ist seltsam, welch eine Ahnung heiliger Möglichkeit mitten im Anwachsen des Welt-Zwangs aufsteigt! Diese Beziehung von Abso­lut­heit und Personalität, von Unbedingtheit und Freiheit wird den Glaubenden fähig machen, im Ortlosen und Ungeschützten zu stehen und Richtung zu wissen. Sie wird ihn fähig machen, in ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zu treten, quer durch alle Situationen des Zwanges und der Gefahr hindurch; und in der wachsenden Einsamkeit der kommenden Welt - einer Einsamkeit gerade unter den Massen und in den Organisationen - lebendige Person zu bleiben. S. 93: Je stärker die Es-Mächte anwachsen, desto entschiedener besteht die »Weltüberwindung« des Glaubens in der Realisation der Freiheit; im Einvernehmen der geschenkten Freiheit des Menschen mit der schöpferischen Freiheit Gottes. Und im Vertrauen auf das, was Gott tut. Nicht nur wirkt, sondern tut. Es ist seltsam, welche Ahnung heiliger Möglichkeit mitten im Anwachsen des Welt-Zwanges aufsteigt! Diese Beziehung von Absolutheit und Personalität, von Unbedingtheit und Freiheit wird den Glaubenden fähig machen, im Ortlosen und Ungeschützten zu stehen und Richtung zu wissen. Sie wird ihn fähig machen, in ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zu treten, quer durch alle Situationen des Zwanges und der Gefahr hindurch; und in der [S. 94] wachsenden Einsamkeit der kommenden Welt - einer Einsamkeit gerade unter den Massen und in den Organisationen - lebendige Person zu bleiben.

Ohne Wahrheit wächst die Bedrohung

Versehen mit dem nicht von Guardini stammenden Titel "Ohne Wahrheit wächst die Bedrohung. Indem Europa die Offenbarung ablehnt, zerstört es den Garanten seiner Werte (Von Romano Guardini †)" veröffentlicht Vision2000 bereits 2016 Auszüge aus: Das Ende der Neuzeit. Die Einleitung der Redaktion lautet: "Europa bekennt sich zu den Menschenrechten, verleugnet aber deren christlichen Ursprung. Damit schneidet es sich von der Wurzel ab, aus der allein diese Werte auf lange Sicht gelebt werden können. Es lebt damit über seine Verhältnisse und landet damit zwangsläufig in der Unordnung, so die Analyse von Romano Guardini, einem der großen Denker des 20. Jahrhunderts. Wie treffend diese vor 65 Jahren geäußerte Diagnose ist, erleben wir jetzt hautnah an der zunehmenden Ratlosigkeit der Eliten." Es folgt ein immerhin vollständig abgedrucktes Zitat aus S. 84 ff. - http://www.vision2000.at/?nr=2016/5&id=3067 Die Titelei bezieht sich auf den Schlussabsatz des Zitats von Guardini: "Die kommende Zeit wird in diesen Dingen eine furchtbare, aber heilende Klarheit schaffen. Kein Christ kann sich freuen, wenn die radikale Unchristlichkeit hervortritt. Denn die Offenbarung ist ja kein subjektives Erlebnis, sondern die Wahrheit einfachhin, kundgetan durch Den, der auch die Welt geschaffen hat; und jede Stunde der Geschichte, welche die Möglichkeit des Einflusses dieser Wahrheit aus­schließt, ist im Innersten bedroht. Aber es ist gut, dass jene Unredlichkeit enthüllt werde. Dann wird sich zeigen, wie das in Wirklichkeit aussieht, wenn der Mensch sich von der Offenbarung gelöst hat und die Nutznießungen aufhören." - Im Abschnitt selbst findet keine unmittelbare Übertragung auf Europa statt. Diese kann man aus späteren Beiträgen Guardini, vor allem seiner berühmten Rede anlässlich der Verleihung des Erasmus-Preises, herstellen, der Titel und Untertitel stammen aber nicht, wie suggeriert, von Guardini, sondern wurden ihm von der Vision2000-Redaktion untergeschoben.