Alfred Weber

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Alfred Weber (1868-1958)

Biographie

  • Alfred Weber - die folgende Darstellung folgt aus der "Alfred Weber Gesamtausgabe - Band 1" Eberhard Demms "Einführung in Leben und Werk Alfred Webers" - wurde als Sohn des nationalliberalen Politikers Max Weber sen. und der hugenottischen, streng calvinistischen und sehr in der Armenpflege engagierten Kaufmannstocher Helene Souchay geboren und war der jüngere Bruder von Max Weber (Eberhard Demm: Alfred Weber und sein Bruder Max. Zum 25. Todestag Alfred Webers am 2. Mai 1983, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 35, 1983, S. 1-28).
  • Im Elternhaus verkehrten zahlreiche nationalliberale Politiker und berühmte Professoren der Berliner Universität - zu ihnen gehörten Theodor Mommsen, Wilhelm Dilthey, Rudolf von Bennigsen und Johannes von Miquel. Früh bekam er so Impulse für Wissenschaft, liberale Politik mit sozialem Einschlag sowie ausgeprägte kulturelle Interessen mit auf den Weg.
  • Nach dem Abitur begann er zunächst Geschichte und Kunstgeschichte, dann Jura und Nationalökonomie zu studieren. Er schloss sich damals der „Akademischen Freischar“ an (Neben Weber gehörten der Freischar unter anderen auch Arnold Bergstraesser, Alexander Rüstow, Eduard Heimann, Otto Pfleiderer und Carl-Joachim Friedrich an).
  • Webers erste politische Plattform war wiederum der "Verein für Sozialpolitik", in dem er sich zusammen mit seinem Bruder seit den 1890er Jahren engagierte (Eberhard Demm: Max und Alfred Weber im Verein für Sozialpolitik, in: Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schwentker/ürgen Osterhammel, Jürgen (Hrsg.): Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988, S. 119-136). Dieser Verein, dessen zumeist akademische Mitglieder, die sogenannten "Kathedersozialisten", sowohl den Marxismus wie auch den klassischen Liberalismus ablehnten, suchte durch zahlreiche einschlägige Untersuchungen die Öffentlichkeit für die Probleme der Arbeiterklasse zu sensibilisieren. Weber gehörte vor dem Weltkrieg zum radikalen Flügel dieses Vereins, der für die Emanzipation des Proletariats und weitere soziale Reformen kämpfte. Seine besonderen Prioritäten im Verein waren das berufliche Schicksal insbesondere des älteren Arbeiters und die körperlichen und psychischen Anforderungen, denen er bei seiner Tätigkeit ausgesetzt ist.
  • Von Beginn schlug der ab 1899 als Privatdozent an der Berliner Universität wirkende Alfred Weber verschiedene Reformen vor, um die Entfremdung des Menschen im modernen Produktionsprozess zu beenden und die Arbeitswelt zu humanisieren, ohne dabei wie seine marxistischen und kulturpessimistischen Zeitgenossen den Kapitalismus in Frage zu stellen. Damit vertrat er die idealistisch-liberale Auffassung vom Vorrang des Menschen und seiner Selbstverwirklichung gegenüber den Sachzwängen der Institutionen. Manche seiner Ideen waren so sehr seiner Zeit voraus, dass sie erst in den letzten Jahrzehnten ernsthaft diskutiert worden sind. Dazu gehört seine Anregung aus dem Jahre 1902 (!), bei einer Rezession keine Entlassungen vorzunehmen, sondern die verbleibende Arbeit durch Umverteilung und Feierschichten gleichmäßig unter alle Arbeiter aufzuteilen. Unvergessen bis heute ist Webers Vorschlag aus dem Jahre 1912 über eine regelmäßige Arbeitsplatzrotation, mit dem Ziel, die Tätigkeit reicher und interessanter zu machen und die "jugendliche Arbeitskraft nicht als Verwertungs-, sondern als Entfaltungsfaktor in die Arbeit zu stellen", - eine Maßnahme, die heute als ein wesentliches Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität angesehen wird (AWG 5).
  • 1904 wurde er als Ordinarius für Staatswissenschaft an die Deutsche Universität Prag berufen. Hier gehörte der junge Gelehrte bald zu den populärsten akademischen Lehrern, und das "Carolinum", der größte Saal der Universität, konnte seine Studenten kaum fassen. Besonders die deutsch-jüdischen Intellektuellen um Max Brod und Franz Kafka, der sogar zufällig bei ihm promovierte, strömten in seine Vorlesungen. An der Seite des späteren tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomás Masaryk, mit dem er eng befreundet war, engagierte sich Weber auch politisch und setzte sich für die Gleichberechtigung der Tschechen in der österreichisch-ungarischen Monarchie ein (AWG 7).
  • 1907 leitete Alfred Weber gemeinsam mit seinem Bruder Max eine große Untersuchung über die Lage der Industriearbeiter, mit der in Deutschland die systematische empirische Sozialforschung begann (AWG 5).
  • 1907 erhielt er auch den Ruf an die Heidelberger Universität und wechselte 1908 dorthin. Weber lehrte nur mit Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg und die NS-Zeit, bis zu seinem Tode im Jahre 1958 in Heidelberg Nationalökonomie und Soziologie. Die Universität Heidelberg wurde so für Weber gewissermaßen zum Schicksal. Er hat sie einmal mit einem "Garten von früchtetragenden Bäumen" verglichen, denn hier traf er zahlreiche kongeniale Kollegen, unter ihnen die Philosophen Heinrich Rickert und Karl Jaspers, den Germanisten Friedrich Gundolf, den Nationalökonomen Eberhard Gothein, den Romanisten Ernst Robert Curtius und seinen Namensvetter, den Archäologen Ludwig Curtius, nicht zuletzt seinen Bruder Max Weber, auch wenn dieser seit seinem Nervenzusammenbruch nicht mehr unterrichten konnte. Hier herrschte der berühmte "Geist von Heidelberg" (Eberhard Demm: Alfred Weber und der Geist von Heidelberg. Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte der Heidelberger Bildungselite, in: Heidelberger Jahrbücher, 37, 1993, S. 137-150), charakterisiert durch das "ewige Gespräch", den ständigen Gedankenaustausch unter Professoren und Studenten in ihren Zirkeln. Weber war von dieser Atmosphäre begeistert, erneuerte nicht nur die „Soziologischen Diskussionsabende““ Gotheins, sondern gründete selbst 1909 gemeinsam mit dem Botanikprofessor Georg Klebs und dem Historiker Hermann Oncken den sogenannten "Janus-Kreis“, ein „naturwissenschaftlich-philosophisches Kränzchen“, zu dem Ernst Troeltsch, Hans Driesch und die Ehepaare Gothein, Jellinek, Oncken und Weber (Max und Marianne Weber) gehörten. Laut Camilla Jellinek gehörte Alfred Weber auch zum ursprünglich religionswissenschaftlich geprägten „Eranos-Kreis“, der 1904 von dem Neutestamentler Adolf von Deissmann und dem klassischen Philologen Albrecht Dieterich. Zum Kern gehörten Max Weber, Georg Jellinek, Eberhard Gothein, Ernst Troeltsch, der Kunsthistoriker Carl Neumann, der Althistoriker Alfred von Domaszewski, der Archäologe Friedrich von Duhn und der Nationalökonom Karl Rathgen, außerdem aber auch der Historiker Erich Marcks, der Kirchenhistoriker Hans von Schubert und der Jurist Karl von Lilienthal (Gesa von Essen: Max Weber und die Kunst der Geselligkeit, in: Richard Faber/Christine Holste (Hrsg.): Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziation, Würzburg 2000, S. 241f.). Weber war auch über die Kreise hinaus ein sehr kontaktfreudiger Mensch, und seine Beziehungen gingen weit über Heidelberg hinaus. Er kannte nicht nur zahlreiche auswärtige Fachkollegen, sondern auch demokratische Politiker der Weimarer Republik wie Friedrich Ebert, Walther Rathenau und Hans Luther sowie die Schriftsteller Thomas Mann, David H. Lawrence, Hermann Graf Keyserling, Max Brod und Ferdinand Lion (AWG 10).
  • Auch in seinen Lehrveranstaltungen stellte Weber das "diskutative Prinzip" des Seminars über das "Prinzip der reinen Wortgläubigkeit", wie es die traditionelle Vorlesung charakterisierte. Sein Ziel war dabei die "Niederreißung von Vorurteilen in den Köpfen der Studenten" und ihre "geistige Lebensverwandlung" "durch Kritik und Konfrontation der Standpunkte". Dies bezeichnete er als das "Lebensgesetz der Hochschule" (AWG 7 und 10).
  • 1909 wandte er sich der Kultursoziologie zu und veröffentlichte auch in den zwanziger Jahren einschlägige methodologische Untersuchungen sowie eine Modellstudie über die Kultursoziologie Ägyptens und Babyloniens (AWG 8). Erst nach seiner Emeritierung erschien 1935 in den Niederlanden ein Buch, in dem er seine Methode auf die Universalgeschichte anwandte, "Kulturgeschichte als Kultursoziologie", das er als "mein eigentliches Lebenswerk" bezeichnete.
  • Weber hasste besonders die wachsende Bürokratisierung in Staat und Wirtschaft und prangerte 1910 in seinem aufrüttelnden Aufsatz "Der Beamte" die Entstehung eines neuen Menschentypus an, der "deutsch und treu und pensionsberechtigt" seine Freiheit aufgibt und zu einem kleinen Rädchen in einer riesigen Maschine wird (AWG 5).
  • 1912 erschien im Jenaer Eugen-Diederichs-Verlag Webers Flugschrift über „Religion und Kultur“ (Jena 1912), der ein Vortrag auf Einladung des Vereins „Freie Schule“ in Prag vor mehr als 600 Zuhörern zugrunde lag. Sie atmet den von der Jugendbewegung geprägten, neuidealistischen und neumystischen Geist, wie er im „Warenhaus für Weltanschauungen“ (so Max Weber über den Eugen-Diederichs-Verlag) vorherrschte. Er verglich darin die Situation der Gegenwart mit der der Spätantike, als die alten Kulturträger der institutionalisierten Religionen ihre Kraft bereits verloren hatten, aber trotz aller Sehnsucht nach neuer Synthese die intellektuelle Skepsis gegen Versuche der Kulturerneuerung noch vorherrschte, so dass sich neue Kulturträger immer noch an den alten hinsichtlich der religiösen Dimension messen lassen mussten. Solange die alten Fesseln, die das Leben einschnüren, nicht gesprengt würden, nämlich die rationalisierten Apparate (Verstandesapparat, Verwaltungsapparat, Selbstzwangsapparat), die von der modernen Wissenschaft, dem modernen Kapitalismus und der modernen Bürokratie sowie die bürgerlichen Lebensführung innerweltlicher Berufsaskese getragen würden, käme es zwar zu einer äußeren Lebenserleichterung, aber gleichzeitig auch zu einer inneren Verarmung, insbesondere auch zu einer Deformation der Sexualität und aller starken egoistischen Triebe. Aus Die diesem Zusammenspiel entwachsenden Menschen seien bestenfalls Durchschnittsmenschen, mitunter sogar rebarbarisierte Menschen. "Erlöst sind wir von diesen Anschauungen und von diesem Rationalismus erst dadurch, daß wir überhaupt diese ganze Art intellektuellen Fassens des Daseins nicht mehr als die letzte, nicht mehr als die einzige und vor allem (das ist wohl das größte und epochemachende Verdienst von Bergson) nicht mehr als diejenige ansehen, welche uns die tiefsten seiner inneren Zusammenhänge geben und entschleiern kann" (Wolfgang Schluchter: Max und Alfred Weber - zwei ungleiche Brüder, in: Ruperto Carola, 46, 1994, 3, S. 29-35 (online http://www.uni-heidelberg.de/uni/presse/rc7/5.html); ders.: Max Weber und Alfred Weber. Zwei Wege von der Nationalökonomie zur Kultursoziologie, in: Nutzinger, Hans G. (Hg.): Zwischen Nationalökonomie und Universalgeschichte - Alfred Webers Entwurf einer umfassenden Sozialwissenschaft in heutiger Sicht, Marburg 1995, S. 199-221). Nicht Kant und eine Radikalisierung der Aufklärung, sondern Bergson und sein neu-romantische Gegenaufklärung gilt ihm also als der Gewährsmann der kulturellen Erneuerung. Damit stellte er sich ausdrücklich gegen seinen Bruder Max Weber, der diese in der Zeit weitverbreiteten Strömungen bekämpfte. Während Alfred Weber in dieser Zeit Gustav Wyneken in seinem Kampf gegen den modernen Rationalismus anhing, sah sein Bruder in ihm einen Verführer der Jugend.
  • Politisch und finanziell unterstützte Weber zunächst Friedrich Naumanns Nationalsozialen Verein, der in Deutschland die erste Partei mit einer sozialliberalen Orientierung war. Außerdem half er durch Vorträge den Gewerkschaften gegen die unternehmertreuen "Gelben" Arbeiterverbände sowie gegen die Verschärfung der Antistreikgesetzgebung, was damals für einen deutschen Universitätsprofessor fast an Subversion grenzte (AWG 5).
  • Im Ersten Weltkrieg (Eberhard Demm: Thomas Mann und Alfred Weber im Ersten Weltkrieg, in: Etudes Germaniques, 37, 1982, S. 34-46; ders.: Alfred Weber im Ersten Weltkrieg, in: ders. (Hrsg.): Alfred Weber als Politiker und Gelehrte. Die Referate des Ersten Alfred Weber-Kongresses in Heidelberg (28.-29. Oktober 1984, Stuttgart 1986, S. 22-39) meldete sich Weber trotz seines fortgeschrittenen Alters - er war gerade 46 Jahre alt geworden - freiwillig und kämpfte als Hauptmann einer badischen Landwehrkompanie zwei Jahre lang an der elsässischen Front. Der Eintönigkeit des Grabenkrieges müde, wurde er im März 1916 persönlicher Referent des Staatssekretärs des Reichsschatzamtes, Siegfried Graf von Roedern. Er war Verbindungsmann zu den Fraktionen des Reichstages und griff hinter den Kulissen aktiv in die politischen Entscheidungen ein. Seine besonderen Schwerpunkte waren die Parlamentarisierung des Reiches - ein Ziel, für das er sich bereits vor dem Krieg eingesetzt hatte - sowie die Errichtung von "Mitteleuropa", einer großen Zone deutscher Hegemonie in Mittel- und Osteuropa (AWG 7).
  • Nach der Revolution bekannte sich Weber als "Vernunftrepublikaner" zur Republik und gründete im November 1918 zusammen mit dem Chefredakteur des liberalen "Berliner Tageblatts", Theodor Wolff, die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP), deren erster provisorischer Vorsitzender er wurde. Allerdings gelang es ihm nicht, seine Vorstellungen gegen die alten Berufspolitiker durchzusetzen, und nach einem Skandal, den er durch unüberlegte Äußerungen selbst provoziert hatte, musste er bereits im Dezember 1918 von allen seinen Ämtern zurücktreten (AWG 7). Nach dem Scheitern seiner politischen Karriere in der DDP beschränkte sich Weber auf eine Mitarbeit in der erfolglosen zweiten Sozialisierungskommission sowie auf gelehrtenpolitische Interventionen durch Vorträge und Zeitungsaufsätze (AWG 7). Im Januar 1919 organisierte Weber in Berlin eine Freiwilligenwerbung zur Unterstützung der Regierung gegen den Spartakusaufstand und schrieb nach der Niederlage der Kommunisten befriedigt: "Der Irrsinn hat doch wenigstens ein Mal nicht gesiegt!" (AWG 10)
  • Nach dem Tod seines Kollegen Gothein im Jahr 1923 übernahm Weber die Leitung des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften (Insosta), wie es jetzt genannt wurde, und er hat sich auch als Wissenschaftsorganisator bewährt.
  • Die Gründung des Heidelberger "Akademischen Austauschdienstes", des Vorläufers des DAAD, die Errichtung des Zeitungsinstituts sowie ein großes von der Rockefeller-Stiftung gefördertes Forschungsunternehmen über die wirtschaftliche Verflechtung der europäischen Staaten, an dem u.a. der spätere Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller mitarbeitete, gingen zentral auch auf ihn zurück.
  • Weber hatte 1925 sein Werk „Krise des modernen Staatsgedankens in Europa“ (Stuttgart 1925) fertiggestellt. Darin beschäftige er sich, angeregt durch die politischen Probleme des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, erstmals auch mit herrschaftssoziologischen Fragestellungen (AWG 7). Um die Weimarer Republik gegen die Angriffe antidemokratischer Kräfte zu stärken, suchte er nach einer "Synthese zwischen dem geistig inhärenten Freiheitsbewußtsein der Massen [...] und der Notwendigkeit der Unterordnung unter eine hervorragende Führung" und propagierte die Konzeption einer "Führerdemokratie". Dies ist eine "oligarchische Massenorganisation auf demokratischer Basis", in der die politischen Führer zwar alle Entscheidungen treffen, auch durch ihre geistige Überlegenheit die Urteile und Einsichten der Massen beeinflussen, aber in letzter Instanz von der Bevölkerung durch eine "demokratische Revision des Vertrauens", d.h. durch demokratische Mehrheitsentscheidungen, gewählt und kontrolliert werden. Konkret setzte er sich für eine Stärkung der Macht des Kanzlers (Kanzlerdemokratie) und für die Einführung des Mehrheitswahlrechts ein, um die Macht der Parteiapparate bei der „demokratischen Führerauslese“ zu beschränken. Gleichzeitig lehnte er die plebiszitären Elemente der Weimarer Verfassung wie die Volkswahl des Reichspräsidenten als „politische Romantik“ scharf ab. Damit stellte Weber der in Deutschland herrschenden Lehre von der direkten Demokratie Rousseauscher Prägung mit ihrer "Identität von Führern und Geführten" ein Modell der Repräsentativdemokratie englischer Provenienz gegenüber und nahm bereits 1925 die viel später (1942) von Joseph Schumpeter vertretene "funktionale Demokratietheorie" vorweg. In diesem Werk äußerte er sich auch zum Faschismus, der für ihn als der „bisher einzige Ersatz des alten Autoritätssystems und dadurch als der Sammelpunkt aller früher von dem Legitimismus garantierten und gehegten geistigen Kräfte und Besitzinteressen“ erschien. Der Faschismus war „das eigentliche moderne Quidproquo der gesamten konservativen Lebenseinstellung“ (ebd., S. 122). Dennoch prognostizierte Weber auch: „Die Freiheit des europäischen geistigen Gedankens wird unzweifelhaft TROTZ MUSSOLINI UND FACISMUS in Italien wieder herrschend werden. (ebd., S. 170). Für Deutschland sah Weber in dem Buch vor allem die Aufgabe, gegenüber dem imperialistischen Frankreich „das neue Europa, die neue Form des europäischen Staatsgedankens“ zu vertreten und „dazu alle Europäische geistig um uns zu versammeln“. Er sah als diesen „dritten Weg“ zwischen den „Formationen der beiden politischen Gewalttendenzen“ Bolschewismus und Faschismus „nicht mehr eine individualistisch-ideologisch egalitäre, sondern nur noch ... eine auf rationaler Massenformation aufgebaute unegalitäre Führerdemokratie samt ihrem notgedrungen oligarchischen Aufbau“. Für ihn war das „Zeitalter des Individualismus und seiner staatsrechtlichen Konstruktionen samt dem egalitären Humanitarismus zum mindestens für die europäische Geistigkeit vorbei“ (ebd., S. 138).
  • Mit dieser Auffassung nahm Alfred Weber an der Kulturbundtagung 1925 in Mailand teil und hat sich von Rohans Kulturbundidee begeistern lassen. Er selbst hielt dabei die Schlussansprache. Weber betonte stolz, dass „die Flügel des Geistes sich rascher bewegen als die langsamen Räder der schweren Lastwagen der Politik“. Der Kulturbund habe zwar „nicht die Absicht, der Politik die Wege zu weisen“, die sie selber finden müsste: „Jedoch wir können die Geisterschlacht beenden“. Ausdrücklich dankte er dem gastgebenden Italien, das er als das „Land des immer neuen rinascimento“ lobte: „Hier in diesem Land ... haben wir für uns einen neuen europäischen Frühling gefunden“ (Alfred Weber: Rede beim Schlussbankett der internationalen Jahresversammlung in Mailand, in: Europäische Revue, 1, 1925/26, T.2., S. 301-303, hier S. 302). Außenpolitisch trat er als 2. Vorsitzender dieses "Europäischen Kulturbunds" für eine Gleichberechtigung des besiegten Deutschlands und eine geistige Zusammenarbeit der europäischen Intellektuellen ein. Weber lehnte dabei das Paneuropa-Konzept und -Propaganda von Coudenhove-Kalergi als Eintreten für einen „Überstaat“ Europa ausdrücklich ab. Dagegen plädierte er selbst für einen „wirksamen ZWECKVERBAND der europäischen Staaten, der den Frieden sichert, die Wirtschaft kräftigt, die nationalen Streitigkeiten beilegt.“ Während Coudenhove letztlich die Nation als politisch relevanten Faktor aufheben wolle, bliebe sie bei ihm erhalten (Alfred Weber: Paneuropa, in: Europäische Revue, 1, 1925/6, Bd. 2, S. 149-153). Insbesondere die große Tagung im Oktober 1926 in Wien mit dem Thema „Rolle des Geistesmenschen im Aufbau Europas“ sollte das Programm des Kulturbundes verdeutlichen. Den Vorsitz hatte Hofmannsthal, Alfred Weber hielt die Eröffnungsrede „Der Deutsche im geistigen Europa“ (in: Europäische Revue, 2, 1926/27, Bd. 2, S. 276-284=. Es folgten die Vorträge von Martin Buber, Leo Baeck, Paul Valéry, Heinrich Mann, Emilio Bodrero, Alfons Dopsch, Erich Przywara, Friedrich Gogarten (Guido Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg . Das Deutsch - Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, München 2005, S. 363).
  • Als Mitglied des im Januar 1928 gegründeten "Bundes zur Erneuerung des Reiches" eine Stärkung der zentralistischen Staatsgewalt (AWG 5). Trotz aller Sympathien für Mussolini lehnte er aber den Nationalsozialismus immer leidenschaftlich ab. Andererseits beschäftigte er den neurechten Ernst-Wilhelm Eschmann (1904-1987) als Assistenten und promovierte ihn 1928 mit einer Arbeit über den faschistischen Staat in Italien, die 1930 erschien (Der faschistische Staat in Italien, Breslau 1930; (2)1933).
  • Mit Kreisen wie dem George- und dem Tat-Kreis teilte er die Kulturkritik an der Entfremdung durch „Mechanisierung“ und Bürokratisierung (Eberhard Demm: Entfremdung durch "Mechanisierung" und Bürokratisierung. Die Kulturkritik Alfred Webers und des Stefan George-Kreises, in: Begegnung mit dem "Fremden". Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses in Tokio 1990, Bd. 9, München 1992, S. 109-119) und eine Grundsympathie für den italienischen Faschismus. In diesem Geiste nahm er im November 1932 auf Einladung der faschistischen Regierung gemeinsam mit Rohan, Willy Hellpach (1877-1955) und Werner Sombart am sogenannten „Volta-Kongress“ in Rom teil. Während Hellpach in seinem Vortrag über „Die Krisis der humanistischen Bildung und ihre Überwindung durch einen europäischen Realismus“ vom „Europäertum“ als „Wiege der weißen Rasse“ sprach (Alfred Weber hatte schon 1925 von der "weißen Rasse" gesprochen), nahm Alfred Weber „Zur Krise des europäischen Menschen“ Stellung und forderte in Schelerscher Manier eine „Umwertung der Werte“ durch eine „Umwandlung des aristokratisch-ritterlichen Geistes in einen Geist sozialen Dienens“. Weber hoffte auf eine „neue ritterliche Menschenart ... in Europa in stärkster reflektierter Selbstbesinnung“ (Alfred Weber: Zur Krise des europäischen Menschen, in: Atti 1933, Vol. 2/1, S. 165-167, siehe auch: Europäische Revue, 8, 1932, Bd. 2, S. 759-763. Vgl. dazu auch sein Interview in: Il Lavor fascista, 18.11.1932, Il Messaggero 20.11.1932). Am Kongress nahmen auch führende Nationalsozialisten teil: Hermann Göring, Alfred Rosenberg und Hjalmar Schacht. Auf dem Bankett der Akademie am 17. November 1932 traf die Nachricht vom Rücktritt der Regierung Papen ein, verkündete Göring dem anwesenden Mussolini „nunmehr werde das faschistische Jahrhundert auch in Deutschland anbrechen.“
  • Im Kern blieb Weber jedoch ein kämpferischer Vernunftrepublikaner und Demokrat, so dass ihn die Heidelberger Nationalsozialisten bald als einen ihrer gefährlichsten Widersacher ausmachten. Da Weber auch nach der Machtergreifung nicht sofort aufgeben wollte, versuchte er in einem Widerstand der ersten Stunde, die Freiheiten der Weimarer Republik zu bewahren und die Entwicklung der Kanzlerschaft Hitlers zu einer totalitären Diktatur zu verhindern.
  • Als die SA nach dem Wahlsieg der NSDAP Anfang März 1933 auf allen öffentlichen Gebäuden widerrechtlich Hakenkreuzfahnen hisste, machte Weber dem Heidelberger Oberbürgermeister öffentlich Vorwürfe und ließ die auf dem Insosta gehisste Fahne mit den Worten "Nehmen Se' den roten Lappen da 'runter" entfernen - ein Akt von Zivilcourage, der sogar die tobende SA-Meute vor seinem Institut beeindruckte (AWG 7) (Eberhard Demm: Zivilcourage im Jahre 1933 - Alfred Weber und die Fahnenaktionen der NSDAP, in: Heidelberger Jahrbücher, 26, 1982, S. 69-80). Als er jedoch feststellen musste, dass seine Initiative nichts nützte, und die Universität ebenso gleichgeschaltet werden sollte wie alle anderen Institutionen, zog Weber unverzüglich die Konsequenzen. Er verweigerte sich konsequent den neuen Machthabern, ließ sich erst vom Dienst beurlauben, dann emeritieren und zog sich ganz ins Privatleben zurück. Damit schied er freiwillig vorzeitig aus dem Lehramt aus, womit er einer Entlassung aufgrund seines öffentlichen Protestes gegen die national-sozialistische Politik zuvorkam. Nach dieser Emeritierung verfasste Weber außer seiner „Kulturgeschichte“ noch zahlreiche weitere Schriften.
  • Während des zweiten Weltkrieges stand er über seine ehemaligen Schüler Carlo Mierendorff und Theodor Haubach in Verbindung mit dem Kreisauer Kreis. Er diskutierte mit ihnen und dem Heidelberger Fabrikanten Emil Henk die politische Neuordnung nach dem Krieg (AWG 9).
  • Am 18. Januar 1942 hatte Weber bedrückt an Jaspers geschrieben: "Ich weiß nicht, ob das, was Leute unserer Art schriftlich noch niederlegen können, historisch gesehen, mehr als das Testament einer untergehenden Zeit sein wird" (AWG 10).
  • 1943 erschien dennoch Webers eher literarisches Werk "Das Tragische und die Geschichte", in dem er die Epen und Tragödien des klassischen Griechenland aus einem tragischen Daseinsbewußtsein her interpretierte, das sich dort als Konsequenz der Spannungen zwischen den seit 1200 v. Chr. eindringenden Reitervölkern und den Ureinwohnern entwickelt hatte (AWG 2).
  • 1943 begann er sein Buch "Abschied von der bisherigen Geschichte Überwindung des Nihilismus?" (Hamburg 1946) zu schreiben, das er aber erst 1946 veröffentlichen konnte. In ihm stellte er die Wandlungen des europäischen Habitus am Beispiel ausgewählter Schriftsteller und Maler von Dante über Rembrandt bis Nietzsche dar. Hier erkannte Weber eine deutliche Zäsur. In einer scharfen Abrechnung mit diesem Philosophen warf er ihm Verrat an den "Mächten" der aktiven Menschlichkeit in ihrer Verbindung mit Freiheit" und eine Mitschuld am Heraufkommen des Nihilismus vor. In einem aktuellen Schlusskapitel deutete er das Phänomen des Nationalismus als eine Persönlichkeitsformung, in der dunkeldämonische Anlagen zur Dominanz gelangt waren. Weber empfahl die Schaffung eines demokratischen Menschentyps, in dem die rezessiv gewordenen Freiheitsinstinkte wieder zum beherrschenden Charakterzug würden (AWG 3).
  • Auch in der Nachkriegszeit hatte Weber zahlreiche Studenten, die sich noch heute mit Begeisterung an seine sozialintegrativen Lehrveranstaltungen erinnern. Zu ihnen gehören Ministerpräsident Bernhard Vogel, der von 1956 bis 1958 Webers letzter „Privat-Assistent“ war, der Gewerkschaftsführer Heinz Markmann, der Schriftsteller Nikolaus Sombart, sein letzter Doktorand, die Universitätsprofessoren Harry Pross, Klaus Beyme, Hans Joachim Arndt, Erwin Faul, die Publizisten Herbert von Borch und Hugo Dechamps und viele andere. Für sie alle war die Begegnung mit Weber unvergesslich. Wie ein Urgestein ragte er aus der Epoche des Kaiserreichs in die Bundesrepublik herüber und reichte die Flamme des lebendigen Geistes an die junge Generation weiter. "Bonn ist nicht Weimar", hat man gesagt, Bonn war sicher auch nicht Potsdam, aber die deutsche Nachkriegszeit wurde geprägt durch eine Generation alter Männer - Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Reinhold Maier u.a. - die wie Weber im Kaiserreich geprägt worden waren und deren Ideen sich seither, zum Glück, nur wenig verändert hatten. Die jüngere und mittlere Generation war weitgehend vom Nationalsozialismus aufgesogen worden, und im Dritten Reich schienen die liberalen und demokratischen Traditionen Deutschlands überwunden zu sein.
  • Webers Gedanken waren nun kein Testament mehr, sondern Programm für eine neue demokratische Zukunft. Die amerikanische Militärregierung traute mit Recht nur den "ergrauten Häuptern", wie es Webers Schwägerin Marianne Weber formuliert hat, und es war in der Tat die Generation der Großväter, die jetzt die Bonner Demokratie auf der Grundlage der demokratischen, liberalen und sozialen Traditionen des Kaiserreiches aufbaute - eine bemerkenswerte Kontinuität, die auch jene widerlegt, die nur die Kontinuität von Kaiser und Führer erkennen wollen. Es gab eben in Deutschland auch eine liberale bzw. sozialliberale Kontinuität. Alfred Weber hat zu ihren hervorragendsten Vertretern gehört.
  • Weber bekannte sich als einer der wenigen Deutschen zu einer Mitschuld am Heraufkommen des Nationalsozialismus und erklärte: "Wir, die Mitglieder der älteren Generation [....] hätten das verhindern können und müssen, was geschehen ist" (AWG 9).
  • Um endlich in Deutschland die Weichen für eine demokratische Entwicklung zu stellen, stürzte sich der nunmehr achtzigjährige Weber mit jugendlicher Leidenschaft wieder in die Politik. Da er als "Democrat and reported Non-Nazi" auf der "Weißen Liste" der Amerikaner stand und von ihnen als "Great Old Man of Heidelberg" verehrt wurde, genoss er das besondere Vertrauen der Militärregierung und wurde in politischen und wirtschaftlichen Fragen um Rat gefragt. So bestimmte er zum Beispiel gemeinsam mit Karl Jaspers die personelle Zusammensetzung der ersten provisorischen "Regierung", die die Amerikaner im Frühjahr 1945 in der Pfalz einsetzten. Außerdem ließ sich die Besatzungsmacht von Weber eine ganze Anzahl von Memoranden zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands vorlegen. Im Herbst 1945 trat Weber in die SPD ein, vielleicht unter dem Einfluss Henks, der bald darauf SPD-Vorsitzender in Heidelberg wurde und sich um eine Öffnung der Partei zum bürgerlichen Lager bemühte.
  • Gemeinsam mit Karl Jaspers und anderen gründete Weber noch 1945 die Monatszeitschrift „Die Wandlung“ und gab sie gemeinsam mit Dolf Sternberger heraus. Er selbst kümmerte sich darin unter anderem „um das Problem der Macht“ und machte sich Gedanken über „Das Ende des modernen Staates“ (Alfred Weber: Unsere Erfahrung und unsere Aufgabe, in: Die Wandlung, 1, 1945/46, Heft 1, 50-64; ders., Um das Problem der Macht, in: Die Wandlung, 1, 1945/46, H. 3, S. 242-252; ders., Über geistige Toleranz, in: Die Wandlung, 1, 1945/46, H. 5, S. 402-406; ders., Bürokratie und Freiheit, in: Die wandlung, 1, 1945/46, H. 12, S. 1033-1048; ders.: Student und Politik, in: Die Wandlung, 2, 1947, H. 4, S. 283-294; ders., Das Ende des modernen Staates, in: Die Wandlung, 2, 1947, H. 6, S. 463-477; ders., Ruhrfrage und Friedenssicherung, in: Die Wandlung, 2, 1947, H. 9, S. 782-792; ders., Der Vierte Mensch oder Der Zusammenbruch der geschichtlichen Kultur, in: Die Wandlung, 3, 1948, H. 4, S. 283-295; ders., Deutschland und Europa. Zugleich Betrachtung des Ruhrstatus, in: Die Wandlung, 4, 1949, H. 2, .S. 99-111; ders., Beamtendämmerung? Zum Beamtengesetz der Doppelzone, in: Die Wandlung, 4, 1949, H. 4, S. 332-339; ders., Haben wir Deutschen seit 1945 versagt?, in: Die Wandlung, 4, 1949, H. 8, S. 735-746).
  • Er half beim politischen und wissenschaftlichen Wiederaufbau der Heidelberger Universität und erhielt auf seinen Wunsch hin Erich Preiser zu seinem Nachfolger. Schwerpunkt war dabei die Entnazifizierung der Heidelberger Universität. Als Mitglied des legendären "Dreizehnerausschusses" ließ er notorische Nationalsozialisten von ihren Lehrstühlen entfernen und sorgte für die Neuberufung unbelasteter Kollegen.
  • Weber nahm bei der Wiedereröffnung der Heidelberger Universität im Wintersemester 1945/46 seine kultursoziologischen Kurse, vor allem in Form von Kolloquien und Seminaren, wieder auf, und unterrichtete als Emeritus bis kurz vor seinem Tode im Jahre 1958.
  • Im November 1946 gründete er zusammen mit dem Publizisten Dolf Sternberger, dem Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich und dem Verleger Lambert Schneider die "Aktionsgruppe Heidelberg“, einen überparteilichen Kreis von Politikern und Honoratioren, zu denen u.a. der hessische Ministerpräsident Karl Geiler, der Berliner Bürgermeister Ferdinand Friedensburg, der spätere Außenminister Heinrich von Brentano und der SPD-Politiker Carlo Schmid gehörten. Zweck dieser Gruppierung war es, "einen Beitrag zur Bildung einer echten öffentlichen Meinung in Deutschland zu geben", wie es Schneider ausdrückte. Hier wurden aktuelle Probleme wie die Wiedervereinigung Deutschlands oder die Wohnungsfrage diskutiert und Resolutionen ausgearbeitet, die die Öffentlichkeit für bestimmte Entscheidungen mobilisieren sollten (AWG 9). Im wirtschaftlichen Bereich suchte Weber dabei weiter nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Gemeinsam mit Alexander Mitscherlich propagierte er 1946 den "Freien Sozialismus" (Eberhard Demm: Alfred Webers "Freier Sozialismus", in: Heß, Jürgen C. u.a. (Hrsg.): Heidelberg 1945, Stuttgart 1996, S. 329-347), eine halbsozialistische Wirtschaftsordnung, in der Arbeiter und Angestellte in den Betrieben entscheidende Mitbestimmungsrechte erhalten, an Stelle der staatlichen Reglementierung aber Marktwirtschaft und freie Konkurrenz eingeführt werden sollten. Durch eine solche Demokratisierung sowie durch eine Entflechtung der Großkonzerne hoffte Weber, die Gefahren wirtschaftlicher Macht zu neutralisieren. Gleichzeitig plädierte er bereits 1946 für eine wirtschaftliche Integration der europäischen Staaten, die sich dadurch zum drittgrößten Industriezentrum der Welt nach den USA und der Sowjetunion entwickeln würden (AWG 9).
  • Weber betrachtete das Verhältniswahlrecht als eine entscheidende Schwäche der Weimarer Republik und engagierte sich in der "Deutschen Wählergesellschaft" für eine Einführung des Mehrheitswahlrechts nach englischem Vorbild (AWG 9).
  • Für die Beamten, die dem nationalsozialistischen Staat treu gedient hatten, arbeitete er ein neues Statut aus, das eine Widerstandspflicht gegen Befehle vorsah, die menschenrechtswidrig sind oder gegen die Verfassung verstoßen (AWG 9). Nur politisch bewusste Staatsbürger mit "antiautoritärem" Engagement - das spätere Modewort hat Weber bereits 1949 verwandt - könnten verhindern, daß Staat und Bürokratie wieder die Freiheit des Individuums antasten oder sich gar von neuem totalitäre Strukturen entwickeln würden (AWG 8).
  • Weber hat kaum eines seiner Ziele erreicht, und die restaurativen Tendenzen der Nachkriegszeit erfüllten ihn mit Sorge. "Haben wir Deutschen nach 1945 versagt?", überschrieb er im Jahr 1949 deprimiert einen Artikel (AWG 9). Mit Verbitterung stellte er fest, dass die überkommenen sozialen und ökonomischen Strukturen kaum verändert wurden, dass ehemalige Nationalsozialisten wieder in Universität, Verwaltung und Schule zurückkehrten und sogar als Abgeordnete in den Bundestag einzogen, und daß mit ihnen sich wieder die alte Untertanenmentalität in Deutschland breitmachte. Doch er resignierte nie und demonstrierte mit diesem unbeirrten politischen Engagement in der Praxis, was er als Reaktion auf den Nationalsozialismus theoretisch propagiert hatte, das Ideal des "dritten Menschen", eines selbstverantwortlichen, politisch engagierten und stets zum Widerstand gegen übermächtige Strukturen bereiten Individuums - in den sechziger Jahren sollte dieser Menschentyp, wenn auch zum Teil in ideologischer Überspitzung, in der jungen Generation der Bundesrepublik Wirklichkeit werden.
  • 1950 konnte seine "Kulturgeschichte", vermehrt um ein aktuelles Kapitel "Zur Gegenwartslage. Kommt der vierte Mensch?", auch in Deutschland erscheinen, zwei Jahre später führte er in seinem Buch "Der dritte oder der vierte Mensch" einen der Hauptgedanken dieses Werkes weiter (AWG 3). Am meisten beunruhigte Weber die Entstehung eines neuen Menschentyps, des "vierten Menschen", wie er ihn nannte, eines völlig angepassten und manipulierten Wesens, das als Bürokrat im totalitären Regime blindlings die unmenschlichsten Befehle seiner Vorgesetzten befolgt, aber auch als Manager in der wirtschaftlichen Großorganisation den Arbeitsprozess enthumanisiert und die Umwelt zerstört. Deshalb definierte er in seinem ersten Aufsatz nach dem Kriege als die wichtigste Aufgabe des neuen Deutschlands „die Umwandlung des deutschen Massenmenschen aus einem geduldig gehorsamen Massentier in einen Typus der Zusammenordnung charakterlich selbständiger, aufrechter, selbstbewusster, auf ihre Freiheitsrechte eifersüchtiger Menschen." (AWG 9). Wie sollte dieser demokratische Menschentypus entstehen? Auch darauf hatte Weber eine überzeugende Antwort. Hier müsse eine moderne Erziehung einsetzen, die nicht nur Kenntnisse vermitteln, sondern auch den Charakter bilden sollte. Demokratische und pazifistische Erziehungsgrundsätze müssten dabei verfassungsmäßig verankert, eine politologische Zusatzausbildung für alle Studenten verbindlich werden (AWG 9). Vgl. Alfred Weber: Das Menschenbild in unserer Zeit in der Sicht der Soziologie, in: Evers: Darmstädter Gespräch, Darmstadt 1950, S. 64-70.
  • Am meisten hat sich Weber in der deutschen Frage profiliert. Scharf lehnte er Adenauers Politik der Westintegration ab, weil sie nach seiner Meinung zur Spaltung Deutschland führte. Um diese Entwicklung zu verhindern, nahm er, nach einigem Schwanken Anfang 1952, eine neutralistische Position ein: Das wiedervereinigte Deutschland sollte zwar eine Armee erhalten, aber aus den entstehenden Militärblöcken ausgeklammert werden. Durch den Verzicht der Bundesrepublik auf den Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) bzw. zum Nordatlantikpakt (NATO) sollte die Freigabe der DDR durch die Sowjets erkauft werden. In dieser Frage arbeitete er eng mit den SPD-Politikern Erich Ollenhauer, Fritz Erler und Wilhelm Mellies eng zusammen und gab der Politik der Opposition in dieser Zeit wichtige Impulse (AWG 9). Allerdings lag Weber nicht immer auf der SPD-Parteilinie und beklagte 1954 gegenüber Theodor Heuß das Fehlen einer sozialliberalen Parteigruppierung (Alfred Weber an Theodor Heuss, Durchschlag, 15.2.1954, NL A. Weber/19, BA Koblenz, zitiert nach Eberhard Demm: Alfred Webers „Freier Sozialismus“, in: Jürgen C. Hess/Hartmut Lehmann/Volker Sellin (Hrsg.), Heidelberg 1945, 1996, S. 337). Noch kurz vor seinem Tode, mit fast neunzig Jahren demonstrierte er unverdrossen gegen die Stationierung von Atomwaffen in der Bundesrepublik. Gleichermaßen war es ihm noch vergönnt, gemeinsam mit seinen Schülern eine "Einführung in die Soziologie" zu veröffentlichen, in der er seinen grundlegenden geschichts- und kultursoziologischen Forschungsansatz gegen die in Deutschland bereits herrschende Fragebogensoziologie zu behaupten versuchte (AWG 4).

Alfred Weber und Romano Guardini

  • Außer dem Vortrag in Heidelberg gibt es keine weiteren Belege für Begegnungen zwischen Alfred Weber und Romano Guardini. Alfred Weber nimmt in seinem Werk ebensowenig Bezug auf Guardini wie umgekehrt Guardini auf Weber. Dennoch werden in der Sekundärliteratur Webers und Guardinis "kulturkritische" Zeitdiagnosen und ihre "kontemplative" "Besinnungsliteratur" häufig miteinander verglichen (kontemplativ, z.B. Neil Gregor: Nazism, 2000, S. 341; Besinnungsliteratur, z.B. Wolfgang Benz: Nachkriegsgesellschaft und Nationalsozialismus, in: Dachauer Hefte, 6, 1990, S. 13). Zum Vergleich siehe z.B. Karl Mielcke: 1917-1945 in den Geschichtsbüchern der Bundesrepublik, 1961, S. 13-16 [neu aufgenommen] - [Monographie] - https://books.google.de/books?id=GvYvAAAAIAAJ
  • In der Privatbibliothek Guardinis steht von Alfred Webers Nachkriegswerk die 1950er Ausgabe seiner "Kulturgeschichte als Kultursoziologie", allerdings ohne Einträge und ohne Widmung.

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