Gegensatzlehre

Aus Romano-Guardini-Handbuch

Die Gegensatzlehre wird von Romano Guardini - von 1905 bis 1925 gemeinsam mit Karl Neundörfer - entwickelt und findet in nahezu allen Werken Guardinis Anwendung. Die Entstehung ist durch mehrere Phasen gekennzeichnet, zunächst zeitlich beschreibbar im Rahmen der unveröffentlichten und veröffentlichten Fassungen.

Geschichte der Gegensatzlehre

Der Beginn der Erarbeitung gemeinsam mit einer Chararkterlehre (1906 bis 1914)

Erste Publikation (1914)

Die Wiederaufarbeitung der Gegensatzlehre (1923 bis 1925)

  • Im Wintersemester 1923/24 hatte Guardini den "Stoff" der Gegensatzidee im Rahmen einer Vorlesung an der Berliner Universität vorgetragen.
  • Im Dezember 1923 teilte er seinem Freund Josef Weiger den Stand der Überarbeitung der Gegensatzlehre mit: "Die Gegensatzlehre wächst langsam herauf. Josef, wäret ihr doch da! Ich meine, darin steckt unser aller Wollen. Ihr alle, Karl und andere, habt ja daran mitgewirkt. Unser Verlangen nach Fülle, nach Freiheit und nach wesensgemäßer Ordnung hat sie geschaffen. Und sie sollte die Einsichten zusammenfassen von Priestern, Lehrern, Künstlern, Juristen, Mannes- und Fraueneinsicht … Ich weiß nicht, ob viele Bücher so langsam und selbstverständlich, so von selbst heraufgewachsen sind, wie dieses. 1904/5 in München begann’s zu keimen; dann in Tübingen wuchs es in Halm, dann – ja, jetzt gehts nicht mehr mit dem Bild – die lange Zeit steten Versuchens, Erprobens, bis mir die Gedanken zur lebendigen Haltung alles Seins und Denkens geworden. Und nun, in Berlin, in einer Vorlesung, soll es endgültig gestaltet werden. Denn so, in Form von „Vorlesungen“, will ich es herausgeben" (89. Brief vom 1./23. Dezember 1923, Potsdam, in: Briefe, a.a.O., S. 244).
  • Im Juli 1924 berichtete er in einem weiteren Brief an Weiger davon, dass nun die Gegensatzlehre von ihm "nochmals geschrieben und durchgeformt" worden sei und nunmehr feststehe, dass sie vom Grünewald-Verlag veröffentlicht werde, wie auch seine Habilitationsschrift über Bonaventuras systematische Ideen (93. Brief vom Juli 1924, Potsdam, in: Briefe, a.a.O., S. 252).
  • Im August 1924 las er schließlich auf Burg Rothenfels an drei Abenden „im Au-Haus vor kleinem Kreis die Gegensatzlehre.“ Rudolf Schwarz erinnerte sich dazu in einem Brief an Emmy Schweitzer vom 20. September 1924: „Mir sind diese Abende in allerliebster Erinnerung. Es ergaben sich oft im anschließenden Gespräch ganz neue Blicke und Einsichten und ich glaube, wir werden alle, Guardini eingeschlossen, noch lange an diesen neuen Dingen zu verdauen haben“ (Brief von Rudolf Schwarz an Emmy Schweitzer vom 20. September 1925, zitiert nach Gunda Brüske: Der Stille RAUM geben, in: Erbe und Auftrag, 81, Juni 2005, H. 3, S. 193, die sich wiederum beruft auf Walter Zahner: Rudolf Schwarz – Baumeister der Neuen Gemeinde. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Liturgietheologie und Architektur in der Liturgischen Bewegung, Altenberge 1991 (Münsteraner Theologische Abhandlungen; Bd. 15), S. 108).
  • Vermutlich Anfang 1925 schrieb Guardini selbst über sein aus diesen Vorlesungen, Vorträgen und Gesprächen entstandenes neues Buch an seinen Verleger und Freund Richard Knies: "Dem Charakter nach ist's Philosophie, aber mit viel lebendiger Fülle und, glaube ich, sehr aktuell." (Der Brief liegt wohl im Diözesanarchiv Mainz, hier zitiert nach Gerl, a.a.O., S. 251.)
  • Und im mit "Herbst 1925" datierten Vorwort fasste er die Entwicklung zusammen: "Die Wesenszüge sind die alten geblieben; nur hat sich alles deutlicher um das Problem des Konkreten gesammelt." Immer noch befindet sich demnach alles im "ersten Bau", gerade was die empirische Begründung, die Verbindung der Gegensatzidee mit dem erkenntnistheoretischen Problem des Konkreten und die bloßen Andeutungen auf mögliche Anwendungsbereiche hin betreffe.

Eigene Wertungen im Rückblick

  • Im Februar 1950 hat Guardini im Blick auf eine Neuauflage an Alfred Schüler geschrieben: „Du kennst ja wohl meine Gegensatzlehre. Sie bildet für mich eine Beunruhigung, mit der ich irgendwie fertig werden müsste. Das ist aber nicht leicht. An sich müsste ich sie neu schreiben und die Probleme mit der Genauigkeit und in der Breite behandeln, die sie verlangen dürfen. Dazu komme ich aber nicht mehr, denn, vom Drängenden abgesehen, nehmen einige Aufgaben ... meine ganze Kraft in Anspruch.“ Demnach hatte er Aloys Goergen (1911-2005) als Assistenten gefunden, der das Buch wie einen „posthumen“ Text mit einer Einleitung oder einem Nachwort versehen editieren sollte. Dieser Kommentar sollte vor allem eine geschichtliche Einordnung der Gegensatzlehre versuchen. Allerdings war Guardini nicht sehr zuversichtlich, dass Goergen dafür wirklich die nötige Zeit findet und trägt daher das Anliegen auch Schüler vor. Dabei spezifiziert er näher, was in seinen Augen die Aufgabe wäre: „Die Einleitung bzw. das Nachwort müsste eine – je nachdem mehr oder weniger vollständige – Geschichte der Gegensatzidee geben. Vor allem fragen, ob und wie die Unterscheidung des echten und des falschen Gegensatzes; der wirklichen Polarität auf der einen, des Widerspruchs und des Schichtungsunterschiedes auf der anderen Seite herausgearbeitet worden ist. Dann wäre zu zeigen, an welcher Stelle in diesem Gesamtzusammenhang mein Versuch steht – selbstverständlich auch Kritik an ihm zu üben und zu sagen, wo fernere Arbeit zu leisten wäre“ (Brief von München vom 25. Februar 1950 an Alfred Schüler (Diözesanarchiv Mainz 46,7 99). Letztendlich ist das gesamte Projekt im Sande verlaufen.
  • Gegenüber Marcel Reding betonte Guardini in einem Brief vom 5. Juli 1954 bereits, dass seine Gegensatzidee "z.B. für eine Fortführung und Vertiefung der aristotelischen Theorie der 'mesotes' von erheblicher Bedeutung" sei, d.h. selbst eine Lehre von der "Mitte zwischen zwei Extremen" sei: „Schon vor langem haben Sie mir Ihre Einleitung zu meinem Gegensatzbuch geschickt, und ich habe noch nicht dazu Stellung genommen. Der Grund war, dass ich zu keinem Entschluss kommen konnte. Ihre Darlegung war so inhaltsreich und von so freundlichem Interesse getragen – und doch wurde in mir das Gefühl stärker, meine Arbeit stehe zu ihr in keinem rechten Verhältnis. Was ich geschrieben habe, ist seinem Charakter nach wenig mehr als ein Jugendversuch, und geht kaum über die Skizze einer Idee hinaus; so ist eine Untersuchung wissenschaftlichen Charakters, wie die Ihre, für das kleine Buch einfach zu gewichtig. Der Fehler lag natürlich von Anfang an auf meiner Seite. Ich hätte sehen müssen, dass ein Versuch wie der meine nach so langer Zeit entweder überhaupt nicht mehr, oder aber so, wie er war und ohne weitere Präsentation hätte herausgegeben werden sollen. Das habe ich aber erst spät gesehen und dann auch, wie falsch es war, Sie so zu bemühen. Nun möchte ich es auch so machen, und die Schrift wie sie ist, nur mit einer ganz kurzen Vorbemerkung herausbringen, und ich wäre glücklich, wenn ich annehmen dürfte, dass Sie das verstehen. Jedenfalls sage ich Ihnen meinen angelegentlichsten Dank und bitte Sie zugleich auf das herzlichste, Sie mögen mir verzeihen, dass ich so viel von Ihrer Zeit in Anspruch genommen habe. Ich kann nur hoffen, dass die Arbeit an diesem Problem selbst für Sie in irgendeinem Sinne förderlich war" (Brief vom 5. Juli 1954 an Marcel Reding, Bayerische Staatsbibliothek München. Zu Gerl, Biographie, S. 254: Die Anmerkung 14 (a.a.O., S. 257) von Gerl-Falkovitz zum gleichen Brief ist nicht richtig, da 'mesotes' sich bei Aristoteles vor allem auch in der Tugendlehre zeigt und damit auf Haltungen zielt).
  • Im Januar 1955 möchte er im Vorwort zur Neuauflage in seinem "Versuch" nur mehr die "Skizze einer Idee" sehen. Immerhin sah er alle folgenden Arbeiten als Erprobung "an vielen Einzelproblemen", wie er sie im Buch selbst angekündigt hatte und im Rückblick von 1955 aus nun bestätigt fand (Guardini, Der Gegensatz, 1955, S. 13).
  • In seinem Brief vom 30. Mai 1962 an Babolin SJ beklagte Guardini sich in Bezug auf die „Einführung“ des Herausgebers seiner philosophischen Schriften, Guido Sommavilla SJ, allerdings deutlich, dieser behandle „die Sache so, dass er von der aristotelisch-thomistischen Tradition ausgeht und zeigt, dass das, was in der Gegensatzlehre gesagt wird, in allem Wesentlichen mit dieser übereinstimmt bzw. aus ihr entwickelt werden kann. Das ist natürlich sehr gut, weil es meine Arbeit in die Tradition einfügt. Ich frage mich nur, ob dabei das Eigentümliche des Gedankens deutlich wird" (Brief von Guardini an Babolin vom 30.5.1962, Bayerische Staatsbibliothek München, Ana 342, zitiert nach Nicoletti, a.a.O., S. 142).
  • Und zehn Tage, am später schrieb er direkt an Sommavilla, dass bei einigen Interpretationen seines Werkes das "Eigene der Gegensatzidee" gegenüber der "aristotelisch-thomistischen Tradition ... nicht genug herauskommt" (Brief an P. Guido Sommavilla SJ vom 30.6.1962, Bayerische Staatsbibliothek München).
  • Dass ihn die Gegensatzlehre 1962 besonders bewegt, wird auch aus einer Erinnerung Annette Kuhns über einen ihrer Besuch bei Guardini deutlich: „Weihnachten 1962 schenkte er mir sein Buch DER GEGENSATZ. VERSUCH ZU EINER PHILOSOPHIE DES LEBENDIGEN KONKRETEN, eine schon 1925 veröffentlichte Schrift, seine Habilitationsschrift, die er der theologischen Fakultät in Bonn vorgelegt hatte und die abgelehnt worden war" (Hier irrte wohl Annette Kuhn, da Guardini ja bereits 1920 mit einer Arbeit über Bonaventura habilitierte. Inwieweit Guardini das ja nach eigenem Bekunden eher philosophische Thema der theologischen Fakultät Bonn ursprünglich als Thema angeboten hatte und dieses abgelehnt wurde, ist bislang nicht ersichtlich). Kuhn führt weiter aus: "Dieses Buch war 1955 neu aufgelegt worden. Er wollte mit mir darüber sprechen. Romano Guardini nannte dieses kleine Büchlein seine wichtigste Arbeit. Der erkenntnistheoretische Grundgedanke dieser Schrift, die Frage nach der Verbindung von Begrifflichen und Lebendigem, begleitete ihn lebenslang. IN VIELERLEI FORM, RICHTIG UND VERZERRT, MASSVOLL UND VERSTIEGEN, wie er selbst es bescheiden und selbstkritisch in seiner Vorrede aus dem Jahre 1925 ausdrückte. Die Lebendigkeit im Konkreten, der Weg zum lebendigen Wort, die Begegnung und die Erfahrung von Nähe und Fremdheit, die schmerzliche Notwendigkeit, in Gegensätzen denken zu müssen. Hiervon erzählte Guardini, oft voller Trauer, oft von Schmerzen überwältigt" (Annette Kuhn, ..., S. ???)
  • Guardini gestand in einem Tagebucheintrag vom '20. Januar 1964 ein, in gewissem Sinne "naiv" und "en parrhesia" geschrieben zu haben, nämlich "einfach von der Sache her", doch ist er nach wie vor überzeugt, dass er dabei Neues erarbeitet und nicht nur Traditionelles erneuert habe. Er ist sich sicher, dass "die Gegensatzlehre noch Zukunft haben" wird, weil ansonsten "überall ... die gnostische Grundidee wirksam“ sei, „dass die Widersprüche Polaritäten sind: Goethe, Gide, C.G. Jung, Th. Mann, H. Hesse. Alle sehen das Böse, das Negative ... als dialektische Elemente im Ganzen des Lebens, der Natur" (Wahrheit des Denkens und Wahrheit des Tuns, S. 133, jetzt in: ???).
    • Goethe schreibt:
      • 1792: “Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige Synkrisis und Diakrisis, das ewige Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind."
      • 1805: "Wir und die Gegenstände, Licht und Finsternis, Leib und Seele, Zwei Seelen, Geist und Materie, Gott und die Welt, Gedanke und Ausdehnung, Ideales und Reales, Sinnlichkeit und Vernunft, Phantasie und Verstand, Sein und Sehnsucht. Zwei Körperhälften, Rechts und links, Atemholen. Physische Erfahrung: Magnet."
      • 1808 schreibt er an Zelter, Polarität sei auch Voraussetzung des Begriffes Gestaltung und Gestalt, die "höchste und einzige Operation der Natur und Kunst".
      • 1808/10 "Zur Farbenlehre": "Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur."
      • 1816: Italienische Reise: "Wundersame Komplikation der menschlichen Natur, in welcher sich die stärksten Gegensätze vereinigen, Materielles und Geistiges, Gewöhnliches und Unmögliches, Widerwärtiges und Entzückendes, Beschränktes und Grenzenloses."
      • 1828 schreibt er an den Kanzler von Müller: "Die Erfüllung aber, die ihm fehlt, ist die Anschauung zweier großer Triebräder aller Natur: der Begriff von Polarität und Steigerung."
    • Gemeint ist André Gide (1881-1951)
    • C. G. Jung: Psychologische Typen. Zürich: Rascher 1921, 8. ed. 1950, 14. ed. 1981 (= Gesammelte Werke, Bd. 6); ders.: Aion. Zürich 1951; als Bd. IX der Gesammelten Werke 1976; ders.: Die Symbolik der Polarität und Einheit, 6 Kapitel. Zürich: Rascher 1955-1956; ders.: Mysterium coniunctionis. 2. Bde, 1955-56 (u. a. "Die Symbolik der Polarität und Einheit" sowie "Quaternität des Schöpfergottes") Ges. Werke,14, 1968; vgl. dazu: Leonhard Schlegel: Die Polarität der Psyche und ihre Integration. Eine kritische Darstellung der Psychologie von C. G. Jung. München, Tübingen: Francke 1973. Vgl. auch Kalender vom 17.5. und 17.7. 1963, Bayerische Staatsbibliothek München. Darin qualifiziert er C.G. Jung: Erinnerungen, Träume, Gedanken als “unheimliches Buch. Gnosis”, schreibt aber “macht ratlos” dazu.
    • Thomas Mann: Wohl im Blick auf dessen “Zauberberg”.
    • Hermann Hesse: Die Einheit hinter den Gegensätzen: Religionen und Mythen, zusammengestellt von Volker Michels, Frankfurt am Main 1986; vgl. dazu: Bran, Friedrich u.a. (Hrsg.): Hermann Hesse und die Religion: die Einheit hinter den Gegensätzen; Berichte und Referate / 6. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 1990, Bad Liebenzell u.a. 1990.
  • Drei Jahre später, in einem Brief vom 21. November 1967 an Jakob Laubach glaubt er schon wieder fest daran, dass "jetzt die Stunde meines Buches über den 'Gegensatz' kommt”: "Die Gegensatzlehre ist die Theorie für die Auseinandersetzung, welche nicht durch Kampf gegen einen Gegner, sondern durch Synthese fruchtbarer Spannung, das heißt durch Aufbau der konkreten Einheit geschieht." Ausdrücklich stimmt er also der Beschreibung seines dialogischen Verfahrens bei Jean Guitton zu: „Das Wesen dieses Verfahrens besteht darin, dass der Andere nicht als Gegner, sondern als `Gegensatz´ erscheint, und die beiden Standpunkte Satz und Gegensatz zur Einheit gebracht werden.“ Im Brief gegenüber Laubach war es nicht notwendig, eigens zu betonen, dass Satz und Gegensatz nicht mit These und Antithese identisch und mit Einheit nicht dialektische Synthese, sondern dialogische, lebendig-konkrete Spannungseinheit gemeint ist (Brief an Jakob Laubach vom 21.11.1967 (Staatsbibliothek München) über eine Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über ein Buch des französischen Philosophen Jean Guitton (1901-1999), der in einem Buch über Papst Paul VI. betont, dieser regiere mit einem dialogischen Verfahren. Guitton nennt verschiedene Vertreter der gleichen Methode und dabei für Deutschland den Namen Guardinis. Offensichtlich hat Guardini im Alter den Begriff der „Synthese“ wieder aufgenommen, auch wenn dieser natürlich weiterhin hegelianisch-dialektisch besetzt war.
  • In diesem Sinne formuliert er noch ein halbes Jahr vor seinem Tod in einem Brief an Richard Wisser: "Mir kommt immer wieder der Gedanke, wie die Spannungen im Atom dessen Einheit zusammenhalten, so ist es das Moment des Gegensatzes - nicht des Widerspruchs! -, was das 'menschliche Atom', die Persönlichkeit zusammenhält. Tatsächlich ist auch das Phänomen des Gegensatzes und seine Äußerungen aus ganz persönlichen Problemen herausgewachsen" (Brief an Richard Wisser, 7.2.1968, Bayerische Staatsbibliothek München).
  • In einem späten Gespräch mit Alfons Rosenberg sagte er wohl in etwa: "Ich weiß, was dieses mein Buch bedeutet - die Darstellung einer neuen, die bisherigen übersteigende Denkrichtung. Ich hatte vor, darauf eine neue Theologie zu gründen, aber es ist zu spät - ich vermag es nicht mehr" (vgl. Alfons Rosenberg: Die Welt im Feuer. Wandlungen meines Lebens, Freiburg 1983, S. 149).
  • In einem Brief vom 10. Mai 1968 an Horst Fuhrmans (1908-1988) gibt er im Blick auf einen Schüler Fuhrmans, der eine Dissertation über Guardinis "Gegensatz"-Buch schreiben wollte, nochmals wichtige Hinweise zum Verständnis seines Frühwerks. Er spricht einerseits von einem "unzulänglich-jugendlichem Buch", das aber andererseits "für das Verständnis eines Menschen und der menschlichen Dinge ... noch seine Bedeutung gewinnen" werde. Guardini betont dabei explizit, dass seine "Gegensatzlehre nichts mit Schleiermacher zu tun hat, wirklich gar nichts - wie überhaupt nicht mit der romantischen Philosophie, auch der Wiener Richtung. Sie geht, wie Sie vermuten, ganz aus dem Durchdenken des konkreten Lebens hervor - sogar aus der Notwendigkeit mit konkreten menschlichen Beziehungen fertig zu werden ... Sie hat ihrer Entstehung nach auch nichts mit theologischen Versuchen - zum Beispiel Pilgrams 'Physiologie der Kirche' zu tun. Besonders betonen muss ich dass meine Gegensatzlehre auch mit Goethes Begriff der Polarität nichts zu tun hat. In der Buchausgabe habe ich leider versäumt, auf die Frage einzugehen, wie das Phänomen des Gegensatzes zu dem des Widerspruches stehe. Die ganze Weltanschauung hängt davon ab, dass man sie aufs schärfste unterscheidet. Goethe identifiziert beides - wie die liberale Theorie es überhaupt tut, was unabsehliche Konsequenzen hat" (Brief an Horst Fuhrmans vom 10.5.1968, Bayerische Staatsbibliothek München, Sch 21).

Die Themen der Gegensatzlehre

Alternative zum Pendelschlag

  • Bei dieser radikalen Abwehr der „hegelschen Romantik“ fällt ein Stichwort, das die Zielrichtung der Gegensatzlehre beschreibt und zu einigen Missverständnissen geführt hat. Die Gegensatzlehre möchte eine bewusste Alternative zum liberalen Polaritätsdenken bilden. Was versteht Guardini darunter? Zunächst: das rationalistisch-mechanische, bloß begriffliche, abstrakt-formalistische Denken, das menschliches Erkennen auf das wissenschaftlich-begriffliche, d.h. auf das mathematisch-naturwissenschaftliche Erkennen reduziert, das schließlich "das Lebendig-Konkrete" aus dem Gegenstandsbereich des Erkennens ausscheidet oder zergehen lässt: "Die geschlossene leib-seelische Einheit wird in ein Bündel physiologischer und psychologischer Vorgänge aufgelöst" (Romano Guardini: Der Gegensatz, 1955, S. 17). Dieser Rationalismus "leugnet oder zerstört das begrifflich Unauflösbare" (ebd., S. 175).
  • Gerade deshalb wäre es aber ein folgenschweres Missverständnis, wenn man Guardini unterstellte, er wäre ein Gegner des rationalen, begrifflichen, abstrakt-formalen Denkens. Im Gegenteil hält er es ausdrücklich für notwendig. Wogegen sich seine Kritik richtet, ist die Einseitigkeit mit der die rationalistischen Polaritätsdenker ihren Ansatz vertreten haben. Denn: "Solche Einseitigkeit ruft notwendig die entgegengesetzte" (ebd., S. 18) Einseitigkeit hervor, den irrationalen Intuitionismus bzw. Mystizismus (ebd., S. 175), in dem "die Verstandesarbeit der Wissenschaft ... als tot oder tötend empfunden" wird. Gerade dieser mystizistischen Denkweise überließen aber nun die Rationalisten den gesamten Bereich des "Lebendig-Konkreten" (ebd., S. 18). Guardini fragt nun nach einem "anderen Weg", der den "über-rationalen Charakter des Lebendig-Konkreten" wahrt, ohne ihn der Irrationalität preiszugeben (ebd., S. 21). Oder anders formuliert: der "das Außer-Rationale" bejaht, "es aber in seiner Verbindung mit dem Logischen" sieht. Er kennzeichnet nun diesen “dritten” Weg als „Universalismus“ und "Intellektualismus" (ebd., S. 175. Schon zu Lebzeiten wird dieser Begriff ebenfalls als übermäßige und einseitige Betonung des Verstandes gefasst, quasi als Rationalismus im Gegensatz zum Voluntarismus, wobei dieser dann als ethischer bzw. moralischer, als erkenntnistheoretischer und als metaphysischer Intellektualismus auftreten kann. Historisch wird er mit Sokrates und Thomas von Aquin verbunden. Vgl. Intellektualismus, in: Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1904, S. ??? Später wurde er, gerade auch im Nationalsozialismus als negativer Kampfbegriff gebraucht, um Intellektuelle abzuwerten. Heute wird er auch als radikaler Gegensatz zum Empirismus (Überbetonung von Erfahrungstatsachen) verstanden und mit Descartes und Leibniz verknüpft. Bei Guardini steht er aber als Spannungseinheit des liberalen Rationalismus und des Intuitionismus (Bergson)).
  • Guardini verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass alle großen Mystiker auch Scholastiker gewesen seien und nennt dabei ausdrücklich Ekkehard, Tauler, Seuse, Johannes Ruysbröck, ja sogar Thomas von Kempen); umgekehrt, dass alle großen Scholastiker auch Mystiker gewesen seien, zum Beispiel Thomas von Aquin, Bonaventura, die Viktoriner (ebd. S. 21). Guardini wendet sich also gleichermaßen gegen das rationalistisch-mechanische Denken und den irrationalistischen Intuitionismus der Neuzeit.
  • Nach Joseph F. Schmucker-Koch zielt Guardini dabei in seiner Kritik am Intuitionismus “insbesondere auf den Begriff der Intuition in Bergsons Lebensphilosophie sowie auf das `Wertfühlen´ in Schelers und Hartmanns Phänomenologie” ab (Joseph F. Schmucker-von Koch: Autonomie und Transzendenz. Untersuchungen zur Religionsphilosophie Romano Guardinis, Mainz 1985, S. 45, FN 5.).
  • Aufgrund seiner augustinisch-platonischen Grundhaltung kann das aber nur heißen, dass Guardini weder Intellektualismus und Rationalismus identifiziert, noch dass er den Intellektualismus als Gegensatz zur Mystik auffasst. Ebenso wenig setzt er Mystik mit Intuitionismus gleich und unterscheidet daher – wie schon in seinem Brief an Knies - scharf zwischen Mystik und Mystizismus, Intuition und Intuitionismus. Ganz im klassischen Sinn gibt Guardini dem Geist als Intellekt (Vernunft, Verstand) den Vorrang vor dem Willen und stellt er sich in diesem Punkt auf die Seite von Aristoteles und Thomas von Aquin (Max Müller/Alois Halder: Kleines Philosophisches Wörterbuch. Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1988, S. 147-148), aber eben nur soweit sie auch offen sind für das Vitale, das Willentliche, für die Mystik und die Intuition. Hier wird dann erneut die viel größere Nähe zu Leibniz deutlich, für den die Gleichzeitigkeit von Vitalismus bzw. Voluntarismus einerseits und Intellektualismus bzw. Panlogismus andererseits als Grundstruktur ausgemacht werden kann. So wie es demnach einen “vitalistischen” und einen “intellektualistischen Leibniz” gibt (Vgl. Ueli Raz: Descartes, Leibniz und Bayle, 1993???, früher unter http://mypage.bluewin.ch/ueli.raz/LEIBNIZ.htm), kann die gleiche Doppelseitigkeit für Guardini ausgesagt werden. Allerdings behält in dieser Spannungseinheit bei Guardini der Intellekt gegenüber dem Willen einen Primat der Ordnung, nicht der Würde, analog zum relativen Primat des Logos vor dem Ethos. Er tendiert gleichermaßen zu einem realen und ethischen Intellektualismus und zu einem nominalen und logischen Voluntarismus, eingespannt in eine lebendig-konkrete Einheit von Intellekt und Willen, von Logos und Ethos, wie er sie vor allem bei Bonaventura vorgefunden hatte. Gerade in seinen Arbeiten über Bonaventura hat Guardini herausgearbeitet, dass dieser die aristotelische Idee des Göttlichen und der Ursubstanz mit dem augustinischen Gedanken von Gott als dem allmächtigen und alles bewegenden Willen verbunden hat sowie auch die Lehre von der menschlichen Erkenntniskraft und die Lehre von der besonderen Erleuchtung durch ein göttliches-geistiges Licht, die nur beide zusammen zu vollkommener geistiger Erkenntnis führen können.

Neue, doch kritisch bewährte Einheit und Ordnung

  • Geistesgeschichtlich konstatiert Guardini nüchtern: "Dem mittelalterlichen Denken galt das Individuum als wissenschaftlich nicht fassbar, das Lebendige als nicht aussprechbar" (Romano Guardini: Gegensatz, 1925, S. 16).
  • Denn es herrschte eine "vorkritische" totale Einheit des Erkennens vor. Gerade weil diese Einheit "oft genug zur unkritischen", zur "unbesorgten" Einheit wurde, sei eine Mittelalter-Nostalgie fehl am Platz. "Die Scheidung" im Denken "musste kommen". Aber "aus Scheidung ist ... Auflösung geworden: der neuzeitliche Autonomismus der Geistesbereiche. Unsere Aufgabe ist nun, darüber hinaus zu einer neuen, doch kritisch bewährten Einheit fortzuschreiten." Guardini überträgt nun dieses stärker erkenntnistheoretische Ergebnis auf den gesamten "Vorgang der neuzeitlichen Kulturkrisis". Überall hätten sich die tragenden Grundakte "aus der ersten, vorkritischen Einheit" gelöst, seien sich "ihres Sonderwesens und ihrer Sonderaufgabe bewusst" geworden und hätten sich so "in 'kritischer Reinheit'" gegründet. Im Mittelalter sei die Kultur selbst ein einheitliches lebendiges Subjekt gewesen, das in sich durch einander wechselseitig tragende Werte geordnet war (ebd., S. 36: Es habe insbesondere "das Bewusstsein von der Einheit der Person, des Kultur- und Lebensganzen, der Wert- und Wesenheitsordnung ungebrochen" vorgeherrscht).
  • Diese Einheit und Ordnung sei dann im neuzeitlichen Autonomismus verlorengegangen. Die berechtigte "wesensgemäße, ganzheitsbezogene", d.h. relative Autonomie sei durch die Idee einer absoluten Autonomie verdrängt worden, die zwischen den wesensgemäß gestellten Grundkräften, Kulturbereichen und Werten Widersprüche sieht, die sich nur im Entweder-Oder lösen lassen (ebd., S. 23; vgl. auch S. 36, FN 8).
  • Guardini hält dagegen eine "neue Einheit" für möglich, die im Sowohl-Als Auch die wesensgemäß gestellten Grundkräfte, Kulturbereiche und Werte in einer Spannung sieht, die ausgehalten werden kann und muss (ebd., S. 23).
  • Diese "neue Einheit" werde "nicht mehr die naive des Mittelalters sein, sondern ein kritische" (ebd., S. 36, FN 8).

Mediationsdialektik oder qualitative Dialogik?

  • Als Hauptkennzeichen dieser kritischen Einheit dient Guardini – wie bereits gesehen - die Unterscheidung zwischen den Begriffen "Gegensatz" bzw. "Polarität" einerseits und "Widerspruch" andererseits.
    • Guardini selbst bevorzugte den Begriff Gegensatz, weil ihm der Begriff Polarität ihm "zerredet" erschien (vgl. ebd., S. 24, FN 3).
  • In der platonischen Denkweise sieht Guardini die Gegensatzidee noch grundsätzlich rein, ursprünglich und wesentlich, d.h. zum Grundbestand gehörend. Die neuplatonische Philosophie, Religionslehre und Wissenschaftslehre sowie die von ihr abhängige gnostische Gedankenwelt habe diese Idee aber verfälscht. Insbesondere im Zeitalter der Romantik sei das tiefste Wesen des Gegensatzgedankens letztlich sogar zerstört worden, weil die Begriffe und Ideen des Gegensatzes und des Widerspruchs völlig vermengt wurden (ebd., 1925, S. 24 f.) Das "Wesen der romantischen Auffassung des Gegensatzverhältnisses" besteht nach Guardini darin, dass "das Ähnlichkeitsmoment der beiden Seiten, ihre Zusammengehörigkeit" überspannt wird.
  • "Dem Romantiker schlägt eine Seite in die andere um; er übersieht ihre spezifische Verschiedenheit; er nimmt ihre Eigenbedeutung, ihre Eigenständigkeit nicht ernst. Er treibt ein Spiel mit dem tragischen Ernst dieser Zweiheit; und das kann er nur, weil ihm alle Bedeutungen und Wesenheiten monistisch in eins laufen” (ebd., S. 40; vgl. S. 44 im Blick auf die Gegensätze Form und Fülle: "Es ist romantischer Un-Ernst, Form unmerklich in Fülle umschlagen zu lassen; monistische Unsauberkeit, sie zu verselbigen").
  • "Alle erklärten Monismen gehen" darauf zurück, so Guardini, Widersprüche wie Gut und Böse, Voll und Leer, Hell und Dunkel “verbinden” zu wollen. Darin sieht er "geistige Unsauberkeit", und zwar unabhängig davon, ob die Monisten nun „konstruktiv“ oder „genetisch“ arbeiten würden.
    • "Die Synthesen der Widersprüche, wie sie der Monismus zuwege bringt, beruhten darauf, dass kein Begriff zu Ende gedacht, kein Wesensbild klar gesehen, keine Grenze deutlich gezogen wird."
    • Die "verächtlichste Leistung schließlich" bestehe darin, "Worte und Bedeutungen, wie 'Gott' und das Teuflische zu irgendwelchen 'Einheiten' zusammenzuknüpfen."
    • Seine eigene Gegensatzlehre habe – so Guardini - "mit alledem ... nichts zu schaffen. Sie redet von Gegensätzen, nicht von Widersprüchen" (ebd. S. 137) Bei ihm sei der Gegensatz jenes "eigentümliche Verhältnis" innerhalb der jeweiligen quantitativen, qualitativen und gestaltmäßigen Bestimmtheiten, "in dem jeweils zwei Momente einander ausschließen, und doch wieder verbunden sind, ja ... einander geradezu voraussetzen." Alle diese Gegensätze sind bei Guardini nicht nur zwei Momente, die sich in einem angeblich höheren Dritten durch Vermengung synthetisieren, auch nicht "Teile" eines Ganzen, noch weniger etwas, was sich zu irgendwelchem Ausgleich vermischt (vgl. ebd., S. 40). "Der Wurzelfehler des romantischen Denkens, seine letzte Schwäche" liege gerade darin, "dass es im Grunde" das Voranschreiten aus einem Gegensatz in den anderen, z.B. von "Akt" in "Bau", "als möglich voraussetzt. Denn dann bleibt kein letztes Einstehen, kein eigentlicher Ernst mehr, sondern alles wird zu einem schillernden, fließenden Ineinander" (ebd., S. 82 f.).
  • Eben darin sieht Guardini den Kern der schon erwähnten "hegelisch-romantischen Aufhebung aller Wesensunterschiede in einer Mediationsdialektik" und stellt ihm "Kierkegaards Forderung der qualitativen Dialektik" positiv entgegen (ebd., S. 40, FN 11).
    • Kierkegaard komme von einem Gegensatz zum anderen dadurch, "dass er es ... als qualitativ Anderes erfasst", also durch einen "Schritt" und nicht wie bei Hegel "durch unmerklichen Übergang" (ebd., S. 45). ** Der Schritt einer qualitativen Dialektik "ist von der 'Analogie' getragen, davon, dass der Qualität des einen Bereiches die des anderen nicht gleich ist, aber unter Wahrung ihrer Sonderart, in ihrem Eigensein, entsprechend, verwandt" (ebd., S. 138) Gerade hierbei sei aber auch Kierkegaard ein Fehler unterlaufen, nämlich "der Fehler der tragizistischen Haltung" (ebd., S. 45, FN 15). Er habe die Gegensätze als "absolut Anderes" verstanden, anstatt als "Gefordert-Anderes", als "Verwandt-Verschiedenes" (ebd., S. 45).
  • "Qualitative Eigenbereiche zu umfassen und in sich selbst 'Schritte' tun zu müssen; aber diese Bereiche als verwandte zu umfassen und nicht in autonomistische Sonderprovinzen zu zerfallen, das ist 'Leben'.”
    • So besteht das Leben "in geeinter Gegensätzlichkeit; in gegensätzlich aufgebauter Einheit" (ebd., S. 133).
    • "Und unter Strafe, das Leben zu vereinfachen, zu entspannen, ja eben - zu entlebendigen, ist verboten, eines zu streichen oder aus dem anderen abzuleiten. Ebenso aber, aus der rätselvollen Einheit ein bloßes Nebeneinander zu machen, eine mechanische Zweiheit. Das nämliche Leben ist beides, in und an beidem" (ebd., S. 135).
    • Die "lebendige Einheit“ sei gerade dadurch gekennzeichnet, dass eine Gegensatzseite der anderen nicht nur koexistiere, sondern inexistiere (ebd., S. 136). Die wechselseitige Inexistenz der Gegensatzseiten ist somit die Voraussetzung einer lebendigen Einheit.

Typenlehre der Gegensätze

  • Guardini unterscheidet in seiner Typenlehre nunmehr kategoriale Gegensätze, die nochmals in intraempirische (äußerlich: körperlich und psychisch) und transempirische (psychische Tiefenschichten) differenziert werden können, sowie transzendentale Gegensätze (Gegensatz, 1925, S. 31). Er betont dabei ausdrücklich, dass die hier verwendeten Begriffe "kategorial" und "transzendental" nichts mit Kantscher Logik zu tun haben.

Drei Typen intraempirischer Gegensätze

  • Guardini beschreibt sodann drei Typen intraempirischer Gegensätze:
    • 1. Bau und Akt, Statik und Dynamik, Dauer und Strömen, Stand und Wandel
    • 2. Form und Fülle
    • 3. Einzelheit und Ganzheit
  • Zu 1. Die Gegensatzseite des Aktes und des Stromes sei vor allem in Heraklit, aber auch im „Aktivismus, Pragmatismus und dynamischen Personalismus unserer Zeit“ sowie im „Impressionismus in dichtender und bildender Kunst“ sowie im Grundimpuls des „gotischen“ bzw. „faustischen“ Menschenbildes zu finden (ebd., 1955; (4)1998, S. 35).
    • Unter Berufung auf Georg Simmels „Lebensanschauung“ und „Philosophische Kultur“ schreibt Guardini: „Die Form des Strömens gehört zur Erlebnisweise unseres Daseins“ (ebd., S. 35, FN 7). „Abendländische Unrast“ setze „`Leben´ und `Bewegung´ gleich“ (ebd., S. 38) Dies sei aber eben nur die eine Seite des Lebens. Guardini stellt in diesem Zusammenhang auch die Begriffe „kontemplativ“ und „aktiv“, „konservativ“ und „aktivistisch“ sowie „aristokratisch“ und „demokratisch“ gegenüber.
    • Guardini definiert hier im Grunde also „konservativ“ mit den Komponenten „einseitig kontemplativ“ und „einseitig", also ideologisch aristokratisch“ und setzt umgekehrt „progressiv“ mit Aktivismus und ideologischem Demokratismus.
    • Sein, Seinsurteil und Logos auf der einen sowie Tun, Werturteil und Ethos stehen einander polar gegenüber. Und im Sinne seine Primates der Ordnung bedeutet dies konsequent weitergedacht auch einen relativen, sprich nicht die gleiche Würde in Frage stellenden Primat der Kontemplation vor der Aktion, der aristokratischen vor der demokratischen Haltung, des Seins vor dem Tun und des Seinsurteils vor dem Werturteil (ebd., S. 38).
    • „Das Leben seht, je nach der verschiedenen Wesensbetonung im Einzelnen oder in der Gesamtheit, in dieser oder in jener Richtung. Immer gerät es dabei in die spezifische Krisis der betreffenden Sinnrichtung: die dynamische des zerrüttenden Dynamismus und Relativismus; oder in die statische der erstarrenden Bewahrung und Härte“ (ebd., S. 39).
  • Zu 2. Die Gegensatzseite der Form sei besonders ausgeprägt beim „Apollinischen“ im griechischen Gesamtwesen (ebd., S. 41). Aber auch die moderne Technik lege „allen Sinn in die Form“ (ebd., S. 42) Doch „Leben unterscheidet sich nicht nur von formaler Starre, sondern auch von füllhaftem Chaos; denn auch Chaos ist Tod!“ Daher müsse die Fülle „wenigstens ein Mindestmaß an Form haben; ein Mindestmaß von Entschiedenheit, Eindeutigkeit, Benennbarkeit“ (ebd., S. 43) Chaos sei eben „nicht mehr lebendige Fülle – nordischer Wille zum Maßlosen darf sich nicht täuschen! – sondern deren Zerrbild: die Wirrnis, `wo keine Ordnung ist´. Und ihr entspricht auch eine bestimmte Erlebnisform: das Grauen“ (ebd., S. 44). Während Guardini mit der Form die Begriffe Zucht und Ordnung, schärfste Durcharbeitung und Durchbildung, Klarheit und Verständlichmachung, Gestalt und Gestaltung, Regelung und Gesetz, Methode und Präzision, Arbeitsprozess, Prüfung und Herrschaft verbindet (ebd., S. 42 und 44), steht auf der anderen Seite die „Fülle plastischer und dynamischer Möglichkeiten“ (ebd., S. 43). Den Gegensatz von Einzelheit und Ganzheit macht er unter anderem Fest in der Gegenüberstellung der Kunst Rembrandts und der Kunst der Griechen. Während bei Rembrandt „die einzelne Gestalt in ihrer Besonderheit“ und die Einzelschicksale das Eigentliche darstellte, sei es bei den Griechen die Gesamtvorgänge und dem Gesamtzug des Geschehens. Nicht zuletzt stellt Guardini hier den Einzelnen und den Staat einander polar gegenüber (ebd., S. 48).

Drei Typen intra-empirischer Gegensätze

  • Bei der Abgrenzung der transempirischen Gegensätze von diesen drei Typen intra-empirischer Gegensätze beruft er sich "in etwa" auf Hans Drieschs Theorie der Entelechie, der von einem "wirkenden Plan" ausgeht, unter dem jedes lebendige Sein und Geschehen stehe (vgl. Driesch, Philosophie des Organischen, Leipzig (2)1921, in der Zusammenfassung Guardinis, in: Gegensatz, 1925, S. 52, FN ???; 1955, S. 52 FN 17).
  • Dieser Plan sei zwar nicht empirisch zu fassen, aber auf den alles Erfahrbare hinweise. Auch hier nennt Guardini drei Typen:
    • 1. Schaffen (Offenbarung) und Verfügen (Herrschaft), Produktion und Disposition
    • 2. Regel und Ursprung (Ursprünglichkeit)
    • 3. Innewohnen und Darüberstehen, Selbst-Innigkeit und Selbst-Jenseitigkeit, Immanenz und Transzendenz
  • Zu 1: Lebendiges Schaffen und Produzieren verbindet Guardini mit Matthias Grünewalds Bildern, gotischer Architektur und Plastik, „die Menschen Shakespeares, die Musik Beethovens, die Politik Napoleons (ebd., 1955, S. 54).
    • Zunächst steht im Raum, das Bekenntnis zur relativen Autonomie der Kultursachbereiche, also auch der Politik. Seine Kritik am neuzeitlichen Autonomismus trifft damit auch die Behauptung einer absoluten Autonomie der Politik, d.h. einer Politik, die sich aus sich selbst zu begründen versucht und mit sich ihre Institutionen wie Staat und Recht. Guardini lehnt jeglichen Staatspositivismus oder Rechtspositivismus ab. Dabei sieht Guardini "eine besondere Tragik deutschen Wesens" darin, "dass trotz aller angeblichen Realpolitik eine letzte Beziehung zum Gegebenen fehlt: Die Tat ist im Letzten freischwebend." Zum Beispiel sei der Erste Weltkrieg in diesem Sinne “freischwebend” gewesen "trotz aller Rechnung im Bereich des Vor-Letzten" (ebd., (4)1998, S. 56, FN 18).
    • Während also die Wesensrichtung des Schaffens auf Offenbarung gehe, „die ihren Sinn in sich selbst“ trage, gehe „die Wesensrichtung des Ordnens und Verfügens ... auf Zweck, und auf die notwendigen Mittel, ihn zu erreichen.“ Auf der Seite der Herrschaft und der Disposition dagegen heißt Leben: „Gegebenes bewältigen, in neue Ordnung bringen, unter die Gewalt neuer Zwecke, Pläne, Strukturen“; „Ordnen, Verarbeiten, Bauen, Meistern und Herrschen“ (ebd., 1955; (4)1998, S. 57). Leben zeigt sich „als rationale Ordnung, klare Einsicht, scharfe Zielabsetzung, deutliche Verknüpfung von Zweck und Mittel; als ein Ergreifen, In-Dienst-Nehmen von Stoffen und Kräften: ein Überschauen, Messen und Wägen, Meistern und Herrschen.“ Besonders deutlich sieht er dieses Lebensverständnis beim „neuzeitlichen Unternehmer großen Stils mit seiner asketischen, jeder Lebensfülle baren Haltung."
    • „Schreitet aber das Leben auf dieser Linie weiter, so gerät es in die Eiszone. Der überschauende Punkt rückt so weit hinaus, dass er den Zusammenhang mit der Erde verliert, mit dem Blut. Der Akt der Verfügung wird so innerlich unbeteiligt, so formal, dass er dem Stoff, den Kräften und Geschehnissen der Wirklichkeit immer mehr Gewalt antut, bis er schließlich ins Leere greift, und die Dinge ihm entgleiten. Plan und Methode werden Selbstzweck. Der Akt des Ordnens und Beherrschens kreist in sich selbst und läuft leer“ (ebd., 1955, S. 59).
  • Zu 2: Daher ist Guardini überzeugt, dass Herrschen nur möglich bleibt, „solange es zugleich schafft“ (ebd., 1955, S. 60). Denn nur so kann es in Spannung halten, dass sich das Leben einerseits „als etwas tief Revolutionäres – das Wort in einem wesenhaften Sinn genommen“ weiß und „vorhandene Ordnungen und Regeln ... als nicht zu sich gehörig“ empfindet (ebd., 1955, S. 61), andererseits erfährt sich das Leben „als einen Vorgang, der nach Vernunft geordnet ist“ (ebd., 1955, S. 63). Leben heißt dann, „Ordnung schaffen und halten“ und hat als Wesen die Zucht (ebd., 1955, S. 64). Um hier einen Ausgleich zu bewirken, soll aber „gesunde Regel sein, und nicht kranker Zwang; lebendige Regel, und nicht toter Mechanismus, dann muss alle Sicherheit des Ablaufs von einem Mindestmaß schaffender Ursprünglichkeit durchwoben sein“ (ebd., 1955, S. 66)
  • Zu 3: Im Blick auf den dritten transempirischen Gegensatz beruft er sich auf das erste Kapitel „Die Transzendenz des Lebens“ in Georg Simmels Buch „Lebensanschauung“ (ebd., 1955, S. 68). Während im Selbst-Überschreiten „die eigentlich aktive, besser die aggressive Haltung, im Gegensatz zur kontemplativen“ (ebd., 1955, S. 69) zu wurzeln scheint

Sowohl das In-Sich-Stehen als auch das Selbst-Überschreiten heben sich selbst aufhebt, „sobald sie ins Extrem“ (ebd., 1955, S. 69) gehen. Dann wird nämlich „aus dem lebendigen Innen-Sein ... spannungslose, mechanische Selbigkeit“ (ebd., 1955, S. 67) und „die Beweglichkeit in Übersicht, Urteil und Kritik wird zur Bindungslosigkeit“; „die Fähigkeit zu raschem Griff und Angriff ... sinnloser, zerstörender Aktivismus. Freiheit des Aus-Schreitens zum heimlosen Schweifen; zum Vagabundentum in jeder Beziehung, zur Freibeuterei“ (ebd., 1955//4(1994), S. 70)

Die transzendentalen Gegensätze

  • Die transzendentalen Gegensätze fasst Guardini in zwei Typen:
    • 1. Verwandtschaft (Ähnlichkeit) und Besonderung
    • 2. Einheit und Mannigfaltigkeit, Zusammenhang und Gliederung
  • Zu 1: Während die Verwandtschaft vor allem im „Gesamtleben als überindividueller Einheit“ gilt, da auch im Gesellschaftlichen „alle Lebensäußerungen gemeinsame Art“ haben, homogen seien (ebd., 1955, S. 73 f.). „Sobald die Tatsache der Verwandtschaft allein und einseitig zur Geltung kommt, wird das Leben unmöglich. Es gelangt in die Selbst-Gleichheit.“ Es liegt also eine Verwechslung von Verwandtschaft und Gleichheit vor. Wo aber Gleichheit herrscht, herrscht „tötendes Einerlei“ (ebd., 1955, S. 75). Daher sei die „klare Sonderart“ zu wahren (ebd., 1955, S. 76).
    • „Sobald in allem Übereinstimmung gesehen wird, die Unterschiede sich bald auflösen, Höher und Tiefer sich gleich empfindet, entartet das Leben. ... Edles Leben verwechselt sich nicht, und duldet keine Verwechslung. Es hält die Rangordnung aufrecht, auch jenen Teil, der über ihm steht. Edles Leben hat einen tiefen Widerwillen gegen alles Verfließen; einen Widerwillen, der seinsmäßig Abwehr der Zerstörung wie Treue gegen Wert und Norm bedeutet“ (ebd., 1955, S. 76 f.)
  • Zu 2: Während nach Guardini alle Monismen „im Letzten etwas Charakterloses an sich“ hätten, würden alle Pluralismen den Charakter so übersteigern, dass die Menschen nicht mehr zu Gemeinschaft kommen“ und das Geistesleben „in selbständig erklärte Kulturgebiete (Autonomismus)“ zerfällt (ebd., (4)1998, S. 77). Leben insgesamt ist nicht mehr gegliedert, sondern zerfällt (ebd., (4)1998, S. 79)

Gegensatzkreuzung und Gegensatzreihen

  • Alle diese Gegensatzpaare, die aber nicht als äußerlich verknüpft betrachtet werden dürfen, können nun als Gegensatzgruppen geordnet werden, nämlich als "Kreuzung" oder als “Reihe”.
  • Das "Kreuzungsverhältnis bedeutet ..., dass in jeder Gegensatzseite jeweils beide Seiten der beiden anderen Gegensatzpaare, unmittelbar oder mittelbar, mitgegeben sind. Dadurch entsteht ein vielfaches Geflecht innerer Spannungen" (ebd., 1925, S. 83f.; 1955/1998, S. 85)
  • Als "Gegensatzreihen" (ebd., 1925, S. 89) führt Guardini dann folgende beiden Reihen auf:
Gegensatzreihen
Akt Bau
Fülle Form
Einzelheit Ganzheit
Produktion Disposition
Ursprünglichkeit Regel
Immanenz Transzendenz
Ähnlichkeit Besonderung
Zusammenhang Gliederung
  • In diesen beiden Reihen kommen die beiden "eigentlichen, grundlegenden 'Typen' des Lebens" zur Geltung, die allerdings nur als Typus “rein” sind, nicht im konkreten Leben (ebd., S. 91), weil eben neben der "Reihung" auch die "Kreuzung" als Verhältnis besteht.

Der Primat der Formreihe

  • Für Guardini "scheint nun" der Formreihe ein Vorrang zuzufallen.
    • Dieser besteht aber "nicht, weil sie mehr 'wert' wäre, sondern weil es im Gesamten des Lebens verschiedene Funktionen gibt, beide gleich wert- und bedeutungsvoll, deren eine eben die repräsentativ-führende ist" und daher "im soziologischen wie kulturellen Ganzen des Lebens" als Repräsentation, Führung, Überordnung vorrangig erscheint.
    • Guardini ist sich des Primates in dieser Form noch nicht so sicher wie beim Primat des Logos vor dem Ethos, sonst würde er hier nicht von "scheinen" sprechen.
    • Es ist für ihn letztlich ein Problem einerseits der Beobachtung andererseits der zeitbedingten Vorstellbarkeit. Aus dem postulierten relativen Vorrang der Form-Reihe ergeben sich aber “wichtige Folgerungen für die Struktur der Familie, des Staates, der Kirche, sowie der Kultur" (ebd., 1925, S. 110), die Guardini aber im Gegensatz-Buch selbst nicht näher bestimmt.
    • Es ist aber auch eine leise Kritik an den "Formalisten" in seiner eigenen Umgebung, ob sie nun Worringer, Hefele, Schmitt oder Herwegen heißen. Eine absoluter Vorrang für die Form gibt es bei Guardini nicht.
  • Was schließt nun Guardini aus dieser Gegensatzidee und -lehre für unmittelbare sozialphilosophische und politisch-philosophische Erkenntnisse? Zunächst gilt für Guardini als Grundsatz:
    • "In jedem System, will sagen, in jeder Lebenseinheit, sind sämtliche Gegensatzseiten vorhanden. Keine kann sein oder gedacht werden ohne die gegen-überstehende, ja letztlich ohne alle übrigen. Aber die verschiedenen 'Seiten' sind nicht im gleichen Masse vorhanden und wirksam. Stets überwiegt eine."
    • Denn als "stehendes Verhältnis" ist das Gleichgewicht zwischen den Seiten im menschlichen Leben nicht möglich. Selbst Gott, für den dieses "stehende Verhältnis" gedacht werden kann, ist eben nicht "die Einheit der Gegensätze" (ebd., 1925, S. 111 f.).
    • Gott als “Einheit der Gegensätze” findet im indischen Tantrismus, in der hermetischen Gnosis; die “Einheit der Gegensätze in Gott” kennt der Buddhismus. Die “Vereinigung der Gegensätze in Gott”, das “Zusammenfallen der Gegensätze in Gott” kennt aber auch die christliche Mystik von Nikolaus von Kues, aber auch bei Leibniz. Diese “Coincidentia oppositorum” wird aber erst mit dem abstrakten, pantheistischen, letztlich unpersonalen Gottesbild und der Vermischung von Gegensatz und Widerspruch bei Hegel zum Problem. In diesem Sinne sagt Guardini unmissverständlich und zu Recht: "Jeder Versuch, Gott etwa als die `coincidentia oppositorum´ zu fassen, ist schon in der Wurzel falsch, denn er nimmt Gott als die Einheit kontingenter Gesetze, bedeutet also einen Pantheismus. ... In Gott gibt es keine Gegensätze, denn er ist absolut einfach; einfach nicht durch Synthese, oder durch irgendwelche Sublimierung der Vielheit, sondern wesenhaft” (ebd., 1955/(4)1998, S. 112 f., Fußnote 29).

Die dynamische Gestalt des Staates

  • Umso mehr gelte diese Unmöglichkeit eines „stehenden“ Einheitsverhältnisses für den Staat, denn auch der kann nicht als statische All-Einheit (mechanische Ganzheit, Anstalt), sondern nur als dynamische Spannungseinheit (organische Ganzheit, Gestalt) gedacht werden. Denn so wie in Gott ein “göttliches Personal-Verhältnis” herrscht, kann in relativer Analogie, in “endlich-geschöpflicher Eben-Bildung” auch der Staat nur als weltliches “Personal-Verhältnis” gedacht werden:
    • "Einzelpersonen und Gemeinschaftsknüpfung sind selbst unvollkommene endlich-geschöpfliche Eben-Bildung des eigentlichen, des göttlichen Personal-Verhältnisses, wie es sich in Christus offenbart, und durch die Kirche im Dogma von der Einheit der göttlichen Natur und Dreiheit der heiligsten Personen gefasst wird."
  • So wie also jeder einzelne Mensch Ebenbild Gottes ist, ist auch ihre Gemeinschaftsverknüpfung als Ganzheit Ebenbild Gottes. Denn wenn sich die "Individualsysteme" auf unterschiedliche Weise zu Gruppen verbinden, entstehen eben lediglich “Sozialsysteme”, in denen aber wieder sämtliche Gegensatzseiten vorhanden sind.
  • "Der Einzelne in der Gruppe, die Familie in der Gemeinde, der kleinere Verband im umfassenderen, sie alle bleiben auch innerhalb der übergreifenden Einheit, was sie sind; bewahren ihren eigenen Mittelpunkt und besonderen Innenbereich."
  • Gunda Brüske sieht in dieser Formulierung zu Recht das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre angesprochen (Brüske, Anruf der Freiheit. Anthropologie bei Romano Guardini, Paderborn 1998, S. 74, FN 69).
  • Quasi in einer Nebenbemerkung kommt noch eine zentrale Botschaft:
    • "Die eigentliche Gemeinschaftsknüpfung geschieht von einem ganz andern Mittelpunkt her: aus der personalen Hingabe in Liebe und Treue."
  • Guardini unterscheidet Gruppen, die sich nach Geschlechts- und Altersunterschieden, nach Charakterveranlagung oder nach Volks- und Stammesart ordnen; oder durch Bindungen wie "Begegnung, Bekanntsein, Kameradschaft, Freundschaft, Ehe, Führertum" charakterisieren lassen; oder aufgrund persönlicher Gemeinschaft, Lern- und Lehrverhältnisse, Werkvereinigungen zu besonderen Zweck- und Sinngebilden werden. Besonders hebt er verschiedene Typen von "Kreisen" hervor, die sich auf unterschiedliche Weise um ein "Individualsystem" bilden können: Kreise, bei denen die Form überwiegt, zum Beispiel "Genossenschaften", oder Kreise, bei denen die Fülle überwiegt, zum Beispiel "Freundschaftskreise". Diese Gruppen können wiederum zu Gruppengefügen werden.
    • "Dabei kann eine Gruppe die Führung übernehmen, während die andern sie als Kreis umgeben (aristokratische Form); oder die Bindungsfäden laufen von allen zu allen (demokratische Form)."
    • Interessanterweise, aber keineswegs zufällig verzichtet Guardini in seiner Gruppentypologie auf die Beschreibung einer eigenen “monarchischen Form”.
    • "In allen Gemeinschaftsformen, von der einfachsten Kameradschaft bis zum verwickelten Staatsgebilde, liegen die Momente der Struktur wie des Aktes, beharrende wie neuschaffende Kräfte, geordnetes Durchführen von Regel und Plan wie Bewegungen und Erschütterungen ohne errechenbaren Grund."
  • Also auch im Staat als lebendig-konkreter Spannungseinheit sämtlicher Gegensatzseiten lässt sich Geschichte und Zukunft nicht “errechnen”. "Die Geschichte jeder Freundschaft, jeder Familie, jedes Kreises bis zu jedem Staat zeigt” vielmehr einen “beständigen Fluss", in dem "eine Mechanik der soziologischen Krisen" liegt: "angefangen von den Beziehungen zwischen Mensch und Mensch, bis zu denen von Staat zu Staat" : Dabei sei eine kollektive Einheit viel gefährdeter als eine individuelle, "weil die individuelle ihr Eigenleben behält, ihren Eigenrhythmus durchsetzt, und so die innere Haltekraft der Gesamteinheit fortwährend auf neue Proben stellt. Ebenso die einfachere Kollektiveinheit innerhalb der umfassenderen. ... Trotzdem ist die kollektive Einheit eine in sich stehende Wirklichkeit. Freundschaft, Werkgenossenschaft, Familie, Gemeinde, Staat sind lebendige Einheiten, deren Eigenschaften, Funktionen, Wesensbilder nicht durch bloße Zusammenzählung von Einzelsystemen oder Verbindung von deren Bestimmtheiten aufgebaut werden können. Sie führen als Einheit ein Eigenleben" und "verhalten sich zu andern Einheiten wie Individuen." Ihr Verhalten "bildet ... nicht etwa eine Summe der Akte aller umfassten Einzelwesen; durchaus nicht die mechanische Resultante aus deren Einzelbewegungen". Guardini nennt sie gerade deshalb "komplexe Individuen"
  • Auf den Staat bezogen bedeutet dies:
    • "Seine Teleologie deckt sich durchaus nicht mit der 'Wohlfahrt' des Einzelnen oder von deren Summe. Ihm geht es zuerst um die Verwirklichung es eigenen Wesensbildes; um den Vollzug der überindividuellen Lebensakte; um den Aufbau ihrer besonderen Strukturen, und alles das mit eigenen Gegensatzverhältnissen und im eigenen Rhythmus."
    • Guardini bezeichnet es als "rationalistische Fiktion, dass etwa der Staat zuerst und wesentlich 'das Wohl der Bürger' betreibe. In Wahrheit benimmt er sich ähnlich wie ein Organismus, der sich aufbaut, und die Zelle als Aufbaumoment behandelt. Er sucht ein in ihm liegendes Bild zu verwirklichen, eine Gestalt zu gewinnen, einen Charakter zu entwickeln, eine Tätigkeit zu entfalten, eine eigenen Teleologie durchzuführen, was alles zunächst gar keinen außer ihm liegenden 'Zweck' hat, auch nicht den der Wohlfahrt der Bürger, sondern einfach sein will, sich selbst verwirklichen, leben."
    • Der Staat verfolgt wie alle diese Gebilde das Wohl seiner Bürger "lediglich um des eigenen Gesamtwillens willen."
    • Diese Tendenz zur "naturhaft-blinden Selbstsucht" kann nur durch eine "ganz besondere sittliche Klärung und Bildung" durchbrochen und überwunden werden.
    • "Und es scheint, dass hierzu nur die Religion, und zwar die übernatürliche im Stande ist, welche die Rechte Gottes an die Seele den Rechten 'des Caesars' gegenüber zur Geltung bringt."

Solidarismus als Spannungseinheit von Einzelnen und Gesamtheit

  • Guardini beschreibt das Verhältnis von Einzelnen und Gesamtheit, wie es nach “der individualistischen Denkweise” erscheint, nämlich “von ersterem her gebaut; die Sozietät von den Einzelnen hergeleitet. Jene bedeutet dann weiter nichts als die Gesamtheit der allein in Betracht kommenden, unter bestimmten Zwecken zusammengefassten Einzelnen.” Dieser Individualismus irre, “denn die wesenhafte Sozietät, heiße sie nun Familie oder Staat, ist etwas Ursprüngliches und steht in sich.”
    • "Die individualistische, solipsistische Person ist ein vorübergehendes Ergebnis neuzeitlicher Entwicklung. Genauer gesagt: der Anspruch auf eine solche Person; denn in Wirklichkeit gibt es sie nicht."
  • Aber auch die “entgegengesetzte Ansicht” irre, wenn sie “den Einzelnen in die Gemeinschaft auflösen will als deren Resultante oder Funktion oder Phase, oder wie immer sich die kollektivistische Grundauffassung ausspricht. Denn der Einzelne steht als Ursprüngliches in sich selbst.” Guardini sieht den Ausweg in einem “entschiedenen Solidarismus” und “Personalismus”:
    • "Vom Standpunkte der Gegensatzlehre werden wir vielmehr zum entschiedensten Solidarismus gedrängt. Der besagt: Einzelner und Gruppe können, soweit sie im Gegensatzverhältnis stehen, von einander nicht abgeleitet werden.”
    • "Im Einzelnen liegt von vornherein die Gesamtheit", "die Sozietät überhaupt", aber auch "deren wesenhafte Grundformen", also auch der Staat mitgegeben.
    • "Ein isoliertes, auf sich allein hingeordnetes Einzelnes gibt es nicht. 'Person', um den eigentlichen Kern des menschlichen Einzelseins zu nennen, ist zugleich auf Gesamtheit bezogene Eigenständigkeit. Eigenständigkeit, denn sie entsteht nicht durch die Gemeinschaft, sondern ist in sich selbst gegeben. Aber wesentlich auf diese bezogen.”
  • Natürlich ist auch "die Gesamtheit von vornherein und wesenhaft auf den eigenständigen Einzelnen bezogen." Dies scheint für den "individualistischen Abendländer" so selbstverständlich gewesen zu sein, dass er es nicht für nötig hielt es eigens zu betonen.
  • Gerade aber "angesichts etwa der altgermanischen Sippe wäre dies aber der Betonung wert gewesen; noch mehr etwa der östlichen Absolutierung des Allgemeinwesens gegenüber, das die Person relativiert." “Nun hieße es freilich der Wirklichkeit um einer vorgefassten Theorie willen Gewalt antun, wollte man Einzelnen und Sozietät als parallele Glieder einander gegenüberstellen. Vielmehr besitzt der Einzelne eine ganz andere Dichtigkeit, Leibhaftigkeit, Unausweichlichkeit als jede Gesellschaftsbildung. Aber wir dürfen nicht aus den Augen lassen, dass wir Abendländer sind, und etliche Jahrhunderte individualistischer Entwicklung hinter uns haben.”

Die Gegensatzlehre als Heuristikum und Regulator

  • "Individuelle Denkerziehung hat die Aufgabe, über solche Beschränktheit hin-auszuwachsen; die individuelle Umwelt mit der Menschen-Gesamtwelt in Fühlung zu bringen, doch ohne darüber die elementare Verwurzelung im Besonderen zu verlieren. Organische Universalität also.”
  • "Individuelle Bildung des Verhältnisses zur `Welt´ bedeutet, dass der Einzelne seine `Vorurteilshaltung´ bewältige."
  • Die Gegensatzlehre sei daher “ein Heuristikum und ein Regulator, um die Fehlerquellen der individuellen Einstellung zu überwinden.”
  • Es scheine, so Guardini, wir treten “in die Zeit der bewussten Überschau unseres Lebensbestandes ein, in der uns der Kampf aller gegen alle und das unbesorgte Gehenlassen mit seinem Vertrauen auf die Reserven des Lebens nicht mehr erlaubt, ja allmählich nicht einmal mehr möglich sind. Unentrinnbar scheint uns die Aufgabe der `Politik´ auch hier gestellt zu werden, d.h. eines besonnenen Wirkens aus zuchtvoller Beziehung von Einzelnem und Gesamtem. Die Weite und die Freiheit, ohne die wir nicht leben können, werden wir anderswo suchen müssen als in der Bewegungsmöglichkeit, wie sie noch offenstehende Bereiche gewähren. Zuversichtlich Gedanken und Tat hinzustellen, wie sie von den eigenen Voraussetzungen her wachsen, ist gewiß das Rechte, und der Einzelne hat nicht die Funktion der Gesamtheit und der Geschichte zu übernehmen. Allein dass jenes Hinstellen aus einer besonnenen, Grenzen und Zusammenhang spürenden Haltung geschehe, darum geht es.”
    • "Es scheint nicht zufällig, dass gerade jetzt eine neue Universalitätshaltung erwacht. Die Erde, die Menschheit, die Geschichte als Ganzes beginnen in unser Gesichtsfeld zu treten. Äußerlich als Tatsachen; innerlich als Haltung. Auch die Vorstellung der Welt gewinnt eine neue Tiefe und Dringlichkeit. Ein neues kosmisches Bewusstsein scheint im Werden, freilich anderer Art, als das alte, auf der Vorstellung räumlicher Umgreifbarkeit ruhende. Die Universalitätshaltung ist das Organ, mit welchem der wachsende Mensch dieser Tatsache gerecht wird."
    • "Die von der Gegensatzidee beherrschte Haltung trägt etwas eigentümlich Welthaftes in sich ... Eine eigentümliche Fähigkeit, das Einzel-Runde als Glied eines Gesamten zu nehmen. Dieses `Gesamte´ meint keine umfassbare Ge-stalt, sondern lebendige Mehr-Dimensionalität, darin Kräfte und Strukturen, aus verschiedenen `Richtungen´ her einander gegenübergestellt, zu einem Mittelpunkt hin."
  • Zweifelsohne hat für Guardini nun der Gegensatzgedanke als solcher eine "weltanschauliche Bedeutung". So vermag der Gegensatzgedanke "lebendige Offenheit zu schaffen":
    • "Der Einzelne sieht die Gesamtmöglichkeiten des Menschlichen und dass er daran Anteil hat. Sieht aber auch, dass er ein Besonderer ist. ... Er überwindet Zaghaftigkeit und Hairesis zugleich. Er sieht sich als eigenes Wesen mit besonderer Art und besonderem Sinn. Und doch angewiesen auf die anderen, sich vollendend erst in der Gemeinschaft."
    • „Die Mitte ist des Lebens Geheimnis. Sie wird zerstört, sobald der Mensch sich an die Besonderung verliert. Nicht schon, wenn er in´s Besondere geht, seine eigene Art auswirkt. Aber wenn er sich an diese Art verliert. Dann geht die Mitte verloren. Sobald der Mensch die Besonderung, die er doch ist, für Gesamtheit erklärt. Dann erstarrt die freie Mitte, um die das Leben schwingt. Die Mitte ist das Geheimnis des Lebens. Wo die Gegensätze zusammen sind; von wo sie ausgehen; wohin sie zurückkehren. Und Maß. Eine doppelte Bedeutung hat das Worte. Einmal bedeutet es Grenze. ... Gegensätzlichkeit ist Begrenztheit. ... So wird Gegensatzhaltung zur Maßhaltung, darin das Leben um Grenze weiß und sie wahrt; zur Ehrfurcht und Besonnenheit. Und doch können wir diese Grenzen überwinden. Nicht dadurch, dass wir sie verneinen; das wäre Unwahrheit. Auch nicht durch den Versuch, über sie hinauszuschrei-ten; von Ethos der Gegensatzlehre aus gesehen Frevel und Überhebung. Die einzige mögliche Überwindung geht nach innen. Sie geschieht, wenn wir das Maß bejahen, aber es umschaffen in die andere Bedeutung des Wortes: Maß ist Einklang, rechtes Verhältnis. Bejahte Grenze wird zum inneren Verhältnis der Kräfte. Wenn wir die Grenze bejahen, verzichten wir auf Unendlichkeit. Wir gewinnen dadurch, was im Bereich des Endlichen deren Äquivalent ist, wenn man so sagen darf. Die Sättigung des Endlichen mit der ihm zugewiesenen Bedeutungsfülle, Vollendung.“
  • Ohne Mitte und Maß verliere sich der Mensch in seiner "freischwebenden" Existenz.
    • "Über uns geht es ins unmöglich Große, wo wir verschlungen werden. Unter uns ins ungreifbar Kleine, wo wir keinen Fuß mehr fassen. Nach allen Seiten hin in das Unmaß, wo die Einheit zerreißt. Nach innen aber lockt ruhendes Gleichgewicht, darin die Spannung einschläft. Menschliches Dasein hat sein Geheimnis darin und seine Gefahren und seine besondere Größe, dass es schwebend ist zwischen all diesen Un-Möglichkeiten."
  • Die aktuelle Aufgabe sieht Guardini darin, dass uns „die Wirklichkeit … wieder sichtbar“ wird, „nachdem wir lange in Formeln gelebt. Die Welt der Qualitäten, Gestalten und Geschehnisse. Die Welt des Dinges. Und alles kommt darauf an, dass wir den Dingen ganz offen stehen; sie sehen, spüren, ergreifen. Alles kommt darauf an, dass wir wirklich der Welt begegnen im Erkennen, im Werten und Entscheiden, im Handeln und Schaffen.“
  • Im Blick auf die polare Spannung von „System und Richtung“ gelte es „das der Wirklichkeit entfremdete, mechanische System abzulegen, dafür aber dessen edleres, lebendigeres Äquivalent zu gewinnen.“
  • Schließlich könne "die ganz tief begriffene Gegensatzidee" bewirken, den allgegenwärtigen Mechanismus zu überwinden.
    • "Sie bedeutet kein geschlossenes System, sondern ein Aufgetansein der Augen und eine innere Richtung im lebendigen Sein. Sie macht, dass die Wirklichkeit uns Raum wird und Fülle von Gestalten, in die wir hinausschreiten können, ohne uns zu verlieren."
  • Worum es Guardini also “ein für allemal geht”, ist “das Erlernen der Schwebe und nicht der Befriedung.” Genau das aber hatte Hegel mit seiner innerweltlichen “Reich Gottes”-Lösung versucht. Dagegen kann nach Guardini das “Reich Gottes” “nicht in den jetzigen Strukturen erwartet werden.” Er beharrt darauf, “dass dieser Optimismus dialektischer Überwindung aller Gegensätze - wie er in der marxistischen Ausprägung des irdischen Reich-Gottes-Staates den Hintergrund dieses Jahrhunderts verdunkelt - gefährlich missleitend sei.” Er fordert dagegen die Tugend nicht des “endzeitlichen Eins-und-Alles-Werden-Wollen”, wie es Hegel als Vision der Geschichte entworfen hatte, “sondern ein Ausharren und Bestehen VOR dem Ende der Zeit, mit allen Ungereimtheiten und allem Vorläufigen.”

Guardinis Fußnoten

Da Guardini, wie bereits festgestellt, kein Freund von Fußnoten ist, werden die wenigen Hinweise auf andere Autoren um so bedeutender. In der Gegensatzlehre sind es nur fünf, ursprünglich sechs solcher Hervorhebungen:

  1. Joseph Tissot, La vie intérieure, simplifiée et ramenée à son fondement: Guardini verweist zur theologischen Aussage von Thomas von Aquin, dass unsere Ewigkeit die Teilnahme an Gottes Leben, durch Schauen und Lieben, sein werde und darin unser ganzes Sein zum einfachen Akt werde: "Lies dazu die klaren Ausführungen von Joseph Tissot, La vie intérieure, simplifiée et ramenée à son fondement. (Paris, Beauchesne; übersetzt von P. Sattler, Regensburg, Manz.) So das erste Kapitel: Im ewigen Leben »werde ich ohne Ende und Wandel, in einem einzigen Akt, darin sich meine gesamte Lebenskraft auswirkt, die Entfaltung besitzen, die ich erworben habe ... Das wird, in meinem besonderen und endlichen Maß, das vollkommene Leben sein. Ich werde leben ohne Ende, im einzigen Akt des ewigen Lebens.« (ebd., S. 34)
  2. Georg Simmel: Lebensanschauung (besonders das Kapitel "Transzendenz des Lebens"); Philosophische Kultur: Zunächst in Bezug auf die Aussage "Wir erfahren das Leben als Strom. Die Form des Strömens gehört zur Erlebnisweise unseres Daseins." unter Verweis auf Simmels Werke "Lebensanschauung" und "Philosophische Kultur". Simmel habe "überhaupt zu diesen Fragen hat sehr Tiefes und Feines" gesagt (ebd., S. 35). Dann im Bezug auf den Satz "So überschreitet etwas im Leben die Grenzen des Vorher und Nachher." unter Verweis auf das erste Kapitel über "die Transzendenz des Lebens" in Simmels Werk "Lebensanschauung" (ebd., S. 68)
  3. Hans Adolf Eduard Driesch: Philosophie des Organischen. Zunächst in Bezug auf "Systeme", die "durch nach innen zentrierte Akte gebaut" sind; "ebendamit selbst auf ein Innen bezogen" sind; und "so wiederum innengerichtete Akte tragen" können. In der Fußnote 17 führt Guardini dazu aus: "Was ich meine, wird in etwa durch Hans Drieschs Theorie der Entelechie beleuchtet. (Philosophie des Organischen, z. Aufl., Leipzig 1921.) Er nimmt im Lebendigen außer der physikalischen und chemischen noch eine dritte Art Naturkraft an: die Entelechie. Akt- und Bau-Ganzes des Lebendigen sind nicht nur Ergebnisse chemischer oder physikalischer Vorgänge, sondern jedes lebendige Sein und Geschehen steht unter einem wirkenden Plan. Dieser äußert sich so, daß er als von seiner Verwirklichung in Einzelnen unabhängig erscheint. Seine Äußerungen sind derart, als wäre er in sich vorher da, und triebe Akt wie Struktur des Lebendigen auf deren Verwirklichung hin. Er selbst ist nicht empirisch zu fassen, steht jenseits der Erfahrung. Aber alles Erfahrbare weist auf ihn hin, als auf die Ursache, von der her es geleitet und geformt wird." (ebd., S. 52) Dann verweist Guardini auf dasselbe Werk von Driesch im Zusammenhang mit der Aussage: "Das ganze Leben ein genaues Funktionieren, geleitet von einem Prinzip der Führung. Charakteristisch für dieses Verhältnis, wie Hans Driesch die Tätigkeit der Entelechie, des lebendigen Gestaltprinzips, umschreibt" (19: Philosophie des Organischen, S. 434 f.) (ebd. S. 57)
  4. Friedrich Wilhelm Foerster: Es handelt sich hierbei in Fußnote 32 um einen allgemeinen Verweis auf Foersters Verdienste im der Frage des Verhältnisses von übergeordneten Gebilden und Erziehung: "Und diese Tendenz ist so stark, daß es einer ganz besonderen sittlichen Klärung, Bildung, ja geradezu eines Durchbruchs bedarf, um diese naturhaft-blinde Selbstsucht der übergeordneten Gebilde zu überwinden. Und es scheint, daß hierzu nur die Religion, und zwar die übernatürliche im Stande ist, welche die Rechte Gottes an die Seele den Rechten »des Caesars« gegenüber zur Geltung bringt. Hier liegen noch nicht gelöste, vielfach noch gar nicht gesehene Aufgaben der Erziehung. (*32: Diese Forderung nicht nur grundsätzlich ausgesprochen, sondern in konkreter Weise pädagogisch gestaltet und durchgeführt zu haben, wird eine ruhiger denkende Zeit zu den besonderen Verdiensten Friedrich Wilhelm Foersters rechnen.)" (ebd., S. 124)
  5. Jakob von Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere: Guardini verweist auf Uexküll im Zusammenhang mit dessen biologischen Begriff der "individuellen Umwelt": "Der einzelne Mensch nun ist nicht einmal auf diese objektive Menschenwelt bezogen. Kraft seiner besonderen Veranlagung antwortet er, und richtet er sich wollend wie handelnd von vornherein nur auf bestimmte Teile und Seiten aus dieser Menschen-Gesamtwelt. Er schneidet aus ihr seine »besondere Welt« heraus und lebt darin. Einmal so, daß er nur gewisse Teile von ihr kennt, berührt, bewohnt, gebraucht. Dann aber und grundsätzlicher, indem bestimmte Seiten der Gesamt-Wirklichkeit ihm wahlverwandt sind. Die sieht er allein oder doch besonders scharf, erlebt sie tief, erfaßt sie leicht und sicher, schafft an und aus ihnen. Das ist seine »individuelle Umwelt« (45: Dazu die Schrift von Jakob von Uexküll »Umwelt und Innenwelt der Tiere«, Berlin 1921. Sie erörtert das Problem in seiner rein biologischen Form.) (ebd., S. 167).
  6. Hinzu kommt in der ersten Auflage Otto Weininger: Geschlecht und Charakter. Guardini kritisierte ausdrücklich den primitiven und „naiven maskulinen Geltungs- und Herrschaftswillen”, wie er zum Beispiel in der Abwertung des Weiblichen in der Polarität zwischen männlichem und weiblichem Prinzip durch Otto Weininger in seinem Werk „Geschlecht und Charakter” zum Ausdruck komme (Guardini, Gegensatz, 1925, S. 122). In der Neuauflage nach 1945 entfällt dieser Verweis.

Wertungen und Kritik

Käte Friedemann (1926)

  • Die (Neu-)Romantiker fühlten sich von Guardinis These natürlich falsch verstanden.
  • Rezension zu: Guardini, Der Gegensatz, in: Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft, Fulda, 39, 1926, S. 187-189 - https://books.google.de/books?id=DwHOAAAAMAAJ.
  • Darin übt Friedemann Kritik an der negativen Beurteilung der Romantik in Guardinis Gegensatzbuch und weist auf die „innere Bezogenheit und Verwandtschaft“ aller konkreten Gegensätze in der Romantik hin:
    • "Das Buch, das sein Verfasser selbst nur als einen Versuch bezeichnet, enthält nichtsdestoweniger eine tiefgründige Untersuchung über das Wesen des Konkreten, als dessen Lebensprinzip der Gegensatz bezeichnet wird. Diese Behauptung ist mit einer Reihe von Beispielen belegt, die alle nacheinander durchgegangen werden. Da haben wir es zu tun mit den Gegensatzpaaren Bewegung und Gestalt, Fülle und Form, Glied und Ganzes, Innen und Aussen, Produktion und Disposition, Regel und Ursprünglichkeit, Einheit und Mannigfaltigkeit, Gliederung und Zusammenhang, Einzelleben und Gemeinschaft, rationelle und intuitive Erkenntnis. -
    • Diese Gegensätze sind nicht zu verwechseln mit Widersprüchen, etwa wie "gut und böse", oder mit Tatsachen, wie "Materie und Geist". Denn das Wesen des Gegensatzes besteht gerade darin, dass die gegensätzlichen Pole einander voraussetzen. Es ist unmöglich, dass nur die eine Seite vorhanden wäre, denn existierte sie ganz rein und ausschliesslich, so höbe sie damit nicht nur ihren Gegenpol, sondern gleichzeitig sich selber auf. In jedem Extrem muss mindestens etwas auch von dem Entgegengesetzten vorhanden sein, soll es überhaupt Bestand und Lebensmöglichkeit haben. -
    • Aber dies Aufeinanderbezogensein bedeutet nun wiederum nicht, wie es die Romantik und der Monismus wollen, ein Ineinanderübergehen und Auslöschen der gegebenen Grenzen. Jede Seite des Gegensatzes steht in ihrer unverwischbaren Besonderheit da. Ein Ausgleich, eine Harmonie, ist nur ganz vorübergehend möglich, „als Durchgang einer Verschiebungsbewegung". Wollte sie dauern, so hätten wir es mit einem ausgeglichenen Energiesystem zu tun, was gleichbedeutend mit dem Tode wäre. –
    • Also kein dauernder Ausgleich, aber ebensowenig jene Einseitigkeit, die der Rundheit des Lebens Abbruch tut. "Alle Einseitigkeit ist unerlaubte Vereinfachung." -
    • Was also sollen wir tun, wenn es weder statthaft ist, die [188] Gegensätze zu verwischen noch sie einseitig herauszustellen? - Verfasser wendet sich gegen jene Auffassung, die da meint, das Leben werde sich schon ganz von selbst regulieren jeder Einzelne solle nur den Blick auf die von ihm vertretene Sache gerichtet halten. Er bezeichnet das als geistiges Raubrittertum und stellt ihm das Ideal des Masses und der Zucht gegenüber. Die Lösung scheint ihm in der bewussten Begrenzung auf das eigene Blickfeld zu liegen. Das heisst, der einzelne soll sich bewusst sein, dass er den einen Pol einer Gegensatzreihe darstellt, dass aber nichtsdestoweniger der andere vorhanden und an seiner Stelle berechtigt ist. Was Verfasser hier empfiehlt, ist im Grunde die echt katholische Haltung, die die ganze Fülle des Vorhandenen objektiv anerkennt, auch dessen was ausserhalb der subjektiven Einstellung liegt, ohne dabei für die eigene Person das Recht des sich persönlichen Hinneigens zu einem besonderen Teil dieses Ganzen zu leugnen. -
    • Die dauernd reine Verwirklichung jedes Gegensatzes, der für den Menschen nur einen Grenzfall bedeuten kann, ebenso wie das harmonische Beieinander der aufeinander bezogenen Pole ist nur bei Gott möglich. Der Mensch vermag einen solchen Grenzwert nur im Untergang zu verwirklichen. Von hier aus beleuchtet der Verfasser die tiefe Bedeutung des christlichen Opfergedankens. Das Höchste, Gott, wie er sich uns in Christus zum Lebensinhalt bietet, kann von Seiten des Menschen nur im "Untergang der Natur" erreicht werden. "So müssen solche Einzelne bereit sein, Untergehende zu werden, damit in ihrem verbrennenden Leben jene Werte uns andern leuchtend aufgehen". -
    • Dies ist auch die tiefste Bedeutung des Kreuzesopfers Christi. Wie ist nun von diesen Gegensatzgedanken aus Weltanschauung möglich? – Niemals dadurch, dass wir innerhalb der Gegensätze stehen bleiben, sondern nur, indem wir uns über sie stellen, indem wir einen Standpunkt ausserhalb der Welt gewinnen, der dennoch der Welt zugewandt ist. Dieser Standpunkt ist nur möglich, wenn wir uns auf den Boden der Offenbarung stellen. "Weltanschauung ist, endgültig gesehen, der Blick Gottes auf die Welt: der Blick Christi." Indem wir an Christus glauben, stellen wir uns auf seinen Standpunkt und nehmen an seinem Blicke teil. Dies ist der Blick, der die Gegensätze umfasst, ohne sie zu verwischen. Denn Verfasser verwahrt sich ganz entschieden dagegen, dass die real vorhandenen Gegensätze etwa im Verhältnis von Wert und Unwert zu einander stünden.
    • Damit wäre in grossen Zügen der Grundgedanke von Guardinis Buch bezeichnet. Im einzelnen sei noch hingewiesen auf die Haltung des Verfassers gegenüber dem Erkenntnisproblem, in dem es sich ja heute leider immer mehr zu einem feindlichen Verhalten seiner Träger, der Intellektualisten und Intuitionisten, zuspitzt. Verfasser betont, dass in diesem Auseinanderreissen der beiden Seiten der Erkenntnistätigkeit sich eine spezifisch moderne Haltung kennzeichne. Weder die Antike (hier wird [189] besonders auf Plato verwiesen) noch das Mittelalter habe sie gekannt. Verfasser sieht die Lösung des Konfliktes darin, dass das Konkrete allerdings niemals durch Begriffe, sondern immer nur von der Intuition aus aus erfasst werden könne. Begriffe aber seien imstande, der Intuition Gegenstand , Richtung und Weg vorzuschreiben. -
    • Sehr dankenswerte Untersuchungen bietet das Buch auch über das Wesen der Freiheit, dieses schon so oft behandelten philosophischen Problems. Hier wird der Frage durch den Gesichtspunkt des Gegensatzes eine neue Seite abgewonnen. Auch beim Freiheitsproblem handelt es sich um eine Gefahr, die darin besteht, dass sich die wählende Instanz dadurch dass sie sich völlig unabhängig von allem ausser ihr Seienden macht, damit von der lebendigen Seinsfülle abschnürt. Lebendig frei ist der Mensch nur, wenn er gleichzeitig wahlfrei und wesenswirksam ist. -
    • Nicht ganz gerecht, scheint es mir, wird der Verfasser dem Wesen des Romantischen, in dem er nur die Tendenz zur Verwischung der wesensnotwendigen Gegensätze erblickt. -
    • Es soll hier nicht davon gesprochen werden, welche Fülle fruchtbarer Keime die romantische Bewegung noch ausserdem in die Welt gestreut hat. Bleiben wir einmal bei ihrem Verhältnis zu den Gegensätzen des Lebens stehen. Da drängt sich uns doch das eine auf: Wenn tatsächlich, wie der Verfasser selbst zugibt, die Gegensätze im Allerletzten aufeinander bezogen sind, so war es eben die Romantik, deren Blick stärker auf diese innere Bezogenheit und Verwandtschaft, als auf die mehr an der Oberfläche liegende Verschiedenheit eingestellt war. Und so möchte ich denn auch in diesen beiden Haltungen, die wir kurzweg als die romantische und die klassische bezeichnen wollen, ein berechtigtes Gegensatzpaar erblicken. Klassisches und romantisches Verhalten der Welt gegenüber sind allerdings grundverschieden. Aber ich glaube, auch sie gehören nicht in die Kategorie der Seinsweisen, die der Verfasser als „Widersprüche“ bezeichnete. Auch sie stellen notwendig aufeinander bezogene Gegensätze dar. Denn romantische Geisteshaltung wird die Welt stets davor bewahren, in starren Formalismus zu verfallen, während der klassische Geist die Fülle des Lebens zur Form zwingt und sie dem Chaos entreisst. Und so, glaube ich, fällt das Romantische und das Klassische als dessen Gegensatz mit dem zusammen, was der Verfasser selbst als das Gegensatzpaar „Fülle und Form“ bezeichnet. Und es war einer der führenden Romantiker, es war Friedrich Schlegel, der an den verschiedensten Stellen seiner Werke immer von neuem betont, dass Gott sei der "Hauptbegriff der Einheit und Fülle"."

Anton Hilckman (1926)

  • Anton Hilckman, auch Hilckmann (1900-1970) betonte in seiner Rezension (Rezension zu: Guardini, Der Gegensatz, in: Das geistige Europa, hrsg. von Muckermann, Paderborn, 2, 1926, S. 16f.), dass Romano Guardini "einen ganz anderen Typus katholischer Philosophie als Geyser" vertrete, die “inkommensurabel” seien und sich seiner Meinung nach ergänzen würden. Romano Guardini besitze “die strenge lateinische Form, mit germanischer Fülle zu harmonischer Einheit verbunden” und mache den Versuch, “das Individuelle, Konkret-Lebendige, das dem begrifflichen Denken, dessen Natur nach, unzugänglich ist und sein muss, erkenntnismäßig zu fassen, ohne sich in das Extrem des Irrationalismus zu verlieren.” “Schau und Bild” sollen “wieder `begriffsnäher, gedankensatter´ werden.” Mithilfe der Gegensatzidee sollen “die Einseitigkeiten des modernen Denkens, Rationalismus und Intuitionismus überwunden werden, damit der Zukunft statt des “Autonomismus der Geistesbereiche” eine geistige Einheit erstehe, freilich keine vorkritische, sondern eine kritisch bewährte.” Hilckmann verwies abschließend auf die geistige Verwandtschaft Guardinis zu Przywara, was aber, wie gesehen, nur „relativiert“ zutrifft.

Franz Meerpohl (1926)

  • Franz Meerpohl macht im „Literarischen Handweiser“ die Gegensatzlehre zusammen mit der Schrift „Liturgische Bildung“ zum Beispiel für eine „Kulturphilosophie des Katholizismus“ (Zur Kulturphilosophie des Katholizismus, in: Literarischer Handweiser, Freiburg, 63, 1926, 1, Sp. 3-10, hier S. 8-10 (Rez.: Der Gegensatz; Liturgische Bildung) Siehe auch seine Rezension, in: Literarischer Handweiser, Freiburg, 65, 1928, S. 191. Sein Sitz wird mit Münster in Westfalen wiedergegeben):
    • „Zunächst wird es nützlich sein, ganz kurz die Begriffe Kultur und Zivilisation, die keineswegs eindeutig gebraucht werden, zu umreißen, um die Problematik genauer zu bestimmen und zugleich ein gemeinsames Fundament für die folgenden Buchbesprechungen zu schaffen."
    • Kultur näherhin" ist laut Meerpohl unter Zitierung Guardinis: „ein von innen gebildetes Sein und Leben des Einzelnen und der Gesamtheit" (Guardini), ist lebendig Gewordenes, entsprungen aus der Seele des schöpferischen Menschen. Wahre Kultur bedeutet demnach Dienst an der Natur, geordnete Herrschaft des Gemeinschaftsmenschen über die Dingwelt, Durchdringen und Erfüllen derselben vom tiefsten Wesen des Menschen aus, sie ist lebensvolle Verbindung von Subjekt und Objekt in gegenständlichem Ausdruck, der zugleich rückwirkend den menschlichen Geist erhöht und veredelt. Zivilisation entsteht, je mehr die Kultur sich freimacht vom persönlichen Ethos und zu reiner Sachkultur wird, je mehr der Mensch bewusst und zweckhaft schafft und die Natur in rational berechnetem Dienstbarmachen auszunützen sucht. Zivilisation ist Kultur eines Zweckes wegen, ist zweckbeherrschter „Aufklärungs- und Wirtschaftsmaterialismus", bei dem der Mensch den Zusammenhang mit der metaphysischen Weltordnung und Ganzheit des Lebens verliert. Unsere Zeit trägt vorwiegend zivilisatorischen Charakter. Der staunenswerte Aufschwung der exakten Naturwissenschaften und der Technik, die naturalistische Bewusstseinshaltung, das Überwiegen mechanischer Sachkultur gegenüber konkreter Persönlichkeitskultur, der Autonomismus der einzelnen Kulturgebiete u. a. m. sind seine Kennzeichen. Trotz aller äußern Erfolge dieser Scheinkultur bleibt der innere Mensch leer und unbefriedigt, seelenlos und gespalten, weil er die Totalität nicht mehr in lebensvoller Verbindung von Subjekt und Objekt zu umspannen vermag. In dieser Erkenntnis liegt der wichtige, kulturphilosophische Ertrag der tiefen Dempfschen Untersuchungen'. In derselben Richtung sind auch Guardinis' feinsinnige “Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten", soweit sie gerade durch die Phänomenologie der bestehenden Gegensätze zur Einheit des Lebensganzen weiterführen, als wertvoller Beitrag zu einer Kulturphilosophie des Katholizismus zu würdigen. [...??? Übergang überprüfen!!!] Ehrfurcht vor der Ganzheit der Seins- und Lebensbedingungen bilden die philosophische Grundlage der mittelalterlichen Kultureinheit. Diese „objektive Haltung“ wurde seit Renaissance und Reformation immer mehr gelockert, bis bei starkem Überwiegen der gegensätzlich-subjektiven Haltung keine wesenhafte Kultur mehr möglich war. – Erziehung zur objektiven Haltung, die durchaus nicht ein Zurück zum Mittelalter besagen muss, ist die Absicht Romano GUARDINIS in seinen Versuchen „Liturgische Bildung“. Sie gehören darum hierher. Diese Haltung, die vom Sinn des Natürlichen ausgeht, vom Wert der irdischen Dinge, Ordnungen und Werke, drängt in letzter Konsequenz zur Verabsolutierung des Irdischen, zu autonomer Kultur, und tritt dann in Gegensatz zur Religion infolge der Übernatürlichkeit der Gnade und des Ereignisses des Kreuzes. Guardini ist sich der Gefahr voll bewusst und sieht eine Lösung in der „Einbauung aller Kulturwerte in das religiöse Verhältnis“ seitens der Kirche.“

Friedrich von Napolski (1926)

  • Friedrich von Napolski (Der Kapitalismus und wir, in: (Neue) Schweizer Rundschau, Band 26 Union Druck & Verlag., (19) 1926, S. 374) schreibt: „Es hilft nichts, als diesen Gegensatz in seiner ganzen Schroffheit stehen zu lassen. Alles Leben äußert sich, wie Romano Guardini noch kürzlich in einem außerordentlich aufschlußreichen Buch dartat, in Gegensätzen. Weil die Wirtschaftsform `Kapitalismus´ etwas Lebendiges ist – ein Lebendiges sogar von geradezu fabelhafter Vitalität – darum kann gleichzeitig strenge Gesetzmäßigkeit und freie Willkür einzelner Menschen in ihm nebeneinander bestehen."

Viktor von Weizsäcker (1926/1949)

  • Victor von Weizsäcker betont in seiner Rezension in der von Karl Anton Rohan herausgegebenen Zeitschrift Europäische Revue (Rez.: Der Gegensatz, in: Europäische Revue, Leipzig, 2, 1926/1927, 2, S. 133f. (bei Mercker: 1932) die "Mission des Werkes":
    • "Der neuzeitliche Rationalismus hatte Feindschaft gesetzt zwischen Kategorie und Konkretheit, zwischen Logik und Leben. Zumal wo Kants Denken die Übermacht in theoretischer Philosophie deutscher Sprache besaß, blieb die Aufgabe einer Philosophie des Lebendigen ungelöst; denn das Lebendige verschob sich hier immer an den GEGENPOL des Rationalen, ins Irrationale, nicht zu Fassende, immer Individuelle, Einmalige vor der kategorialen Form Fliehende oder an ihr Zerbrechende. - Oder der Erkennende wurde dem Leben gegenüber auf Intuition verwiesen; das bloß intellektuale Instrument ward degradiert und so gerät der Moderne in unehrlichen Zwiespalt zwischen dem Gesetz seiner nun einmal zerebralen Natur und jener neuen Forderung der bloßen Intuition; die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst ward hier verwischt, und die intuitive Haltung erweist sich zu weich gegenüber der Härte des Rationalismus. Aber dies Entweder-Oder zwischen rationalem und intuitivem Erkennen entspringt gar keiner inneren Notwendigkeit. Eine die Welt bejahende Philosophie hat sich immer einem Sowohl-Als-auch ergeben. So sind des Aristoteles Kategorien gerade Kategorien des Lebens: erst wo ein Lebewesen ein Seinesgleichen zeugt, wird Gattung, und der Gattungsbegriff, das Genos, ist ein das Lebendige nicht analytisch zerstörender, sondern ein es begreifender Begriff. Also im Gegenteil: NUR das Lebendige können wir EIGENTLICH begreifen. Aber freilich ist diese Erkenntnis verschüttet genug bis in unsere Tage, daß Entdeckerfreuden dem Ausgräber beschieden sind. Und es ist Guardini vergönnt, aus einer innerlichen, zarten, ungebrochenen und zugleich zäh erstrittenen Jugendlichkeit, frei von Historismus, emanzipiert von Einflüssen und Auseinandersetzungen , sein Gedankenwerk aussprechen zu können. Ein philosophisches Buch fast ohne Terminologie außer im Resultat, fast ohne Polemik außer gegen Weltmächte, fast ohne Räsonnement außer in einer Art von streitloser Deduktion, welche scheinbar spielend aus dem puren Element der Sprache durch innere Bewegung die sublime Oberschicht des Kategorialen ´gleichsam aufkochen läßt. Sind diese Kategorien nun wirklich die Kategorien des Lebendig-Konkreten? Können sie auch zurückkehren zum Lebendigen? - Die letzte Sicherheit dieser Philosophie ist nicht in ihrer Selbstbegründung, sondern "das Stehen in Gegensätzen ist wesenhafter Ausdruck des Geschöpfseins". Mit solchem Wort bettet sich die Philosophie des Gegensatzes in den größeren Bau theokratisch geordneten Erkennens ein, und mit solchem Wort erhält die Bejahung des Gegensätzlichen als Grundform des Lebendig-Konkreten eine werthafte, eine religiöse, eine enthusiastische, eine propagandistische, eine edle und verpflichtende Bedeutung; die Aufgabe, im Gegensatz bejahend zu stehen, hat Guardini nicht nur für seine Person lösbar gefunden in der Doppelbejahung des nordisch zur einseitigen Entscheidung DRÄNGENDEN und zugleich des romanisch zur runden Form ZWINGENDEN (mit deutlichem Übergewicht der Form); diese Aufgabe ist ja auch der gegenwärtigen Menschheit unseres Erdteils gestellt. Das Gegensätzliche nicht mit dem Widersprechenden zu verwechseln, sondern als das allein Lebendige, Wirkliche und Kreatürliche zu verstehen, eben darum aber den Gegensatz als Bindung und als verpflichtende Ordnung begreifen zu lehren, dies ist die glücklich erstrebte, die eigentliche Mission dieses Werkes." (Schlusssätze am Original überprüfen!!!)
  • In seinen autobiographischen Erinnerungen "Begegnungen und Entscheidungen" (1949, S. 31f.) ergänzt Victor von Weizsäcker persönlich zu seiner damaligen Leseerfahrung:
    • "Aber schon vorher glaube ich sein Buch „Der Gegensatz" gelesen zu haben. Damals sagten die Philosophen von Beruf wohl, daß es eine wissenschaftlich schwache Leistung sei. Aber wieviel wichtiger ist doch oft, wenn einer eine neue geistige Haltung einnimmt, die jetzt eben der Sehnsucht und zugleich der Freiheit einer Epoche Worte leiht. Wir wollten nichts mehr von den Systemen und ihrer schulmäßigen Aufzählung wissen; wir wollten auch nicht mehr in der historischen Objektivität verharren, sondern selbst philosophieren. Wir wollten ferner nicht etwas erkennen, sondern mit dem anderen Menschen sprechen, und wir wollten die Raserei des Nationalkrieges überwinden und eben im Gegensatz den anderen und uns selbst finden. Das Denken sollte Gespräch sein, also dialektisch sich entfalten, denn die Liebe kann die Unvollkommenheit des Gedankens nur besiegen, wenn sie sich in den anderen wirft, um mit der Beute des Verstehens heimzukehren. Guardinis "Gegensatz" hatte den eigentümlich glühenden und persönlichen Stil dieses Menschen mehr als manches seiner späteren und reiferen Bücher, da er darin nicht einen großen Denker zum Gegenstand nahm, sondern im Medium seines eigenen Denkens beinahe gegenstandslos sich nur in sich selbst bewegte. Und da ich überhaupt mehr Gleichgestimmtes suchte und liebte und von der Abneigung und der Leidenschaft der Gegnerschaft nur selten gefördert wurde, so war ich wohl mit Guardini durch sein Buch befreundet, noch bevor ich ihn sah."

Seele (1926)

  • Rezension, in: Seele, Regensburg, 8, 1926, 9, S. 287 (noch nicht ausgewertet)

Josef Heiler (1926/27)

  • Josef Heiler: Zu Romano Guardinis Buch "Der Gegensatz", in: Abendland, 2, 1926/1927, S. 342-344 (noch nicht ausgewertet)

Theodor Steinbüchel (1926/28)

  • Theodor Steinbüchel veröffentlichte 1928 gleich zwei Rezensionen zu Guardinis „Der Gegensatz“, eine für den Literarischen Ratgeber und eine Bonner Zeitschrift für Theologie und Seelsorge:
  • In seinem Werk "Die philosophische Grundlegung der katholischen Sittenlehre" (Düsseldorf 1938) bezieht sich Steinbüchel zwar öfters auf Guardini, nimmt aber nur einmal einen Gedanken aus dem „Gegensatz“ auf (Bd. II, S. 172 f.) (noch nicht näher ausgewertet).

August Messer (1927)

  • August Messer: Rez.: Der Gegensatz, in: Philosophie und Leben, 3, 1927, 2 (Februar 1927), S. 61-63 (noch nicht ausgewertet). Es handelt sich dabei laut Berthold Gerner (Guardinis Bildungslehre. Beiträge zur Wirkungsforschung, 1985, S. 29) um eine der wenigen philosophischen Fachzeitschriften, die sich für das Werk interessiert haben.

Akademische Monatsblätter (1927)

Kirche und Kanzel (1927)

Theologie der Gegenwart (1927)

Allgemeine Rundschau (1928)

Renatus Hupfeld (1928)

Robert Lewin (1928)

Bernhard Rosenmöller (1928)

Franz Maria Sladeczek (1928)

Maria Schlüter-Hermkes (1928)

Hugo Schnell (1928)

Paul Wegwitz (1928/29)

Hans Leisegang (1928/30)

Hans Barth (1929)

Arthur Liebert (1929)

Maria Fuerth (1929/30)

Friedrich Grave (1929/30)

Eugen Seiterich (1930)

Paul Pfister (1931)

Heinrich Graach (1931/32)

Rudolf Peil (1932)

Karl Schaezler (1934/35)

Karl Buchheim (1935)

Alexandre Marc (1935)

Hermann Levin Goldschmidt (1948)

Heinrich Fries (1949)

Hans Meyer (1949)

Karl Wucherer-Huldenfeld (1953/55)

J. Fischl (1954)

Anzeiger für die katholische Geistlichkeit (1955)

Josef Goldbrunner (1955)

Literaturanzeiger (1955)

Georg Schückler (1955)

Ernst Behler (1955/56)

Der Prediger und Katechet (1955/56)

Benediktinische Monatsschrift (1956)

Documenta (1956)

Hirschberg (1956)

Die Katholische Schule (1956)

Alfons Ott (1956)

Anima (1957)

Heinrich Döpp-Vorwald (1959)

Walther Brüning (1960)

Marcel Reding (1960)

Gottfried Bräuer (1964)

Burkhard Neunheuser (1964)

Josef Speck (1964)

Carl Bilo (1965)

Karl Rahner (1965)

Max Müller (1968)

Roger Aubert (1969)

Hans Bernhard Meyer (1970)

Fridolin Wechsler (1972)

Giuliano Riva (1978)

P. P. Müller-Schmid (1982)

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (1984/85 und öfters)

Joseph F. Schmucker (1985)

Ludwig Trojan (1985)

Literaturreport (1985)

Angelus Häussling (1986)

Emerich Coreth (1986)

Helmut Kuhn (1988)

Manfred Hermanns (1988/93)

Christian Hartl (1989/90)

Eva-Maria Faber (1993)

Dieter Höltershinken (1993)

Werner Fritschi (1994)

Lydia Maidl/Rainer Bendel (1996)

Gunda Brüske (1998)

Alberto Gallas (1998)

Karl Lehmann (1998)

Claudia Cristoforetti (1999)

Johan van der Vloet (1999)

Marian Eleganti (2003)

Ricardo Gibu Shimabukuro (2003)

Robert Josef Kozljanič (2004)

...

Eugen Biser

Vergleichspunkte

Friedrich Schleiermacher

  • Es war Ludwig Winterswyl, der seinen Freund Guardini 1935 explizit mit Schleiermacher verglichen, aber auch abgegrenzt hat:
    • "Nur dass Guardini das Christliche unterscheidet, wo Schleiermacher es relativiert hatte. Es ist eine seltsame Fügung, dass Guardini an der gleichen Stelle der Berliner Universität, wo die Unklarheit der christlichen Theologie durch Schleiermacher begann, sie wieder zur Klarheit aus der Offenbarung zwingt."
    • Im Blick auf Guardinis “Haltung” fühlt Winterswyl sich stärker an Kardinal Newman erinnert (Romano Guardini, in: Burgbrief, Januar/Februar 1935, S. 90).
    • Nun wurde – wie bereits gesehen – auch schon Newman als „katholischer Schleiermacher“ bezeichnet, doch die Vehemenz mit der Guardini dies kurz vor seinem Tod von sich weist, lässt hier wohl tatsächlich wenig Substanz vermuten.
  • Albert Reble (Geschichte der Pädagogik, Stuttgart (11)1971, S. 204. Vgl. auch ders., Schleiermacher und das Problem einer Grundlegung der Pädagogik, in: Berthold Gerner (Hrsg.): Schleiermacher – Interpretation und Kritik, München 1971, S. 59-74.) betont im Umfeld der personalistisch-dialogischen Pädagogik, dass Schleiermacher eine „organisch-dialektischer Schau“ der Welt als einem „Ineinander von polaren Kräften“ vertrete.
    • Tatsächlich schreibt Schleiermacher in seinen Reden „Über Religion“, dass die Gottheit sich durch ein unabänderliches Gesetz selbst genötigt habe, „ihr großes Werk bis ins Unendliche hin zu entzweien, jedes bestimmte Dasein nur aus zwei entgegengesetzten Kräften zusammenzuschmelzen, und jeden ihrer ewigen Gedanken in zwei einander feindseligen und doch nur durch einander bestehenden und unzertrennlichen Zwillingsgestalten zur Wirklichkeit zu bringen. Diese ganze körperliche Welt, in deren Inneres einzudringen das höchste Ziel Eures Forschens ist, erscheint den Unterrichtetsten und Denkendsten unter Euch nur als ewig fortgesetztes Spiel entgegengesetzter Kräfte“ (Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, neu hrsg. von Rudolf Otto, Göttingen (6)1967, S. 21)
    • Dies hat aber wohl tatsächlich mehr mit Wiener Romantik als mit Guardinis Gegensatzlehre zu tun.
  • Auf Parallelen zur Ethik Schleiermachers verweisen Günter Henner im Rahmen seiner pädagogischen Studie (Die Pädagogik im Denken Romano Guardinis, Paderborn 1990, S. 143f., S. 243-299) und Winfried Böhm (Über das geistige Erbe Romano Guardinis, in: Josef Schreiner (Hrsg.): Communio Sanctorum. Festschrift für Paul-Werner Scheele, Würzburg 1988, S. 610-623, hier S. 614 sowie 616-618) vor allem unter Berufung auf eine mündliche Äußerung.
  • Martin Brüske geht von einem Einfluss Schleiermachers auf Guardinis „Theologie der Offenbarung“ aus (Martin Brüske: Die Aporie der Religion. Vorbemerkungen zur Theologie der Offenbarung im Werk Romano Guardinis, in: Arno Schilson (Hrsg.) Konservativ mit Blick nach vorn, S. 83-102).
  • Gunda Brüske verweist darauf, dass Guardini von Schleiermacher den Begriff „Kreaturgefühl“ übernommen habe als Haltung in der der Mensch darauf verzichte, „sich gegen das Dasein immun zu machen, bzw. sich aus ihm herauszustellen – sei es nun durch idealistische Stilisierung ins Ewige Hohe, dem gegenüber alles übrige uneigentlich, scheinhaft wird; oder durch titanische Vertrotzung in das, was ist. .. Der Mensch löst sich. Er nimmt das Dasein an. Er gibt es frei zu dem, was es ist, und bejaht es. Die Vielstimmigkeit des Daseins sowohl wie seine Widersprüche kommen heraus und er steht mitten darin. Ebendaraus kommt eine Kraft; eine Zuversicht ... eine Gläubigkeit, eine lösende Grundgüte, welche macht, dass er mitten in dieser Wirrnis Stand hat“ (Guardini, Der Mensch. Grundzüge einer christlichen Anthropologie, Staatsbibliothek Ana 342, S. 185 zitiert nach Gunda Brüske: Anruf der Freiheit, a.a.O., S. 121). Auch das kann aber im Blick auf einen Einfluss Schleiermachers auf die Gegensatzlehre nur wenig erhellen.
  • Guardini distanziert sich mit Schleiermacher also gleichzeitig von der gesamten romantischen Philosophie - inklusive der von Guardini so genannten „Wiener Richtung“ (Brief an Horst Fuhrmans vom 10.5.1968, Bayerische Staatsbibliothek München).
    • Gemeint ist damit der Kreis, der sich in Wien ab 1808 um Friedrich von Schlegel bildete und unter anderem Friedrich von Gentz und ab 1810 den Dichter Joseph von Eichendorff umfasste. Vgl. dazu: Andreas Arndt: Widerstreit und Widerspruch. Zur Grundform romantischer Dialektik, in: http://home.arcor.de/a.e.arndt/sites/wiwi.html, deutsche Online-Fassung von: Opposizione e contraddizione. La forma fondamentale di dialettica romantica, in: Sergio Sorrentino/Terrence N. Tice (Hrsg.): La dialettica nella cultura romantica, Rom 1996, S. 63-90. Andreas Arndt fasst unter die Konzeption “romantischer Dialektik”, die Positionen von Friedrich von Hardenberg (Novalis), Friedrich Schlegel, Adam Müller und Friedrich Schleiermacher. Vgl. dazu ders.: Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994; ders.: Dialettica romantica. Friedrich Schlegel e Schleiermacher, in: Fenomenologia e Società, 15, 1992, S. 85-107; ders.: Gefühl und Reflexion. Schleiermachers Stellung zur Transzendentalphilosophie im Kontext der zeitgenössischen Kritik an Kant und Fichte, in: W. Jaeschke (Hrsg.): Transzendentalphilosophie und Spe-kulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie, Hamburg 1993, S. 105-126; ders.: Zum Begriff der Dialektik bei Friedrich Schlegel 1796-1801, in: Archiv für Begriffsgeschichte, 35, 1992, S. 257-273; ders.: Einleitung, in: Schleiermacher: Dialektik (1811), Hamburg 1986; ders.: Unmittelbarkeit als Reflexion. Voraussetzungen der Dialektik Friedrich Schleiermachers, in: K.-V. Selge (Hrsg.): Internationaler Schleiermacher-Kongress Berlin 1984, Berlin/New York 1985.
  • Ihre Ausprägung der Dialektik ist es wohl, die er in seiner Gegensatz-Schrift „Mediationsdialektik“ nennt, weil sie durch eine „hegelisch-romantische Aufhebung aller Wesensunterschiede“ gekennzeichnet sei (Der Gegensatz, 1925, S. 40, FN 11).

Hermann Hesse

Der Eranos-Kreis (Adolf Portmann, Gilles Quispel, Mircea Eliade, Rudolf Pannwitz)

  • Bereits am 11. Oktober 1959 hatte Guardini eine ziemlich vernichtende Kritik des ersten Heftes der Zeitschrift „Antaios“ abgegeben, die im Kontext dieses Autorenkreises von Mircea Eliade und Ernst Jünger als “Zeitschrift für eine freie Welt” herausgegeben wird: “Ob irgendeiner der zweifellos hochintelligenten Herausgeber und Mitarbeiter sich davon etwas in irgendeinem darlegbaren Sinn Ernsthaftes für den Menschen unserer Zeit verspricht? Welchen Überdruss man an all der Schreiberei bekommt!" Vor allem Rudolf Pannwitz´ "dunkle Worte über die ewige Wiederkehr als letztes Wort zur Überwindung der Eingegrenztheit des Individuums" stoßen ihm auf (Guardini, Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben, a.a.O., S. 273).
  • Im Herbst 1968 – das Vorwort von Adolf Portmann datiert im Juli 1968 - kommt das Eranos-Jahrbuch 1967 unter dem Titel “Polarität des Lebens” heraus. Haupttenor ist: “Das gesamte Naturgeschehen ist durch das Vorhandensein und das Ausgleichen von Polaritäten bedingt.” Das Buch gibt die Vorträge wieder, die vom 23. bis 31. August 1967 in Ascona mit dem Tagungstitel “Polarität des Lebendigen” gehalten wurden, unter anderem von Gilles Quispel über “Das ewige Ebenbild des Menschen. Zur Begegnung mit dem Selbst in der Gnosis”, Mircea Eliade über “Mythes de Combat et de Repos. Dydes et Polarités”. In diesen Beiträgen werden weiterhin Widersprüche und Gegensätze nebeneinander als Polaritäten des Lebens ausgegeben: Tag und Nacht, Leben und Tod, Mann und Frau, Geist und Natur, Gut und Böse, Sonne und Mond. Die Autoren hätten besser bei Guardini nachgelesen.

Aristoteles

Alfred North Whitehead

Die "Kölner Konstellation": Scheler, Hartmann, Plessner

Joachim Fischer: Die »Kölner Konstellation«. Scheler, Hartmann, Plessner und der Durchbruch zur modernen Philosophischen Anthropologie, in: Tilman Allert/Joachim Fischer (Hrsg.): Plessner in Wiesbaden, 2014, S. 89-122, hier S. 115: „Zu der kategorialen Herausdrehung "exzentrischer Positionalität" aus der "zentrischen Positionalität" sah sich Plessner vermutlich auch motiviert durch G. Simmels "Achsendrehung des Lebens" (81: Georg Simmel: Lebensanschauung. Vier metaphysische Kapitel, Leipzig 1920), wahrscheinlich auch durch R. Guardinis polarem Gegensatz von »Innewohnen« und »Darüberstehen«(82: Romano Guardini: Der Gegensatz. Versuche zu einer Philosophie des Lebendig-Konkreten, Mainz 1925.), den er ebenfalls nicht erwähnte (83: F. J. J. Buytendijk spielt darauf an, als er in seinem Dankbrief an Plessner für die Zusendung des Buches nach anerkennenden Worten schreibt: „Nur! Warum hast du nicht die Gegensatzidee (Guardini) aufgegriffen? Das ist doch eine sehr richtige und tiefe Einsicht im Konkret-Lebendigen!“ (Buytendijk an Plessner 5.2.1928, Nachlass Plessner, Mappe 34.)“

Nietzsche, seine Folger Ludwig Klages und Johann Jakob Bachofen und die "Kosmiker"

  • Ludwig Klages (1872-1956) und J. J. Bachofen (1815-1887) spielen für Guardini keine eigenständige Rolle in der Betrachtung, sondern er nimmt sie als Nachfolger Nietzsches, wenn es um ihre Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Geistbegriff geht.
  • So schrieb Guardini 1927: „Zugleich aber erscheint Geist als jenes, was das Leben zerstört, die Unmittelbarkeit vernichtet, alle Sicherheit unterwühlt; was entwurzelt, entleert, preisgibt. Der Geistbegriff also, wie er für Nietzsche und seine Folger, für Bachofen, Klages und andere zum Inbegriff des Bösen wird“ (Romano Guardini: Lebendiger Geist (1927) Unterscheidung des Christlichen - Band 1: Aus dem Bereich der Philosophie, (2)1963, S. 142; (3)1994, S. 141).
  • Und 1935 ergänzte er diese Einschätzung: „Gegen den abgelösten neuzeitlichen Geist haben die Einwendungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, eines Nietzsche, Klages und anderer recht, wenn sie auch dabei sich selbst missverstehen. Nachdem der Geist sich selbstherrlich und selbstgenügend konstituiert hat, bedingen seine Überschätzung sowohl wie seine Verfemung einander gegenseitig. Sie sprechen im Grunde den nämlichen Sachverhalt aus“ (Romano Guardini, Christliches Bewußtsein. Versuche über Pascal, Leipzig 1935, Mainz (4)1991, S. 78).
  • Unter die "anderen" Folger ist vor allem der Intellektuellenkreis der parareligiösen "Kosmiker" um Klages, Karl Wolfskehl (1869-1848) und Alfred Schuler (1865-1923) zu verstehen, mit ihren Gästen Ludwig Derleth (1870-1948), Stefan George (1868-1933), Albert Verwey (1865-1937), Oscar A. H. Schmitz (1873-1931), Melchior Lechter (1865-1937) vgl. dazu Wikipedia-Artikel "Kosmiker" - https://de.wikipedia.org/wiki/Kosmiker

Unterscheidung zwischen Guardinis Dialogik und Hegels Dialektik